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Ausgabe: | Dezember/2019 |
Spalte: | 1321–1324 |
Kategorie: | Ökumenik, Konfessionskunde |
Autor/Hrsg.: | Reid, Alcuin [Ed.] |
Titel/Untertitel: | Liturgy in the Twenty-First Century. Contemporary Issues and Perspectives. |
Verlag: | London u. a.: Bloomsbury T & T Clark 2016. 368 S. Kart. US$ 24,95. ISBN 978-0-567-66809-7. |
Rezensent: | David Plüss |
Der Titel des anzuzeigenden Sammelbandes ist weder prägnant noch aufregend: «Liturgy in the Twenty-First Century. Contem-p-orary Issues and Perspectives». Spannung erzeugt hingegen das Titelbild: Eine Fronleichnamsprozession ist abgebildet, und zwar nicht in Catania auf Sizilien oder im spanischen Santiago de Compostela, sondern mitten durch die Downtown Manhattans, begleitet von einem Streifenwagen der Polizei mit eingeschaltetem Rotlicht. Der Herausgeber Alcuin Reid beschreibt in der Einleitung mit Bezug auf die Liturgiekonstitution Sacrosanctum Concilium (im Folgenden: SC), dass »the spirit and power of the liturgy« (SC, 14) die Luft so spürbar erfüllt hätten wie der Weihrauch und die Gesänge, die in das Abendlicht aufstiegen. Dass diese Anmutungsqua-lität der Prozession nach dem alten Ritus (usus antiquior) eine theologische Interpretation darstellt, macht Reid dadurch deutlich, dass er die Blicke der nichtbeteiligten Passanten als respektvoll-neugierig und staunend über das unerwartete Spektakel beschreibt.
Die Spannung zwischen einer Fronleichnamsprozession nach altem römischem Ritus und der pulsierenden Metropole New Yorks reflektiert und befeuert eine andere Spannung innerhalb der römisch-katholischen Liturgiewissenschaft und Kirche: Es geht um den Streit der authentischen Auslegung des Zweiten Vatikanischen Konzils bzw. von Sacrosanctum Concilium, womit sich auch eine sachgemäe Verhältnisbestimmung usus recentior und usus antiquior verbindet. Dieses Verhältnis ist bis dato umstritten. Die zweite Internationale Liturgische Konferenz mit dem Titel Sacra Liturgia USA 2015 war diesem Thema gewidmet und fand in New York statt. Der Band dokumentiert die wichtigsten Beiträge dieser Konferenz.
Für Protestanten ist zu betonen, dass die Liturgie in der römisch-katholischen Kirche kein theologisches Thema neben anderen und schon gar kein Nebengeleise oder akademisches Glasperlenspiel darstellt, sondern den pulsierenden Herzschlag derselben, »source and summit of the life and mission of the Church« (viii) und dass alle Anstrengungen der Kirche, der Theologie und der New Yorker Konferenz darauf gerichtet seien und sein müssten, aus diesen Quellen zu schöpfen. Wenn es um liturgische Fragen geht, dann scheint akademische Zurückhaltung gänzlich fehl am Platz. Liturgische Fragen werden durchwegs mit viel Emphase und theologischer Leidenschaft traktiert. Einige der Beiträge sind in ihrem sprachlichen und argumentativen Duktus näher bei einer Predigt als bei einer wissenschaftlichen Abhandlung, in der eine bestimmte Forschungsfrage methodisch reflektiert, diszipliniert und innerhalb des akademischen Diskurses traktiert wird.
Deutlich wird dies etwa am Beitrag von Raymond Leo Cardinal Burke, mit dem der Band eröffnet wird. Burke verhandelt die »Beauty in the Sacred Liturgy and the beauty of a holy life«. Schönheit wird von Burke als durch und durch theologische Kategorie behandelt. Gott ist der Inbegriff der Schönheit, gespiegelt und ausgedrückt in Christus und in der Heiligen Liturgie. Diese stelle »its highest and most perfect expression« (1) dar. Begründet werden diese Zuschreibungen innerhalb des römisch-katholischen Liturgie-Diskurses: Joseph Ratzinger (bzw. Papst Benedict XVI) wird immer wieder und ausführlich zitiert, aber auch Thomas von Aquin und der katholische Katechismus werden als Zeugen aufgerufen. Konse quent ist die Ablehnung eines modernen, autonomen Kunst-begriffs. Kunst ist für Burke in Kirche und Liturgie nur dann an-gemessen, wenn sie gewissermaßen getauft und vom Glauben beseelt ist. Die Subjektivität moderner Künstler ist Burkes liturgietheologischem Kunstbegriff diametral entgegengesetzt. Konkret heisst dies für Reid etwa, dass sakrale Kunst und sakraler Kirchenbau harmonisch und symmetrisch zu sein haben. Ein bewusst asymmetrischer und absichtlich irritierender Kirchenbau wird abgelehnt. Die katholischen Kathedralen seien Zeugen des Glaubens. Indes zeige sich die göttliche Schönheit nicht nur in der Liturgie, sondern auch und gerade im Leben der Getauften, und zwar nicht auf der Oberfläche von Aussehen und alltäglichem Handeln, sondern im Spiegel und durch den Vollzug der Heiligen Liturgie. Und so schließt Burke: »Beauty is at the heart of worship of God and, therefore, leads us to ever greater holyness of life.« (18) Burkes Beitrag ist wie die Fronleichnamsprozession in Manhattan: ganz nach innen gerichtet. Es handelt sich um einen kirchlichen Binnendiskurs, der die katholische Lehre der Heiligen Liturgie fokussiert auf einen Aspekt derselben, aber ohne Kontroversen, Ambivalenzen und argumentativen oder methodologischen Aufwand zur Darstellung bringt. Der Zuschauer staunt und wundert sich über dieses in sich gekehrte Schauspiel.
Ganz anders verfährt Thomas M. Kocik, katholischer Priester und Autor der Beitrags »The Reform of the Reform« (19-50). Kocik thematisiert und konturiert den erwähnten Streit um die richtige Auslegung von SC. Im Zentrum steht die Frage, ob die Liturgie der nachkonziliaren Messe von 1970, der usus recentior, einen neuen Trieb darstelle am Baum der über die Jahrhunderte organisch gewachsenen römischen Liturgie oder »a fabrication, a banal on-the-spot product« (21), womit Kocik eine scharfe Polemik von Papst Paul VI zustimmend zitiert. Oder prosaischer formuliert: Steht die Messe der Gegenwart in Kontinuität mit der Tradition oder stellt sie einen illegitimen Bruch mit derselben dar? Kociks Differenzierungsfreude ist erfrischend. Die Weihrauchnebel lichten sich. Allerdings lässt auch dieser Beitrag keine akademische Zurückhaltung und kein Abwägen erkennen, sondern verfährt durchwegs normativ und positionell. Die offizielle, durch das Konzil geprägte Liturgie stellt für ihn keine Reform, sondern eine Revolution und einen radikalen Bruch dar, der als Fundament für eine Reform der Reform nicht taugt. Und er erteilt Ratschläge, wie die schlimms-ten Irrungen der Reform wieder zurechtgebogen werden könnten, ohne SC allzu sehr zu widersprechen: So sollen Ordinarienstücke wieder in Latein und Griechisch gesungen werden und die Gebete mit der Gemeinde (mit dem Rücken zu derselben) in Richtung Osten erfolgen.
Deutlich zurückhaltender und akribischer verfährt die Theologieprofessorin Lauren Pristas. Sie vergleicht akribisch vor- und nachkonziliare Kollektengebete und unterscheidet Veränderungen, die sich durch die Grundsätze von SC deuten lassen, von solchen, die offenkundig anders motiviert sind. Interessanterweise erscheinen Gegenwartskultur und allgemeiner Mentalitätswandel nur als Negativfolien, nicht aber als legitime oder zumindest erwägenswerte Motive liturgischer Reformen.
Margaret I. Hughes, Assistenzprofessorin für Philosophie, ist die erste Autorin in diesem Band, die SC und die Folgen nicht als Problem, sondern als Leitstern versteht, indem sie »The Ease of Beaty« ins Zentrum stellt und die Begriffe Ease und Beaty erst alltagssprachlich und dann theologisch und liturgisch in einen erhellenden Zusammenhang bringt.
Weitere Beiträge fokussieren auf konkrete liturgische Praktiken und praktische Aspekte: Kunst und Kirchenbau, Musik und Chorarbeit, Priesterausbildung und liturgische Leitung, Osterwoche und Leseordnung, liturgisches Jahr und Predigt. Alle Beiträge verbindet ein großes und scheinbar unerschüttertes Zutrauen in die Kraft der Heiligen Liturgie, die in der abendländischen Tradition der römischen Messe wurzelt und aus dieser erwächst, die durch die Schönheit und Angemessenheit der Gebete und Riten, der Musik und Gesänge, der Symbole und Räume die Gläubigen ber ührt und verändert. Die Heilige Liturgie stellt für alle Autoren und Autorinnen ein Gesamtkunstwerk dar, das gegenüber den Einflüssen von Subjektivismus und Rationalismus, aber auch von schlechtem Geschmack und Stil sorgfältig zu schützen ist.
Alles in allem vermittelt der Band einen ausgezeichneten Einblick in die aktuellen Themen und Debatten der römisch-katholischen Liturgiewissenschaft, unabhängig davon, ob man sich zu den Teilnehmenden der Fronleichnamsprozession zählt oder zu den etwas erstaunten Zaungästen.