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Ausgabe:

September/2020

Spalte:

851–853

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Klaer, Ingo

Titel/Untertitel:

»Alles, was mein ist, ist dein« (Lukas 15,31). Exegetisch-systematische Studien, Predigtmeditationen und Predigten zur Kommunikation zwischen Mensch und Gott. Aus d. Nachlass hrsg. v. J. Heidler u. Ch. Möller.

Verlag:

Görlitz u. a.: Verlag Gunter Oettel 2019. 328 S. Geb. EUR 24,00. ISBN 978-3-944560-59-5.

Rezensent:

Burkard Hotz

Was für ein lesefreundliches Buch voller biblisch-theologischer Entdeckungen und homiletischer Anregungen legen hier Johannes Heidler und Christian Möller als Herausgeber und Freunde des Autors vor. Sie präsentieren damit aus dem theologischen Schaffen von Ingo Klaer (1937–2016) einen breiten Querschnitt in 23 ganz unterschiedlichen und doch zugleich innerlich zentrierten Einzelbeiträgen und bringen damit – auch der zeitversetzten deutschen Nachkriegsgeschichte geschuldet – eine ganz eigenständige Stimme in den gegenwärtigen theologischen Diskurs ein.
K. war von 1963 bis 1965 Repetent am Sprachenkonvikt in Ost-Berlin und erschloss sich dort gemeinsam mit Eberhard Jüngel eine Form Systematischer Theologie, die sich bewusst als »konsequente Exegese« verstand. Später lehrte K. 20 Jahre als Dozent für Systematische Theologie am Katechetischen Oberseminar in Naumburg, bis dieses 1993 »abgewickelt« wurde. Hier wirkte er als profilierter Lehrer der Theologie in der DDR mit seiner vom Wort Gottes getränkten Theologie, in der ihm die Bibel zum »Zeugnis der Kommunikation zwischen Gott und Mensch« wurde. Daher war es für K. auch wesentliche Aufgabe der Theologie, den Menschen zur Teilnahme an dieser fundamentalen Kommunikationsgemeinschaft zu befähigen. In Naumburg prägte er Generationen von Theologiestudenten und bereitete sie solide aufs kirchliche Predigtamt in einer dogmatisch atheistischen Gesellschaft vor.
Das hier angezeigte Buch ist das zweite von K. In einem ersten mit dem Titel »Mensch sein, Mensch werden, Mensch bleiben« wurden anlässlich seines 80. Geburtstags im Jahr 2017 Aufsätze und Vorträge zur theologischen Anthropologie von seinem früheren Naumburger Assistenten Hans-Wilhelm Pietz veröffentlicht. Ein Rezensent dieses Buches beschloss seine engagierte Besprechung mit den Worten: »Jeder einzelne dieser Vorträge und Aufsätze macht Lust, mehr vom Forschen und Denken dieses Theologen in der DDR-Zeit zu erfahren. Er hat […] dazu beigetragen, der Freiheit der Theologie unter diktatorischen Verhältnissen eine Bresche zu schlagen« (Wolf Krötke). Dieser Lust, von K.s Forschen und Denken mehr zu erfahren, dient jetzt das zweite Buch »Alles, was mein ist, ist dein« in hervorragender Weise, wobei sich seine Beiträge sowohl auf die Zeit vor als auch nach der Friedlichen Revolution von 1989 verteilen.
Der Titel des Buches nimmt die Überschrift einer der elf »Exegetisch-systematischen Studien« aus dem ersten Teil auf. Diese exegetisch-systematischen Studien, die thematisch und umfänglich den größten Teil des Buches ausmachen, entfalten anschaulich die theologische Arbeitsweise K.s. Sie ist durch präzise Strukturanalysen der behandelten Texte gekennzeichnet, auf denen aufbauend K. überraschend originelle und zugleich gut begründete Einsichten und Erkenntnisse gewinnt, die häufig quer zu den derzeit üblichen Auslegungen liegen. Dabei ist für ihn die Schrift im Alten Testament und Neuen Testament ein Ganzes, was in den drei alt-testamentlichen und in den sieben neutestamentlichen Studien sehr schön illustriert wird. Auch die Studie, die sich der Analyse der kirchlichen Passionslieder auf die in ihnen zur Sprache gebrachten Deutungen des Leidens und Sterbens Jesu widmet, fügt sich gut in die zehn biblischen Studien ein und ergänzt sie im Blick auf die kirchlich-geistliche Wirkungsgeschichte biblisch-theologischer Aussagen.
Nun ist es kein Zufall, dass die beiden Herausgeber gerade von der Studie im ersten Teil den Titel »Alles, was mein ist, ist dein« für das gesamte Buch genommen haben, die sich mit dem Gleichnis vom Verlorenen Sohn aus Lukas 15 befasst und hier erstaunlicherweise besonders mit den beiden letzten Versen 31 und 32. K. gelingt es nämlich in diesem Beitrag, mittels einer brillanten Textanalyse Folgendes deutlich zu machen: »Die Weise der Sohnschaft, die das Gleichnis in der Paraklese des Vaters an den älteren entwirft (›Mein Sohn, du bist alle Zeit bei mir, und alles, was mein ist, ist dein‹), ist urbildlich in Jesus schon verwirklicht. Sie ist das für ihn Selbstverständliche, von dem her er ein solches Gleichnis erzählen kann« (93). Folgerichtig gibt K. seiner Studie bewusst den programma-tischen Untertitel: »Der Sinn von Lukas 15,31 f. und seine christo-logische Dimension«. Diese christologische Dimension, die sich in Text-Entdeckungen gleichsam von innen heraus erschließt, ist der systematische Schlüssel für das ganze Buch und gibt seinen 23 Beiträgen die sympathische theologisch-geistliche Zentrierung. So wird die durchaus herausfordernde Lektüre der biblischen Textanalysen immer wieder mit echter Entdeckerfreude belohnt.
Nun hat die Auswahl der Beiträge im Buch von K. in ihren drei Teilen noch einen zweiten inneren Zusammenhang, der seine Lektüre zu einem Weg des Verstehens in praktischer Absicht werden lässt. Es ist ein Weg von der Analyse biblischer Texte über acht Predigtmeditationen bis hin zu fünf Predigten. Und auch dieser Zusammenhang ist nicht willkürlich, sondern eignet wesentlich dem theologischen Denken K.s. Denn wem die Bibel als einzigartiges Zeugnis der Kommunikation zwischen Gott und Mensch gilt, der kann sich bei ihrer Auslegung nicht auf die Textanalyse be­schränken, nein, zu dieser Kommunikationsgemeinschaft zwischen Gott und Mensch will befähigt und eingeladen werden. Genau dies geschieht mit überzeugender Anschaulichkeit in denen aufs Predigen ausgerichteten Meditationen und dann erst recht in den Predigten selbst. Auch hier gibt es kreative Entdeckungen und Verbindungen z. B. zwischen der Studie zu 2Kor 13,13 »als Ausdruck trinitarischen Glaubens« und der Predigtmeditation zu Trinitatis über Eph 1,3–14.
So ist den Herausgebern und dem Verlag zu danken, dass sie mit diesem so ansprechenden und entdeckungsfreudigen Buch eine profilierte und gerade heute wichtige theologische Stimme zur Sprache bringen, nämlich eine »kirchlich gebundene, wissenschaftlich verantwortete und spirituelle Gestalt von Theologie« (Vorwort der Herausgeber, 6).