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Ausgabe: | November/2019 |
Spalte: | 1140–1142 |
Kategorie: | Altes Testament |
Autor/Hrsg.: | Liess, Kathrin, u. Johannes Schnocks [Hrsg.] |
Titel/Untertitel: | Gegner im Gebet. Studien zu Feindschaft und Entfeindung im Buch der Psalmen. |
Verlag: | Freiburg i. Br.: Verlag Herder 2018. 340 S. = Herders biblische Studien, 91. Geb. EUR 60,00. ISBN 978-3-451-37791-4. |
Rezensent: | Peter Riede |
Dass die Rede von Feinden und Feindbilder sich in vielen Psalmengattungen finden, ist keine neue Erkenntnis. Nicht nur die Klagepsalmen des Einzelnen, sondern auch Volksklagen, Danklieder und selbst Schöpfungspsalmen enthalten Feindmotive. Dabei lassen sich diese unter sehr unterschiedlichen Perspektiven analysieren, wie der von Johannes Schnocks und Kathrin Liess herausgegebene Band eindrucksvoll zeigt. Er versammelt dreizehn Aufsätze, die größtenteils die Vorträge einer 2017 im Rahmen des Exzellenzclusters »Religion und Politik« der Universität Münster durchgeführten internationalen Tagung dokumentieren. Der Band gliedert sich in drei Teile: 1. Grundlegende Aspekte, 2. Einzelpsalmen und 3. Psalmenkompositionen.
B. Janowski, dessen Beitrag nun ebenso wie der von F. Hartenstein erstmals in englischer Übersetzung und so für einen internationalen Rezipientenkreis leicht zugänglich vorliegt, eröffnet den 1. Teil des Bandes. Er stellt die sogenannten Feindpsalmen in den Mittelpunkt seiner Untersuchung und wendet sich insbesondere den Feindbezeichnungen und der für die Feindschilderungen verwendeten multiperspektivischen Bildsprache zu. Die Feindschä-digungsbitten provozieren dagegen die Frage nach der Überwindung der Feinde, die theologisch unterschiedlich bearbeitet werden kann: Der Beter kann einerseits darum bitten, selbst tätig zu werden, andererseits bleibt die Schilderung des Endes der Feinde vielfach aufgrund der passivischen oder unpersönlichen Formulierungen merkwürdig unbestimmt. Das mag damit zusammenhängen, dass die Psalmen Gottes Handeln am Beter herausstellen, der an der Seite der Opfer steht und ihnen Gerechtigkeit in einer Welt voller Ungerechtigkeit zu verschaffen sucht. Am Ende des Beitrags steht die grundsätzliche Frage nach dem Umgang mit den Feinden.
F. Hartenstein unterscheidet in seinem Beitrag zwei Gruppen von Feinden, die ביוא-Gruppe und die עשׁר-Gruppe. Erstere sind äußere Feinde, mit deren Auftreten als Kontrahenten des Beters auch eine Infragestellung der Weltordnung einhergeht. Die עשׁר-Gruppe dagegen sind innere Feinde, Frevler und Gottesleugner, deren Gefährdungspotential anders konturiert ist, kann es doch den Beter selbst so erfassen, dass er Teil dieser Feindgruppe wird.
Die Untersuchung von T. J. Bott ist methodisch der kognitiven Linguistik verpflichtet. Sie wendet sich den auf die Feinde bezogenen Metaphern (Jagd- und Tiermetaphorik) und Metonymien (Mund, Hand, Waffen der Feinde) und ihrem sehr komplexen Zusammenspiel (»Metaphtonymy«) zu.
Die Körperbilder der Klagepsalmen untersucht W. D. Tucker, Jr.: Sie stellen zum einen die Stärke und Überlegenheit der Feinde heraus, die sich vor allem mit Mund und Zunge verbinden, und setzen sie in Gegensatz zur körperlichen Schwächung und Entkräftigung des Beters, wie die vielfältigen Bilder des Zerfließens und Zerbrechens zeigen, die sich auf Knochen, Fleisch, Augen, Herz usw. beziehen. Dieses Machtgefälle ist letztlich nur durch Gottes helfendes Eingreifen zu beseitigen, wobei hierbei der Körper Gottes eine wesentliche Rolle spielt, wenn Gott gebeten wird, dass er dem bedrohten Menschen sein Ohr zuneigt oder sein Angesicht zuwendet.
Ein besonderes Augenmerk wendet N. Rahn den Fragen in den Psalmen zu, die eine existentielle Funktion für die von Not betroffenen Menschen haben. Fragen erlauben es nämlich, Not auszusprechen und zu ver»laut«baren, Fragen unterstreichen das Drängende der Not, die sich vor allem in einer »In›frage‹stellung« grundlegender, lebensweisender Beziehungen äußert.
Mit dem Beitrag von S. Eder beginnt der 2. Teil: Sie nimmt die in vielen Psalmen zutage tretenden »Wortgefechte« als Ausgangspunkt ihrer Untersuchung. Besonders Ps 64 zeigt dabei die Aggressivität und Bedrohung der feindlichen Angriffe, die zwar mit Worten geschehen, deren Wirkung aber der von Waffen gleicht, die tödlich verletzen und gleich Stichen zutiefst verwunden.
Natürlich geht es in den Feindäußerungen der Psalmen nicht nur um die Schilderung der Not. Die betenden Menschen haben vielmehr ein Interesse, die Feindschaft und die damit verbundene Not zu beseitigen. Dies kann zum einen geschehen durch die Hoffnung auf die göttliche Errettung, zum anderen auch dadurch, dass sich der Mensch in seinem Tun an JHWH und seiner der Welt eingestifteten Ordnung orientiert. Das führt letztlich zu einer Überwindung der feindlichen Macht, indem der Beter Gutes tut, wie K. Gies in ihrer Analyse der Psalmen 25 und 37 zeigt.
Das Feindthema in Psalmen außerhalb des Psalters entfaltet J. D. Nogalski am Beispiel von Hab 3. Durch die Einbindung dieses ursprünglich eigenständigen Psalms in das Prophetenbuch werden die Feinde als Babylonier identifiziert, die einerseits als Gerichtswerkzeuge Gottes dienen (1,5–11), andererseits von Gott besiegt werden (3,8–15).
Ein anderes Mittel im Umgang mit Feinden ist die »referierte Rede«, die Zitate der Feinde in die Psalmtexte einspielt. Ihnen widmet sich C. Neuber in ihrer Analyse der Psalmen 3–14, die den 3. Teil eröffnet. Die Zitate weiten den »Kommunikationsraum« der betenden Menschen, da die zitierten Worte der Feinde im Gebet vor Gott ausgesprochen werden.
Ein besonderes Moment feindlichen Handelns sind, insbesondere in Klageliedern des Volkes, »Verhöhnung, Schmach und Spott« (so der Titel des Beitrags von K. Liess). Geht es dabei in den Klage-psalmen des Einzelnen um die soziale Ehre, so in den Volksklagen um geschichtliche Erfahrungen, die einer Bewältigung vor Gott harren, da durch die feindliche Schmähung auch das Gottesverhältnis Israels tangiert wird.
»Die Feinde und ihr Schicksal in der Asaf-Komposition« untersucht J. Schnocks, der an Hartenstein und seine Unterscheidung der Feinde in eine ביוא-Gruppe und eine ׁעשׁר-Gruppe anknüpft. Beide Muster von Feindbildern können, wie insbesondere Ps 50 und 73–76 zeigen, kombiniert sein, so dass äußere Feindschaft im Sinne von Krieg und Gewalt auch in ethischem Sinn als negativ angesehen wird. Ps 78–83 dagegen betrachten das Phänomen der Feindschaft theologisch: Die Universalisierung der Gottesvorstellung (Ps 82), die daran sichtbar wird, dass auch die Feinde den Namen Gottes suchen (Ps 83), führt letztlich dazu, dass die Feindschaft gegen Gott und Israel zum Ende kommt. Damit ist eine Neubestimmung der jeweiligen Identitäten verbunden.
Die Feindaussagen des fünften Psalmenbuches (Ps 107–150) standen bislang eher am Rande des Forschungsinteresses. Diese Lücke versucht W. H. Bellinger, Jr. zu schließen, wobei der Schwerpunkt seiner Analyse auf der zeitgeschichtlichen Einordnung dieser Psalmengruppe in die Perserzeit liegt. Die in Ps 107–150 genannten Feinde sind somit als Repräsentanten der Perser zu identifizieren.
Zum großen Themenfeld »Feinde« gehört schließlich auch eine Beschreibung des Verhältnisses Israels zu den Völkern, wie sie sich beispielsweise im kleinen Hallel findet, das F. Neumann als Basis ihrer Untersuchung nimmt. Die hier zu findenden unterschied-lichen Positionierungen gegenüber den Völkern sprechen für eine mehrstufige Entstehungsgeschichte.
Register sind dem Band keine beigegeben, was aus Sicht der Leserin/des Lesers schade ist, könnten diese doch die unterschiedlichen Sichtweisen auf das Thema und die behandelten Texte gut erschließen und so Verbindungslinien zwischen den einzelnen Beiträgen des Bandes aufweisen.
Insgesamt bietet der Band eine höchst anregende Darstellung einer viel diskutierten und theologisch immer neu herausfordernden Fragestellung und motiviert zur forschenden Weiterarbeit in dem einen oder anderen Bereich dieses vielfältigen Themas.