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Ausgabe: | Juni/2019 |
Spalte: | 584–586 |
Kategorie: | Altes Testament |
Autor/Hrsg.: | Ratschow, Leonie, u. Hartmut von Sass [Hrsg.] |
Titel/Untertitel: | Die Anfechtung Gottes. Exegetische und systematisch-theologische Beiträge zur Theologie des Hiobbuches. |
Verlag: | Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2016. 288 S. = Arbeiten zur Bibel und ihrer Geschichte, 54. Geb. EUR 54,00. ISBN 978-3-374-04293-7. |
Rezensent: | Manfred Oeming |
Das Vorwort (5 f.) erläutert das Zustandekommen des Bandes aus einer DFG-finanzierten interdisziplinären Tagung von Exegeten und Systematikern im Mai 2015 in Leipzig. Es geht um die Umkehrung der üblichen Sichtweise: Nicht Hiobs Anfechtung durch Satan [und damit indirekt durch Gott] soll ausgelotet werden, sondern Gottes Anfechtung durch Hiob. Denn indem sich Gott in Auseinandersetzung mit Satan ganz auf Hiob verließ, setzte sich Gott selbst der Anfechtung aus. Was, wenn Hiob ihn im Stich lassen würde? Wie würde Gott sich dann verhalten? Der Band umfasst zehn Beiträge, die in drei Gruppen sortiert sind: Exegetica, Systematica und Aspekte der Wirkungsgeschichte. Die Beiträge können nur ganz knapp skizziert werden.
Hartmut von Sass (Einleitung: Gibt es eine Anfechtung Gottes? Zur Aktualität der Theologie im Hiobbuch, 9–38) bietet einen Überblick über die neuere Exegese des Hiobbuches, die er vor allem als »Dekonstruktion von Theologie« (16) wahrnimmt: Das Hiobbuch erscheint als wilder Traum oder als Ironie (z. B. D. Clines), als athe-istische Absage an Gott (E. Bloch), als Eigenproblematisierung der Weisheit (M. Saur) oder als Selbstdekonstruktion des Theologischen (K. Schmid). Die irreduzible Polyphonie verbiete eine thematisch klare Aussage des Buches und erfordere eine Wertschätzung der Bewegungen und der Dynamik im Buch. Der Begriff »Anfechtung« wird sprachanalytisch aufgefächert und auf Gott selbst angewendet, sowohl als genetivus subjectivus als auch objectivus. In Aufnahme von Carl Heinz Ratschow wird die Möglichkeit der »Wandlungen Gottes« ausgelotet.
Unter »I. Exegetica« bietet Melanie Köhlmoos (Gott im argumentativen und im narrativen Urteil. Zum Verhältnis zwischen Erzählung und Dialogdichtung im Hiobbuch, 41–64) eine ausgezeichnete Analyse der Logik des Hiobbuches, indem sie auch im Vergleich mit altorientalischen Parallelen »narrative Urteile«, »argumentative Urteile« und »kultische Möglichkeiten« differenziert und diese auch auf Gott appliziert. Dabei zeigen sich viele Gemeinsamkeiten mit dem Alten Orient (etwa mit der Vorwurfsliteratur oder in der Einsicht in die Unberechenbarkeit Gottes), aber auch ein Plus. Eine Prüfung des Glaubens gibt es im Alten Orient nicht. »Die Satanisierung Gottes ist das narrative Urteil des Publikums über Gott« (62).
Raik Heckl (Die Hiobkomposition als Teil des Diskurses um das Gottesbild der Geschichtstheologie, 65–88) entfaltet den Gedanken, dass im Hiobbuch – wie auch in der Apokalyptik – die Geschichtstheologie die entscheidende Kategorie sei. Auf »Seiten Gottes vollzieht sich ein Perspektivwechsel. Denn Gott wendet sich in der Hiobgeschichte von dem kritischen Blick auf die Geschichte ab und dem an der Geschichte leidenden Hiob zu« (85).
Unter »II. Anfechtung Gottes« findet man vier Beiträge: Eva Harasta (Satanische Verse? Zur Rolle des Satans in Hiob 1–2 aus systematisch-theologischer Sicht, 91–104) ist besonders lesenswert. Sie stellt originell und scharf heraus, dass das Grundproblem des Hiobbuches die in Satan personifizierte Frage ist: »Gibt es eine grundlose Vertrauensbeziehung von Seiten des Menschen zu Gott?« (102) »Das Hiobbuch lässt sich als Drama göttlichen Liebesbedürfnisses lesen, als eine Andeutung göttlicher Sehnsucht nach bedingungsloser Erwiderung in der Liebe zwischen Gott und Mensch.«, womit das Hiobbuch an »eine Grenze der Gotteslehre« (103) geht.
Konrad Schmid (Gott als Angeklagter, Anwalt und Richter. Zur Religionsgeschichte und Theologie juridischer Interpretationen Gottes im Hiobbuch, 105–136) spürt exegetisch den juristischen Kategorien im Hiobbuch nach. Aus dem religionsgeschichtlichen Vergleich mit dem Wettergott ergibt sich ihm eine Verabschiedung von Gerechtigkeit als Grundforderung an Gott: »Wettergötter müssen nicht gerecht sein. Sie können zürnen.« (128) Im Unterschied zur Lesart von E. Harasta betont Schmid, dass Gott »willkürlicher Urheber des Leidens« sei und »nicht selbst dem Gerechtigkeitsparadigma [subordiniert]« sei (131).
Andreas Schüle (Das Angefochtensein Gottes. Überlegungen zum Motiv der Umkehr Gottes bei Hiob, Jeremia, Jona und der nicht-priesterlichen Fluterzählung, 137–161) arbeitet die Ambivalenz Gottes im Hiobbuch heraus. Ein Vergleich mit Uwe Johnsons »Mutmaßungen über Jakob« macht deutlich, dass das Hiobbuch »in allen Teilen auch ein Buch der ›Mutmaßungen über Gott‹« ist (139). Eine Analyse der alttestamentlichen Erzählungen von der »Umkehr Gottes« deckt auf: »Es ist letztlich immer eine Niederlage für Gott, wenn die Entfaltung von Leben scheitert und der Tod das letzte Wort behält.« (159)
Philipp Stoellger (Anfechtung Gottes. Zur Gotteslehre vom Pathos Gottes aus, 163–192) arbeitet die Differenz von Versuchung und Anfechtung heraus und wendet sie auf den Gott des Hiobbuches an. Dabei verwahrt er sich sehr scharf gegen die These von der »Satanisierung Gottes«: »Gott kann nicht als Satan gedeutet werden. Das wäre biblisch-theologisch wie im Besonderen christologisch schlicht nonsense« (178); »ihn zum Satan zu erklären, bleibt ausgeschlossen« (185). Stattdessen betont er: »Gott ist maßlos wandelbar.« (181) Das gilt auch für die Leidensfähigkeit Gottes. »Wenn der Vater wie der Sohn affiziert werden vom Leid, dann leiden sie mit und sind im Leidenden gegenwärtig. Sie überlassen ihn nicht sich selbst in seinem Leid. Sondern sein Leid ist der Ort gewisser Gottesgegenwart, was nicht zuletzt für die Seelsorge relevant ist.« (182) Sehr lesenswert ist der Anhang: »Satanisierung Christi im Bild«, der eine Zeichnung von Michelangelo interpretiert, auf welcher der am Kreuz hängende Christus kaum merklich ein vulgäres Zeichen des Teufels macht. Stoellger kommt dabei wiederum zu dem Schluss, dass »Nicht Christus als Teufel, sondern als ›Maximalhiob‹ [gemeint ist]: zur Anklage des alten Allmachtsgottes wie zur offenen Klage über das Leid, das der verkörperten Liebe widerfährt« (189).
Im Abschnitt III. Wirkungsgeschichte folgen drei Studien: Leonie Ratschow (Erfahren oder Erkennen? Die Anfechtung Gottes durch Hiob in Abhebung vom Testament Hiobs, 195–232) vergleicht das spätere Testament Hiobs mit dem biblischen Hiob und konstatiert – in engem Anschluss an Thorleif Bomann – einen schroffen Gegensatz von griechischem und hebräischem Denken: Das TestHi setze auf Erkenntnis, weil Gnosis alle Maskeraden des versucherischen Teufels durchschaue und so zum geduldigen Ertragen allen Leidens befähige (besonders 199–201). Das biblische Denken basiere demgegenüber auf Erfahrung. Hiob erfährt die Unbegreiflichkeit Gottes und zeigt paradigmatisch auf: Glauben heißt, »die Un-logik Gottes anzunehmen« (229). Simon Podmore (Theophany of the Abyss: Job & The Negative Numinous, 233–261) zeigt die Bedeutung des Hiobbuches beim Religionswissenschaftler Rudolf Otto und beim Tiefenpsychologen C. G. Jung auf. Dabei kommt es besonders darauf an, die von Gott ausgehende und auf Gott einwirkende Anfechtung als notwendiges Element der Erfahrung des Heiligen zu verstehen und die dunklen Seiten Gottes in das Image von Gott zu integrieren. »There is yet hope that the numinous God-image has the potential within itself to reconcile its own shadow-side, to overcome the temptation of becoming mys-terium horrendum« (259). George Pattison (Hiob als Intertext zu Dos-tojewskis »Die Brüder Karamasow«, 263–276) zeigt auf, dass Dostojewski eigentlich nur den Hiob der Rahmenerzählung kennt (wie das Neue Testament); Hiob ist ein eminentes Beispiel »für eine theologia exinantionis«, d. h. einer Theologie der notwendigen Entleerung und Erniedrigung des Glaubenshelden (276).
Angaben zu den Autorinnen und Autoren runden das originelle Werk ab, das sich bald einen Platz in der Hiobforschung sichern wird. Es stellt mit seinen zum Teil überkomplizierten Mutmaßungen freilich auch vor die Frage, warum gewisse Grundphänomene nicht stärker beachtet werden. Das Hiobbuch hat 42 Kapitel, und erst das Schlusskapitel macht vieles klar: Gott steht auf Hiobs Seite; er will und vertraut darauf, dass Hiob im Glauben bleibt, und dafür lobt er ihn, »wahrhaft zu mir geredet« zu haben. Und »JHWH segnete das Ende Hiobs mehr als seinen Anfang« (42,12). Der Satan, der die Prüfung Hiobs und die Anfechtung Gottes symbolisiert, hat verloren und muss daher am Ende verschwinden.