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Ausgabe: | Juni/2019 |
Spalte: | 633–635 |
Kategorie: | Religionspädagogik, Katechetik |
Autor/Hrsg.: | Kaupp, Angela [Hrsg.] |
Titel/Untertitel: | Pluralitätssensible Schulpastoral. Chancen und Herausforderungen angesichts religiöser und kultureller Diversität. |
Verlag: | Ostfildern: Matthias Grünewald Verlag (Verlagsgruppe Patmos) 2018. 224 S. Kart. EUR 25,00. ISBN 978-3-7867-3140-5. |
Rezensent: | Uta Pohl-Patalong |
»Schulpastoral« – das katholische (allerdings etwas anders akzentuierte) Pendant zur evangelischen »Schulseelsorge« – hat sich in den letzten beiden Jahrzehnten ebenso wie Letztere zu einem virulenten Handlungsfeld entwickelt. Noch entschiedener als die evangelische Variante nimmt die »Schulpastoral« das gesamte System Schule in den Blick und versteht sich als Dienst der katholischen Kirche an dieser. Insofern bildet die zunehmende religiöse Pluralität (hier überwiegend als Präsenz unterschiedlicher Religionsgemeinschaften verstanden) der Schule in verschiedener Hinsicht besondere Herausforderungen: Wie ist das katholische Profil der Schulpastoral in der religiös pluralen Schule zu verstehen? Wie kann sie sich im Umgang mit Schülern und Schülerinnen anderer Konfessionen und Religionen orientieren? Und selbstverständlich auch: Welche neuen Aufgaben und Herausforderungen ergeben sich durch diese Situation?
Diese und weitere Fragen nimmt das vorliegende Werk in den Blick. Es basiert zu großen Teilen auf Vorträgen einer gleichnamigen Tagung, die im November 2016 an der Universität Koblenz-Landau stattfand. Einige Beiträge wurden der Publikation ergänzend hinzugefügt, was sich für das Gesamttableau als sehr sinnvoll erweist. Die Gliederung des Bandes, die in einem ersten Teil die veränderte religiöse Situation in Gesellschaft und Schule wahrnimmt, anschließend die Schulpastoral unter diesen Bedingungen eingehender in den Blick nimmt und abschließend Best-Practice-Beispiele einer pluralitätssensiblen Schulpastoral vorstellt, ist vermutlich der Tagungsdynamik geschuldet, ebenso wie der recht unterschiedliche Charakter der Beiträge zwischen wissenschaftlichem Artikel, Festvortrag und Erfahrungsbericht. Liest man das Buch als »Standardwerk für eine zukunftsweisende Schulpastoral«, wie es auf dem Umschlagtext formuliert wird, würde man sich in manchem eine andere Auswahl und eine andere Reihenfolge wünschen. So wäre zunächst eine Beschäftigung mit den Grundlagen der Schulpastoral als solche sehr hilfreich, wie sie dann später die reflektierte Tagungsbilanz von Beate Thalheimer und Winfried Verburg und der Artikel von Angela Kaupp zu der Verankerung von Schulpastoral im Studium in guter Weise liefern, um auf dieser Grundlage die Herausforderungen der gesellschaftlichen Veränderungen und ihre Auswirkungen auf die Schule wahrnehmen zu können.
Der hier an erster Stelle platzierte Beitrag des an der gastgebenden Universität tätigen Soziologen Winfried Gebhardt irritiert zudem auch inhaltlich, insofern er in seiner Analyse religiöser Pluralisierung zum einen weniger auf die Pluralität von Religionsgemeinschaften eingeht, auf die die weiteren Beiträge rekurrieren, sondern stärker auf die Individualisierung und De-Institutionalisierung religiöser Formen. Mit Stichworten wie »Selbstermächtigung des religiösen Subjekts« (19), »extensive Ausbreitung religiöser Indifferenz« (21) oder »Werterelativismus« (25), etlichen Extrembeispielen eines selbstzentrierten Individualismus von Angriffen auf Polizeibeamte über Donald Trump bis zum Islamischen Staat und reißerischen Formulierungen wird zum anderen das Plädoyer gegen den »Kosmophilotismus«, den er in den »gängigen Konzeptionen der Schulpastoral durchaus verbreitet« (27) sieht, vorbereitet und (unter Berufung auf Josef Kardinal Ratzinger) für Abgrenzung und Profilschärfung geworben: »Wie will man denn dann im Wettstreit der Religionen, Weltanschauungen und der religiösen Indifferenz […] noch überzeugend auftreten, wenn man nicht mehr sagen will und kann, was einen von den anderen unterscheidet?« (27) Als Auftakt zu einem Band zu Pluralitätssensibilität reibt man sich bei diesem Beitrag ganz sicher nicht nur als evangelische Leserin verwundert die Augen.
Alle anderen Beiträge folgen dieser Negations- und Abgrenzungshermeneutik gerade nicht. Der (eigens für diesen Band eingeworbene) anschließende Beitrag von Regina Polak setzt einen dezidierten Kontrapunkt zu dieser Sicht, wenn sie das Phänomen Migration theologisch als »Gnadenzeichen« (29) und »theologiegenerative[n] Ort« (30) würdigt und seine innovativen Potenziale für Gesellschaft und Schule herausarbeitet. Migration wird als Chance beschrieben, »gemeinsam neu und vertieft Gerechtigkeit zu lernen: die Würde aller wahrzunehmen, Partizipation für alle zu fördern, Strukturen der Anerkennung religiöser und kultureller Diversität für alle zu etablieren – auch in der Schule« (37).
Aus der Fülle der weiteren Artikel sei zunächst die Reflexion von Ulrich Kumher genannt, ob Schulpastoral auch oder gerade als »Nichtunterricht« (105) die »interkulturell-interreligiöse« (104) Kompetenz von Schülern fördern kann und soll, was er – über eine Erweiterung des Kompetenzbegriffs über die klassischen Problemlösungskompetenzen hinaus – bejaht.
Besonders lesenswert sind aber auch die Überlegungen von Magdalena Modler-El Abdaoui, die die konkreten Herausforderungen für die Schulpastoral (eigentlich aber auch für die ganze Schule) im Umgang mit muslimischen Jugendlichen oder auch Angehörigen anderer christlicher Konfessionen mit Migrationshintergrund thematisiert. Besonders wenn der Religionsunterricht strikt nach Religionsgemeinschaften getrennt erfolgt, hat die Schulpas-toral größere Chancen als dieser, interreligiöse Verständigung zu leisten. Für die seelsorgliche Begleitung muslimischer Schüler und Schülerinnen sind Grundkenntnisse des islamischen Seelsorgeverständnisses wichtig, das stärker als das christliche auch »lebenspraktische Hilfe in sozialen und rituellen Anliegen« (113) gerade im nicht-muslimischen Umfeld einschließt, so dass die Schulpastoral mit rechtlichen und psychosozialen Fragen rechnen und entsprechende Kompetenzen oder muslimische Kontaktpersonen vorhalten muss – idealerweise aber in gemischt-religiösen Teams arbeitet. Christliche Jugendliche mit Migrationshintergrund erleben sich ebenso als Minderheit in einer oft stärkeren religiösen Orientierung als die deutsche Mehrheitsgesellschaft, die belächelt werden kann.
Besonders dann, wenn religiöse Unterdrückung einen Fluchtgrund bildete, stellt sich für religiöse Vertrauenspersonen die schwierige Aufgabe, »in einem friedlichen Kontext den religiösen Aspekt erst wieder aus den persönlichen Verstrickungen in Urteile und Vor-Urteile aufgrund einer leidvollen Familiengeschichte herauszudividieren, um zu einer versöhnten Spiritualität zu finden, die Glauben als eine Möglichkeit der Begegnung und nicht der Trennung (auch im Klassenverband) wahrnehmen kann« (117). Bei beiden Gruppen geht die Schulpastoral in Themenbereiche über, die eigentlich zur Notfallseelsorge gehören. Lehrkräfte sind damit in aller Regel überfordert, so dass der Schulpastoral hier auch die Aufgabe der Begleitung und Schulung von Lehrkräften zukommt .
Die im dritten Teil vorgestellten Praxisbeispiele stellen anschaulich und teilweise auch anrührend dar, wie Schulpastoral in religiöser Pluralität aussehen und gestaltet werden kann. Besonders lesenswert ist dabei, auch wenn er über das explizite Handlungsfeld Schulpastoral hinausgeht, der Artikel von Ute Augusty-niak-Dürr über ihre interreligiösen Erfahrungen in Israel-Palästina, einerseits als Lehrerin in der christlichen Schule Talitha Kumi in Beit Jala, andererseits als Mutter eines Kindes in einem palästinensischen Kindergarten und eines anderen Kindes in einer israelischen Einrichtung.
Insofern bietet das Buch interessante Einsichten und Perspektiven einer Schulpastoral in religiöser Pluralität, die ebenso für eine evangelische Schulseelsorge ertragreich sein dürften.