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Ausgabe: | Mai/2019 |
Spalte: | 446–447 |
Kategorie: | Judaistik |
Autor/Hrsg.: | Crawford, Sidnie White, and Cecilia Wassén [Eds.] |
Titel/Untertitel: | Apocalyptic Thinking in Early Judaism. Engaging with John Collins’ The Apocalyptic Imagination. |
Verlag: | Leiden u. a.: Brill 2018. 226 S. = Supplements to the Journal for the Study of Judaism, 182. Geb. EUR 105,00. ISBN 978-90-04-35837-9. |
Rezensent: | Stefan Beyerle |
Anlass für diesen auf ein Symposium während des Kongresses des International Meeting der »Society of Biblical Literature« 2014 in Wien zurückgehenden Sammelband war das 30-jährige Jubiläum des Erscheinens der Erstauflage von John Collins’ Buch The Apocalyptic Imagination (1984). Ohne Zweifel gehört diese Einführung in die antik-jüdische (und christliche) Apokalyptik zu den einflussreichsten Büchern der Zunft überhaupt. Im Jahre 2016 ist sie, inzwischen erheblich erweitert, in dritter Auflage erschienen. Der Sammelband diskutiert nicht nur, aber auch, die Tragweite der Thesen von John Collins und wird durch die knappen Reaktionen des Autors von The Apocalyptic Imagination sowie einen Beitrag von Adela Yarbro Collins, die in vielen maßgeblichen Veröffentlichungen die frühchristliche Apokalyptik im Blick hat, abgeschlossen. Die beiden Herausgeberinnen leiten den Band mit einer ebenso knappen wie instruktiven Zusammenfassung ein. Insgesamt überwiegt deutlich die Diskussion um apokalyptische Vorstellungen in den hebräischen und aramäischen Zeugnissen aus den Schriftrollen vom Toten Meer, und nicht alle Aufsätze stellen sich den Thesen aus Collins’ Buch.
Einen Aspekt, den The Apocalyptic Imagination nur streift, diskutiert breit der Beitrag von Cecilia Wassén: Mit Hilfe einschlägi-ger Belege aus der gruppenspezifischen Literatur, den Pescharim, 4QMMT, dem Cairo Damascus-Dokument oder 1QS, fragt Wassén nach den apokalyptischen Motivationen der qumranischen Pries-ter-, Kult- und Tempelkritik. Die Intention des Aufsatzes besteht darin zu zeigen, dass frühe Abschnitte der gruppenspezifischen Texte, die eher zurückhaltende Auseinandersetzungen um Kult und Heiligtümer bezeugen (vor allem 4QMMT), in eine polemische Abkehr vom Tempel in den Ermahnungen der D-Literatur und den Pescharim münden. Dies passe zur Kultkritik in apokalyptischen Texten wie dem Danielbuch, der Tierapokalypse, Jubiläenbuch oder dem Jeremia-Apokryphon. Jene Apokalypsen und die Ereignisse um Antiochus IV. seien also ausschlaggebend gewesen für die Verschärfung und (moralische) Zuspitzung der Priester- und Kultkritik in den späteren Überlieferungen vom Toten Meer.
Daniel Machiela und Andrew Perrin analysieren aramäische Texte unter den Handschriften vom Toten Meer, die dezidiert keinen gruppenspezifischen Hintergrund ausweisen und teilweise (etwa einige Henoch- und Daniel-Fragmente) erheblich älter sind als die Etablierung der Gruppe(n) am Toten Meer zu Beginn des 1. Jh.s v. Chr. Machielas Beitrag diskutiert zwar durchaus interessante Argumente für das Aramäische als Soziolekt der spätpersischen und frühhellenistischen Zeit. Die Themenstellung bietet jedoch nur eine sehr lose Anknüpfung an die Thesen von Collins. Demgegenüber thematisiert Perrin immerhin die apokalyptischen Inhalte der aramäischen Texte vom Toten Meer, und seine tabellarischen Listen könnten als hilfreiche Ergänzung zu den bekannten Tabellen aus The Apocalyptic Imagination dienen. Statistisch verweist Perrin darauf, dass rund zehn der zwanzig noch entzifferbaren aramäischen Texte vom Toten Meer, die zugleich Apokalyptisches beinhalten, eine Traumoffenbarung bieten. Ausgehend von den jüngeren Prophetentexten (vgl. Sach 1–6) entwickle sich aus den Traumoffenbarungen die Gattung der Apokalypse. Ob man mit dieser Taxonomie ausgerechnet und ausschließlich aramäische Subgattungen von Apokalypsen hinreichend beschreiben kann, ist allerdings zweifelhaft (siehe die Kritik von Collins im Band).
Ida Fröhlich fragt nach dem Verhältnis von Gen 1–11 zur Wächterepisode in äthHen 6–11 im Kontext einer Ätiologie des »Bösen«. Sie geht davon aus, dass es eine selbständige Schemihaza-Erzählung aus dem 3. Jh. v. Chr. gab, die die verunreinigende sexuelle Beziehung der himmlischen Göttersöhne oder Wächter mit den Menschentöchtern als »jenseitige« Erklärung des Bösen nachträglich durch die »diesseitige« Ätiologie der Asael-Episode (illegitime Offenbarung von Geheimwissen) korrigiert sieht. Die nach-exilisch zu datierende, »jahwistische« Urgeschichte in Gen 1–11 knüpft an jene vom Menschen ausgehende Ätiologie des Bösen an und setzt so die Wächter-Episode in äthHen voraus. Dabei geht Fröhlich sowohl von einer monistischen Anthropologie als auch einem mesopotamischen Hintergrund in der Wächter- und der Urgeschichte aus, wobei beide Annahmen von James Barr (Anthropologie), George Nickelsburg (äthHen) oder Jan Gertz (zu Gen 1) auch vehement bestritten werden.
Dezidiert Themen und zentrale Aspekte aus John Collins’ Buch greifen die Beiträge von Bennie Reynolds, Matthew Goff, Loren Stu-ckenbruck und Eyal Regev auf. Die Beiträge reichen von einem – durchaus bedeutenden – Detail zur Identität des »Bockes« als endzeitliche Rettergestalt – nicht Judas Makkabäus – in äthHen 90,10–13 (Regev), der Frage nach der Funktion der Dämonen in der Apokalyptik (Reynolds) über die Konzeptualisierung unterschiedlicher Eschatologien in äthHen (Stuckenbruck), was Yarbro Collins für das Neue Testament aufnimmt, bis hin zu Fragen synchronischer »Apokalypse«-Definition und ihrem Verhältnis zur diachronischen Geschichte der apokalyptischen Weltsicht (Goff; vgl. die Kritik bei Collins). Vor allem die zuletzt genannten Beiträge bringen die Apokalyptik-Diskussion substantiell voran. Ein Register antiker Stellen beschließt einen Sammelband, der nicht immer hält, was der Untertitel verspricht.