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Ausgabe:

Juli/August/2022

Spalte:

756–758

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Chinnici, Joseph P.

Titel/Untertitel:

American Catholicism Transformed. From the Cold War Through the Council.

Verlag:

Oxford u. a.: Oxford University Press 2021. 480 S. Geb. US$ 45,00. ISBN 9780197573006.

Rezensent:

Benjamin Dahlke

Aktuell gehört fast jeder vierte Einwohner der USA der katholischen Kirche an; Pfarreien, Diözesen und Ordensgemeinschaften unterhalten ein dichtes Netz an Schulen, Krankenhäusern und Universitäten, die einen wichtigen Beitrag für die gesamte Gesellschaft leis-ten. Mit Joe Biden steht momentan sogar ein Katholik an der Spitze des weiterhin mächtigsten Staates der Welt – allerdings erst der zweite nach John F. Kennedy, der im Jahr 1961 gewählt wurde. Während Bidens Konfessionszugehörigkeit im Wahlkampf eine nur untergeordnete Rolle spielte, war das bei Kennedy noch anders. Aufgrund von Bedenken hinsichtlich seiner Loyalität sah sich der Sohn einer aus Irland an die Ostküste emigrierten Familie sogar zu der Erklärung genötigt, nicht der Präsidentschaftskandidat der ka­tholischen Kirche, sondern derjenige der Demokratischen Partei zu sein.
Erstaunlicherweise geht Joseph P. Chinnici recht wenig auf Kennedy ein, obwohl sich das angeboten hätte, um die Transformation des amerikanischen Katholizismus zwischen dem Zweiten Weltkrieg und dem Zweiten Vatikanischen Konzil zu verdeutlichen. Mag der finanzielle und politische Aufstieg seiner Familie in vielerlei Hinsicht außergewöhnlich gewesen sein, so war er in anderer Weise typisch. Denn aus einer skeptisch beäugten Randgruppe, einer weder durch Bildung noch durch Wohlstand auffallenden Migrantenkirche, wurde ein agiler, prägender Teil der Gesellschaft. Gerade das will Ch. in seiner Monographie ja zeigen. Wenn sich der Franziskaner, Professor an einer Hochschule seines Ordens in Kalifornien, auf die Jahre 1945 bis 1965 konzentriert, dann ist das plausibel. Damals gab es nämlich eine spezifische Problemstellung (VIII.26.103 f.): Einerseits herrschte in der Gesellschaft der USA, bedingt durch den Kalten Krieg, ein straffer Antikommunismus vor. Auf den Katholizismus wirkte sich das nicht nur in der Weise aus, dass die sogenannten amerikanischen Werte nun bewusst von kirchlicher Seite aufgegriffen und verteidigt wurden. Zudem wurden Moral, Tradition und Gehorsam gegenüber der Hierarchie betont. Andererseits zeigten sich erste Anzeichen der Säkularisierung, d. h. die Differenz zwischen Glau-ben und Leben trat immer deutlicher hervor. Reformen sollten dem begegnen. In einem Klima, das nach der Kuba-Krise zunehmend von Entspannungspolitik und Dialog geprägt war, erschien eine progressive Ausrichtung nochmals plausibler. Verstärkend kam die Bürgerrechtsbewegung hinzu, an der sich auch viele Katholiken beteiligten. Zu nennen wäre etwa Harold Robert Perry, ein aus Louisiana stammender Nachfahre aus Afrika verschleppter Sklaven, den Ch. leider unerwähnt lässt. Als der Steyler Missionar Ende 1965 zum Weihbischof für das Erzbistum New Orleans ernannt wurde, war das ein starkes Zeichen. Bei seiner Ordination kam es übrigens zu rassistisch motivierten Demonstrationen.
Ch. zeichnet die Entwicklung, die der amerikanische Katholizismus in jener Zeit durchlaufen hat, chronologisch nach. Er beginnt mit dem Kalten Krieg und geht dann zur Bürgerrechtsbewegung über (3–104), um schließlich ausführlich die Zeit des Zweiten Vatikanischen Konzils zu behandeln (107–309). Kennzeichnend für den amerikanischen Katholizismus war eine erhebliche Binnendifferenzierung, die teils Züge einer Polarisierung annahm. Ch. legt daher ein Links-Rechts-Schema zugrunde (65–78.130.266).
Auf der einen Seite des positionellen Spektrums stand etwa der Jesuit Leonard Feeney, der als Hochschulseelsorger die katholischen Studierenden an der damals noch protestantisch dominierten Harvard University in Boston betreute (60–63). Feeney interpretierte das in der christlichen Antike entstandene Axiom extra ecclesiam nulla salus exklusivistisch. Demnach sind ausnahmslos alle Nicht-Katholiken vom Heil ausgeschlossen, selbst wenn sie getauft sind oder sich auf die Taufe vorbereiten. Da dies weit über die geltende Lehre hinausging, befasste sich das Heilige Offizium mit der Angelegenheit. Dessen differenzierende Antwort wollte Feeney nicht akzeptieren, was in der Konsequenz zu seiner Exkommunikation führte. Aber auch sonst gab es im amerikanischen Katholizismus dezidiert konservative Kräfte. In der kurialen Kommission, die das Zweite Vatikanische Konzil vorbereitete, wirkte etwa Edward Hanahoe mit (115–124). Der umtriebige Ordensmann propagierte die sogenannte Rückkehrökumene, wollte also Protestanten zur Konversion bewegen. Joseph Clifford Fenton, einflussreicher Dogmatiker an der Catholic University of America, war ebenfalls Mitglied der Kommission. Später bestellte ihn Kardinal Alfredo Ottaviani, ein prominenter Kritiker des Reformkurses, zu seinem Berater. Fenton hatte bereits zuvor scharfe Kritik an den Positionen geübt, die John Courtney Murray hinsichtlich des Verhältnisses von Staat und Kirche vertrat (59 f.115). Der öffentlich stark präsente Jesuit setzte sich für das Recht auf um­fassende Religionsfreiheit ein, was das Zweite Vatikanische Konzil in seiner Erklärung Dignitatis humanae sogar aufgriff (202 f.217–234).
Courtney Murray ist damit einer derjenigen, die auf der anderen Seite des positionellen Spektrums standen. Er machte die Kategorie der Freiheit grundsätzlich stark und mit ihr etwas, das der herrschenden Betonung von Tradition und Gehorsam entgegenlief. Neben ihm sind auch Aktivisten und Vertreter progressiver Organisationen zu nennen, die entschieden auf Reformen drängten (84–104). Sie begrüßten das Konzil geradezu euphorisch, sahen sie sich doch selbst bestätigt. Alsbald setzten allerdings Konflikte über die zutreffende Deutung des Konzils ein. Konservative brachten insbesondere während des Pontifikats von Johannes Paul II. ihre Sicht immer mehr zur Geltung. Die Polarisierung, die den amerikanischen Katholizismus in den 1940er und 1950er Jahren gekennzeichnet hatte, kehrte wieder zurück. Sie setzt sich bis in die Gegenwart fort, wie Ch. herausstellt (IX.311–319).
Trotzdem verzichtet der Franziskaner bewusst darauf, die aktuellen Auseinandersetzungen innerhalb von Theologie und Kirche in langfristiger Perspektive einzuordnen. Das ist schade, weil er eine ausgewogene, informierte Sichtweise bieten könnte. Wünschenswert wäre es außerdem gewesen, den Katholizismus in den USA stärker sozialgeschichtlich zu profilieren. Das betrifft Bildung und Status der Kirchenmitglieder. Vielen von ihnen gelang durch die katholischen Schulen und Universitäten der soziale Aufstieg, begünstigt durch die sogenannte GI Bill, d. h. jenes Bundesgesetz, das ehemaligen einfachen Soldaten Zugang zu höherer Bildung verschaffte. Berücksichtigung hätte außerdem die ethnische Struktur finden können. Denn noch in der zweiten Hälfte des 20. Jh.s bestanden homogene italienische, polnische, deutsche und irische Pfarreien. Insofern bleibt zu diskutieren, wie sich die in sprachlich-kultureller Hinsicht verschiedenen Katholizismen zu dem wenigstens von außen als Einheit wahrgenommenen, besonders durch seine Bindung an das Papsttum gekennzeichneten Katholizismus verhielten. Zudem verstärkte sich die Migration aus Mittel- und Südamerika immer mehr, etwa im Zuge der Kuba-Krise, die die Kirche in den USA nochmals nachhaltig veränderte.
Ch. schreibt nüchtern und argumentiert sachlich. Er beherrscht die reiche Sekundärliteratur souverän, hat außerdem Archivforschung unternommen, um die Transformation des amerikanischen Katholizismus zwischen dem Zweiten Weltkrieg und dem Zweiten Vatikanischen Konzil auch quellenbasiert zu rekonstruieren. Das Ergebnis ist eine ebenso ausgewogene wie instruktive Studie, die zugleich für Politikwissenschaftler, Amerikanisten und Kirchenhistoriker von Interesse sein dürfte.