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Ausgabe:

September/2022

Spalte:

852–854

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Langenfeld, Aaron

Titel/Untertitel:

Frei im Geist. Studien zum Begriff direkter Proportionalität in pneumatologischer Absicht.

Verlag:

Innsbruck u. a.: Tyrolia Verlag 2021. 388 S. = Innsbrucker theologische Studien, 98. Kart. EUR 39,00. ISBN 9783702239510.

Rezensent:

Lukas Ohly

Wie kann der Mensch frei sein, wenn er von Gottes Gnade abhängig ist? Kann er sich im Glauben für Gott entscheiden, dann ist er frei, aber nicht von Gottes Gnade abhängig. Erlangt er allein aus Gnade seine Bestimmung, ist er nicht frei. Die Rede von der Freiheit des Menschen muss dann zumindest einen menschlichen »Selbststand« (13) gegenüber Gott aufgeben. Dagegen wendet sich das »Proportionalitätsaxiom«, das Aaron Langenfeld im Anschluss an Karl Rahner entfaltet und verteidigt. L. hat mit diesem Band im Fach Fundamentaltheologie am katholischen Fachbereich der Universität Innsbruck habilitiert. Das Proportionalitätsaxiom besagt, »dass die Abhängigkeit von Gott und geschöpflicher Selbststand nicht in umgekehrtem, sondern in gleichem Maße wachsen« (87). Dieses Buch ist ein interessanter und weiterführender Beitrag zur Überwindung einer Alternative, die den grundlegenden Gegensatz der evangelischen und katholischen Gnadenlehre prägt. Kleinschrittig und dennoch transparent entwickelt L. seine These und präzisiert sie in der Diskussion mit möglichen Einwänden.

Wenn die menschliche Freiheit und die göttliche Selbstmitteilung so dicht aneinandergekoppelt werden, scheinen begriffliche und disziplinäre Interdependenzen unausweichlich zu sein. Umso wichtiger ist es dann, diese engen Korrelationen nicht in Indifferenzen laufen zu lassen. Karl Rahners »monistische Tendenz« (156) gilt es abzuwehren, ohne Verbundenes durch Differenzierungen zu trennen. Für L. setzen sich Fundamentaltheologie und Dogmatik wechselseitig voraus (18). Die »pneumatologische Absicht«, die der Untertitel des Buchs äußert, muss zur Begründung des Proportionalitätsaxioms nicht nur die Anthropologie mit einschließen, sondern auch die Christologie. Spitzensätze wie: »Pneumatologie ist Christologie im Modus der Anthropologie« (318, Herv. A. L.) verraten eine Typik der Argumentationsweise L.s, nämlich Differenzen als Verzahnungen darzustellen, die theologische Synergien schaffen. Genau eine solche Synergie soll das Proportionalitätsaxiom sein: »Gott wird also durch meine aktive Teilhabe […] ›mehr‹ er selbst« (300). Umgekehrt wird der Mensch umso mehr zur Freiheit befähigt, je mehr er Gott als seinen Grund frei bejaht. Genau das ist die christologische Pointe dieses anthropologischen Freiheitssatzes (129).

L. übernimmt Rahners eigenwillige Bedeutung des Begriffs des Kategorialen. Kategorial ist etwas in gegenständlicher, ontischer oder weltlicher Hinsicht. Dem Kategorialen steht nach Rahner das Transzendentale gegenüber. Der Grund der Freiheit, der durch den Heiligen Geist vermittelt wird, ist dabei transzendental und nicht kategorial zu verstehen. L. zielt auf eine »transzendentale Pneumatologie«; den Heiligen Geist hat man »als Möglichkeitsbedingung menschlicher Freiheit und nicht als ihren kategorialen Gehalt« zu erfassen (81, Herv. A. L.). Damit wehrt L. ein Gottesverständnis ab, das in die Welt vereinzelt eingreift (107.263). Vielmehr liegt Gott als Grund der Freiheit transzendental dem Ganzen des Menschen zugrunde. Ihm entspricht, dass Gott »Selbstmitteilung« ist, also nicht einfach etwas Einzelnes offenbart, sondern wesentlich Offenbarung ist (vgl. 25). Was Gott in immanenter Trinität ist, nämlich Kommunikation, das ist er auch nach außen (196.300). »Die Art und Weise der Selbstmitteilung ist dann nicht mehr vom Wesen Gottes zu trennen.« (76)

Selbstmitteilung als Charakterisierung Gottes eignet sich deshalb für das Proportionalitätsaxiom, weil sie wesensmäßig auf andere Selbste bezogen ist (ad intra und ad extra). Indem Gott sich selbst mitteilt, befähigt er anderes, es selbst und damit frei zu sein. Die transzendentale Pneumatologie verortet die Gegenwart des Geistes »im Fähigsein des Subjekts zu deren Deutung als Gegenwart Christi« (280).

Kurz gesagt, wird der Mensch von Gott dazu befreit, seine Selbstbestimmung in der Liebe zu bilden, und er bildet sie umso mehr, je mehr er Gott als Grund und Befähigung seiner Freiheit bejaht: »Anthropologische Freiheit ist daher, gerade weil sie autonom ist, streng verwiesen auf Gott als ihren transzendentalen Grund« (132).

Mit einer beeindruckend knappen wie luziden Zusammenfassung der gegenwärtigen freiheitstheoretischen Debatte (34–54) zeigt L. die Aporien eines »laplaceschen Determinismus« (37) auf und folgert daraus, dass die Natur in geistlicher Offenheit besteht (277.295). Deshalb ist eine pneumatologische Befreiung des Menschen als transzendentale Befähigung zur menschlichen Freiheit für L. folgerichtig.

Fraglich bleibt mir jedoch, ob sich L. zu sehr an Rahners transzendentales Gottesverständnis und seiner Abgrenzung an eine »kategoriale« Mitteilung Gottes angelehnt hat. Ist Gottes Gnade, ist Gott überhaupt real, wenn sie transzendental sind? Ist also das Proportionalitätsaxiom ein epistemologischer oder ein ontologischer Grundsatz? Eine transzendentale Möglichkeitsbedingung ist eben keine ontisch-kategoriale Möglichkeit, es sei denn, man setzt das Proportionalitätsmodell zirkulär voraus und beschreibt Möglichkeiten als ontische Entitäten: »Freiheit, auch die Freiheit Gottes, kann es nicht ohne das Moment der Möglichkeit […] geben« (324). Dieser Satz wird pneumatologisch aufgefasst. Ist der Heilige Geist dann ontologischer Letzthorizont?

L. benennt das Problem dieser Verhältnissetzung mehrfach. Er paraphrasiert Thomas Pröppers Einwand, dass Freiheit erstens »nur in Bezug auf konkrete Gegenstände realisiert« werde (150) und somit auf der transzendentalen Ebene »lediglich die Möglichkeit der Existenz Gottes, die Idee Gottes also, nicht aber deren Wirklichkeit folgt« (151). Nach meinem Eindruck entzieht sich L. allerdings dieser Diskussion: Auf die monistische Tendenz bei Rahner soll »an dieser Stelle nur verwiesen werden« (156), dabei stellt sich gerade hier die zentrale Frage, wie die Realität der Transzendentalität gefasst werden kann. Es sei »nicht Aufgabe der vorliegenden Studie […], den Streit über die prinzipielle Legitimität philosophischer Begründungsansprüche zu entscheiden« (153), dabei müssen gerade in einem Korrelations- und Proportionalitätsmodell die Ebenen aus Transzendentalem und Kategorialem ausgeglichen werden. Wenn Christus die transzendentale Freiheit kategorial konkretisiert (306), müssten Entsprechungen zwischen dem Transzendentalen und Kategorialen überhaupt vorliegen können. Auf welcher Ebene soll diese Entsprechung liegen? Zum einen argumentiert L. mit dem bloßen Vollzug der Freiheit, der seine transzendentalen Bedingungen rückwirkend durchschaubar werden lässt (155.159). Zum anderen findet er eine dritte Ebene, in der Transzendentales und Kategoriales zur Einheit kommen, nämlich das Ereignis »kategorialer Widerfahrnisse« (82, vgl. 205) und die Geschichte; hier kommen »›Transzendentalität und Kategorialität‹ in der interkommunikativen Horizontalen der Geschichte ereignishaft zusammen« (144). Auch die Liebe, die kategoriale Konkretisierung der transzendentalen Freiheit (193), scheint auf dieser dritten Ebene platziert zu sein. Muss man aber nicht dann den Ereignischarakter der Liebe so explizieren, dass sowohl das Transzendentale wie das Kategoriale widerfahren, nämlich als Neues? Die creatio ex nihilo lässt L. jedoch nur als Grenzgedanken zu (296). Eine phänomenologische Analyse hätte hier den Horizont erweitert (gegen 79).

Das Buch überschreitet die natürliche Theologie durch einen Offenbarungsansatz der Natur und des Menschen. Auch dadurch ist dieser soteriologische Ansatz für die evangelische Freiheits- und Gnadenlehre hochinteressant. In seiner transzendentaltheoretischen Fassung ist das Proportionalitätsaxiom aber nach meinem Eindruck noch nicht konsequent dort angelangt, worauf der Begriff »Selbstmitteilung« zielt, nämlich auf den Widerfahrnischarakter von befreiender Gnade.