Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Mai/2019

Spalte:

533–536

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Avis, Paul, and Benjamin M. Guyer [Eds.]

Titel/Untertitel:

The Lambeth Conference. Theology, History, Polity and Purpose.

Verlag:

London u. a.: Bloomsbury T & T Clark 2017. 437 S. Geb. £ 85,00. ISBN 978-0-567-66231-6.

Rezensent:

Oliver Schuegraf

Die anglikanische Gemeinschaft ist eine Gemeinschaft von Kirchen, die nicht durch gemeinsame und verbindliche Leitungsstrukturen oder ein einheitliches Kirchenrecht zusammengehalten wird. Entscheidend für ihren Zusammenhalt sind vielmehr ihre vier sogenannten »instruments of unity«: Archbishop of Canterbury, Lambeth Conference, Primates’ Meeting und Anglican Consultative Council. Doch nicht wenige Anglikaner sehen dieses Konzept in der Krise und es wird die Frage aufgeworfen, ob die Instrumente der Einheit die anglikanische Gemeinschaft noch zusammenzuhalten vermögen.
Daher verdient der 2017 von Paul Avis und Benjamin M. Guyer herausgegebene Sammelband zu »Theologie, Geschichte, Wesen und Anliegen« der Lambeth Konferenz – wie es im Untertitel heißt – Aufmerksamkeit. Das Anliegen des Buches (und die vermutliche Hoffnung der Herausgeber) wird im kurzen Grußwort von Erzbischof Justin Welby bereits intoniert: »Ein reflektierender Rückblick auf das, was geschehen ist, ist von ausschlaggebender Bedeutung dafür, dass wir nun voranschreiten und verstehen können, was in der Gegenwart geschieht«. Genau dazu wollen die Autorinnen und Autoren einen Beitrag leisten mit ihrem Rückblick auf die 14 Treffen der Lambeth Konferenz in den letzten 150 Jahren. Und damit ist auch deutlich, dass das Buch mehr als ein geschichtlicher Rückblick sein will, sondern vielmehr auch den kirchenpolitischen An­spruch der Selbstvergewisserung hat – gerade im Hinblick auf die nächste Lambeth Konferenz 2020.
Die 17 im Sammelband vereinten Stimmen kommen aus den unterschiedlichen Frömmigkeitsspektren der weltweiten anglikanischen Gemeinschaft sowie aus verschiedenen theologischen Fachrichtungen. Deutlich kritisch ist jedoch anzumerken, dass bei aller Bandbreite der gewonnenen Autorinnen und Autoren kein einziger Beitrag aus Afrika, Lateinamerika oder Asien stammt.
Die ersten zehn Beiträge sind dabei eher grundsätzlicher Natur, während die folgenden sieben stärker persönliche Erfahrungen und Einsichten wiedergeben. Einige Beiträge schreiten die bisherigen Konferenzen chronologisch ab und arbeiten jeweils deren Ergebnisse zu einem bestimmten Schwerpunktthema heraus: so zum Beispiel zum Missionsverständnis (Ephraim Radner, 132–172), zu Fragen der menschlichen Sexualität und Ehe (Andrew Goddard, 205–233), zum Kirchenrecht (Norman Doe/Richard Deadman, 259–293) oder zur Ökumene (Mary Tanner, 358–387; zur Ökumene vgl. auch Charlotte Methuen, 107–131).
Insgesamt zieht sich jedoch wie ein roter Faden die Frage durch das Buch, was eigentlich die anglikanische Gemeinschaft zusammengehalten hat und auch in Zukunft zusammenhalten könnte, und nochmals zugespitzt, welchen Platz die Lambeth Konferenz in der anglikanischen Ekklesiologie hat bzw. haben sollte. Aufschlussreich hierfür ist z. B. die kirchengeschichtliche These von Benjamin M. Guyer, dass Erzbischof Longley die erste Lambeth-Konferenz von 1867 durchaus gerne als Synode verstanden gewusst hätte, dies aber aufgrund der »royal supremacy« nicht sein durfte (53–83). Um ein weiteres Beispiel zu nennen, sei die Diskussion um den Begriff »Instrument« erwähnt: Stephen Pickard regt an, die Lambeth Konferenz weniger als Instrument, sondern vielmehr als Ge­schenk Gottes für die Communio zu begreifen (14 f.). Ephraim Radner plädiert dafür, sie nicht nur als ein Instrument zu verstehen, um Mission zu ermöglichen, sondern wieder stärker ernst zu nehmen, dass sie selbst unmittelbar eine Ausdrucksform der christ-lichen Mission ist (170 f.) Insgesamt bleibt es dem Leser je­doch meist selber überlassen, aus der Zusammenschau des Vergangenen konkrete ekklesiologische Schlussfolgerungen und positive Im-pulse für die Zukunft zu ziehen, wie dies im Vorwort erhofft wird.
Immer wieder kommen auch die drei anderen Instrumente der Einheit in ihrem Beziehungsgeflecht zur Lambeth Konferenz zur Sprache (vgl. z. B. allgemein: Stephen Pickard, 3–22; speziell in Bezug auf den Erzbischof von Canterbury: Paul Avis, 23–52).
Auf einige Beiträge sei nochmals eigens hingewiesen. Vielleicht kann damit das Interesse bei all jenen geweckt werden, die das Buch eigentlich gar nicht erst in die Hand nehmen würden in der An­nahme, dass darin nur sehr spezielle, inneranglikanische Fragestellungen für Fachexperten behandelt würden:
Das Lambeth Quadrilateral (Heilige Schrift, altkirchliche Be­kenntnisse, zwei Sakramente, historisches Bischofsamt) ist nicht nur für die inneranglikanische Identität wichtig, sondern auch das ökumenische Prinzip der Anglikaner für den Weg zur sichtbaren Einheit mit anderen Kirchen. Daher lohnt es sich für alle Nicht-Anglikaner, denen die Ökumene mit Anglikanern am Herzen liegt, dieses Quadrilateral, seine Entstehungsgeschichte und Bedeutung zu verstehen. Hier liefert Mark D. Chapman (83–106) wertvolle Einsichten, indem er dessen Ursprünge in der US-amerikanischen Episkopalkirche (William Reed Huntington) sowie Bedeutungszuwachs und -verschiebungen nachzeichnet.
Um die derzeitigen Spannungen in der anglikanischen Ge­meinschaft besser verstehen zu können, sei auf die folgenden zwei Beiträge verwiesen: Gregory K. Cameron zeichnet den sogenannten Windsor Prozess und die Idee eines Anglican Covenant nach (234–258). Beide dienten dem Versuch, die seit der Lambeth Konferenz von 1998 zutage tretenden Verwerfungen über Fragen der menschlichen Sexualität anzupacken und zu überwinden. Doch letztlich gelten für Chapman die vom Windsor Report vorgeschlagenen Moratorien als auch die Suche nach neuen, verbindlicheren Re-geln für die Anglikanische Gemeinschaft durch einen Anglican Covenant als gescheitert. Der schärfste Beitrag des Sammelbandes stammt aus der Feder von Mark Thomson (341–357). Mit ihm kommt GAFCON (Global Anglican Future Conference) zu Wort, das den »authentischen« bibeltreuen und orthodoxen Anglikanismus sammeln will. Mit deutlichen Worten beklagt Thomson die mangelnde Bußbereitschaft der amerikanischen und kanadischen Anglikaner, die seiner Meinung nach die rechtgläubige Lehre in Bezug zur Homosexualität verlassen haben (vgl. dazu jedoch die ausgewogenere Darstellung bei Cameron, 243 f.). Thomson zieht daraus den Schluss, dass die Lambeth Konferenz ihrem Einheits auftrag nicht mehr nachkommen kann, und rechtfertigt daher die Notwendigkeit des Aufbaus von Parallelstrukturen neben der anglikanischen Gemeinschaft.
Auch wenn es der Titel »The Household of Faith: Anglican Obliquity and the Lambeth Conference« nicht vermuten lässt, bietet dieser Aufsatz von Martyn Percy (316–340) bedenkenswerte Einsichten für Leser und Leserinnen, die sich mit den Strukturdebatten in den deutschen Landeskirchen beschäftigen. Percy untersucht die auch im Anglikanismus zu beobachtende Wende hin zu Organisations- und Managementfragen. Statt Kirchenwachstum organisieren zu wollen, sollte sich die Kirche seiner Meinung nach wieder stärker als pastoral und ästhetisch-liturgisch ausgerichtete Institution begreifen, die der gesamten Gesellschaft dienen will. Dazu ergänzend ist auch der Beitrag von Jeremy Morris sehr erhellend, der sich mit den Veränderungen im Leitungsstil anglikanischer Bischöfe seit 1800 beschäftigt (173–204).
Als Fazit bleibt zu formulieren: Der Sammelband wird sicherlich zu einem unverzichtbaren Standardwerk für all jene werden, die sich über die Geschichte und die Bedeutung der Lambeth Konferenz umfassend und detailliert informieren wollen. Die Beiträge sind gut lesbar und geben eine hilfreiche Übersicht über eine Bandbreite von Einzelfragen. Gleichzeitig sind sie wissenschaftlich fundiert und bereiten dabei das umfangreiche Quellenmaterial kompakt auf. Wo sinnvoll, ermöglichen ausführliche Quellen- und Li­teraturhinweise eine noch intensivere Auseinandersetzung mit den angesprochenen Themen. Schließlich ist das Buch sicherlich ein hilfreiches Vorbereitungsinstrument auf die nächste Lambeth Konferenz im Jahre 2020, das von möglichst vielen anglikanischen Bischöfen genutzt werden sollte.