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Ausgabe:

April/2023

Spalte:

345-347

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Elliott, Mark W., Heth, Raleigh C., and Angela Zautcke [Eds.]

Titel/Untertitel:

Studies in the History of Exegesis.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2022. XII, 235 S. = History of Biblical Exegesis, 2. Kart. EUR 79,00. ISBN 9783161611018.

Rezensent:

Lukas Bormann

Die neue Reihe »History of Biblical Exegesis« knüpft locker an die 1998 eingestellten »Beiträge zur Geschichte der biblischen Exegese« an, in der zwischen 1959 und 1998 insgesamt 34 Monographien erschienen waren. Die nun von Mark W. Elliott, Jenie Grillo, David Lincicum und Benjamin Schliesser verantwortete Reihe öffnet sich auch für Mehrverfasserschriften und Aufsatzsammlungen. In diesen Publikationen soll die Sache und der Begriff »Exegese« im Mittelpunkt stehen. Darunter verstehen die Herausgeber, namentlich Elliott, der die programmatische Einführung abgefasst hat, eine Ausrichtung, die vor allem historische und biblisch-theologische Fragen verfolgt und dem dialektischen Verhältnis von historischer Exegese und biblischer Theologie gerecht werden soll. Dieses ist nach Meinung des genannten Herausgebers von Teilen der feministischen Exegese unter der Parole »after exegesis« aufgegeben worden, sodass diese selbst über eine »patchwork biblical theology« nicht hinauskommt (V). Es wird zudem noch ausdrücklich festgehalten, dass auch Exegesen von Vertretern einer repräsentativen Elite es wert seien, wissenschaftlich vertieft behandelt zu werden. Für den deutschsprachigen Raum sind diese apologetischen Ausführungen nicht vollständig nachvollziehbar, da sich weder die hiesige feministische Theologie von der Exegese abgewendet hat noch die Forderung erhoben wird, Autoren, die einer Elite angehören, nicht mehr wissenschaftlich zu behandeln.

Im vorliegenden Band der Reihe sind von dessen Herausgebern M. W. Elliott, R. C. Heth und A. Zautcke Beiträge zusammengestellt, die in den Jahren 2016 bis 2018 im Zuge der Jahrestreffen der SBL zum Thema »History of Interpretation« vorgetragen wurden. Die 14 Aufsätze sind in vier Gruppen geordnet, die überschrieben werden mit »matters of approach«, »exegetical cases«, »Luther’s exegesis 500 years on« und »early modern concurrences and ten-sions in exegesis«. Die Inhalte erstrecken sich von der mosaischen Gesetzgebung zum Umgang mit Tieren (B. A. Berkowitz) bis zu John Lockes Auslegung der allgemeinen Totenauferstehung in 1Kor 15 (S. E. Harris).

In der Forschung zur Rezeptionsgeschichte hat sich der Konsens gebildet, dass die synchrone Analyse der Textrezeption, also diejenige, die die Beziehung zur Epoche, aus der die Rezeption stammt, herausarbeitet, ergiebiger ist als eine diachrone im Sinne einer Wirkungsgeschichte. Letztere kann dann ertragreich sein, wenn sie einen bestimmten Sachverhalt oder einen bestimmten Text durch die Jahrhunderte verfolgt. Dies ist in dem vorliegenden Band nicht der Fall, so dass sich der Ertrag des Bandes nur an der Bedeutung der einzelnen Beiträge zum Verständnis ihres Gegenstands und nicht am Gesamtkonzept festmachen lässt. Es sollen deswegen drei besonders eindrucksvolle Beiträge ausgewählt und näher behandelt werden.

D. Lincicum, einer der Mitherausgeber der Reihe, befasst sich mit dem Problem der Teleologie in Darstellungen zur Geschichte der Exegese. Während Geschichtsschreibung dazu tendiert, die Gegenwart als das Produkt der historischen Prozesse zum Maßstab der Analyse zu machen, stellt sich in der Exegesegeschichte die Frage, ob eine solche Fortschrittsgeschichte, die sich in der Regel ausschließlich an der historisch-kritischen Methode als Maßstab orientiert, zulässig ist. Gibt es nicht auch andere legitime Schrift-interpretationen? Diese Frage wird an fünf großen Exegesegeschichten von S. Neill, W. G. Kümmel, H. Reventlow, W. Baird und M. Sæbø gestellt. Ihnen allen wird mit unterschiedlichen Akzentsetzungen eine Verkürzung (»abridgement«) der Geschichte auf die Elemente, die in der Gegenwart als wissenschaftliche Exegese verstanden werden (»presentism«), attestiert. Kümmel und Reventlow konzentrieren ihre Darstellungen zudem auf die deutschsprachige Exegese. Nur Sæbø integriert in sein monumentales Werk auch Teile der Exegesegeschichte, die nicht ausschließlich einer Fortschrittsgeschichte der historischen Kritik zuzurechnen sind, nimmt dafür aber einen Mangel an Kohärenz der Darstellung in Kauf. An die Schlussüberlegungen schließt sich als »Supplement« eine längere Gedankensammlung von M. W. Elliott und M. Legaspi zur Exegesegeschichte von A. J. Hauser und D. Watson an, in der unter anderem die häufig zu beobachtende Übergehung jüdischer Wissenschaftler und das Ausweichen vor den Herausforderungen, die der Poststrukturalismus für jegliche Geschichtsschreibung bedeutet, hervorgehoben wird. Im Ergebnis erscheint die Divergenz zwischen einer deskriptiv summarischen und einer an der Idee des Fortschritts orientierten Geschichtsschreibung der Exegese, die den Forschungsstand der Gegenwart zum Maßstab erhebt, als ein nicht aufhebbares Spannungsfeld.

D. Batovici zeigt an der Rezeption eines Wortes über die Presbyter in 1Petr 5,1–4, welche Aufschlüsse eine an der Analyse der Manuskripte orientierte Rezeptionsgeschichte geben kann. Die Anzahl der überlieferten Manuskripte und deren Aufarbeitung für den liturgischen Gebrauch geben wichtige Hinweise auf die Bedeutung des Textes. Seine Verwendung in aktuellen Auseinandersetzungen um das kirchliche Amt macht wiederum deutlich, wie sehr die interessengeleitete Inanspruchnahme eines Textes seine Rezeptionsgeschichte bestimmt.

O. Wischmeyer befasst sich mit Luthers Distanz zum Jakobusbrief und vertritt die These, dass dessen Verdikt, dieser sei eine unchristologische (»stroherne«) Epistel, gerade diesen neutestamentlichen Text frühzeitig einer philologisch interessierten Exegese öffnete, während andere, für Luther christologisch bedeutsame Texte für eine kritische Interpretation länger unzugänglich blieben. Man verfehlt die Pointe von Luthers Urteil über den Jakobusbrief als unchristologisches Schreiben eines mutmaßlich jüdischen Autors, wenn man dieses als Ausgrenzung aus dem Kanon interpretiert. Vielmehr hat diese Sichtweise schon bei Luther zu klaren philologischen Erkenntnissen über die Struktur und den Stil dieses neutestamentlichen Textes geführt, die den Einsichten, die Martin Dibelius in seinem prägenden Jakobuskommentar von 1919 formuliert hat, kaum nachstehen.

Die Beiträge von M. W. Elliott, E. Covington, S. R. Burke, A. Despotis, S. Salemi, P. K.-K. Cho, J. L. Morrow, B. D. Crowe und K. D. Stanglin legen ebenfalls eindringliche Einzelstudien zu Fragen der Rezeptionsgeschichte von der Patristik bis zur Aufklärung vor. Die Vielfalt rezeptionsgeschichtlicher Zugangsweisen erweist sich insgesamt nicht als Mangel an Kohärenz, sondern als der Beleg für eine vielfältige und letztlich nicht teleologisch und präsentistisch zu schreibende Wirkungs- und Auslegungsgeschichte der alt- und neutestamentlichen Schriften. Gleichwohl ist es sinnvoll, wenn ein solches Unternehmen auf eine bestimmte, nachvollziehbare und ertragreiche Forschungsfrage ausgerichtet ist und so die Geschlossenheit und der Ertrag einer Aufsatzsammlung erhöht wird. Hilfreiche Indices erschließen den Band auf vorbildliche Weise.