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Ausgabe:

Mai/2019

Spalte:

480–481

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Hasselhorn, Benjamin

Titel/Untertitel:

Königstod. 1918 und das Ende der Monarchie in Deutschland.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2018. 190 S. Geb. EUR 22,00. ISBN 978-3-374-05730-6.

Rezensent:

Konrad Hammann

In einem kleinen Kapitel dieses Buches vergegenwärtigt Benjamin Hasselhorn im Schnelldurchgang die Krise des evangelischen Chris-tentums in Deutschland, wie sie im Zuge des Ersten Weltkriegs offenbar wurde, und theologische Anstrengungen zur Überwindung dieser Krise, wie sie mit den Namen von Karl Barth, Karl Holl und Rudolf Otto verbunden waren. An der dann von Otto Dibelius in seinem Bestseller »Das Jahrhundert der Kirche« vertretenen Auffassung, die Kirche übe das sittliche Wächteramt in der Gesellschaft aus, habe sich die evangelische Kirche in Deutschland bis in die 1960er Jahre hinein orientiert, schreibt H., um nach der Konstatierung des um 1968 einsetzenden Traditionsabbruches zu fragen: »Was hat das alles noch mit der Monarchie zu tun?« (138) Seine vorläufige Antwort läuft darauf hinaus, »das ganze religiöse Chaos, das durch den Einflussverlust des Christentums in Europa« entstanden sei, habe zu einer Schwächung der Monarchie als einer mit dem Christentum wesentlich verbundenen Institution geführt (ebd.).
Die Frage, was »das alles noch mit der Monarchie zu tun« habe, kann man allerdings auch an das ganze Buch richten, in dem H. letztlich weniger eine bestimmte historische Problemstellung bearbeitet als vielmehr in essayistischer Form auf die Notwendigkeit hinweist, dass eine politische Ordnung – auch das demokratische Gemeinwesen der westlichen Zivilisation – der Legitimation durch eine in der Geschichte wurzelnde Tradition bedürfe. In diesem Kontext bemüht er das berühmte Diktum Ernst-Wolfgang von Böckenfördes, der »freiheitliche, säkularisierte Staat« lebe »von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren« könne (163), um den politischen Wert von »Tradition und Repräsentation« zu unterstreichen. Allerdings will H. seine Forderung nach einer gesellschaftlichen Verständigung über die Bedeutung des eigenen historisch-kulturellen Erbes und dessen identitätsstiftender Kraft nicht als ein »Plädoyer für eine Wiederherstellung der Monarchie in Deutschland« verstanden wissen. Freilich lässt er dabei offen, welche Tradition, welches Ritual, welche religiös fundierte Kultur die Identität und Zukunftsfähigkeit des gegenwärtigen pluralistischen Gemeinwesens mit seinen sehr unterschiedlichen, wenn nicht gar gegensätzlichen Leitvorstellungen und Lebensentwürfen sicherstellen oder wenigstens befördern soll.
Was er vor diesem Schlussabschnitt über den Wert der eigenen Geschichte und der eigenen Kultur in sechs historisch angelegten Kapiteln entfaltet, will H. als Korrektur gängiger Bilder von der deutschen Monarchie und deren Ende 1918 verstanden wissen. Dabei greift er wiederholt en passant auf seine grundlegende, 2012 veröffentlichte Berliner theologische Dissertation über die politische Theologie Kaiser Wilhelms II. zurück. Hätte die Monarchie in Deutschland fortexistiert – so fragt H. in einem Gedankenspiel –, wenn Wilhelm II. 1918 an der Front den »Königstod« gestorben wäre und sein Leben als Sühneopfer zum Erhalt des Königtums – und zur Stabilisierung der alsbald etablierten Demokratie – dahingegeben hätte? Ging mit der Monarchie auch die ihr inhärente »Verbindung von Tradition und Charisma« (58) unter? H. vertritt die Auffassung, durch die Beibehaltung der Monarchie hätte man in Deutschland Tradition und Moderne konstruktiv miteinander verbinden können. Zu Recht bezieht er Stellung gegen die unter dem Einfluss des Friedensvertrages von Versailles entstandene Meinung, 1918 habe die Demokratie einen historischen Sieg über die Monarchie erzwungen. Auch votiert er – wie Christopher Clarke – dafür, die Schuld an der Katastrophe des Ersten Weltkriegs nicht allein der deutschen Politik und schon gar nicht hauptsächlich Wilhelm II. zuzuschreiben. Das deutsche Kaiserreich sei überhaupt 1914 ein geradezu modernes Land mit einer hohen Kultur und vergleichsweise fortschrittlichen sozialen Errungenschaften gewesen – hier dürfte H. freilich den innenpolitischen Reformstau, der für das Kaiserreich in seinem Endstadium kennzeichnend war, ebenso wie die problematische Militarisierung der deutschen Gesellschaft nicht genügend in Rechnung gestellt haben.
Alles in allem hat H. eine engagiert geschriebene wertkonservative Studie vorgelegt, die dazu einlädt, auf das deutsche Kaiserreich zwischen 1871 und 1918 einen unverstellten Blick zu werfen, die aber nicht recht anzugeben vermag, in welcher Tradition, in welcher »Leitkultur« die heutige, freiheitlich-demokratische Gesellschaft ihre Identität finden könnte.