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Ausgabe: | September/2020 |
Spalte: | 868–869 |
Kategorie: | Systematische Theologie: Ethik |
Autor/Hrsg.: | Schubert, Hartwig von |
Titel/Untertitel: | Pflugscharen und Schwerter. Plädoyer für eine realistische Friedensethik. |
Verlag: | Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2018. 159 S. Kart. EUR 15,00. ISBN 978-3-374-05861-7. |
Rezensent: | Ulrich H. J. Körtner |
Mit ihrer friedensethischen Kundgebung vom November 2019 hat sich die Evangelische Kirche in Deutschland deutlich von ihrer friedensethischen Position entfernt, die sie bis zur Friedensdenkschrift aus dem Jahr 2007 entwickelt hat. Während dieses Dokument noch von militärischer Gewalt als ultima ratio spricht und nach dem Vorbild der klassischen Lehre vom gerechten Krieg Kriterien für den ethisch zu rechtfertigenden Einsatz militärischer Mittel als rechtserhaltender oder -wiederherstellender Gewalt aufgestellt hat, nimmt die Kundgebung »Kirche auf dem Weg der Gerechtigkeit und des Friedens« eine einseitig pazifistische Position ein. Schon zuvor hatten mehrere Landeskirchen den Weg zu einer »Kirche des gerechten Friedens« beschritten. Hartwig von Schubert, bis vor Kurzem evangelischer Militärdekan an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg mit den Schwerpunkten Politische und Militärische Ethik, übt an dieser Entwicklung berechtigte Kritik. Mit ihren Positionen legen die selbsternannten Kirchen auf dem Weg des Friedens »die Axt an die Wurzeln des modernen Staates, sie schwächen das staatliche Gewaltmonopol, sie diffamieren mit dem militärischen Teil der bewaffneten Sicherheitsorgane alle Organe des staatlichen Rechtsvollzugs« (13), und auf internationaler Ebene »käme ihr Erfolg einer Kündigung des Artikels 51 und des Kapitels VII der VN-Charta gleich und damit einer Absage an die bedeutendste Völkerrechtsrevolution der Neuzeit« (ebd.). Im Vorfeld der EKD-Synode 2019 hat v. S. mit seiner Streitschrift Einfluss auf die friedensethischen Beratungen zu nehmen versucht; wie man sieht, leider ohne Erfolg. Doch bleibt sein Buch eine gewichtige Stimme in der weiterzuführenden friedensethischen Debatte, von der man sich dringend eine Kurskorrektur wünscht.
In vier Kapiteln entwickelt v. S. einen Begriff der politischen Vernunft (26–49) und interpretiert sodann Röm 13 im Kontext von Röm 12–14 als Grundtext einer zeitgemäßen Zwei-Regimenten-Lehre (50–74), wobei auch der Einfluss von Röm 13 auf die politische Ideengeschichte kurz beleuchtet wird. Dieser widmet sich ausführlich das dritte Kapitel (75–110), bevor im letzten Kapitel (111–154) Schlussfolgerungen für den rechten Gebrauch politischer Vernunft und das theologisch-ethische Urteil über Gewalt gezogen werden.
Seine eigene friedensethische Position bezeichnet v. S. als »realis-tische[n] Liberalismus«, dessen Grundsatz »Frieden durch Recht« lautet (16), wobei das Recht auf verfassungsgebender, rechtssetzender sowie rechtserhaltender oder rechtsdurchsetzender Gewalt beruht (126 f.). Entschieden wendet sich v. S. gegen »die Deutung biblischer Gebote als Chiffren für geschichtsphilosophische, zivilisationspolitische oder staatsmetaphysische Programme« (38), der er »ein reflektiert symbolisches Verständnis« gegenüberstellt, welches davon ausgeht, dass sich das Verhältnis zwischen biblischem Gebot und realpolitischen Verhältnissen nur bei gleichzeitiger Betonung des zwischen beiden bestehenden »unendliche[n] Abstand[s]« (ebd.) bestimmen lässt. Trotz Kritik an Barths ethischem Modell der analogia fidei teilt er dessen Anliegen, die theologische Ethik vom Zwang, gesellschaftliche Verhältnisse und politische Machtstrukturen zu legitimieren und sie stattdessen aus der Ekklesiologie heraus zu entwickeln (114 f.). So liest v. S. auch Röm 13 nicht als theologische Apotheose des Staates, sondern als »ein Dokument der Selbstbeschränkung der Religion gegenüber der Politik« (68) und plädiert für eine »aufgeklärte Säkularität« (153), für die sich auch die Kirche auf Grundlage des christlichen Glaubens einzusetzen habe. Allerdings sei »ein funktionierender Staat, der seinen Namen einigermaßen verdient« durchaus als »ein Geschenk G ottes« zu würdigen (125) und eine Aufgabe christlicher Ethik bestehe darin, »an der Verrechtlichung, Mäßigung und Huma-nisierung der staatlichen Gewaltpraxis solidarisch-kritisch« (128) mitzuwirken.
Während sich christliche Theologie in der Sphäre des Politischen nach Ansicht v. S.s »nur mittels Affinitäten, Entsprechungen und Korrespondenzen zwischen dem Guten der Liebesordnung und dem Guten der Gewaltordnung orientieren« (123) kann, gründe die radikalpazifistische Position des Konzeptes der Kirche auf dem Weg des Friedens »in einer verbreiteten Machtvergessenheit der protestantischen Eliten in Deutschland und entsprechend in einer Unfähigkeit, die Schattenseiten der menschlichen Natur, in biblischer Sprache also der Sündenverhaftung des Menschen, zu akzeptieren« (21). Tatsächlich dürfte dieser Befund zutreffen. In der – zugegebenermaßen missverständlichen und erklärungsbedürftigen – Dik-tion Ernst Troeltschs gesprochen, dominiert im deutschen volkskirchlichen Protestantismus zunehmend der »Sekten«-Typus, der in Erwartung des kommenden Gottesreiches eine christliche Lebensordnung der Liebe aufrichten will und sich dabei von einem gesinnungsethischen Radikalismus unterschiedlichen Ausmaßes leiten lässt. Umso nötiger sind theologische Zwischenrufe wie das vorliegende Plädoyer für eine realistische Friedensethik.