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Ausgabe:

Mai/2019

Spalte:

486–489

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Hennecke, Susanne [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Karl Barth und die Religion(en). Erkundungen in den Weltreligionen und der Ökumene.

Verlag:

Göttingen: V & R Unipress 2018. 419 S. = Kirche – Konfession – Religion, 74. Geb. EUR 55,00. ISBN 978-3-8471-0899-3.

Rezensent:

André Ritter

Der Schweizer Theologe Karl Barth (1886–1968), dessen »Römerbrief« (1919) in diesem Jahr einmal mehr als Aufbruch der sogenannten Dialektischen Theologie gewürdigt wird, gilt nicht zu­letzt seiner kritischen Religionstheorie wegen als Vertreter einer dialogunfähigen Theologie, die das Gespräch mit der zeitgenössischen Moderne behindere. Nichtsdestotrotz gibt es gerade aus Sicht verschiedener christlicher Konfessionen sowie unterschiedlicher nicht-christlicher Religionen ein starkes Interesse an Barths Theologie.
Der Diskussionsband »Karl Barth und die Religion(en)« bietet im Anschluss an die im September 2015 vorausgegangene internationale wissenschaftliche Tagung an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Bonn nun eine Grundlagenreflexion, bei der Barths kritische Religionstheorie mit Blick auf den zeitgenössischen Religionspluralismus reflektiert wird. Darüber hinaus stellen Vertreter von fünf führenden religiösen Traditionen sowohl Barths Rezeption der betreffenden Religion als auch ihre eigene Wahrnehmung seiner Theologie vor. Der Band schließt mit einer Untersuchung zur Bedeutung von Barths Religionstheorie und -kritik für den ökumenischen Dialog.
Der Sachverhalt ist durchaus komplex: Wenn Barth auf andere Religionen zu sprechen kommt, dann – so bereits Wolf Krötke (ZThK 104 [2007], 320 f.) – »im Windschatten seiner Konzentration auf Religion«, die wiederum durch die Offenbarung Gottes aufgehoben wird (§ 17, in: KD I/2, Zürich 1940, 304–397). Doch darüber hinaus sieht beispielsweise Wolfgang Huber in der sogenannten »Lichterlehre« (§ 69.2, in: KD IV/3, Zürich 1959, 40–188) eine Grundlegung für den Dialog der Religionen:
»Karl Barth, der große Theologe, hat daraus an einer späten Stelle seines Werks die Folgerung gezogen: Ich kann nicht ausschließen, dass Gott auch andere Religionen dazu benutzt, um das Licht seiner Versöhnung leuchten zu lassen. In dem Maß, in dem ich das bemerke, kann ich nur Gott die Ehre und insoweit den anderen Religionen Recht geben.« (Kolumne »Gott die Ehre geben« in: zeitzeichen 2/2008, 17)
Bemerkenswert ist nun, dass der vorliegende Tagungsband mit der Frage nach Religion und Religionen in der Theologie Barths eher auf die Prolegomena der »Kirchlichen Dogmatik«, weniger auf deren Versöhnungslehre Bezug nimmt. »Religion als Unglaube« bzw. »wahre Religion« werden zwar mit Blick auf den erwähnten § 17 in KD I/2 kritisch gewürdigt, während Dietrich Korsch zufolge sich die Frage nach Glaube und Wahrheit gerade im Anschluss an KD IV/1-3 und damit im Rahmen der »Christologie als kritische[r] Religionstheorie« stellt und zu fundamentalen (und eben auch selbstkritischen) Unterscheidungen nötigt:
»Eine christologisch begründete Religionstheorie, die sich selbst in der Geschichte der Rationalisierung des christlichen Glaubens sehen muß, ist gerade darin eine auch religionswissenschaftliche Option, daß sie auf das je eigene Verstehen in den unaufhebbar verschiedenen Religionen setzt.« (47 f.)
Doch ist das Verständnis von Religion und Religionen und damit auch das Verhältnis von Theologie und Religionswissenschaft zureichend bestimmt? Für Barth bleibt seine theologiegeschichtliche Auseinandersetzung mit Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher erkenntnisleitend, doch reicht diese theologische Frontstellung aus heutiger Sicht aus, um damit zugleich eine kritische Abgrenzung gegenüber jedweder Religion sachgemäß begründen zu können? Mit Susanne Hennecke geht es damit zugleich um »die Frage, ob und gegebenenfalls wie man Karl Barths kritischen Religionsbegriff auch konstruktiv auf das Thema des religiösen und konfessionellen Pluralismus beziehen könne« (10). Schon Wolf Krötke hat 2007 darauf hingewiesen, dass die theologische Intention der Barthschen Religionskritik nicht grundsätzlich den Dialog mit anderen Religionen verwerfe, sondern »ein nicht unbeträchtliches Potential in sich [berge], auch und gerade den Religionen der Welt in großer Aufgeschlossenheit für das zu begegnen, was sich ihnen als Wahrheit Gottes erschlossen hat« (Krötke, 324).
Dementsprechend hält Reinhold Bernhardt fest, dass Barth »Religionskritik nicht als Kritik des christlichen Glaubens an nichtchristlichen Religionen, sondern als Kritik an aller Religion, einschließlich und sogar vorzugsweise der christlichen« betreibt (99), darin Michael Weinrich ausdrücklich zustimmend:
»Eine Theologie der Religionen ist essenziell auf dieses von der theologischen Religionskritik geforderte Selbstunterscheidungsvermögen zwischen dem unverfügbaren Grund und der historisch verantwortenden und als solcher prinzipiell unvollkommenen und somit stets verbesserungsbedürftigen Gestalt angewiesen.« (100; als Zitat von Weinrich, Theologische Religionskritik als Brücke zu einer Theologie der Religionen, in: ZDT 19 [2003], 25–44)
Unter Voraussetzung der eigenen Standortgebundenheit sowie der Anerkennung des religiösen Pluralismus werde es – gleichsam mit Barth über Barth hinaus – gar möglich sein, »daneben andere Glaubensperspektiven zuzulassen und in ihrem eigenen Wahrheitsanspruch ernst zu nehmen« (101).
Demgegenüber erörtert Folkart Wittekind in seinem Beitrag insbesondere die Frage, welche Bedeutung eine bestimmte inhaltliche Setzung für die Wahrheit einer Religion überhaupt haben könne, und schlägt vor, »Barths Berufung auf Jesus Christus [zu] lesen als Hinweis auf die Struktur des hermeneutischen Akts, den der Mensch an religiösen Inhalten vollzieht und in welchem sowohl das reli-giöse Subjekt als auch die religiöse Geltung der Inhalte erst hergestellt wird« (107). Verstehe man Barths Christologie nunmehr als »Ausdruck der Reflexivität des religiösen Sprachspiels im christlichen Kontext«, dann gehe es »gar nicht um die Überlegenheit des Christentums gegenüber anderen Religionen, sondern um die in-­terne Reflexionsfähigkeit« (113). Damit unterscheide sich die Verwendung der christologischen Reflexionsfigur von abstraktem Be­gründungsdenken: »Angesichts der Pluralität der Religionen rege sie nicht nur zu einer Partikularisierung universalistischer Konzeptionen, sondern auch zu einer Pluralisierung der inhaltlichen Bindung an den Namen Jesus Christus an.« (Hennecke, 16)
Doch vielleicht geht ja auch die zugespitzte Frage nach einer »Theologie der Religionen« an der von Barth her gestellten theologischen Problemanzeige vorbei? Jedenfalls versucht der Beitrag von Ruggero Vimercati Sanseverino einen anderen Weg des kritischen Dialogs mit Barth aus islamischer Sicht einzuschlagen, denn
»die eigentliche Aufgabe der Theologie, das Reden von Gott, verschwimmt in der Beschäftigung des Menschen mit sich selbst und den Problemen seiner Zeit. Karl Barths Kritik an der liberalen Theologie, die Offenbarung dem Menschen verfügbar machen zu wollen, indem die Offenbarung vom Menschen her gedacht wird, anstatt die Offenbarung von sich selbst her zu denken, ist […] eine Kritik, die vom zeitgenössischen islamischen Denken aufgenommen werden sollte.« (175)
Dabei handelt es sich keineswegs nur um hermeneutische Fragen christlicher bzw. islamischer Theologie, sondern darüber hinaus auch und entscheidend um die alles Glauben und Verstehen betreffende Unverfügbarkeit der Offenbarung Gottes in der einen wie der anderen Religion. In diesem für Christen wie für Muslime präzisierten Sinne vermag »das Wort Gottes als Aufgabe der Theologie« dann auch in pragmatischer Hinsicht gegenwärtige Krisen zu bewältigen und einen Neuanfang zu ermöglichen: »Unsere Be­drängnis ist unsere Verheissung.« (Barth, zit. 185)
Anders als im islamisch-christlichen Dialog steht es um die Rezeption in und von der Theologie Barths wiederum in buddhis-tisch-christlichen Begegnungen, wie in den Beiträgen von Michael Pye einerseits und Yoshiki Terazono andererseits deutlich wird. Denn nicht nur die jeweils verwendete unterschiedliche Begrifflichkeit, sondern vor allem auch verschiedene Erfahrungs- und Vorstellungswelten erschweren eine wechselseitige theologische bzw. philosophische Bezugnahme. Hinzu kommt eine bis heute leider nur unzureichende Erforschung der Wahrnehmung des Buddhismus in der dialektischen Theologie Barths.
»Der religionswissenschaftlich feststellbare Unterschied zwischen Chris-tentum und Buddhismus beziehe sich schließlich auch nicht so sehr auf die Alternative zweier Namen (Jesus Christus versus Amida-Buddha), wie Barth behaupte, sondern sei inhaltlicher Natur: Handele es sich nämlich beim Amida-Buddha nachweislich um eine mythologische Konstruktion, werde der Name Jesus Christus mit einer konkreten historischen Gestalt verbunden.« (Hennecke einleitend, 18)
Schließlich ist auch der Hinweis von Michael Weinrich zielführend, dass Barths Theologie (wie selbstverständlich auch alle nachfolgenden Entwürfe und Konzepte) stets im zeitgeschichtlichen Kontext zu verstehen ist. »Während sich Barth im Horizont der sich ausbreitenden Säkularisierung des neuzeitlichen Menschen orientierte, bewegt uns als Kontext heute vor allem die Frage nach einem qualifizierten Umgang mit der fortschreitenden Pluralisierung und der damit verbundenen Fragmentarisierung der Gesellschaft.« (223) Religionskritik aus heutiger Perspektive sollte den damaligen Kontext der Fragestellung der sogenannten Dialektischen Theologie nicht außer Acht lassen, die seit 1919 wesentlich von der Auseinandersetzung mit dem Kulturprotestantismus des 19. Jh.s und seit 1934 maßgeblich vom Kirchenkampf gegen die Ideologie des Nationalsozialismus und der Deutschen Christen bestimmt war. »Die andauernde Wiederholung all der gerade auf den Feldern der Ökumene oder Religionen bekannten Fehleinschätzungen Barths greift zu kurz – auch wenn sie als solche nicht zu bestreiten und deshalb auch nicht zu leugnen sind.« (226) Umso mehr gilt mit Barth die Einsicht: »Der religiöse Mensch wird nicht durch seine Religion, sondern von Gott gerechtfertigt, so dass er auch um die Rechtfertigungsbedürftigkeit seiner Religion weiß. In diesem Ho­ rizont liegt eine grosse Verheissung auf dem dringend erforder-lichen Dialog der Religionen.« (238)
Dass es über die erwähnten Einzelbeiträge hinaus weitere le­senswerte gibt, nicht zuletzt auch im Vergleich einer jeweils unterschiedlichen Situation der Barthrezeption in Deutschland und den Niederlanden, verdient an dieser Stelle eigens vermerkt zu werden. Alles in allem eine längst nicht abgeschlossene Diskussion über Karl Barth und die Religion(en). Dank der Mehrstimmigkeit und Verschiedenheit von Perspektiven und Positionen lohnt die Lektüre in jedem Fall und lädt zum kritischen Lesen wie auch zum eigenen Nachdenken ein.