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Ausgabe: | Juni/2020 |
Spalte: | 584–587 |
Kategorie: | Systematische Theologie: Dogmatik |
Autor/Hrsg.: | Körtner, Ulrich H. J. |
Titel/Untertitel: | Die letzten Dinge. |
Verlag: | Göttingen (Neukirchen-Vluyn): Vandenhoeck & Ruprecht (Neukirchener Theologie) 2014. 289 S. = Theologische Bibliothek, 1. Geb. EUR 28,00. ISBN 978-3-7887-2781-9. |
Rezensent: | Manuel Stetter |
Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:
Schweitzer, Friedrich: Bildung. Göttingen (Neukirchen-Vluyn): Vandenhoeck & Ruprecht (Neukirchener Theologie) 2014. 267 S. = Theologische Bibliothek, 2. Geb. EUR 28,00. ISBN 978-3-7887-2821-2.
Link, Christian: Theodizee. Eine theologische Herausforderung. Göttingen (Neukirchen-Vluyn): Vandenhoeck & Ruprecht (Neukirchener Theologie) 2016. 328 S. = Theologische Bibliothek, 3. Geb. EUR 35,00. ISBN 978-3-7887-2906-6.
Die Geschichte des Christentums ist mit der Ausbildung einer Reflexionskultur verbunden, in der nicht nur Sonderprobleme einer religiösen Community behandelt werden, sondern Fragen des menschlichen Lebens überhaupt. Mag die Überzeugungskraft der dabei entwickelten Interpretationen immer wieder infrage stehen, dürfte es doch unstrittig sein, dass sich das theologische Nachdenken innerhalb thematischer Bezugshorizonte bewegt, die für die Selbstverständigung auch aktueller Gesellschaften von Bedeutung sind. Vor diesem Hintergrund entspricht die Zielsetzung der Reihe Theologische Bibliothek, mit der Darstellung »wichtige[r] Themen der Theo-logie« zugleich eine »Grundlage für eine Auseinandersetzung mit zentralen Fragen der Gegenwart« anzubieten (Reihenbeschreibung), durchaus dem Selbstanspruch der Theologie. Die inzwischen bei Vandenhoeck & Ruprecht angesiedelte Reihe intendiert dazu ein Gespräch, das über das akademische Fachpublikum hinaus reicht: Relevante Themen der Theologie sollen »in allgemeinverständlicher Sprache« (ebd.) einer interessierten Leserschaft zugänglich werden. Formal gehen damit ein schlank gehaltener Fußnotenapparat sowie ein übersichtliches Literaturverzeichnis einher. Wie schon die drei ersten Bände der Reihe dokumentieren, orientiert sich die Themenauswahl nicht an den etablierten Topoi der christlichen Dogmatik. Neben die Entwürfe zur Frage der Eschatologie, der Bildung und der Theodizee treten die bereits erschienenen Bände »Christliche Mystik« (W.-F. Schäufele), »Geschichte der Reformation« (I. Dingel), »Jesus von Nazareth« (M. Wolter); angezeigt sind ferner Bearbeitungen zu Themen wie Christus, Schöpfung, Tod, Mensch, Leben oder Opfer.
Nicht ohne Pointe widmet sich der erste Band der Reihe den letzten Dingen. Ulrich H. J. Körtner entwirft in ihm die Eschatologie als »Lehre von der christlichen Hoffnung«, womit sie »ins Zentrum der Theologie« gehöre (5). Tatsächlich gelingt K. eine Darstellung eschatologischen Denkens, in der die Frage nach den letzten Dingen nicht zum Appendix des Glaubens degeneriert oder als spekulatives Residuum der Theologie in Erscheinung tritt. Sie wird als integraler Bestandteil religiöser Praxis präsentiert, in der bedeutsame Momente menschlicher Wirklichkeitserfahrung interpretativ bearbeitet werden: die Auffassung von Zeit und Geschichte, die Sehnsucht nach Heil und Gerechtigkeit oder der Umgang mit Endlichkeit und Tod.
Der Reflexionsgang entfaltet sich in fünf Etappen: Kapitel 1 führt in das Lehrstück der Eschatologie ein. Angenähert wird u. a. der epistemologische Status eschatologischer Aussagen. K. fasst sie als Explikationen einer Gewissheit, die sich im Glauben an Christus erschließt. Insofern formulieren sie kein Sonderwissen, das sich aus aparten Quellen speist, sondern kommen als Ausdeutungen des Geschicks Jesu von Nazareth zu stehen. Kapitel 2 reflektiert auf das Verhältnis zwischen Eschatologie und Apokalyptik. Dabei werden »Grundzüge apokalyptischen Denkens« (95) konzis herausgearbeitet und in ihrer aktuellen Virulenz aufgewiesen. Nicht nur in Literatur und Film, auch im Zusammenhang physikalischer Theorien etwa oder in zivilgesellschaftlichen Debatten um die Ökologie halten sich apokalyptische Sinnfiguren, auf die hin die christliche Eschatologie kritisch entfaltet werden kann. Kapitel 3 fokussiert die Frage nach der Zeit. Im Zentrum steht eine Differenzierung zwischen zwei Vorstellungsweisen der Zukunft, die als » futurum« den durch die vorfindliche Wirklichkeit vorgezeichneten, als »adventus« einen durch die göttliche Wirklichkeit eröffneten Möglichkeitsraum meint (passim).
Vor diesem Hintergrund kann K. die Eschatologie als Ferment eines Möglichkeitssinns beschreiben, der noch dort ein ›Mehr‹ reklamiert, wo nach menschlichem Ermessen alle Optionen ausgeschöpft sind. Dass ein solcher Möglichkeitssinn eine kulturformende Kraft besitzt, zeigt nicht zuletzt die reichhaltige Kultur des Sepulchralen, in der Menschen ihrer Hoffnung auf einen transzendenten Möglichkeitshorizont konkrete Gestalt verleihen. Das Leben nach dem Tod steht denn auch im Zentrum des 4. Kapitel. Es fragt nach dem Verständnis des Todes, der Denkmöglichkeit postmortaler Existenz und dem Sinn der Rede vom Gericht. Kapitel 5 zeichnet die Konturen einer Lebensführung nach, die von der entfalteten Hoffnung bestimmt ist. Wenn K. in diesem Zusammenhang die christliche Eschatologie nicht nur als »Lehre, sondern gelebte Liturgie« (274) fasst, dann eröffnet sich hier am Ende eine weiterführende Perspektive. So wäre zu fragen, ob nicht auch die Theologie die Frage der Eschatologie viel stärker als bisher nicht allein als Vorstellungswelt berücksichtigen sollte, sondern ebenso als Phänomen gelebter Religion, die in Form sozialer Praktiken besteht. In einer solchen Optik zeigte sich dann womöglich auch die »Krise der Eschatologie« (45) nochmals in einem anderen Licht. So sind erfragte Einstellungen zu einem Leben nach dem Tod das eine; was Menschen angesichts von Endlichkeitserfahrungen tun, ist damit noch nicht unbedingt im Blick. Eine gegenwartsorientierte Verständigung über das Thema der Eschatologie könnte auch von hierher anregende Impulse erfahren.
Dass die wichtigen Themen der Theologie mitunter als theologische Themen allererst ausgewiesen werden müssen, zeigt der zweite Band der Theologischen Bibliothek. So sind historische Bezüge zwischen Religion und Bildung zwar unbestritten, auch gilt Religion weithin als etablierter Gegenstand der Bildung. Ob darüber hinaus ein systematischer Zusammenhang zwischen beidem besteht, der Bildung als Gegenstand der gesamten Theologie ausweisen könnte, ist ungleich fraglicher. Um beides ist es Friedrich Schweitzer zu tun, wenn er jenseits einer »theologischen Kolonisierung« der Erziehungswissenschaft wie einer »Pädagogisierung des Glaubens« (14) nach der Theologie als Gesprächspartnerin im Bildungsdiskurs fragt.
Das Verhältnis von Bildung und Religion wird zunächst in seinen »geschichtliche[n] Zusammenhängen« erkundet (Kapitel 2). Im Sinne einer heuristischen Suchformel wird ein Bildungsbegriff vorausgesetzt, der Bildung als »Welterschließung« begreift, die nicht auf institutionelle Lernorte beschränkt werden dürfe und mit dem Gedanken der Autonomie und Selbstreflexion von »Sozialisation« und »Erziehung« zu unterscheiden sei (26 ff.). So orientiert, führt S. die Lesenden auf einen lehrreichen Weg, der von den Entstehungskontexten des Bildungskonzepts in der Mystik über historisch wirksam gewordene biblische Bezüge bis zur Bildungsbedeutung der Religion in Antike, Mittelalter und Neuzeit führt. Das Kapitel schließt mit dem Verweis auf Prozesse der Pluralisierung, die das Bildungsdenken aktuell besonders herausfordern. Tatsächlich gibt die Frage nach der Bildung unter Bedingungen religiöser Diversität den instruktiven Fluchtpunkt dieses Bandes. Kapitel 3 zielt auf den Nachweis, dass dem Bildungsgedanken nicht nur historisch, sondern »unvermeidlich« eine religiöse Dimension implizit sei, »die es sinnvoll macht, diese Dimension auch theologisch zu klären« (134).
Der Nachweis verläuft dabei nicht zuletzt über die Beobachtung, dass jede Bildungstheorie mindestens implizit auf anthropologische Deutungen ausgreife, sofern sie konstitutiv auf die Frage bezogen sei, »was aus dem Menschen werden soll« (146). Darüber hinaus erstreckt sich die Argumentation über die Bezogenheit von Bildungsprozessen auf Fragen des Guten, des Sinns und des Richtigen, die regelmäßig in der Sprache letzter Bedeutungen artikuliert werden, das Potential einer theologischen Betrachtung, Bildung vor bloßen Nützlichkeitserwägungen zu schützen, oder die Anforderungen, die einer Verständigung über Bildungsprozesse durch weltanschauliche Pluralisierung erwachsen. Das 4. Kapitel skizziert praktische Konsequenzen, die sich aus dem dargestellten Konnex von Religion und Bildung ergeben und in der Formel »keine Bildung ohne Religion – keine Religion ohne Bildung« (203) kritisch ausbuchstabiert werden. Eine Pointe des theologischen Beitrags zum Bildungsdiskurs erkennt S. schließlich darin, dass mit der Figur der Unterscheidung von Schöpfer und Geschöpf Bildungsprozessen eine Begrenzung eingeschrieben wird, die sie vor überzogenen Selbstoptimierungserwartungen schützt.
Der dritte, von Christian Link verfasste Band der Reihe ist dem Thema der Theodizee gewidmet. Unter den rezensierten Bänden handelt es sich um den Entwurf, der die Theologie in ihrem Sachzugang am schärfsten von ihren außertheologischen Partnerdisziplinen abhebt. So werden Theologie und Philosophie als zwei »[b]is zum Gegensatz unterschieden[e]« (113) Perspektiven auf das Theodizeeproblem vorgestellt. Der Titel der Philosophie steht dabei für ein theistisches Unternehmen ein, das die Frage nach dem Übel als logisches Problem begreife und »in Distanz zu den Krisen- und Leiderfahrungen«, mithin in einer »Vogelperspektive« zu lösen versuche; im Rahmen einer »bibelorientierte[n] Theologie« werde die Theodizee dagegen als existenzielles Problem thematisch, in dessen Bearbeitung das überkommene Gottesverständnis notorisch aufs Spiel gesetzt werde (37.112).
Am Leitfaden dieser Differenz präsentiert Kapitel 1 zunächst die zentralen Argumentationslinien des Theodizeediskurses, wie er insbesondere in Form der Entwürfe von Leibniz, Kant und der neueren Debatte um die Willensfreiheit greifbar wird. Dem hält Kapitel 2 einen Zugriff auf die Theodizeeproblematik entgegen, der mit einer Interpretation der Erzählungen der Aqeda Isaaks, des Buches Hiob sowie der Passion Jesu anhebt und daran anschließend ausführlich auf das Motiv des »leidenden Gottes« (passim) reflektiert, wie es nicht zuletzt in den theologischen Versuchen einer Auseinandersetzung mit den Gräuel der Shoa akzentuiert wurde. Für L. müsse dieses Motiv nicht als »Ausdruck letzter Ohnmacht« (215) gedeutet werden. Im Licht der Passion Jesu zeige sich in ihm vielmehr ein »Protest gegen das Leid« (ebd.), der auf seine machtvolle Überwindung verweise. Entsprechend bildet der »es- chatologische Horizont der Theodizeefrage« (236) den Abschluss dieses Passus. Das 3. Kapitel konzentriert den Reflexionsgang nochmals eigens auf die Frage des Bösen. Im Gespräch mit Luther, Tillich und Barth nähert sich L. dabei einer Perspektive, die beides festzuhalten versucht: dass das Böse eine Wirklichkeit beschreibe, aus der Gott nicht »herauszuhalten« sei, mit der er allerdings auch keine »Komplizenschaft« eingehe (292). Muss damit die Frage der Herkunft des Bösen theologisch offengelassen werden, liegt ein umso größeres theologisches Gewicht auf seinem Ende, wobei es nicht zuletzt die ständige Deutungsarbeit am Gottesbegriff gewesen sei, in der die Idee einer Überwindung des Bösen maßgeblich etabliert wurde.
Es ist eine Stärke dieses Buches, den Lesenden in die Geschichte eines Ringens mithineinzunehmen, in der das theologische Nachdenken angesichts der Abgründe menschlicher Erfahrung sich immer wieder neu an seinem Wirklichkeitsverständnis kritisch probiert. Zu fragen bleibt, ob aus dieser Geschichte die gedankliche Anstrengung, wie sie etwa im Zeichen des Theismus versucht wird, so einfach ausgegrenzt werden sollte. Jedenfalls scheint mir die Frage, was »die« Theologie sei und in welchen Optiken sie ihre Themen angeht, doch weit weniger klar zu umreißen, zumal dem Glauben kaum vorzuschreiben ist, zu welchen Problembeschreibungen er sich intellektuell ins Benehmen setzen möchte.
Rekapituliert man die Entwürfe zum Ende nochmals im Hinblick auf die durch die Reihe anvisierte Zielsetzung, wird man konstatieren dürfen, dass sich der theologische Diskurs mit seinem Themenrepertoire durchaus produktiv zu aktuellen Fragen ins Verhältnis zu bringen weiß. Dabei gelingt es den Autoren weitestgehend durchgängig, die Theologie tatsächlich als Gesprächspartnerin zu markieren, die abseits verkrampfter Gefechte um Deutungshoheiten oder angestrengter Nachweise ihrer Relevanz zum öffentlichen Diskurs um die Fragen der Endlichkeit, Bildung und die Abgründe des Lebens etwas beitragen kann. Zu überlegen wäre, ob man diese Fragen, wie sie sich lebensweltlich aktuell stellen, nicht doch auch methodisch im Sinne einer empirischen Erkundung noch stärker in die Darstellung einzubeziehen hätte. Eine Theologie, die Beiträge zur Gegenwart versucht, könnte dann ihre Themen noch mehr von diesen Fragen her und nicht nur auf sie hin entwerfen.