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Ausgabe:

April/2019

Spalte:

376–377

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Kaya, Teresa A. K.

Titel/Untertitel:

Diakonie auf amerikanisch. Geschichte und Profil des lutherischen »social ministry« in den USA.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2018. 280 S. = Veröffentlichungen des Diakoniewissenschaftlichen Instituts an der Universität Heidelberg, 58. Kart. EUR 48,00. ISBN 978-3-374-05420-6.

Rezensent:

Sabrina Hoppe

Die Diakoniewissenschaftlerin Teresa A. Kaya schließt mit ihrer his­torisch angelegten Untersuchung eine Lücke in der Forschungsliteratur zur amerikanischen Interpretation des christlich motivierten Hilfehandelns in Gestalt des lutherischen social minis-try. Ausgehend von der These, dass sich die Lutheran Services in America (LSA) ihr lutherisches Profil durch unterschiedliche organisatorische Vernetzungen und Wandlungen hindurch bewahren konnten, beleuchtet sie die Geschichte der lutherischen Diakonie unter Berücksichtigung ihrer Motive und Visionen im Spannungsfeld von Gesellschaftsgestaltung und Wertbewusstsein. Die LSA stellen laut K. das Pendant zur Diakonie in Deutschland dar und gelten als »wichtigster Wohlfahrtsdienstleister« und »Repräsentant des vielfältigen social Ministry« in den USA (151).
K. betont einleitend, dass ihre Arbeit einen historisch-de­skrip-tiven Charakter tragen sollte, und verzichtet dementsprechend auch auf eine analytische weiterführende Fragestellung. Methodisch arbeitet K. auf der Basis von Interviews, die sie während ihres Forschungsaufenthaltes in den USA führen konnte. Sie verzichtet darüber hinaus auf die Recherche von Archivmaterialien und greift auf Fachliteratur sowie Selbstauskünfte der betreffenden Organisationen zurück. Der Überblick zur Forschungsliteratur, den K. im ersten Teil ihrer Untersuchung bietet, ist für an der Geschichte der amerikanischen Diakonie interessierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aufschlussreich, erschweren kulturell geprägte begriffliche Unterschiede doch die Recherchen zum Thema Diakonie in den USA.
Im ersten Teil ihrer Arbeit geht K. einleitend auf die Rolle der faith-based organizations in den USA ein und verflicht diese Erläuterungen mit grundsätzlichen Erkenntnissen der Organisationssoziologie. An dieser Stelle wäre eine Erwähnung des Begriffs der civil religion und seiner Implikationen weiterführend gewesen. Eine theologische Auseinandersetzung damit hätte die historische Darstellung hier wie in weiteren Kapiteln der Arbeit bereichert und in einen weiteren Kontext eingeordnet. Ansonsten ist die Einordnung der diakonischen Dienste in das US-amerikanische Gefüge von religiöser und säkularer Zivilgesellschaft jedoch fundamental für das Verständnis der LSA und wurde von K. zu Recht an den Anfang ihrer Untersuchung gestellt.
Im zweiten Teil beschreibt K. die Entwicklung des lutherischen social ministry vom 17. bis zum 21. Jh. detailliert und kenntnisreich. Dabei beleuchtet sie insbesondere den Zusammenhang zwischen Identitätsfindung und Organisationsgrad sowie die unterschiedlichen Prägungen der beiden Akteure Evangelikal Lutheran Church in America und der Missouri Synod der Lutheran Church. Gerade im Hinblick auf die Missouri Synod weckt sie dabei das Interesse an den Vernetzungen der lutherischen Sozialdienste nach Deutschland, war doch gerade die Missouri Synod ein enger Partner für das Evangelische Hilfswerk in der Phase des Wiederaufbaus kirchlicher Strukturen in Deutschland nach 1945. K. konzentriert sich stattdessen ganz auf die Entwicklungen in den USA, wodurch eine lückenlose Beschreibung der zunehmenden Institutionalisierung des diakonischen Handelns möglich wird. Sind es zunächst noch charismatische Führungspersönlichkeiten, die die einzelnen Hilfsdienste prägen, so bedarf es zunehmend identitätssichernder Prozesse. Im dritten Teil erweitert K. die historische Untersuchung auf den Zeitraum 1997–2012. Zusammenfassend stellt sie fest, dass die innere konfessionelle und politische Heterogenität der LSA von ihren Mitgliedern selbst konstruktiv aufgenommen und für das eigene Selbstverständnis fruchtbar gemacht wurde. Insbesondere die Vernetzung der Mitgliedsorganisationen ist dementsprechend ein großes Anliegen des aktuellen Führungspersonals der LSA. Die Zielsetzung der LSA besteht laut deren mission end policies aus dem Jahr 2008 darin, das Hilfehandeln als Antwort auf Gottes Liebe und Barmherzigkeit zu verstehen und es effektiv, professionell, zu­kunftsorientiert und dem lutherischen Profil entsprechend umzusetzen. Nach einer kurzen Ausführung zu den Zukunftsperspektiven der LSA geht K. in ihrem Fazit nochmals auf die Schärfung deren lutherischen Profils ein, das sie als Öffnung der LSA zur Gesellschaft hin beschreibt. K.s Interpretation nach wurden »exis-tierende Regeln, die das System bisher exklusiv gemacht hatten, durch allgemeingültige bzw. universelle Werte, wie beispielsweise inklusive Gemeinschaft, Fürsorge und Solidarität, ersetzt und durch eine prinzipiell der Gesamtgesellschaft aufgeschlossene Theologie ergänzt.« Hier bleibt die Frage offen, wie genau sich eine solche »aufgeschlossene Theologie« verstehen lassen könnte, bzw.: Ist die Anwendung von internen Organisationsbestimmungen, die eine stärkere Zielgruppenfokussierung bzw. Beschränkung der diakonischen Arbeit auf bestimmte Bedürftige nach sich ziehen, gleichzusetzen mit einer sogenannten »geschlossenen Theologie«? Hier wäre eine genauere Aufschlüsselung durch K. hilfreich gewesen, da Labels wie »offen« oder »universelle Werte« hier doch mehr Fragen aufwerfen als beantworten.
Insgesamt sei die Untersuchung insbesondere Wissenschaft-lerinnen und Wissenschaftlern empfohlen, die sich ausgehend von der Entwicklung der lutherischen diakonischen Dienste in den USA mit weiterführenden Fragestellungen zur Rolle religiöser Akteure auf dem Feld der Hilfsdienste beschäftigen beziehungsweise aktuelle Herausforderungen diakonischer Dienste in den USA in einen größeren historischen Zusammenhang einordnen wollen.