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Ausgabe:

Oktober/2019

Spalte:

1042–1043

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Kühlem, Albert-Henri

Titel/Untertitel:

Josef Piepers »Denkübung« im Glauben.

Verlag:

Münster: Aschendorff Verlag 2017. 292 S. = Studia Oecumenica Friburgensia, 73. Kart. EUR 44,00. ISBN 978-3-402-12006-4.

Rezensent:

Stefan Dienstbeck

Der Philosoph Josef Pieper (1904–1997) verstand sich selbst als Grenzgänger zwischen Philosophie und Theologie. Sein Werk versucht, über einen dezidiert philosophischen Zugang den Weg hin zur religiösen Offenheit zu finden, die den Übergangsbereich zwischen Philosophie und Theologie als nur scheinbar klare Grenze erweisen möchte. Die Dissertationsschrift des katholischen Theologen Albert-Henri Kühlem nimmt sich genau dieser Grenzstellung des Pieperschen Werkes an, indem er Piepers »Denkübung« im Glauben – wie der Titel besagt – in das Zentrum seiner Betrachtung stellt. Die Studie versteht sich deshalb in erster Linie »als eine fun damentaltheologische Arbeit«, weil gerade der Zusammenhang »zwischen dem Glauben und dem philosophischen Denken zu rechtfertigen und zu erklären« versucht wird (52).
Neben einem knappen Einleitungs- (7–29) und Forschungsabschnitt (31–53), der auch das methodische Vorgehen umschreibt, weist der Band abgesehen von einer extrem kurzen Abschlusspassage (259–263) einen langen Hauptteil (55–257) auf. Letzterer gliedert sich in drei Unterabschnitte, die systematisch den Grundgedanken K.s entfalten, indem sie Piepers Übergangsfigur nachzeichnen, die vom philosophischen Selbst- und Welterkennen über Transzendenzoffenheit hin zum Glaubensbegriff führen. Der inhaltliche Hauptteil kommt daher auch unter der Überschrift »Hinführung zu einem heute plausiblen Glaubensbegriff mit Josef Pieper« (55) zu stehen.
Bereits der kleine Abschnitt »Einleitung« zeigt an, auf welchem Hintergrund die Arbeit verstanden sein will und wie K. – zusammen mit Pieper – die philosophische Auseinandersetzung sucht: Die Verlautbarung des Apostolischen Stuhls von Johannes Paul II. unter dem Titel »Fides et Ratio« zieht sich sowohl durch K.s Auseinandersetzung mit Pieper wie durch Piepers eigene philosophisch-theologische Ausführungen. Der Denkhorizont verortet sich damit selbst eindeutig in einem römisch-katholischen Rahmen, was durch die ebenfalls häufig zitierte Erklärung der Glaubenskongregation »Dominus Jesus« aus der Feder Josef Ratzingers sowie durch Piepers Hauptgewährsmann, Thomas von Aquin, unterstrichen wird. Das verwendete Denkmodell versucht daher auch, Vernunft und Glauben als komplementäre Größen zu begreifen, die sich nicht nur nicht ausschließen, sondern recht verstanden gerade wechselseitig bedingen. Gegen Hegel und die Aufklärer geht es Pieper in der Darstellung von K. um das Wiederherstellen einer connaturalitas, also eines Erkennens aus Wesensverwandtschaft (vgl. 20), das die Abgrenzung von Vernunfttätigkeit und glaubendem Gottesbezug nicht erlaubt, sondern im Gegenteil eine Wechselwirkung beider annimmt.
Steht Thomas von Aquin insbesondere für die theologischen Affinitäten Pate, so ist dies auf philosophischer Seite Platon. Letzterer begründet für Pieper einerseits die Methode des sokratischen Dialogs als Weg des Erkennens, in dem die angesprochene connaturalitas verwirklicht wird (vgl. insbesondere 88 ff.). Zugleich dient eine auf das Göttliche hin theologisch modifizierte Ideenwelt als wesensverwandtes Pendant zu unserer sinnlichen Wirklichkeit. Auf dieser Grundlage ist es der menschliche Geist, der als Scharnier zwischen dem Erkennenden und seiner Wirklichkeit und dem Gegenstand seines Erkennens, dem Ganzen, fungiert. Die »vermittelte Unmittelbarkeit« einer geistigen Transzendenz soll daher gegen pure Immanenz oder bloß externen Zuspruch eingebracht werden (vgl. 28). Damit ist aber die Sphäre reiner Philosophie bereits überschritten, weshalb Pieper bewusst den Überstieg in das theologische Fach bzw. in den Graubereich zwischen Theologie und Philosophie vollzieht.
So öffnet die Philosophie bzw. die Kontemplation des sinnlich Wahrnehmbaren den menschlichen Geist für das Geschenk des Glaubens (vgl. 117), wodurch allererst wahre Erkenntnis ermöglicht wird.
Im Glaubensbegriff fallen also menschliche Vorbereitung, die nicht als Entscheidung, sondern als Sich-Einlassen verstanden werden soll, und göttlicher Gnadenakt zusammen. Im An­schluss thematisiert der dritte Hauptabschnitt dann die personale »Begegnung göttlichen und menschlichen Daseins in der Verknüpfung von theologalem Glauben und natürlicher Vernunft« (187). Anders formuliert wird in der Begegnung »der Abstand von göttlichem und menschlichem Geist aufgehoben« (ebd.). Ähnlich wie eine visio Dei oder die unio mystica geht es Pieper um persönliche Gotteserkenntnis.
In der Auseinandersetzung mit zahlreichen Denkern aus Vergangenheit und Moderne – zu nennen sind unter anderem Schleiermacher, Nietzsche, Wittgenstein, Heidegger oder Satre und Camus – möchte Pieper einen Begriff vom menschlichen Geist entwickeln, der »Denkmöglichkeiten« (259) bewusst offenhält und nicht an Fachgrenzen scheitert. Durch den Aquinaten und Platon inspiriert gerinnt das Konzept allerdings oftmals zu einer anthropologisch aufgeschlossenen, in ihrem Kern jedoch weitestgehend klassischen Ontologie. Inwiefern Letztgenannte Aktualität oder einen plausiblen Glaubensbegriff für die Gegenwart entfalten kann, muss allerdings höchst fraglich bleiben, auch wenn dies das erklärte Anliegen K.s ist. Auf der letzten Seite relativiert er diesen Anspruch dann auch: »Piepers Ansichten mögen heute aufgrund seiner metaphysischen und ontologischen Grundeinstellung nicht unmittelbar einsichtig sein. Um Aktualität geht es Pieper aber auch nicht.« (263) Die sympathische Denkoffenheit Piepers, die we­der in Vernunftabsolutismus noch in Offenbarungspositivismus umschlagen möchte, berührt dies freilich nicht. Dennoch bleibt die Plausibilität seines Ansatzes seiner Prämissen wegen angefochten. Philosophen wie Holm Tetens oder Volker Gerhardt zeigen aktuell, wie Philosophie theologieaffin sein kann, ohne deswegen im Konzert der Ontologie mitspielen zu müssen. Hier werden beim Entwurf von Pieper Chancen verschenkt.
Das Verdienst K.s besteht jedoch zweifelsfrei darin, dass er Piepers Gedanken – wenn auch teils sehr akribisch an dessen Text – zutreffend nachzeichnet und systematisiert. Der Zugriff auf Piepers Modell ist methodisch und systematisch, so dass er sich nicht in einer ausschließlich historischen Betrachtung erschöpft. Weitreichende Thesen oder gar echte Aktualisierungen über Pieper und seinen thomistisch-platonischen Ansatz hinaus sucht man allerdings vergebens. Die Selbstverortung K.s tritt gegenüber der Darstellung von Piepers Gedanken stark zurück und erschöpft sich in einem katholischen Referenzrahmen, der prominent den späteren Papst Benedikt XVI. und seine Auseinandersetzung mit Pieper beleuchtet. Insgesamt ermöglicht der Band einen guten, systematisch fundierten und durch intensive Pieperlektüre professionellen Erstkontakt mit dem philosophisch-theologischen Denken Pie pers. Das Personenregister erleichtert das Aufsuchen einzelner Geistesgestalten.
Ein Sachregister hätte an manchen Stellen weitergeholfen, weil die Gliederungspunkte zwar gut gewählt, die Zählung aber nicht immer selbsterklärend gestaltet ist. Doch dies soll nicht K. ange-lastet werden. Stilistisch pflegt er einen angenehm unaufgeregten Wissenschaftsstil, der sich durch häufige und längere Zitatpassagen unterstützen lässt.