Recherche – Detailansicht
Ausgabe: | April/2023 |
Spalte: | 378-380 |
Kategorie: | Systematische Theologie: Dogmatik |
Autor/Hrsg.: | Bruder, Georg |
Titel/Untertitel: | Warum ist Jesus von Nazareth in Wahrheit Gottes Sohn? Die philosophischen Grundlagen der Christologie bei Joseph Ratzinger und Wolfhart Pannenberg. |
Verlag: | Freiburg i. Br. u. a.: Verlag Karl Alber 2021. 312 S. = Alber Thesen Philosophie, 78. Geb. EUR 39,00. ISBN 9783495491713. |
Rezensent: | Elisabeth Maikranz |
Die Christologie ist der zentrale dogmatische Topos, ohne den es weder christliche Theologie noch Religion geben kann. Georg Bruder geht in seiner Dissertationsschrift, die an der Hochschule für Philosophie SJ in München entstanden ist und von Prof. Dr. Josef Schmidt SJ betreut wurde, der Entstehungsgeschichte der Christologie nach und sucht die ontologischen Grundlagen derselben zu erhellen. Mit der im Titel formulierten Frage zielt er auf den Kern der Christologie, der wahren Identifizierung des historischen Menschen Jesus von Nazareth als Sohn Gottes. B. geht es darum, einer ontisch gedachten »Christologie von oben«, klassisch der Inkarnationschristologie, eine ontologisch gedachte »Christologie von unten« entgegenzustellen und so die Gottessohnschaft Jesu vernünftig einsichtig zu machen. Denn, so stellt er zu Beginn thesenhaft voran: Die christliche Lehre sei in ihrem Kern vernünftig und wahr, was sich in der Christologie daran zeige, dass sie die Grundfragen der Metaphysik beantworte und die Vernunft sich selbst einsichtig mache (19 f.). Das entspricht auch B.s Wahrheitsverständnis, das er mit Aristoteles deutlich macht: Die Wahrheit zeigt sich im rationalen Selbstvollzug des Menschen, in dem der Mensch mit dem Absoluten in Berührung kommt (vgl. 271–274). Denn das wahrhaft Unendliche umfasse das Endliche und muss sich als Teil des endlichen Selbstvollzugs auch im Endlichen zeigen.
Gegen eine moderne Theologie, die »den metaphysischen Begriff der Wahrheit nicht denkt« (27), will B. nun plausibilisieren, dass sich in den christologischen und trinitarischen Titeln eben solche Wahrheit zeige und dass jene entsprechend nicht als mythologisch-religiöse Spekulationen aufgefasst werden dürfen (22). Ausgangspunkt dafür ist die ursprüngliche Wahrheitserfahrung, die die geschichtliche Selbstoffenbarung Gottes in Jesus Christus ermöglicht, und aus der die begriffliche Gestalt der Trinität nachvollzogen werden kann. Indem B. die begriffliche Entwicklung der Christologie und darüber hinaus der Trinität aus der Offenbarung genealogisch nachvollziehen will, will er »den inneren Zusammenhang von historischer Offenbarung und ontologischer Wahrheit ans Licht« (29) bringen. Dazu arbeitet er anhand der christologischen Grundlagen Joseph Ratzingers (Kap. I) und Wolfhart Pannenbergs (Kap. II) den Zu- sammenhang von Christologie und Metaphysik heraus und rundet seine Studie durch einen Vergleich der beiden theologischen Posi-tionen ab (Kap. III), in das B. jedoch noch einen Exkurs zur Ontologie Béla Weissmahrs und zum Verhältnis von Pannenberg und Hegel einfügt.
Bei Ratzinger findet B. den Zusammenhang von Theologie und Philosophie über die Verbindung von Metaphysik und Geschichte in Jesus Christus grundgelegt (Kap. I.1). Entscheidend ist für B., dass Ratzinger vor dem Hintergrund eines biblischen Realismus im Leben Jesu selbst, genauer in den »konkreten Gebetssituationen Jesu« (52) die Begründung einer Christologie von unten sieht. Im betenden Bezogensein Jesu auf den Vater zeige sich die immer schon verborgene Trinität als gegenwärtige und wirksame (54 f.). Der »reale[] historische[] Erfahrungskern des Lebensvollzugs und der Auferstehung Jesu« (86 f.) ist schließlich das eigentliche zentrale Begründungsmoment der christologischen Titel (65 f.). Mit Ratzinger hebt B. besonders das Opfer Jesu hervor, durch das das trinitarische Leben Gottes offenbar werde, da sich im Gehorsam Jesu die theonome Bestimmung des Menschen zeige und verwirkliche (85 f.). Die ontologische Notwendigkeit der Auferstehung und des leeren Grabs macht B. in Ratzingers Hervorhebung der Leiblichkeit der Auferstehung aus. Hier sei »ein ontologischer, das Sein als solches berührender Sprung« (105, hier Zitat) geschehen: Christi Leib sei der neu geschaffene Raum für die Gemeinschaft der Menschen mit Gott. Das leere Grab und die damit markierte Materialität weisen nun für B. über Ratzinger hin-ausgehend eine Verbindung zur creatio ex nihilo aus: Wie die Welt aus dem Nichts geschaffen wurde, so geschehe in der Auferstehung das Ende der Welt im vermittlungslosen Verschwinden Jesu. (117) Hier – wie in der Jungfrauengeburt – zeige sich Gottes »Macht über die Materie« (140). In diesem Ende Jesu werde auch die Schöpfung vollendet, die nun »erst wirklich abschließend geschaffen [werde] – und dies ist die ontologische Notwendigkeit des leeren Grabes!« (118, Herv. im Original) Von hier aus deutet B. nun auch das Opfer Jesu: Indem Jesus sich selbst hingebe, zeige er das eigentliche Wesen der Schöpfung: »Die Schöpfung ist die freie Übergabe ihrer selbst an sich selbst.« (119)
Dass B. eine besondere Sympathie für die Theologie Ratzingers hegt, wird öfter deutlich und zeigt sich nicht nur daran, dass das Ratzinger-Kapitel länger als das Pannenberg-Kapitel ist, sondern auch den Titel »Die Wahrheit der Christologie Josef Ratzingers« (7) trägt, während B. in Bezug auf Pannenberg lediglich von der »Chris-tologie Wolfhart Pannenbergs« (8) spricht. Auf dieser Linie liegt, dass er Ratzingers Grundwahrheiten durch Pannenbergs Gedanken der »Selbstunterscheidung Jesu« (Kap. II.3) und der »Selbstverwirklichung Gottes« (Kap. II.5) ergänzt: In der Selbstunterscheidung Jesu sieht B. den »methodische[n] Zugang und damit die Wahrheit der ›Christologie von unten‹ enthalten« (168), da durch die Selbstunterscheidung Jesu dieser nie ohne Bezug zu Gott als seinem Vater gedacht werden kann. Eine Christologie von unten, die allein auf die historischen Fakten des Leben Jesu abstellt, greife daher zu kurz. Mit Verweis auf das Petrusbekenntnis stellt B. die epistemologische Bedeutung der Selbstunterscheidung heraus (182 ff.).
Gottes Macht und Erkenntnis ist allein durch den Sohn zugänglich. Die Selbstunterscheidung Jesu von seinem allmächtigen Vater offenbare nun Gottes kenotisch-allmächtiges Wesen (womit er den Inkarnationsgedanken interpretiert, 202): Indem Gott Jesus alle Macht übergebe und seine Gottheit vom Vollzug der Selbstunterscheidung abhängig mache, zeige er »sein allmächtiges, souveränes, raumgebendes, schöpferisches Wesen« (205). Mit Pannenberg will B. nun die Kenose Gottes als dessen Selbstverwirklichung denken (208–216): Denn in der Selbstunterscheidung Jesu werde das eigentliche Ziel und die Bestimmung des Menschen erkennbar, der – so er die Selbstunterscheidung vollziehe – sich selbst finde. Diese Selbstfindung des Menschen aber sei die Selbstverwirklichung Gottes. Gerade weil sich in Jesus Christus die Schöpfung in ihrem Sich-Selbst- gegeben-Sein und in ihrer Freiheit wieder Gott vollkommen zu- wende, könne Jesus Christus mit Pannenberg als »Schöpfungsmittler« (216 ff.) verstanden werden.
B.s Studie bietet eine innerchristliche Argumentation für die Wahrheit der Christologie, die auf eine ontologische Grundlegung zielt und Allgemeingültigkeit beansprucht. Trotz dieses Anspruchs trägt B.s Argumentation nur, insofern seine dogmatischen und epistemologischen Prämissen geteilt werden. Auch wenn B. mit der Erarbeitung der Christologien Ratzingers und Pannenbergs ein interessantes Vorhaben verfolgt, so ist die Durchführung doch defizitär: Es findet keine Verortung in den Forschungsdiskursen statt, die Aufnahme von Primär- als auch Sekundärliteratur ist äußerst begrenzt, die Herkunft der Argumente und Gedanken wird zuweilen nicht ausgewiesen, sodass Positionen verschwimmen. Interessante Argumentationen, wie z. B. die zur Macht Gottes über die Materie, können jedoch zum Weiterdenken anregen.