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Ausgabe: | Januar/2019 |
Spalte: | 55–57 |
Kategorie: | Altes Testament |
Autor/Hrsg.: | Han, Samuel |
Titel/Untertitel: | Der »Geist« in den Saul- und Davidgeschichten des 1. Samuelbuches. |
Verlag: | Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2015. 232 S. = Arbeiten zur Bibel und ihrer Geschichte, 51. Geb. EUR 88,00. ISBN 978-3-374-04177-0. |
Rezensent: | Thomas Naumann |
In der Saulüberlieferung und zu Beginn der Davidüberlieferung (1Sam 9–11; 16–19) spielt die Geistkraft Gottes (ruach) eine markante und zugleich gegensätzliche Rolle. Die göttliche Wirkkraft wird literarisch eingesetzt, um den Übergang der »Erwählung« von Saul zu David zu zeigen. In 1Sam 11 wird Saul ganz in Analogie zu den Helden der Richterzeit als charismatischer Retter gezeigt, den der Gottesgeist eine Zeitlang überfällt und zu militärischen Befreiungsaktionen befähigt. Als Gott Saul verwirft und David erwählt, heißt es in 1Sam 16,13, dass der Geist JHWHs »von jenem Tag an dauerhaft auf David lag«, während er von Saul gewichen und durch einen bösen Geist JHWHs ersetzt wurde, der nun Saul plagt und Sauls Melancholie verursacht, die sich in seinen Nachstellungen Davids äußert, während der dauerhafte Geistbesitz Davids in der weiteren Daviderzählung interessanterweise keinerlei Rolle mehr spielt. Überdies wird Saul in zwei Szenen im Umkreis ekstatischer Prophetie gezeigt (1Sam 10; 19), die mit dem überlieferten Sprichwort »Ist auch Saul unter den Propheten?« zu tun haben.
Dem »Geist« in diesem Textkomplex widmet sich die von Winfried Thiel betreute Dissertation von Samuel Han, mit der dieser an der Ruhruniversität Bochum 2014 promoviert wurde. H. möchte klären, welche Rolle die ruach-Vorstellung für die Entstehung des frühen Königtums spielt, wie sie im Blick auf Saul und im Blick auf David jeweils eingesetzt wird und ob es zu einer Wandlung der Geistvorstellung in der Überlieferung gekommen ist. Darüber hinaus spielt die Frage nach der »pneumatologischen« Legitimation des Königtums eine zentrale Rolle. Die Studie bietet nach semantischen Beobachtungen zu hebr. ruach und einer knappen Darstellung der Forschungsgeschichte vor allem exegetische Analysen der Textbe-reiche 1Sam 9,1–10,16; 11; 16,1–13.14–23; 18,10–12; 19,8–10.18.24 sowie eine Zusammenfassung der Ergebnisse.
In der älteren Saulüberlieferung (1Sam 9–11*) ist erkennbar, wie die göttliche Erwählung und königliche Legitimation Sauls eng mit einer ekstatischen Geistbegabung als positiver Wirkkraft Gottes verknüpft wird. Allerdings zeigt sich – so die These Hans – schon hier eine saulfeindliche Redaktion (9,15–17*; 10,5–8*), dass in die jetzige Überlieferung bereits der spätere Verlust der Geistbegabung Sauls eingeschrieben ist. Anders als die frühe Saulüberlieferung negiert die Aufstiegsgeschichte Davids den Gottesgeist bei Saul, der diesen einst zu seinem Erfolg getragen hat, und verwandelt Sauls positiven Geistbesitz in eine Art Fluch, der entweder als Entzug des Geistes Jhwhs oder als böser Geist inszeniert wird. Auch die Vorstellung von durch Gottes Geist ergriffenen Charismatikern wird in 1Sam 19 in ihr Gegenteil verkehrt, wenn aus dem charismatischen Kriegshelden ein König wird, der vollends die Selbstbeherrschung verloren habend öffentlicher Beschämung ausgesetzt wird. Das Sprichwort »Ist auch Saul unter den Propheten« wird hier als Spottvers variiert. Im Blick auf Saul dient die Vorstellung vom Geist Gottes dazu, diesen als König nachhaltig zu delegitimieren, weil die Aufstiegsgeschichte Davids den positiven Geist Jhwhs nun allein David dauerhaft zuschreibt. So leitet 1Sam 16,13 nach der Salbung Davids durch Samuel als »pneumatologischer Schlüsselvers« den Abstieg Sauls ein, der in V. 14–23 wiederum »pneumatologisch« begründet wird. Aus der Geistkraft Gottes, die Saul einst großgemacht hat, wird jetzt eine negative Geistkraft, die ihn plagt. Damit erfüllt das theologische ruach-Konzept zwei gegensätzliche Interessen, indem es zur Legitimation des Herrschers (Sauls und Davids) ebenso eingesetzt wird wie zur Delegitimation des Königs (Sauls). Auch die im Text zu findende Unterscheidung von »ruach elohim« und »ruach jhwh« wertet H. in der Weise aus, dass die »ruach elohim«-Belege eher mit König Saul zu verbinden sind, während erst bei David von der »ruach jhwh« als positiver Wirkkraft Gottes die Rede sei. (Allerdings muss H. dafür 1Sam 10,6 einer saulfeindlichen und prodavidischen Redaktion zuschreiben.)
Kann man bei diesen Textdeutungen H. weitgehend zustimmen, so ist seine historische Kontextualisierung schwerlich nachvollziehbar. Denn er sieht in diesen biblischen Überlieferungen Dokumente aus der Zeit Sauls und Davids, die auf einander rivalisierende Anhänger Sauls bzw. Davids aufgeteilt werden können. Letztlich historisiert H. die biblische Überlieferung über die Frühzeit des Königtums in eigenartig naiver Weise, was dazu führt, dass selbst anerkannt späte Texte wie die Salbung Davids (16,1–13*) zu zeitgeschichtlichen Dokumenten erklärt werden. Auch die prodavidischen Redaktionen der Saulüberlieferung werden in der Frühzeit des Königtums verortet, nachdem sich David als König gegen Saul durchgesetzt hatte. Die Konsequenz dieser Sichtweise ist die These, dass die göttliche Geistbegabung des Königs ein sehr altes und ursprüngliches Mittel der Königslegitimation in Israel darstellt. Dagegen aber spricht vieles. Das Thema der Geistkraft Gottes kommt m. E. nicht über die Frage nach der Legitimität des Königs in die Überlieferung von 1Sam 9–16. Auch sonst werden im Alten Testament Könige nicht durch Geistbegabung oder Geistbesitz legitimiert, auch nicht in den Königspsalmen. Erst die exilisch-nachexilische Eschatologisierung des Königtums bringt den Heilskönig aus dem Haus Davids mit Gottes Geist in Verbindung (Jes 11,1–10). Hier rächt sich, dass H. die für seine Thematik naheliegende Frage gar nicht behandelt, ob und wie das Thema »göttlicher Geist« zur Legitimierung königlicher Herrschaft im alten Israel und in den Umweltkulturen eingesetzt wird und welche Wandlungen es nimmt. Die Vorstellung von 1Sam 16,13, dass zur gött-lichen Erwählung des Königs auch der dauerhafte Geistbesitz gehört, ist in vorexilischen Königstraditionen nicht belegbar und gehört eher in die exilisch-nachexilische Reflexion des untergegangenen Königtums. Das Thema Geistbesitz ist eher über Saul als Charismatiker in die Überlieferung gelangt und wird erst in der späteren Reflexion der Anfänge des Königtums als Herrschaftslegitimation entfaltet. Im Grunde wird erst und allein in dem anerkannt jungen Text 1Sam 16,13 das Königtum Davids pneumatologisch legitimiert. Aber da Davids dauerhafter Geistbesitz in der nachfolgenden älteren David-Überlieferung genauso wenig präsent ist wie seine heimliche Salbung durch den Propheten Samuel, scheint die pneumatologische Legitimierung von Davids Königtum wie die Delegitimierung von Sauls Königtum doch einem eher recht jungen Stadium der Überlieferungsbildung anzugehören, in der Königtum und Geistbesitz zusammengedacht werden konnte. Dies wäre jedenfalls leichter zu verstehen als H.s These, dass Geistbesitz allein im frühen Königtum Sauls und Davids ein wichtiges Element der Königslegitimation war, von dem das spätere judäische und nordisraelitische Königtum dann keinen Gebrauch mehr gemacht hat, bis es in den eschatologischen Texten der nachexilischen Zeit wieder auf die Tagesordnung kam. H. ist indes anzurechnen, dass er mit seiner sorgfältig erarbeiteten Studie und seinen eindringlichen Exegesen die weitere Diskussion bereichert hat, auch wenn viele, m. E. zu viele Fragen offenbleiben.