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Ausgabe: | Mai/2019 |
Spalte: | 489–491 |
Kategorie: | Dogmen- und Theologiegeschichte |
Autor/Hrsg.: | Karfíková, Lenka [Hrsg.] |
Titel/Untertitel: | Gnadenlehre in Schrift und Patristik. Hrsg. unter Mitwirkung v. V. Hušek u. L. Chvátal. |
Verlag: | Freiburg i. Br.: Verlag Herder 2016. 683 S. = Handbuch der Dogmengeschichte, III/ Fasz. 5a (1. Teil). Geb. EUR 118,00. ISBN 978-3-451-00708-8. |
Rezensent: | Adolf Martin Ritter |
Mit dem Erscheinen dieses gewichtigen Faszikels geht das (ursprünglich von Michael Schmaus, A. Grillmeier, L. Scheffzyk und M. Seybold herausgegebene, jetzt von E. Naab, Eichstätt, als Schriftleiter betreute) katholische »Handbuch der Dogmengeschichte« (HDG), 65 Jahre nach seinem Start, einen bedeutsamen Schritt seiner Vollendung entgegen. Gegenüber früheren Teilbänden weist es mehrere Besonderheiten auf. Eine dieser Besonderheiten ist, dass es von einem Team von nicht weniger als 15 Autoren, allesamt tschechischer Nationalität, erarbeitet wurde, was von einem Aufblühen der klassischen und patristischen Studien in dem postkommunistischen Land zeugt. Bemerkenswert ist ferner, dass der biblische Teil, wie es einleitend (4) heißt, »in Zusammenarbeit mit der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Karls-Universität Prag« entstand; die Erarbeitung des Restes ist über mehr als ein Jahrzehnt durch ein Forschungszentrum im Verantwortungsbereich der Katholisch-Theologischen Fakultät in Olomouc/Olmütz unterstützt worden.
Dass dies Faszikel trotzdem an Geschlossenheit anderen Teilbänden kaum nachsteht, wird als eine begrüßenswerte organisatorische Leistung dem Herausgebertrio zugeschrieben werden dürfen, in erster Linie wohl L. Karfíková. Diese, nach einem Postgraduate-Studium der katholischen Theologie in Eichstätt dortselbst zum Dr. theol. promoviert und nach Forschungsaufenthalten in Genf und London in Olomouc habilitiert, ist seit 2001 als Professorin für mittelalterliche Philosophie an der Philosophischen Fakul tät, seit 2005 gleichzeitig als Professorin für Philosophie an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Prager Universität tätig. Darüber hinaus ist sie in der internationalen, vor allem patristischen und philosophiehistorischen Forschung bestens vernetzt, wie zahlreiche Mitgliedschaften in internationalen wissenschaftlichen Gesellschaften, nicht zuletzt ihre Wahl zur Vizepräsidentin in das Exektivkomitee der Association Internationale d’Études Patris-tiques (2015) belegen.
Monographien zu Gregor von Nyssa und Augustin und zahlreiche Aufsätze (außer in ihrer Muttersprache auch in Deutsch, Englisch und Französisch) zur Gnadenlehre griechischer und lateinischer Kirchenväter sowie zu verwandten Themen haben Karfíková für ihre Rolle als spiritus rector bei dem hier zu würdigenden Großprojekt besonders qualifiziert, zu dem sie auch als Autorin einen Löwenanteil (fünf von insgesamt 26 Einzelbeiträgen) beigesteuert hat.
Das Buch ist so aufgebaut, dass in einem ersten Kapitel (23–88) alle in Frage kommenden Texte aus dem Alten Testament, der deuterokanonischen und intertestamentarischen Literatur und, in einem ersten Exkurs, dem spätantiken Judentum (Qumran und rabbinische Literatur) besprochen werden; Kapitel 2 (89–188) behandelt »Gnade in den neutestamentlichen Theologien« (allen) »und bei den apostolischen Vätern« (in Auswahl; ausgewählt wurden Clemens Romanus und Ignatius); Kapitel 3 (189–315) bespricht, ehe von den christlichen »Gnadenvorstellungen in Begegnung mit dem Hellenismus« (von den Valentinianern bis zu Origenes) die Rede ist, in einem zweiten Exkurs die »griechisch(-philosophi-sch)en Voraussetzungen« derselben (bis zu Philo Alexandrinus und dem von diesem repräsentierten Prozess »der philosophischen zur biblischen Angleichung an Gott«); Kapitel 4 und 5, die, ihrer Wichtigkeit in dogmengeschichtlicher Hinsicht entsprechend, mehr als die Hälfte des Gesamtumfangs ausmachen (317–683), behandeln – in Beschränkung wiederum auf Schwerpunkte der Entwicklung und deren Hauptrepräsentanten – die Gnadenvorstellungen des Morgen- und Abendlandes (vom frühen Mönchtum, greifbar in den Briefen des Antonius Eremita, angefangen bis zum Schrifttum des Johannes Eriugena).
Die schiere Übersicht über Inhalt und Aufbau lässt bereits bestimmte Tendenzen erkennen und Lehren ziehen: 1. ist das Faszikel offensichtlich ganz auf Konsens ausgerichtet, darauf bedacht, das Thema des Ganzen, die »Gnadenlehre«, dem Streit der Konfessionen und Disziplinen zu entziehen; darum die Kooperation mit den biblischen Exegeten von der Prager Evangelisch-Theologischen Fakultät, ferner die Inanspruchnahme von philosophie-historischem und philologischem Sachverstand von außerhalb der beiden hauptbeteiligten akademischen Institutionen (s. o.). Dies Vorhaben wird 2. dadurch erleichtert, dass ein eher historischer Zugang gewählt wurde (ähnlich dem des RAC in seinem Art. »Gnade«, Bd. 11, 1981, 313–446), als es ursprünglich für das katholische HDG vorgesehen war (vgl. das Vorwort von M. Schmaus zum erst-erschienenen Faszikel »Buße und Letzte Ölung«, verfasst von B. Poschmann [IV/ 3,], 1951, IX). 3. ist dementsprechend, wie gesehen, auch das spätantike Judentum und die griechische Philosophie (bis zu Philon von Alexandrien) in die Darstellung einbezogen worden; dass es in Form von Exkursen geschah, hatte inhaltlich keine Konsequenzen, sondern erweist sich eher als Formalie. Dem primär historischen Zugriff entspricht es 4., dass, wie ebenfalls bereits erwähnt, die christliche Gnosis (wenigstens) in Gestalt des Valentinianismus theologisch ernstgenommen und einer eigenständigen Darstellung (als »Versuch einer Christianisierung des spätantiken Erbes«) gewürdigt worden ist (§ 8, 230–246; gefolgt von § 9, 247–265; verfasst sind beide Paragraphen vom selben Autor [M. Havrda von der Akademie der Wissenschaften der Republik Tschechien]). Darum überrascht es auch nicht, dass im selben Geist auch beispielsweise Pelagius (§ 19,5 [510–535]) und Julian von Aeclanum (§ 21,1 [605–622]) ausführlich, in ihrem eigenen Wollen, und nicht bloß so dargestellt werden, wie sie ihre Kontrahenten wahrnahmen, was wirkungsgeschichtlich natürlich ebenfalls von erheblichem Interesse ist. Dass sich die Verantwortlichen dazu entschieden, in den Kapiteln 3–5 die Gnadenauffassungen des christlichen Orients und Okzidents annähernd gleichgewichtig zur Geltung zu bringen, ist wohl ebenfalls dem Vorwalten geschichtlichen Denkens zuzuschreiben. Es trägt dem Tatbestand Rechnung, dass es in der (von der Patristik zu bearbeitenden) »Väterzeit« zu keiner dogmatischen Fixierung der Gnadenlehre gekommen ist. Also verbietet es sich auch, geschichtlich betrachtet, die Lehrentwicklungen (weiterhin) in Kategorien zu beschreiben, wie sie sich nur noch einer bestimmten Tradition, dem abendländischen Denken im Ringen um die Gnadenlehre Augustins, nahegelegt haben. Dass es auf einen Ausgleich ankomme zwischen »Ost« und »West« – letzten Endes zwischen Origenes und Augustin –, eine »Balance zwischen Gnade und Freiheit«, wird in dem Band verschiedentlich nicht nur an-, sondern auch klipp und klar ausgesprochen; in den exegetischen Beiträgen ist dieser Einsicht bereits der Weg gebahnt.
Zum Schluss sei noch angemerkt, dass die Entscheidung, sich in diesen Hauptkapiteln stärker an Schwerpunkten der Entwicklung und leading figures zu orientieren, gegen ein Bestreben nach en-zyklopädischer Vollständigkeit, sich als einzig zielführend erwiesen haben dürfte. Wer sich in die einzelnen Beiträge, nicht nur die von Frau Karfíková, vertieft, wird feststellen, dass Schwierigkeiten nicht abgeleugnet, sondern klar benannt und Forschungsdiskussionen fair wiedergegeben werden. – Was kann man mehr verlangen?