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Ausgabe: | Juni/2023 |
Spalte: | 565-566 |
Kategorie: | Bibelwissenschaft |
Autor/Hrsg.: | McDonald, Joseph |
Titel/Untertitel: | Searching for Sarah in the Second Temple Era. Images in the Hebrew Bible, the Septuagint, the Genesis Apocryphon, and the Antiquities. |
Verlag: | London u. a.: Bloomsbury T&T Clark 2020. 288 S. = Scriptural Traces. Kart. US$ 39,95. ISBN 9780567689139. |
Rezensent: | Magnus Rabel |
Rezeptionsanalysen wichtiger Figuren der Hebräischen Bibel und des Neuen Testaments sind in den letzten Jahrzehnten zunehmend in den Fokus der bibelwissenschaftlichen Fächer gelangt. Freilich wurde hier zunächst nach den männlichen Größen und ihrer Geschichte gefragt. Erst allmählich kommt die Rezeption (absichtlich?) marginalisierter weiblicher Figuren in den Blick der Forschung. In diesem wichtigen Bereich macht Joseph McDonald auf die Figur der Sara und ihre Veränderungen aufmerksam. Gegenstand seiner Arbeit sind neben einem äußerst knappen Forschungsüberblick (6–13) und der Erläuterung seiner Methode (13–31) vier zentrale Texte: 1. Der masoretische Text in Genesis 11,27–25,10 (32–87), 2. Die Variationen der MT-Vorlage in der Septuaginta (88–138), 3. Sara(i) im Genesis Apokryphon (139–185) und 4. Sar(r)a in den Antiquitates des Josephus (186–239). Ein knappes Fazit (240–249) und die üblichen Indices runden das Buch ab.
Die Methodik des Buches schließt sich an neuere narratologische Erkenntnisse an. McD. geht es weniger um die ständige Komparation der Gemeinsamkeiten und Unterschiede eines Textes zu seinem Bezugstext, also bspw. von der MT-Genesis zur LXX-Genesis. Vielmehr möchte er die vier benannten Texte als eigenständige Kreationen mit ihrem eigenen Wert verstehen (»the work itself«, 4 Fn. 11) und so die Narrative und die Figur der Sara lesen. Er verortet seinen Ansatz »at a little visited intersection of approaches, where character-driven narrative critique meets the ancient reception and rewriting of the tradition surrounding Sarah« (21).
Eng verknüpft mit regelmäßig eingestreuten methodischen Überlegungen analysiert McD.s Lektüre der Sara-Figur in MT-Genesis viererlei Beziehungen: mit Abraham, mit dem Bundesgott, mit Hagar und Ismael sowie mit sich selbst. McD. sympathisiert mit Sara, ja er bemitleidet sie angesichts der reinen Benutzung ihrer Person durch die Gottheit und besonders durch Abraham. Er zeichnet sie als komplexe, aber kohärente Figur, die sich zunehmend verhärtet, unzugänglicher wird und sodann den erlebten Missbrauch durch den Mann an der Sklavin auslässt. Stets bewege sie sich zwischen Haben und Brauchen bzw. Besitzen und Verlieren.
In der LXX sei Sara härter, extremer, erratischer und weniger kohärent als im MT. Sie würde hier noch mehr aus der Beziehung zu Abraham beschrieben. In mehrfacher Hinsicht beginne sie sogar der Abrahamsfigur zu ähneln, was diese konturreicher macht, jene aber eindimensionaler. Stärker als zuvor träten ihre individuellen Merkmale zurück, sie würde zunehmend Mittel zum Zweck, für Abraham, aber auch zur Erfüllung der göttlichen Verheißung, Abrahams Nachfahren zahlreich zu machen. Sie sei weniger Agens, weniger eigenständig und damit weniger dynamisch als im MT. Trotzdem bleibt freilich das Material weitestgehend erhalten wie auch sonst in der GenLXX.
Im Genesis Apokryphon sei die Angelegenheit freilich anders gelagert. Allein Abrahams Rolle als Erzähler (die der eigentliche Autor fingiert), müsse eine veränderte Perspektive auf Sara einnehmen. Hier erarbeitet McD. eine zunehmend komplexe, sich entwickelnde Figur, was sich in einem größeren Sprechanteil, ausgedrückter Emotionalität, eigenständige Aktivität ausdrückt. Nun wird nicht mehr nur ihre Schönheit als äußeres Merkmal erwähnt, sondern ihre Weisheit und ihr Geschick werden intensiv gelobt. Eine solche Darstellung Saras ist in den untersuchten Texten des Buches einzigartig und gerade darin besonders spannend. Dennoch sei auch im GenAp am Ende die Frage nach Saras (Un)Fruchtbarkeit die wertentscheidende, was sie erneut stärker als funktionales Objekt erscheinen lässt.
Wie zu erwarten war, ist eine solche farbenfrohe Darstellung bei Josephus weniger ausgeprägt. Schon Louis Feldman hat gezeigt, dass es sich in den Antiquitates stärker um Paraphrasen handelt, was den Text in die Nähe der LXX-Darstellung rückt. Anders jedoch als dort wirke Sara hier, so McD., etwas aktiver, etwas mächtiger und etwas eigenständiger. Das gilt jedoch nur für die Ägyptenepisode. Wie schon vermehrt notiert, kommt Sara vor allem reproduktive Funktion zu, was sie als Mittel eines größeren Plots und als Handlanger ihres Mannes darstellt.
McD. kommt zu dem Schluss, in seinen exemplarischen Leseweisen gehöre Sara durchweg zur Kategorie komplexer Figuren »filled with evolving, competing, and sometimes contradictory traits« (246). Zwei Kontinuitäten lassen sich ausmachen: Saras große Nähe zum Reden und Handeln Abrahams (was McD. nachdrücklich missfällt [246]) sowie ihre Aufgabe als Mittel der Fortsetzung der Segenslinie. Beides, so mag man bei genauer Lektüre des MT meinen, klang dort schon deutlich an. Auch wenn McD. seine Funde als deutlich wichtiger herausstellt, als sie womöglich sind, ist der Einblick in die Welt des antiken Judentums spannend. Figuren haben durchaus Kontinuität und können gleichzeitig ein eigenes Leben beginnen. Man meint fast, im Gegensatz zu McD.s Überzeugung sei eine Analyse nach Kontinuität und Innovation doch ein wertvoller Schritt, der die Texte als Fortschreibung und eigene Kreationen wahrnimmt. Der MT scheint tatsächlich Relevanz (Autorität?) zu haben, die zwar zu leichten Perspektivänderungen einlädt, aber doch einen Interpretationsrahmen vorgibt.
Dennoch bleibt die Aussagekraft der Studie von McD. begrenzt. Methodisch wird viel gesagt, doch fehlen neuere narratologische Einsichten und Fachbegriffe wie »mentales Modell«, eine kurze Anmerkung zu multidimensionalen Figurenkonstruktionen usw., um sich innerhalb der multiplen Ansätze klar zu positionieren. Auch stellt sich die Frage, ob tatsächlich eine so große Betonung des Subjektes des Wissenschaftlers einen wirklichen Mehrwert zu den Erkenntnissen der Studie bringt oder eher eine übermäßige Absicherung der Kontingenz der eigenen Erkenntnisse bezeugt. Unklar bleibt für den Leser ebenso, weshalb sich die holistische Lektüre eines Narrativs und der Vergleich mit einer Vorlage/einem Bezugstext gegenseitig ausschließen muss. Zwar lehnt McD. zu sehr daran ausgerichtete Ansätze ab, betreibt dann aber in seinen Resümees Vergleichbares. Hinsichtlich des Materials hat sich McD. entschieden, nur vollständige, elaborierte Narrative zu betrachten. Die Nennung der Sara andernorts bleibt dabei unbeachtet. Weshalb die extensiven Erwähnungen im Jubiläenbuch oder bei Philo nicht bearbeitet wurden, bleibt unkommentiert. Dadurch entsteht ein recht torsohaftes Bild antik-jüdischer Rezeptionsprozesse. Inwieweit ist hiervon wirklich Substantielles ableitbar? Auch ein Blick in andeutende Rezeptionen oder in die Verwendung der Sara-Figur im Denken des Paulus (Röm 4,19; 9,9; Gal 4,21–5,1) und des 1. Petrusbriefes (3,6) wären bereichernd gewesen. Formal rezipiert McD. keine Diskussion außerhalb des anglophonen Raumes, was den Diskurs nicht bereichert. Außerdem werden vielerorts keine eigenen Übersetzungen geboten, was eine Dissertation geziert hätte. Denn obwohl er dies überraschenderweise in seinem Vorwort unterschlägt, bezieht sich die vorliegende Arbeit mit geringfügigen Überarbeitungen auf seine 2015 an der Brite Divinity School eingereichte Dissertation. Diesen Charakter hat die Studie mancherorts leider verloren. Einen lückenhaften, aber dennoch instruktiven Beitrag zu antik-jüdischen Rezeptionsprozessen und Figurenwanderungen bildet das vorliegende Werk aber allemal.