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Ausgabe: | März/2019 |
Spalte: | 257–260 |
Kategorie: | Systematische Theologie: Dogmatik |
Autor/Hrsg.: | Härle, Wilfried |
Titel/Untertitel: | Von Christus beauftragt. Ein biblisches Plädoyer für Ordination und Priesterweihe von Frauen. |
Verlag: | Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2017. 184 S. Kart. EUR 18,00. ISBN 978-3-374-05010-9. |
Rezensent: | Martin Ebner |
Mit diesem Beitrag möchte Wilfried Härle, emeritierter Professor für Systematische Theologie, ein »biblisches Plädoyer für die Ordination und Priesterweihe von Frauen« vorlegen. Denn nach H. mangelt es gerade an diesem Fundament: »Sieht man sich die Texte an, in denen evangelische Kirchenleitungen begründen, warum sie die Frauenordination nicht nur für vertretbar, sondern geradezu für notwendig halten, findet man dafür selten eine überzeugende Begründung, die sich mit dem biblischen Befund auseinandersetzt« (5). Unmittelbarer Anlass für die Veröffentlichung waren für H. zwei denkwürdige Ereignisse: »einerseits das Dekret von Papst Franziskus vom 3. Juni 2016, den Gedenktag für Maria Magdalena in den Rang eines mit den übrigen Aposteln gleichrangigen Festes zu erheben, andererseits der Änderungsbeschluss der Lettischen Lutherischen Kirche vom 3./4. Juni 2016 durch die Grundordnung der Kirche, die bislang zugelassene Ordination von Frauen auszuschließen« (6).
In der Einleitung (11–38) informiert H. über den Stand der Dinge: seit wann in welchen christlichen Denominationen Frauenordination praktiziert bzw. noch immer verweigert wird; sodann über die hauptsächlichen Argumente gegen Frauenordination (Traditionsargument, Mannsein Jesu, nur Männer als Apostel berufen, Verweis auf 1Kor 14,33 f.) und sieht die Bevorzugung eines der typischen Lösungsansätze (Gleichstellung der Frauen in der gegenwärtigen gesellschaftlichen Situation, biblische Aussagen, Sakramentalität der Kirche, empirisches Faktum fehlender Frauenordination in den zahlenmäßig besonders großen Kirchen) im Zusammenhang mit dem jeweiligen konfessionellen Kontext, wobei er sich selbst klar in der reformatorischen Theologie lutherischer Prägung verankert (35). Überprüfen möchte H. insbesondere den biblischen Argumentationsstrang.
Zunächst untersucht H., welche Verhältnisbestimmung von Mann und Frau durch das biblische Zeugnis vorgegeben ist (39–74), sodann die biblischen Aussagen zur Rolle von Mann und Frau im Gottesdienst (75–113) und stellt die biblisch-reformatorische Lehre vom Allgemeinen Priestertum dar (115–130), bevor es im letzten Kapitel unter der Überschrift »Ordination – auch für Frauen?« um das Verhältnis zwischen dem Allgemeinen Priestertum und dem ordinierten bzw. ordinationsgebundenen Amt auch für Frauen geht (131–155). Abschließend werden die Ergebnisse unter der Leitfrage zusammengefasst: »Was können wir hinsichtlich der Frauen-ordination von wem lernen?« (157–165). Es folgen Abkürzungen, Literaturverzeichnis und Bibelstellenregister (167–182).
Von einem biblischen Plädoyer für die Frauenordination ist nichts anderes zu erwarten, als dass hier denjenigen Stellen, die immer wieder als Gegenargumente eingebracht werden, der Zahn gezogen werden soll. Das ist die Absicht des Buches, und das hat einen hohen Informationswert gerade für theologische und kirchliche Arbeitsgruppen und Gemeindekreise, für die es zuallererst geschrieben ist (37). Einige Punkte seien genannt: Wenn die Frau in Gen 2,20 als »Hilfe« (ezer) für den Mann beschrieben wird, so ist damit nicht eine »Hilfskraft« gemeint, sondern wird die starke Hilfe assoziiert, die von Gott selbst kommt bzw. die Gott selbst ist (44). Die Überordnung des Mannes über die Frau im Fluchwort Gen 3,16 ist nicht Teil von Gottes Schöpfungsordnung, sondern ein Element ihrer Störung durch die Folgen der Übertretung des göttlichen Gebots (58). Dass der Mann gemäß 1Kor 11,3–7 »Haupt« der Frau sei, ist im Sinn von »Ursprung« zu verstehen und gipfelt kontextuell – mit konkretem Rückbezug auf Gen 2,21; 3,20 in V. 12 – in der Aussage von der gegenseitigen Verwiesenheit von Mann und Frau auf einander (V. 11) (65). Trotz des klaren Bedeutungswechsels von »Haupt« im Sinn von »Autorität« und der damit explizit geforderten Unterordnung der Frau unter den Mann in Eph 5,21–33 seien die Ausführungen unter dem Obersatz der gemeinsamen Unterordnung unter die Furcht Christi (V. 21) und der reziproken Bezogenheit von Mann und Frau aufeinander zu lesen. Auf keinen Fall ist »von einem Verkündigungsverbot oder Schweigegebot für die (Ehe-)Frau« die Rede (70). Schließlich bleibt für Mann und Frau das »Sein in Christus« maßgeblich, wie es insbesondere Gal 3,27 f. expliziert. H. folgert: »Und wenn es richtig ist, dass wir alle – unabhängig von unseren natürlichen und gesellschaftlichen Unterschieden – in Christus Jesus sind und er in uns, dann ist es eine Verleugnung dieser Einsicht, wenn gesagt wird, nicht alle Christenmenschen seien wegen ihrer angeblich naturgegeben unterschiedlichen Nähe zu Gott in der Lage ›in persona Christi‹, das heißt in seinem Namen und seiner Vollmacht als seine Repräsentanten, das Evangelium zu verkündigen, die Taufe zu spenden, das Abendmahl zu leiten, Sünden zu vergeben« (73 f.). Die haarige Stelle in 1Kor 14,34 f., in der Tradition auf die Kurzformel mulier taceat in ecclesia gebracht, steht nach H. nur scheinbar in Widerspruch zu 1Kor 11,4 f., wo davon ausgegangen wird, dass Mann wie Frau gleichermaßen in der Gemeindeversammlung beten und prophetisch reden, sofern sie sich an die geschlechtertypischen Konventionen hinsichtlich der Haartracht halten. Denn H. liest das Schweigegebot (mit Kremer, Thrall, Wolff u. a.) als Reaktion auf den Lerneifer der Frauen, die durch ihre Zwischenfragen den geordneten Ablauf der Versammlung, worauf Paulus großen Wert legt (V. 40), stören (83). Einen wirklichen innerbiblischen Widerspruch sieht H. lediglich zwischen dem expliziten Lehrverbot von 1Tim 2,11 f. und dem ausdrücklichen Verkündigungsauftrag an die Frauen in den Osterevangelien (einschließlich dem kanonischen Markusschluss). Im Fazit formuliert er folgende Konsequenz: »dann müssten sich die christlichen Kirchen zwischen der Autorität des Verfassers des 1. Timotheusbriefs und der Autorität des auferstandenen Herrn Jesus Christus entscheiden. Das sollte ihnen nicht schwerfallen« (164). Sollte sich das Lehren von 1Tim 2,12 jedoch auf Irrlehren beziehen bzw. ein Instrument zur zerstörerischen Herrschaft über Männer (authentein) sein, dann wäre das Problem ohnehin gelöst.
Instruktiv ist die Darstellung der Position Luthers, die einerseits im Sinn eines Allgemeinen Priestertums (»Deshalb sind alle Chris-tenmänner Priester, alle Frauen Priesterinnen …«) klar an Gal 3,27 f. anknüpft, andererseits in der überwiegenden Mehrzahl seiner Stellungnahmen Frauenordination doch ablehnt (133 f.). Hauptargumente für Luther sind die Aussagen in 1Kor 14,34 f., die er, so H., »als allgemeines Verbot der Verkündigung durch Frauen in der Gemeinde (fehl-)interpretiert« (135), sodann die biologisch (Stimme) und bildungsmäßig schlechteren Voraussetzungen. Zu Recht bemerkt H.: »Es ist freilich bedauerlich, dass Luther nicht wagte, die generelle Regel im Blick auf diejenigen (wenigen) Frauen außer Kraft zu setzen, die die erforderlichen Voraussetzungen für ein Pfarramt mitbrachten« (138). Jedoch ist es für H. (in der Linie Luthers zum Schutz des Allgemeinen Priestertums: 129) nach wie vor generell gerechtfertigt, für die Ordination »theologische Kompetenz« zu fordern. Er führt dazu aus: »Worin diese theologische Kompetenz besteht, kann von Kirche zu Kirche unterschiedlich verstanden und definiert werden – je nach deren Verständnis des Evangeliums und des kirchlichen Auftrags« (143).
Damit ist der wunde Punkt des Diskurses angesprochen: Es sind – auch in den christlichen Kirchen – immer nur Menschen mit einem bestimmten Prestige bzw. einer bestimmten Machtstellung, die Argumente gewichten, Schwerpunkte setzen, scheinbar logische Schlussfolgerungen als Beweis anführen – und dabei doch auf einem Auge blind sein können bzw. sich von (vielleicht unbewussten) Vorentscheidungen und Interessen leiten lassen. Das ist an Luther klar zu sehen. Und das gilt vermutlich auch für die Autoren der neutestamentlichen Schriften. Wie neueste Untersuchungen belegen, findet sich im Codex Vaticanus eine Marginalienkennzeichnung, die 1Kor 14,34 f. als Interpolation ausweist (vgl. P. B. Payne, Vaticanus Distigme-obelos Symbols Marking Added Text, Including 1 Corinthians 14.34–5, in: NTS 63 [2017] 604–625). Also doch ein Theologenstreit schon innerhalb der Paulus-Schule, der dadurch ausgeglichen werden soll, dass einem wichtigen Paulusbrief die Meinung eingeschrieben wird, die in der Linie von 1Tim 2,11 f. liegt? Es wäre ja auch sehr merkwürdig, dass nur Frauen ermahnt worden sind, im Gottesdienst nicht dazwischenzureden – und nicht auch Männer; eine Frage, die sich auch H. gestellt hat und vermutet: »Vielleicht kam aber auch (schon) damals eine gewisse weibliche Neigung zur direkten Kommunikation hinzu« (83).
Außerdem: Geradezu beiläufig streift H. das vermutlich entscheidende Problem (117–119): Im Neuen Testament gibt es unter den Christusgläubigen keine kultisch konnotierten Priester, die als Mittler zwischen Gott und der Gemeinde fungieren und allein zur Darbringung von Opfern (zur Sündenvergebung) berechtigt sind. Diese Leerstelle ist das Alleinstellungsmerkmal der frühchristlichen Bewegung, sofern sie sich als »Religion« verstanden wissen wollte, was in griechisch-römischer Zeit mit Kult gleichgesetzt wird. Die Sazerdotalisierung des Christentums ist als ausgesprochener Paradigmenwechsel zu werten, dessen Hintergründe samt den Interessen, die diesen Wechsel befördert haben, erst allmählich von sozialgeschichtlich orientierten Fachleuten der Alten Kirchengeschichte aufgearbeitet wird. Die Professionalisierung, das heißt die durch die Gemeinde geregelte Bezahlung der bis dahin nebenberuflich aktiven Freizeitpresbyter, dürfte dabei eine nicht unwesentliche Rolle gespielt haben. Davon zu unterscheiden sind die Qualifizierungen Jesu als alleinigem »Hohenpriester« im Hebräerbrief bzw. der Gläubigen insgesamt als »Heiliger Priesterschaft« in 1Petr 2,5.9. Hier geht es um ein Überhöhungskonzept im Blick auf den alttestamentlichen Kult bzw. unter Aufnahme von Ex 19,5 f. (vgl. Jes 61,5 f.) um einen Gegenentwurf zur Konzeption, die das Priestertum mit einem nach bestimmten Kriterien ausgegrenzten Personenkreis verbindet. Dass dieses frühchristliche Selbstbewusstsein, sich dem kultischen, institutionell verankerten Priestertum zu widersetzen und trotzdem die kultischen Wirkungen, etwa der Sündenvergebung, für sich in Anspruch zu nehmen, »durch die – ebenfalls schon in der Alten Kirche erfolgende – Einführung des Priesteramtes als christliches Amt und des lateinischen Priesterbegriffs (sacerdos) zu seiner Bezeichnung […] nicht voll zum Zuge« (119) gekommen sei, entschärft das Grundsatzproblem.
Kurz: H. legt fraglos ein für das weitere Gespräch wichtiges Buch vor, insbesondere für interessierte Arbeitskreise. Es ist ökumenisch ausgerichtet und in großem Respekt Papst Franziskus gewidmet. H. möchte Brücken der Verständigung bauen, weil er sich bewusst ist, dass eine »organisatorische Einheit der Kirchen ohne theolo-gische Einigung in der Frage der Frauenordination bzw. Priesterweihe für Frauen« (24) nicht erreicht werden kann. Und zugleich macht dieses Buch deutlich, wo der theologische Diskurs weitergehen müsste: im Eingeständnis, dass jegliche Theologie eine Option ist, deren Übereinstimmung mit der Tradition, die ja immer vielfältig ist, nur behauptet werden kann, weil es sich bestenfalls um die Auswahl eines oder bestimmter Traditionstränge handelt. Die oft allzu menschlichen Gründe für eine bestimmte, theologisch scheinbar bestens abgesicherte Meinung können oft erst im größeren Abstand emotionslos erhoben werden. Im Augenblick der Entscheidung bleiben sie meistens hinter den Argumenten verdeckt. Es wäre hilfreich, ehrlicherweise auch sie sofort zu nennen. Die Geschichtsforschung wird sie ohnehin an den Tag bringen – und das göttliche Gericht erst recht.