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Ausgabe: | März/2023 |
Spalte: | 238–239 |
Kategorie: | Systematische Theologie: Ethik |
Autor/Hrsg.: | Höfner, Markus [Ed.] |
Titel/Untertitel: | Theo-Politics? Conversing with Barth in Western and Asian Contexts. |
Verlag: | Lanham: Lexington Books/Fortress Academic 2021. 512 S. Geb. US$ 145,00. ISBN 9781978710054. |
Rezensent: | Michael Weinrich |
Die politische Verantwortung der Kirche bleibt ein umstrittenes Thema. Es stellt sich in unterschiedlichen Kontexten sehr unterschiedlich dar, auch wenn die von ihm angezeigte Herausforderung grundsätzlich die gleiche ist. Im Hintergrund steht die sowohl von den Religionen als auch aus nicht-religiöser Perspektive zu beantwortende große Frage, ob die Religion gesellschaftlich als ein Stabilisierungsfaktor oder als ein Veränderungskatalysator anzusehen ist (5). Wenn sich der vorliegende Band auf die Bedeutung Karl Barths und damit auf eine dezidierte Befürwortung einer für die Kirchen als charakteristisch anzusehenden Gestalt der politischen Verantwortung konzentriert, nimmt er dennoch ein weites Problemspektrum in den Blick, indem er auf der einen Seite auch philosophische, sozio-logische, religionswissenschaftliche und politologische Aspekte in die Aufmerksamkeit rückt und auf der anderen Seite entschlossen über den vor allem deutschen Diskurs hinausgeht und asiatische und US-amerikanische Perspektiven authentisch mit einbezieht.
In Deutschland hat es Barth immer schwer gehabt, nicht zuletzt wegen der politischen Implikationen, die mit seiner Theologie verbunden waren. Heute folgt das politische Engagement der Kirchen faktisch weniger theologischen Orientierungen als vielmehr den jeweiligen Mainstreams angesagter zivilgesellschaftlicher Mobilisierungen. Das führt zu der bemerkenswerten Situation, dass derzeitig aus der Richtung einer mit Barth verbundenen Theologie dies politische Engagement scharf kritisiert wird. Es wird den Kirchen vorgeworfen, anstatt von Gott zu reden die Gemeinden nur noch mit der göttlichen Beauftragung zur Rettung der Welt zu bedrängen. Auch wenn die Analyse weithin zutreffend sein mag, echauffiert sich bisweilen der rhetorische Gestus der Empörung zu einer vernichtenden Kirchenkritik, die am Ende vor allem das Ressentiment bedient und eben keine konstruktiven solidarischen Veränderungen anregt. Darin wird sich diese Intervention kaum auf Barth berufen können.
Dass es auch ganz anders gehen kann, zeigt der von Markus Höfner herausgegebene Band, indem er die Aufmerksamkeit auf den nicht suspendierbaren inneren Zusammenhang von Kirche und politischer Verantwortung lenkt, der sowohl den spezifischen Befreiungscharakter des Evangeliums als auch im Sinne der zweiten These der Barmer Theologischen Erklärung die Verbindlichkeit der spezifischen Sendung der Kirche an die Welt in den Blick rückt. Es handelt sich um die Dokumentation von drei wissenschaftlichen Symposien, die im Rahmen eines internationalen Forschungsprojekts 2012–2015 an der Ruhr-Universität Bochum abgehalten wurden. Sie belegt überzeugend die Relevanz der Theologie Barths auch in anderen Kontexten ebenso wie ihre Aktualität.
Die dogmatischen Einsichten Barths enthalten immer auch ethische Implikationen und stehen deshalb stets in einem Zusammenhang mit der Praxis der Kirche und der politischen Verantwortung des Glaubens. Es ist Barths Konzentration auf eine konsequente (Mit-)Menschlichkeit, die im Horizont des ersten Gebots eine konsequente ideologiekritische Selbstreflexivität evoziert und eine sachliche Ernüchterung der sich gern mit Pathos verschleiernden Konfliktwahrnehmungen einfordert.
In diesem Horizont haben sich die Rekonstruktionen in dem Beitrag des Herausgebers als besonders ergiebig erwiesen, auf die von anderen Referenten auch immer wieder ausdrücklich Bezug genommen wird. Höfner hebt im Blick auf Barth die exzentrische Existenz der Kirche hervor, die mit der Konzentration der Ekklesio-logie auf die Sendung der Kirche anstatt auf ihre Sammlung begründet wird (242–247). Die Sendung verhindert auf der einen Seite die schlichte Assimilation der Kirche an die Tagesordnung der Welt und auf der anderen Seite den sektiererischen Rückzug aus der Welt. Damit wird genau die entscheidende Pointe für Barths Konzeptualisierung der politischen Verantwortung der Kirche benannt. Es ist der spezifische Charakter der eigenen Weltlichkeit der Kirche, der ihr eine Unterscheidung von der Welt einbringt, durch die sie aber zugleich unverbrüchlich mit ihr verbunden wird. Die Kirche wird in ihrer spezifischen Freiheit an die Welt gewiesen, in der sie die jeweiligen Umstände im Horizont der stets schon gegenwärtigen Zuwendung Gottes wahrnimmt, so dass sie sich grundsätzlich nicht dazu versteigen kann, als Vollstrecker des Willens Gottes aufzutreten. Ihr Auftritt steht vielmehr im Zeichen der aktuellen Bezeugung der bereits geschehenen Versöhnung.
Es sind vor allem die Beiträge aus China und den USA, deren historische Verortungsversuche und Konzeptualisierungen des Verhältnisses von Kirche und Gesellschaft in ihrem jeweiligen Kontext Barths Zuspitzungen eine spezifische Tiefenschärfe verleihen. Paul Dafydd Jones weist zutreffend darauf hin, dass es Barths konsequentem Realismus entspricht, wenn er in seiner Dogmatik im Grunde niemals über das Genus der Prolegomena hinauskommt, die dazu anleiten wollen, den dann je selbst zu machenden Wahrnehmungen auf die Sprünge zu helfen (345). Dabei erweisen sich die von Barth in der Versöhnungsethik identifizierten »herrenlosen Gewalten« – zu denen Hanna Reichel heute auch die von der Digitalisierung ermöglichten Überwachungsambitionen zählt (169 ff.) – als ein Motiv, dem in den unterschiedlichen Kontexten eine hohe Evidenz zuzumessen ist. Bereits in der schlichten Entmythologisierung der sich als unnahbar gebenden herrenlosen Gewalten und der Sichtbarmachung ihrer Drahtzieher liegt das entscheidende Moment des von der Kirche zu erwartenden Aufstands (348–352).
Im Blick auf Hongkong und die USA hat das Thema der Demokratie in den letzten Jahren eine neue Brisanz bekommen, weil sie aus unterschiedlichen Gründen substanziell ausgehöhlt wird. Für die USA beklagt Angela Dienhart Hancock eine sich ausbreitende paralysierende und polarisierende absolutistische Rhetorik, die sie sacred rhetoric nennt (278) und der sie jeden vernünftigen demokratischen Diskurs zum Opfer fallen sieht, weil diese vor allem nicht verhandelbare Positionen reklamiert und alle Opponenten sofort zu Feinden erklärt. Demokratie ist kein Zustand, sondern lebt in ihrem auf Gegenseitigkeit setzenden Vollzug. Damit wird eine Problematik angesprochen, die sich inzwischen allseits wahrnehmen lässt.
Im Unterschied zu Barth erweist sich das insbesondere von Max L. Stackhouse geprägte und in Deutschland weitreichend rezipierte Konzept einer »öffentlichen Theologie« im chinesischen Kontext aus verschiedenen Gründen als ungeeignet, und Pan Chiu Lai stellt ihr den auf John Webster zurückgreifenden Vorschlag einer theological theology entgegen (363). Er warnt mit Barth vor jeder Versuchung einer religiösen Überhöhung der Handlungsoptionen, die von der Kirche in die Gesellschaft eingebracht werden (367; vgl. dazu auch den Beitrag von Chin Kenpa, 191–199). Insgesamt – und das gilt ebenso für die USA – sollte man sich keine Illusion über die politische Positionierung der Kirchen und die Reichweite des Einflusses Barths auf ihre gesellschaftliche Selbstverortung machen (305.338). Es handelt sich in jedem Fall eindeutig nur um eine Minderheit und in China eben um eine Minderheit in der Minderheit. Da bleibt es dann doch bemerkenswert, dass unter allen in China präsenten Religionen vor allem der katholischen Kirche und den Protestanten das Misstrauen des Staates gilt (95.99).
Das sind nur ganz wenige Wahrnehmungen aus diesem reichhaltigen Band, die verdeutlichen, dass er sich mit Fragen beschäftigt, die auch für uns eine hohe Relevanz haben.