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Ausgabe:

Oktober/2019

Spalte:

1053–1055

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Eisenhardt, Saskia, Kürzinger, Kathrin S., Naurath, Elisabeth, u. Uta Pohl-Patalong [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Religion unterrichten in Vielfalt. Konfessionell – religiös – weltanschaulich. Ein Handbuch.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2019. 336 S. m. 15 Abb. u. 2 Tab. Kart. EUR 30,00. ISBN 978-3-525-77025-2.

Rezensent:

Hanna Roose

Das evangelische Herausgeberinnenteam, das an den Universitäten Augsburg und Kiel verortet ist, widmet sich mit diesem Sammelband (336 Seiten) einem religionsdidaktisch hoch relevanten und aktuell breit diskutierten Thema: Wie muss bzw. wie sollte die zunehmende konfessionelle, religiöse und weltanschauliche Vielfalt schulischen Religionsunterricht verändern? Mit Uta Pohl-Patalong gehört eine Wissenschaftlerin zum Herausgeberinnenkreis, die sich im Rahmen des auf Schleswig-Holstein bezogenen ReVikoR-Projekts (Religiöse Vielfalt im konfessionellen Religionsunterricht) intensiv mit Fragen der Vielfalt im Religionsunterricht und möglichen – auch organisatorischen – Konsequenzen beschäftigt hat. Anders als in diesem Projekt möchte der Sammelband den konfessionellen Religionsunterricht nach Art. 7,3 GG aber weder kritisch hinterfragen noch mögliche Alternativformen diskutieren. Er möchte vielmehr die Situationen ausleuchten, in denen sich konfessioneller Religionsunterricht derzeit befindet, und den Religionslehrkräften »Wege aufzeigen, wie sie didaktisch mit diesen Konstellationen umgehen können« (10). Vielfalt wird dabei nicht nur im Sinne religiöser Pluralität verstanden, sondern weiter im Sinne von Heterogenität, die neben religiösen auch nicht-religiöse weltanschauliche Vielfalt sowie andere Differenzkriterien (z. B. so­ziale Voraussetzungen, Geschlecht etc.) in ihren vielfältigen Überschneidungen berücksichtigt.
Zu diesem Zweck thematisiert der Sammelband in seinem ers­ten Teil in acht Beiträgen unterschiedliche Rahmenbedingungen für den konfessionellen Religionsunterricht, u. a. in rechtlicher (Bernd Schröder), kontextueller (Henrik Simojoki), religionssoziologischer (Claudia Schulz) und entwicklungspsychologischer (Gerhard Büttner) Hinsicht. Der zweite Teil beleuchtet – gemäß dem Untertitel des Bandes – den didaktischen Umgang mit konfessioneller (Jan Woppowa), religiöser (Karlo Meyer) und weltanschau-licher (Michael Domsgen) Vielfalt. Im dritten Teil stellen unterschiedliche Autoren und Autorinnen in 15 Beiträgen religionsdidaktische Ansätze für den Umgang mit konfessioneller, religiöser und weltanschaulicher Vielfalt im Religionsunterricht vor. Die Beiträge folgen dabei unterschiedlichen Logiken: Einige orientieren sich (implizit) an der Fragestellung, inwiefern etablierte reli-gionsdidaktische Ansätze wie die Kindertheologie (Katharina Kammeyer), die Jugendtheologie (Saskia Eisenhardt) oder die performative Religionsdidaktik (Bärbel Husmann) heterogenitätsfähig sind.
Eine weitere Gruppe von Beiträgen orientiert sich an gesellschaftlich profilierten (und damit gemeinsam anzustrebenden) Bildungszielen (Diakonisches Lernen von Ulrike Witten und Wali Abd El Gawad; Gewaltpräventives Lernen von Elisabeth Naurath; Ethisches Lernen von Michael Winklmann).
Eine dritte Gruppe nimmt ihren Ausgangspunkt bei methodisch-didaktischen Überlegungen (u. a. »Lernen am außerschulischen Ort« von Claudia Gärtner; »Schüler*innen als Expert*innen im Religionsunterricht« von Dennis Graham; Die interreligiöse Lernwerkstatt von Jens Beiner und Lisa Unger).
Im vierten Teil geht es in 15 Beiträgen um »best practice«-Beispiele aus Projekten zum Umgang mit konfessioneller, religiöser und weltanschaulicher Vielfalt. Insbesondere hier zeigt sich der An­spruch des Sammelbandes, praxisrelevant zu sein. Adressaten sind neben Religionspädagogen und -pädagoginnen aus dem akademischen Bereich auch Religionslehrkräfte.
Aus Platzgründen kann ich im Folgenden nur auf je einen Beitrag aus den vier Teilen eingehen. In religionssoziologischer Hinsicht macht Claudia Schulz darauf aufmerksam, dass Vielfalt eine Frage der Wahrnehmung sei (61). Im Blick auf religiöse Pluralität weist sie auf wesentliche Differenzen hin, die öffentlich kaum sichtbar werden, z. B. die Frage, für wie relevant Menschen Religion und gelebte Religiosität in Bezug auf ihre Lebensführung halten (63). Bestimmte Phänomene, die für das Christentum breit diskutiert werden – insbesondere die Fragen nach Säkularisierung und nach einer »Vergrößerung eines nur mäßig interessierten ›Randes‹« (65) –, seien z. B. für den Islam in Deutschland bisher kaum er­forscht.
Michael Domsgen nimmt in seinem Beitrag Schüler mit nicht-religiösen Weltanschauungen in den Blick. Eine spezifische didaktische Herausforderung ergebe sich, »wenn Schüler*innen mit nicht-religiösen Weltanschauungen in der Logik schulischen Lernens – und das heißt im Modus des Faktenlernens – an religiöse Fragen [herangehen]« (120). Seitens der Lehrkräfte gehe es darum, religiöse Inhalte zu plausibilisieren. Domsgen plädiert dabei – im Gefolge von Gundula Rosenow – für einen subjektorientierten An­satz bei tiefgreifenden Erlebnissen der Schüler und Schülerinnen. Plausibilisierung erfolgt also nicht (nur) auf dem Weg rationaler Überlegungen, sondern insbesondere über die Bearbeitung der (individuellen) Relevanzfrage.
Dennis Graham unterscheidet zwischen Schülern als Experten einer Religion und Schülern als Experten ihrer selbst. Während er Ersteres didaktisch als problematisch einschätzt, sieht er in Letzterem einen vielversprechenden Weg für den Religionsunterricht. Religiöse Bildung erfolgt – in Anlehnung an das »Hamburger Modell« – »über den Dialog der Beteiligten über ihre religiösen Fragen und Anliegen« (251). Religionsunterricht übernehme so (auch) eine gesellschaftliche Funktion, Ziel sei eine dialogfähige, sozialverträgliche Religiosität (253).
Julia Freund und Andreas Gloy stellen knapp das außerschulische Projekt eines interreligiösen Gesprächskreises in Hamburg vor. Sie zitieren eine junge Teilnehmerin mit dem Ratschlag an Lehrkräfte: »Versucht den Schülerinnen und Schülern nicht ›die‹ Religionen zu vermitteln, sondern eine Plattform zu schaffen, miteinander in den Dialog zu treten.« (298)
Der Sammelband ist insgesamt sehr lesenswert. Theorie- und Praxisbeiträge sind in ihrem Verhältnis ausgewogen, so dass Leser mit unterschiedlichen Interessen fündig werden können. Inhaltlich drängen sich mir zwei Beobachtungen auf. Zum einen fokussiert der Sammelband den Umgang mit Vielfalt. Vielfalt erscheint weitgehend als eine statische Größe, mit der Lehrkräfte umgehen müssen. Henrik Simojoki weist zu Recht darauf hin, dass Vielfalt dynamischer, nämlich je kontextgebunden, zu konzeptualisieren ist (54). Auch hier bleibt Vielfalt aber eine Größe, die allein im Be­dingungsfeld von Religionsunterricht verortet wird. Die Frage eines »doing difference« im Prozess des Unterrichtsgeschehens bleibt un­terbelichtet.
Zum anderen kristallisiert sich mit Blick auf das gesamte Buch eine Tendenz heraus, zunehmender (wahrgenommener) Vielfalt mit einer Intensivierung der Subjektorientierung zu begegnen. Ganz grob zeichnet sich in vielen Beiträgen ein Grundmodell ab, das etwa folgendermaßen umrissen werden kann: Der Ansatzpunkt liegt – subjektorientiert – bei den individuellen Vorstellungen der Schüler und Schülerinnen, diese gilt es sorgfältig wahrzunehmen und in einen Dialog zu bringen. So einsichtig dieses Grundmodell ist, so sehr verschärft es aus meiner Sicht eine fundamentale Frage: Wie verändert sich die Konstruktion von (norma- tiver) Fachlichkeit, wenn Religionsunterricht immer stärker auf Subjektorientierung und damit auf individuelle Religiosität bzw. individuelle Weltanschauungen abhebt?