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Ausgabe:

April/2019

Spalte:

299–301

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Grüter, Verena

Titel/Untertitel:

Klang – Raum – Religion. Ästhetische Dimensionen interreligiöser Begegnung am Beispiel des Festivals Musica Sacra International.

Verlag:

Zürich: Theologischer Verlag Zürich 2017. 456 S. = Beiträge zu einer Theologie der Religionen, 13. Kart. EUR 65,00. ISBN 978-3-290-17914-4.

Rezensent:

Dorothea Haspelmath-Finatti

Es gehört Mut dazu, die Theologie zu Gesprächen mit so vielen anderen Forschungsfeldern herauszufordern, wie es Verena Grüter mit ihrem Habilitationsprojekt an der Augustana-Hochschule Neuendettelsau getan hat. Es geht ihr dabei um nichts weniger als darum, die Chancen auszuloten, die sich durch festliche interreligiöse Begegnungen für den Frieden und das Verständnis zwischen den Angehörigen verschiedener Religionen eröffnen. G. hat ein bemerkenswertes, wichtiges und hochaktuelles Buch geschrieben.
Als im interkulturellen Dialog erfahrene Theologin und Mu-sikwissenschaftlerin untersucht G. musikalische, architektonische und aufführungsästhetische Aspekte interreligiöser Begegnungen. Es besteht hier durchaus das Risiko, ein schier grenzenloses Thema zu eröffnen. Schon der Titel des Buches macht aber deutlich, dass dieses Forschungsprojekt eine global relevante Frage durch den Blick auf genau eine Erscheinungsform interreligiöser Begegnungen konzentriert, das Festival Musica Sacra International, das alle zwei Jahre in Marktoberndorf im Allgäu stattfindet. Diese Eingrenzung ist nicht nur ein geschickter Kunstgriff. Phänomenologisch betrachtet gilt, dass Menschen immer nur einer bestimmten Ausprägung einer Religion begegnen können und niemals einer Religion in ihrer Gesamtheit.
Bei ihrem Forschungsprojekt ging G. von der These aus, dass das Verständnis von Musik von religiösen und kulturellen Kontexten abhängig ist und Musik deshalb nicht als eine »universelle Menschheitssprache« betrachtet werden kann (15). Darum stelle sich die grundlegende Frage, »was musikalische Performance im Zusammenhang interreligiöser Begegnungen leisten kann« (15). Das Forschungsprojekt bestand einerseits aus Interviews mit Beteiligten der beiden Festivals 2012 und 2014, sowie entsprechender Archivrecherche, und andererseits aus der theologischen Aufarbeitung der empirischen Einblicke in das Festival. Die Interviews lassen sich in der Augustana-Hochschule einsehen.
Für ihre Untersuchung der interreligiösen musikalischen Be­gegnungen im Rahmen des Festivals und die Analyse ihrer empirischen Forschungen verwendet G. empirisch-phänomenologische Methoden. Sie bezieht sich dabei auf ausgewählte Referenzliteratur und verzichtet auf eine breite Diskussion verschiedener Konzepte. Bei der Vielzahl der betroffenen Wissensgebiete erscheint diese Be­schränkung aber doch als angemessen. So bezieht sie sich auf den auch für religiöse Kontexte anwendbaren »hermeneutisch-lebensweltlichen Erfahrungsbegriff«, den sie bei dem Philosophen und Theologen Matthias Jung findet (118). Zur Frage der Performativität und Transformation interreligiöser Aufführungen befragt sie die Theaterwissenschaftlerin Erika Fischer-Lichte (308–317), zum Paradigma des Festes den Missionstheologen Theo Sundermeier und abschließend das ÖRK-Studiendokument »Religiöse Pluralität und christliches Selbstverständnis« von 2006 (428 f.).
Im ersten Hauptteil ihres Buches entwickelt sie ihr Forschungsdesign im Gespräch mit neuen Erkenntnissen zur »ästhetischen Wende« aus dem Bereich der Kulturwissenschaften. Im zweiten Hauptteil stellt sie das Festival vor und gibt einen Überblick über die Entwicklung der Theologie interreligiöser Dialoge seit den 1990er Jahren. Von hier aus wagt sie einen Überblick über die »Funktionen und Stile religiöser Musik im Rahmen des Festivals« (77). In diesem Abschnitt des Buches lässt sich die Entwicklung der Einstellung der verschiedenen Religionen und Konfessionen zur Musik nachlesen. Dieses Kapitel stellt wertvolles Wissen zusammen, das sich auch im Sinne eines kleinen Nachschlagewerkes lesen lässt. Hier lässt sich erfahren, wie sich im Verlauf der Ge­schichte die Bewertungen und Einstellungen zur Instrumentalmusik und zum Singen innerhalb einzelner Religionsgemeinschaften immer wieder verändert haben und alles andere als statisch geblieben sind.
Der dritte Hauptteil gibt Einblick in die Interviews, die G. mit Beteiligten aus der Festivalleitung, mit Vertretern der Religionsgemeinschaften sowie mit Musikerinnen und Musikern geführt hat, und stellt die Analysen der Interviews in den Zusammenhang der Frage, inwieweit die musikalischen Aufführungen als religiöse Er­fahrung erlebt worden sind. Hier konnte »das Erleben von Musik in den Narrativen als holistische Erfahrungen aufgezeigt werden, in der Emotion, Kognition und Handlung zusammenwirkten« (210). Besonders im Zusammenhang mit dem Singen sprachen Befragte sogar von ethischen Auswirkungen: Singen kann Liebe wecken und Feinde zu Nächsten machen (160). Dieses Erleben wird nicht unbedingt als ein religiöses beschrieben, wohl aber als Glaubenserfahrung, die aus dem Singen entspringt (162). Im gemeinsamen Singen von Menschen verschiedener Religionen wird ein Erleben von »sharing«, von gemeinsamer Teilhabe und befruchtendem Austausch, möglich, das im diskursiven Dialog zwischen religiösen Dogmensystemen noch nicht möglich erscheint (163 f.). Transformationen werden möglich.
Im Laufe der Forschungsarbeiten kam für G. ein neuer Aspekt des Themas hinzu: die Bedeutung des Raumes der Aufführung für das musikalisch-religiöse Erleben. Darum ist der vierte Hauptteil des Buches den religiösen Räumen und ihrer Bedeutung für die verschiedenen am Festival beteiligten Religionsgemeinschaften gewidmet. Denn manche Religionsgemeinschaften öffneten ihre Räume bereitwillig für die Aufführungen des Festivals, während andere, und dazu gehören auch evangelische Kirchengemeinden, ihre Räume »unter dem Vorzeichen eines ontologisch aufgeladenen Symbolverständnisses« (303) betrachten und deshalb dazu tendieren, Angehörige anderer Religionen von dem Gebrauch dieser Räume auszuschließen. Überall dort hingegen, wo eher »relationale Raumkonzepte« (306) vorliegen, und dort, wo »religiöse Räume als immer schon zuvor empfangene verstanden werden« (307), können »asymmetrische Machtansprüche« (307), wie die zwischen »Gastgebern« (428) und Gästen, überwunden und Türen geöffnet werden.
Im letzten Hauptteil des Buches geht es anhand ausgewählter Aufführungen des Festivals um die »Performativität als Eigenschaft multireligiöser musikalischer Aufführungen«, bevor G. am Schluss ihrer Untersuchung »das Fest als Modell interreligiöser Begegnung« (427) einführt und Perspektiven interreligiöser Transformationen eröffnet.
G. entwickelt ihre interreligiöse Theologie besonders im Ge­spräch mit den Religions- und Kulturwissenschaften. Könnte die systematische Theologie hier anknüpfen und das Thema der Gabe und des Empfangens sowie der Transformation, die sich aus ge­meinsamem festlichen Erleben ergeben, auf interreligiöse Fragestellungen ausweiten? G. selbst berührt im Schlussteil ihres Buches systematisch-theologische Herausforderungen, wenn sie von der »Unvorhersehbarkeit von Emergenzen«, die »transformierend auf symbolische Ordnungen« wirken (401), spricht.
G. hat der Theologie mit ihrer Untersuchung des Festivals Musica Sacra International auf mutige Weise neue Horizonte eröffnet. Die Ergebnisse ihrer Forschungen lassen keinen Zweifel daran, dass musikalische interreligiöse Begegnung das Miteinander der Menschen verschiedener Religionen befruchten und dem Frieden dienen kann. G. hat ein notwendiges Buch geschrieben.