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Ausgabe:

September/2022

Spalte:

854–856

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Sánchez M., Leopoldo A.

Titel/Untertitel:

T & T Clark Introduction to Spirit Christology.

Verlag:

London u. a.: Bloomsbury T & T Clark 2021. XXX, 222 S. Kart. £ 24,99. ISBN 9780567690135.

Rezensent:

Petr Gallus

Die Geist-Christologie, als Stichwort schon länger bekannt, wird
heute – wenigstens in bestimmten Kreisen – zum strukturierten
theologischen Locus, das eine Parallele zur traditionellen kirchlichen
Logos-Christologie bilden will. Leopoldo A. Sánchez M.,
Systematiker und Professor für Hispanic Ministries am Concordia
Seminary in St. Louis, Missouri, zeigt zuerst ihre Ausgangspunkte:
Sie orientiert sich vor allem an lukanischer Christologie (X) und
akzentuiert vor allem die Menschlichkeit Jesu, die in ihrer Geisterfülltheit
als idealer Prototyp und Modell für Heiligung dienen
kann. Jesus wird somit programmatisch primär nicht als Sohn,
sondern als der »Empfänger, Träger und Geber von Gottes Geist«
aufgefasst (XI); die Wurzel und Startpunkt des ganzen geistgefüllten
Leben Jesu wird deshalb nicht in der Menschwerdung, sondern
in seiner Taufe gesehen.
Gerade die Parallelität der Geist-Christologie zur Logos-Christologie
stellt also zugleich das größte Problem dar. Konkurriert hier
nicht der Geist mit dem Sohn? Was kann der Geist dem inkarnierten
Sohn noch Neues bringen? S. kennt diese Fragen selbstverständlich,
zeigt ihren Ursprung schon bei Justinus (3) und versucht, sie
zu beantworten. Betont wird, dass die Geist-Christologie neue Akzente
setzt: Sie erinnert nämlich an »die oft vergessenen Lehren in
den christlichen Traditionen über die Rolle des Heiligen Geistes«
(115). Vor allem aber verspricht die Geist-Christologie einen guten
Anknüpfungspunkt für die Heiligung der Gläubigen, also für die
christliche Praxis (das Ziel sind »spirituelle Formation und das Leben
in der Welt«, 152). Die Geist-Christologie konzentriert sich also
überwiegend auf das Geist-gefüllte Leben Jesu, das in seiner Taufe
beginnt, nicht auf die von der Tradition so oft diskutierte Konstitution
seiner gott-menschlichen Person in der Inkarnation.
S. unterscheidet die prä-nizänische, nizänische und post-nizänische
Geist-Christologie (5 ff.). Pränizänisch war die frühe Patristik,
die den Geist noch nicht trinitarisch als eine der Personen der
Gottheit, sondern eher als das Gegenteil zum Fleisch verstand. Der
Geist vertritt hier die göttliche Seite der Person Jesu (Ignatius, Tertullian).
Diese Sicht wurde von der nizänisch-chalzedonischen Orthodoxie
überholt. Als postnizänische Geist-Christologie bezeichnet
S. diejenigen Versuche im 20. Jh., die den Logos mit dem Geist
ersetzen und Jesus als einen Geist-gefüllten Menschen schildern
(Haight, Lampe, Newman). Zu diesen Zugängen äußert er sich
kritisch, da sie Jesus untrinitarisch auffassen und seine Gottheit
reduzieren. Er selbst meldet sich zu dem nizänischen Typus der
Geist-Christologie, welche die traditionelle Logos-Christologie ergänzen
und ihre pneumatologische Dimension weiterentwickeln
soll (17). Historisch begegnen sich in seiner Sicht zwei wichtige
Stränge: einerseits die Renaissance der trinitarischen Theologie im
20. Jh. (17 ff.), andererseits der Aufschwung der pentekostalen und
charismatischen Kirchen (28 ff.). Er steht somit vor der Aufgabe
einer trinitarischen Geist-Christologie mit hohen Forderungen an
ethische Ausmündung, bei der sich jedoch die Frage der Parallelität
von Christologie und Pneumatologie umso dringender stellt.
Inhaltlich beginnt S. mit der exegetischen Fundierung und beruft
sich vor allem auf J. D. G. Dunn (Kapitel 2). Folglich wirft er
den Blick in die frühe Kirche (Irenäus und Athanasius in ihrer Polemik
mit den Gnostikern und Arianern, und auf die Kappadozier,
Kapitel 3). Die Antwort auf die Frage nach der Wirkung des Geistes
in Jesu Leben wird prinzipiell in der trinitarischen Theologie mit
Hilfe von den Konzepten von J. Moltmann und D. Coffey gesucht
(Kapitel 4).
Heutige Antworten werden im 5. Kapitel dargestellt, in dem die
»Komplementarität von Geist- und Logos-Christologien« ausgearbeitet
werden soll (115), und zwar aufgrund von drei aktuellen
Konzeptionen von M. Habets, S. Jenkins und S. selbst. Alle drei
Autoren knüpfen an ältere Konzeptionen an, die sie weiterführen.
S. als Lutheraner entwickelt weiter die Logos-Christologie von M.
Chemnitz: Zu den drei altprotestantischen christologischen genera
fügt er noch einen vierten genus pneumatikon hinzu (116), um zu
zeigen, dass in Jesus immer die beiden göttlichen Personen Hand
in Hand zusammen handeln. So wird die Verbundenheit und der
Unterschied zwischen Jesus und uns dargestellt: Wir sind nicht
der inkarnierte Sohn, sondern adoptive Kinder Gottes, haben aber
denselben Geist (130 f.). Der reformierte Theologe M. Habets stützt
sich auf J. Owen, um den Einfluss des Geistes auf alle Werke Jesu
herauszuarbeiten. Die Person Jesu Christi wird vom Logos konstituiert,
der dann weiterhin an seiner Menschheit durch den Geist
wirkt (135 f.). Der pentekostale Theologe S. Jenkins beruft sich auf
E. Irwing und betont die Divinisierung der Menschheit Jesu durch
den Geist, der somit die wahre und prototypische, weil »komplett
geheiligte« (= unsündige) Menschheit konstituiert und sie mit der
Gottheit Jesu verbindet (142 ff.).
Im letzten, dem 6. Kapitel werden einige konkrete praktischtheologische
und ethische Implikate weitergeführt am Beispiel des
hispanischen Theologen S. Alfaro, der Missionsakzente der anglikanischen
Theologin L. Peppiatt und der Heiligungskonzeptionen
im heutigen nordamerikanischen Raum.
Die Leitfrage des ganzen Konzepts, obwohl nicht explizit formuliert,
scheint letztlich anthropologisch zu sein: Wie können
wir ein heiliges Leben wie Jesus Christus führen? Das Ziel ist offensichtlich
eine pneumatologische Ethik der Heiligen. Auf die
christologisch gefärbte Frage wird deshalb eine pneumatologische
Antwort gesucht. S. will jedoch nicht – wozu die Geist-Christologie
oft tendiert – die Christologie mit der Pneumatologie ersetzen.
Deshalb ringt er immer wieder mit Fragen und Beziehungen zwischen
Pneumatologie, Christologie und Anthropologie. Es scheint
jedoch, dass bei den Antworten immer wenigstens eines dieser
Felder geschwächt wird.
Christologisch drängt sich vor allem die Frage auf: Inwieweit
dient Jesus »nur« als Übergabe des Geistes Gottes an uns? Wozu
braucht man eigentlich Jesus Christus? Würde der Geist letztlich
nicht reichen? Die Geist-Christologie sucht nach einer christologischen
Struktur, die auch anthropologisch anwendbar wäre. Dafür
muss sie jedoch die Gottheit des Sohnes einklammern. – Pneumatologisch
bleibt die Stellung des Geistes in der Trinität fraglich.
Inwieweit dient er nur als Verbindungsglied zwischen Gott und
Mensch?
Anthropologische Fragen zielen auf die weitgehend unselbständige
Menschheit (samt der Menschheit Christi), die zur Heiligkeit
erst emporgehoben werden muss. Es droht eine Spaltung
zwischen Jesu Gottheit und Menschheit, stark unterstrichen werden
dyotheletische und dyophysitische Akzente.
Insgesamt stellt die Geist-Christologie eine richtige Frage:
Macht der Sohn das Wirken des Geistes überflüssig? Zugleich aber
ringt dieser Zugang mit der Tendenz zur Verdrängung des Sohnes,
um dem Geist mehr Platz zu machen. Es handelt sich um einen
weiteren Versuch, aus dem »metaphysischen Monster der Tradition
«, das sich nicht nachahmen lässt, einen Menschen unsersgleichen
zu machen, der uns ein lebbares Modell eines heiligen Lebens
darreichen könnte. Dem Geist-gefüllten Jesus droht jedoch, nur
ein Vorbild oder Prototyp des voll-heiligen Menschen zu werden.
Das Buch stellt durch das Mosaik der Positionen wichtige Fragen
und zeigt klar, dass die Arbeit an den Antworten noch manches
Abenteuer verspricht.