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Ausgabe: | Mai/2023 |
Spalte: | 500-502 |
Kategorie: | Systematische Theologie: Dogmatik |
Autor/Hrsg.: | Eller, Matthias |
Titel/Untertitel: | »Extra ecclesiam nulla salus«. Geschichte und Deutung einer anstößigen Lehre. |
Verlag: | Innsbruck: Tyrolia Verlag 2021. 788 S. = Innsbrucker theologische Studien, 99. Kart. EUR 59,00. ISBN 9783702239954. |
Rezensent: | Gunther Wenz |
Die Einsicht, dass historische Studien häufig mehr über die Bewusstseinslage des jeweiligen Historikers als über den geschichtlichen Gegenstand offenbaren, ist nicht erst durch Albert Schweitzers Geschichte der Leben-Jesu-Forschung erschlossen worden. Schweitzers Monographie hat diese Einsicht aber bestätigt und zugleich gezeigt, dass die historisch-kritische Methode, wie sie seit Zeiten des Reimarus geübt wurde, selbst systematische Prämissen enthält, die das Interesse der Erkenntnis bestimmen. Die Geschichte des Dogmas sei seine Kritik, hat David Friedrich Strauß sinngemäß gesagt, und Ähnliches haben Männer wie Johann Salomo Semler in Bezug auf den Kanon und seine Geschichte sowie in anderer Hinsicht verlauten lassen. Daraus erhellt, dass die Primärintention des historisch-kritischen Verfahrens systematisch darauf angelegt ist, den Autoritätsanspruch auf zeitlos-überzeitliche Geltung durch den Aufweis geschichtlicher Genesen elegant zu unterlaufen, um dadurch einen Freiraum individueller Gestaltung unter pluralistischen Bedingungen zu erschließen. Nicht von ungefähr hat man später den Historismus die Metaphysik des bürgerlichen Zeitalters genannt.
Matthias Ellers Geschichtsschreibung ist erkenntlich nicht historistischer, sondern eher antihistoristischer Natur und dezidiert von dogmatischen Voraussetzungen bestimmt, die er sich bis hin zu theologie- und dogmenhermeneutischen Prinzipien durch das Lehramt der römisch-katholischen Kirche vorgeben lässt, in dem nach lehramtlicher Maßgabe die kirchliche Tradition zum entwickelten und gewissen Bewusstsein ihrer selbst gelangt. Mit dieser Feststellung ist nicht behauptet, dass E.s Historiographie unkritisch sei. Dies ist nicht der Fall. Zutreffend aber ist, dass seine Deutung der Genese und Wirkungsgeschichte jener anstößigen Lehre, derzufolge außerhalb der Kirche kein Heil zu finden sei, in Kritik und Konstruktion auf jenes Endziel hinausläuft, welches durch offizielle Lehraussagen seiner Kirche markiert ist. »Texte haben ihre Kontexte« (16), schreibt E. ganz zu Beginn seiner Untersuchung; bedürfte die Richtigkeit dieses Satzes eines Beweises, so hätte er ihn durch die vorliegende Dissertation erbracht.
Die Wendung »Extra Ecclesiam nulla salus« erklärt gemäß dem Dekret für die Jakobiten, das am 4. Februar 1442 auf dem Konzil von Florenz verabschiedet wurde, dass keiner von denen, die sich außerhalb der katholischen Kirche befinden (DH 1351: extra catholicam Ecclesiam exsistentes), des ewigen Lebens teilhaftig werden könne. Entsprechend sei der Verbleib in ihr und ihrer Einheit die Bedingung möglichen Seelenheils. E. thematisiert das Axiom im »Dreischritt biblischer, theologiegeschichtlicher und systematischer Analyse« (17) in der Absicht, im Zuge und Verfolg der, wie er sagt, »dynamische(n) Verschränkung von Kontinuität und Momenten der Diskontinuität« (713), die »auf verschiedenen Ebenen zum Prozess authentischer Lehrentwicklung und aktiver Tradition« (ebd.) gehört, den »über alle Zeiten hinweg bleibend gültige[n] Sinn der Extra-Ecclesiam-Lehre« (712) nach seinen dogmatischen, missionarischen, pastoralen, moralischen und eschatologischen Dimensionen zu erheben. Dass mit der Gegebenheit eines solchen Sinngehalts von zeittranszendenter Geltung unbedingt zu rechnen sei, hält E. schon deshalb für ausgemacht, weil die Extra-Ecclesiam-Lehre gemäß Lehramtssystematik formaliter ein von allen Gläubigen die Antwort theologalen Glaubens verlangendes allgemein verbindliches Dogma der katholischen Kirche darstelle, was durch die biblischen, theologie- und dogmengeschichtlichen Erkundungen materialiter bestätigt werde.
Auch wenn die Hl. Schrift selbst noch »keine Extra-Ecclesiam-Formel« (126) aufstelle, sei diese in ihrem Zeugnis doch inhaltlich insofern enthalten, als bereits die differenzierte Einheit von Erwählung Israels und universaler Sendung des Gottesvolkes und sodann der perfekte Zusammenschluss von Gott und Menschenwelt in der singulären Erscheinungsgestalt Jesu Christi auf die Bestimmung der Kirche verweisen, die in ihrer geschichtlichen Besonderheit zugleich christologisch-soteriologisch auf das Ganze von Selbst und Welt bezogen sei, wie der göttliche Geist dies durch Wort und Sakrament bezeuge, deren authentische Kundgabe dem hierarchisch verfassten kirchlichen Amt mit dem Papst an der Spitze anvertraut sei. Damit wurde durch die Bibel der Weg gewiesen, der des Weiteren theologie- und dogmengeschichtlich zu beschreiten war: denn in der Grundüberzeugung der ersten Christenheit, »dass nach Gottes Willen alle Menschen das Heil in und durch Jesus Christus, dem einen und einzigen Mittler Gottes und der Menschen erlangen sollen« (127), also in dem extra Christum nulla salus (ebd.), war, so die Annahme, die ekklesiologische Fortschreibung der Formel bereits angelegt, ja mitgesetzt, wie denn die Ursakramentalität des Gottmenschen die kirchliche Grundsakramentalität zur notwendigen Konsequenz habe, wenn anders die Kirche als der Leib Christi und ihre Heilsmedien als Repräsentationsgestalten des Heilands gelten sollen.
In welcher Weise die im soteriologischen Bekenntnis zur einen, einzigen und universalen Mittlerschaft Jesu Christi mitgesetzte Annahme, dass es ohne den kirchlichen Dienst der Christusrepräsentation keine vollgültige Heilsvermittlung für Menschheit und Welt gebe, von der nachapostolischen Zeit über diejenige der antiken Reichskirche und des Mittelalters bis hin zur Neuzeit und der Moderne des 19. und 20. Jh.s formuliert und ausgestaltet wurde, ist Thema des Zentralteils der Arbeit, dessen Periodisierung plausibel erfolgt. Dabei zeigen beispielsweise die Ausführungen zu Augustin, im Zuge von dessen Lehre von der allgemeinen Verdorbenheit und Verdammungswürdigkeit des Menschengeschlechts »das Extra-Ecclesiam-Prinzip entgegen seiner eigentlichen Intention zum Ausdrucksmittel der göttlichen Strafgerechtigkeit wird« (653), dass E. sich nicht einfachhin als Apologet betätigen will, auch wenn er es sich gerade mit seiner Augustinkritik m. E. ein wenig zu leicht macht, was zu belegen in hamartiologische Diskussionen hineinführen müsste, die den Rahmen einer Rezension sprengen. Nur so viel: Es ist ein elementares Defizit vieler Sündenlehren bis hin zu Kants Lehre vom radikalen Bösen, den Grundbestand von Subjektivität durch die Sünde nicht bis in diejenige Abgründigkeit hinein betroffen sein zu lassen, welche Thema der traditionellen Lehre vom peccatum originale ist. Gegenüber dieser Tendenz muss christliche Theologie darauf bestehen, dass sich das Subjekt in seiner sündigen Verkehrtheit selbst dergestalt unmöglich macht, dass es sich jedes soteriologischen Eigenvermögens schuldhaft beraubt. Hier, so denke ich, ist von Augustin nach wie vor zu lernen, um (und zwar auch unter tridentinisch-katholischen Bedingungen) nicht in heterodoxe Fahrwasser zu gelangen, was E. sicherlich nicht will.
Wegen der theologiegeschichtlichen Schwerpunktsetzung, schreibt E., sei der systematische Teil seiner Arbeit skizzenhaft geblieben. Das ist schade, weil offenkundig ist, wie sehr der Ertrag des geschichtlichen Erkundungsganges von der eingenommenen systematischen Position vorprogrammiert ist. »Insofern […] die Aussage ›extra Ecclesiam nulla salus‹ bekennt, dass, wo immer das Heil des einen und einzigen Retters Jesus Christus einen Menschen erreicht, dies durch eine (näherhin wie auch immer geartete) kirchliche Vermittlung und im Hinblick auf die Heilsgemeinschaft der Kirche geschieht, muss die Extra-Ecclesiam-Lehre aufgrund des historischen Befundes als ein durchgängig bezeugtes und als verbindlich erachtetes Glaubensgut der katholischen Kirche angesehen werden.« (656) Dieser Satz ist auch unter evangelischen Bedingungen grundsätzlich zustimmungsfähig, wenn er mit der Anerkennung der Prinzipien der Religions- und der Gewissensfreiheit und der Nichtidentifikation von Staat und Kirche verbunden (wie dies von der »Declaratio de libertate religiosa« des II. Vatikanischen Konzils gefordert ist) und wenn hinreichend geklärt ist, was unter Kirche und ihrer Katholizität präzise zu verstehen ist. Diese Klärung, um die es gerade im ökumenischen Dialog geht, lässt sich aber nur auf systematischem Wege herbeiführen, auf dem schließlich auch darüber zu befinden ist, was es mit Geschichte, Historie, Historismus und Antihistorismus theologisch auf sich hat. Sehr vieles kann man diesbezüglich von der Geschichte der Leben-Jesu-Forschung und dem Umgang mit ihrem Zentralproblem lernen, wie sich nämlich der historische zum geschichtlichen Jesus verhält, der in der christlichen Kirche wirksam ist. Hier eine unmittelbare Identität zu behaupten wäre dogmatisch gewiss ebenso verkehrt wie die Annahme einer Trennung der Christologie von der irdischen Erscheinungsgestalt Jesu Christi.