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Ausgabe:

Oktober/2019

Spalte:

982–983

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Alter, Robert

Titel/Untertitel:

The Art of Bible Translation. Editions.

Verlag:

Princeton: Princeton University Press 2019. XVI, 127 S. Geb. £ 20,00. ISBN 978-0-691-18149-3.

Rezensent:

Christoph Kähler

Die Kunst der Bibelübersetzung besteht nach Robert Alter darin, die literarische Qualität der Ausgangstexte wahrzunehmen und ihr in der eigenen Muttersprache möglichst gut zu entsprechen. Selbstverständlich kann das auch beim besten Willen und Ver-mögen oft nur teilweise gelingen. Der Professor für Hebräisch und Vergleichende Literaturwissenschaft in Berkeley stellt in dem großzügig ausgestatteten Büchlein jedoch nicht nur hohe Forderungen auf, sondern reflektiert seine eigene Praxis. Zwischen 1993 und 2018 übersetzte er die Hebräische Bibel ins Englische, veröffentlichte sukzessiv seine Ergebnisse und legte 2019 das vollständige dreibändige Werk mit ausführlichen Einleitungen und philologischem Kommentar vor. Amerikanische Rezensenten verglichen den heute 83-Jährigen dafür mit einem Einhandsegler, dem am Ende die Umrundung des Globus gelang. Sein Vorhaben hatte sich vor über 40 Jahren aus ersten Essays über die literarische Eigenart des Alten Testaments entwickelt, die er in keiner neueren Bibelübersetzung wiedererkannt hatte. Drei Monographien über biblische Erzählkunst (1981), die Poesie des Tanach (1983) und die Welt der Biblischen Literatur (1991) gingen dem vorliegenden Band voraus.
Im Vorwort (IX–XVI) berichtet A. über seinen – primär ästhetischen – Zugang zu den hebräischen Texten, deren Sprache er von Haus aus kannte und durch frühe Studien mittelalterlicher Kommentare und des modernen Hebräisch vertiefte. In der einleitenden Klage über den Niedergang englischer Bibelübersetzungen in der Moderne erweist sich als Landmarke A.s die King-James-Version. Ernsthaft (»one didn’t play games with God’s word«), kenntnisreich, sorgfältig und kultiviert entspreche die KJV in Wortwahl und Stil oft dem Ausgangstext und erweise ihre Sorgfalt durch den Kursivdruck von Ergänzungen. Doch die lexikalische und grammatikalische Entwicklung der englischen Sprache seit 1611 und ein noch unzureichendes Verständnis des biblischen Hebräisch im 17. Jh. erfordern nun einen beherzten neuen Anlauf. Die modernen protestantischen, katholischen und jüdischen Übersetzungen weisen dagegen stellenweise peinliche Fehlgriffe und insgesamt ein ungenügendes Verständnis für die Ästhetik des Ausgangstextes auf, wofür ihm die Fluterzählung Gen 7 oder die Verführungsszene in Gen 39 als makabre Beispiele dienen. Solche Mängel resultieren u. a. aus der angeblichen Lizenz für freie Umschreibungen des Gemeinten und aus erläuternden Zusätzen, die sich durch das Ziel der »dynamischen Äquivalenz« in neueren Übersetzungstheorien (E. A. Nida) ergeben haben. So zeigt Ps 36,7 in einem katholischen Psalter mit der Wendung »Your integrity towers like a mountain […] Lord, you embrace all life«, wie zentrale Begriffe verfehlt und die Konkreta des Ausgangstextes unschön abstrahiert werden. A. vermutet hier, wie auch in der Einleitung seiner Übersetzung, dass die wissenschaftliche Spezialisierung heutiger Exegeten eine professionelle Nutzung moderner Literatur und ihrer Sprachkunst er­schwert. Mit Beispielen belegt, verbindet er in jedem Kapitel die Kritik an zeitgenössischen Übertragungen mit einer Apologie der eigenen Lösungen.
Die empirisch gewonnenen Anforderungen an eine literarisch und damit sachlich angemessene Übersetzung ergibt sich aus den anschließenden Kapiteln über die Syntax und die Wortwahl, die Klangfiguren und Wortspiele, den Rhythmus und die lakonischen Dialoge der Bibel. Die damit von A. behandelten Elemente einer an­gemessenen Übertragung sind so zahlreich, dass hier nur auf wenige hingewiesen werden kann. Gegen eine allzu strenge Wortfolge plädiert A. für den häufigeren Gebrauch von Ausrahmungen und Inversionen sogar im englischen Satz, um Ton und Intention des Ausgangstextes zu treffen. Andere rhetorische Elemente wie Assonanzen und Reime dürfen nicht ohne Not übergangen werden, was durch Jes 5,7 illustriert wird. (Jes 7,9 übersetzt A. dagegen ziemlich prosaisch.) Mit einer solchen Pflichtenliste gelangt A. weit über die klassische Polarität von »kommunikativ« versus »wörtlich« hinaus, da die Treue zum Ausgangstext sich nicht mit der Wortwahl in der Zielsprache erschöpfen darf. Und selbst dabei sollten möglichst vielsilbige lateinische Lehnworte vermieden werden. Mit Buber und Rosenzweig hebt er den ursprünglich mündlichen Charak-ter vieler Bibeltexte heraus, lehnt allerdings deren Erfindung von Worten und Wendungen strikt ab, weshalb ihm solche Experimente wie »ich erscheinige mich« in Ex 14,4 als absurd gelten. Höher als die beiden und viele andere Zeitgenossen bewertet er die Parataxe, deren Tilgung oder Ersetzung durch subordinierende Konjunktionen schwere Eingriffe in Erzähltexte darstellen. Mit der Beobachtung der Prägnanz, Kraft, Schönheit und kunstvollen Eigenständigkeit alttestamentlicher Texte nimmt A. explizit Einsichten auf, die Erich Auerbach 1946 in »Mimesis« vorgetragen hat. Unbefangen verbindet A. sein »close reading« mit der Beobachtung intertextueller Bezüge im Tanach und Einsichten der klassischen Urkundenhypothese in unterschiedliche Stile der im Kanon kunstvoll arrangierten Quellen.
Sowohl die Bibelübersetzung wie auch das vorliegende Resümee des mit bedeutenden Preisen ausgezeichneten Gelehrten haben alsbald in den USA ein breites publizistisches Echo ausgelöst und ausführliche Rezensionen in der Qualitätspresse erfahren, deren Gründlichkeit und Expertise in den Besprechungen deutscher Bi­beln und ihrer Revisionen so nicht zu finden sind. Wer immer sich mit Bibelübersetzungen und -revisionen beschäftigt, sollte auch in anderen Sprachräumen die Hinweise und Warnungen dieses Meis-ters gründlich studieren und weitgehend beherzigen.