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Ausgabe:

Dezember/2018

Spalte:

1341–1343

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Roszkowski, Maciej

Titel/Untertitel:

»Zum Lob seiner Herrlichkeit« (Eph 1,12). Der sakramentale Charakter nach Matthias Joseph Scheeben.

Verlag:

Münster: Aschendorff Verlag 2017. 259 S. = Studia Oecumenica Friburgensia, 83. Geb. EUR 43,00. ISBN 978-3-402-12207-5.

Rezensent:

Thomas Ruster

Der junge Scheeben jubelt: »Jetzt verstehen wir vollkommen, wie wir Kinder Gottes sind […] Ja, wie er Gott ist, werden auch wir Götter und göttlich genannt. […] Nicht nur werden wir frei von der knechtischen Unterwürfigkeit unter die Herrschaft Gottes; als Kinder teilen wir sogar auch seine Herrschaft über alle Dinge, und besitzen und genießen dieselben Güter und Freuden, die er als König aller Wesen besitzt und genießt.« (Natur und Gnade 1922 [1861], 180 f.)
Diese Sätze, gesprochen in der engen und oft repressiven Atmosphäre des katholischen Milieus, geben wohl die tiefste Intuition des Kölner Theologen Joseph Scheeben wieder. Sein späteres Riesenwerk zehrt von der Dynamik dieser kühnen Behauptungen. Dass die Rede von der Gottwerdung der Christen in Scheebens Lehre vom sakramentalen Charakter kulminiert, ist die These der von B. Hallensleben und G. Vergauwen in Fribourg betreuten Disser-tation des Krakauer Dominikanertheologen Maciej Roszkowski. Unter dem sakramentalen Charakter versteht die katholische Theologie das unauslöschliche Siegel oder Merkmal, das die Sakramente der Taufe, der Firmung und der Weihe verleihen; sie können deswegen nicht wiederholt werden. Augustin gebraucht dafür Bilder wie die Markierung von Soldaten und das Brandzeichen von Schafen, die die Zugehörigkeit zu einem Herrn ausdrücken, oder die Prägung von Münzen, durch welche ein Stück Metall erst seinen Geldwert erhält (vgl. 136).
Der character bezeichnet also die Zugehörigkeit zu Christus. Welcher Art ist diese Zugehörigkeit? Was ist der Wert eines Getauften? Die Theologie vor Scheeben hatte diese Fragen unterschiedlich, insgesamt aber recht unbestimmt beantwortet. Erst Scheeben stellt in seinen Mysterien des Christenthums (1865) die Charakterlehre in das Zentrum der Glaubensreflexion. Wesen und Wirkung des sakramentalen Charakters sind für ihn das Einswerden mit Christus, d. h. die Teilnahme an der hypostatischen Union, durch die Christus der Sohn Gottes ist. Christen werden Christus gleich. Sie werden Söhne und Töchter Gottes wie er. Christus bleibt nicht allein das, was er ist. Die seinsmäßige Einheit mit Christus ist zugleich eine funktionsmäßige. Bezogen auf das eucharistische Opfer bedeutet das: Die Christen vollziehen das heilschaffende Opfer Christi mit, sie vollenden es sogar, wie Scheeben sagt. Ihnen werden nicht nur, so lautete die Lehre des Konzils von Trient, die Opferfrüchte zugeeignet, sondern sie sind aktiv an der Wandlung von Brot und Wein in den Leib Christi und an dessen erneuter Opferung in der Eucharistie beteiligt. Um diese aufregenden Ge­danken zu begreifen, muss man tief in die nicht leicht zu erfassende Theologie Scheebens hinabsteigen.
R. setzt an mit dem »latreutischen Opfer Christi als Ausbreitung der innertrinitarischen Verherrlichung«. Latreutisch heißt anbetend, verherrlichend. Die Trinität ist nach Scheeben der Vorgang der gegenseitigen Verherrlichung der göttlichen Personen. Der Mensch ist geschaffen und dazu bestimmt, an dieser Verherrlichung teilzunehmen. Der Sohn Gottes ist Mensch geworden, um dies zu ermöglichen. Sein Opfer bewirkt die Hineinnahme der Menschen in den innergöttlichen latreutischen Prozess. Der sakramentale Charakter bezeichnet das reale Einswerden mit Christus, damit die Vergöttlichung des Menschen und zugleich die Erfüllung von dessen Berufung und Bestimmung. Störend für heutige Ohren ist hier der Begriff des Opfers. Scheeben macht ihn nicht allein am Kreuz fest, sondern bezieht Auferstehung, Himmelfahrt und das Wirken des himmlischen Hohepriesters mit in das Verständnis des Opfers ein. Das Opfer ist die höchste Form der Verherrlichung Gottes. Doch in der von Scheeben in seinem Frühwerk Mysterien noch weitgehend unreflektiert übernommenen Fassung ist das Opfer mit »Unterwerfung, […] Entsagung und Selbstvernichtung« (43) verbunden. M. E. müsste hier nachgetragen werden, was Scheeben in der Erlösungslehre (§§ 270–272) zum Opfer ausführt: dass es seinem biblischen Sinn nach nicht in der Destruk-tion der Opfergabe/des Opfertieres besteht, sondern in der Erzeugung des Wohlgeruchs (odor suavitatis) für Gott. Mit diesem Begriff, der die traditionellen destruktionstheoretischen Modelle überwindet, ist sinnvoll vom Opfer Christi zu sprechen. Sein ganzes Leben, nicht nur sein Tod am Kreuz, war Wohlgeruch für Gott; Christus war es, an dem Gott sein Wohlgefallen hatte. In diese Art von Opfer können Christen einbezogen werden. R. deutet diese Zusammenhänge an, sie werden aber nicht genügend deutlich.
Kennern war das Erneuerungspotential, das in Scheebens Theologie liegt, immer schon deutlich, aber m. W. ist es nirgendwo besser auf den Punkt gebracht als im vorliegenden Werk. Dabei kommen R. seine präzise theologische Intelligenz und sein beeindruckendes theologiegeschichtliches Wissen zugute. Er zeigt die Originalität von Scheebens Charakterlehre im Gesamtzusammenhang seines Schaffens auf, er verfolgt seine Wirkungsgeschichte im 20. Jh. vor allem in Bezug auf die Lehren vom Corpus Christi mysticum und vom allgemeinen Priestertum aller Gläubigen, er weist auf, dass Scheebens Auffassungen für die gegenwärtige Soteriologie, Eschatologie und theologische Anthropologie vielversprechende Lö­sungsansätze enthalten, gerade wenn man den aktuellen Problemstand dieser Traktate ins Auge fasst. M. E. wäre diesbezüglich noch etwas Wichtiges hinzuzufügen. Scheebens Gedanken über den sakramentalen Charakter gipfeln in der Aussage, dass die Gläubigen in der Eucharistiefeier die Transsubstantiation und das Op­fer Christi mit diesem zusammen vollziehen und vollenden. Hier braucht es keine potestas consecrandi und überhaupt keine sacra potestas mehr, die nach dem üblichen katholischen Verständnis die geweihten Amtsträger für sich reservieren.
Mit Scheeben könnte das »Erbübel« der römisch-katholischen Kirche überwunden werden: die Behauptung des wesentlichen Unterschieds zwischen dem besonderen und dem allgemeinen Priestertum. An diesem Übel droht die katholische Kirche zugrunde zu gehen, mit Scheebenscher Theologie könnte sie davon geheilt werden. Der Meinung R.s, dass das Modell der tria munera Christi, das dem II. Vatikanum insgesamt zugrunde liegt, zu einer Ab­schwächung oder einem Zurücktreten der Lehre vom allgemeinen Priestertum beigetragen hat, möchte ich deswegen widersprechen (vgl. 204 ff.). Schließlich war es Scheeben, der die in der Reforma-tion ausgebildete munera-Lehre als erster katholisch-systematischer Theologe übernommen und weiterentwickelt hat; in seiner Erlösungslehre ist sie strukturbildend (darin Karl Barth vergleichbar, der ihn dafür ausdrücklich würdigt). Indem aber Scheeben sich in der Behandlung der munera auf das munus sacerdotale konzentriert, packt er den Stier bei den Hörnern bzw. greift er – vielleicht ohne sich dessen voll bewusst zu sein – die Wurzel allen katholischen Klerikalismus an.
Ist es nicht so, dass man sich in der Übertragung von Lehr- und Leitungsaufgaben an Laien – notgedrungen – verhältnismäßig leichttut, was aber die pries-terlichen Aufgaben im engeren Sinne betrifft, sie aus einem durch Scheeben längst überholten Amtsverständnis heraus für die stets kleiner werdende Schar der Priester alten Stils reserviert? Fast möchte ich meinen, dass der Heilige Geist uns das vorliegende Werk und damit die Wiederentdeckung Scheebens geschickt hat – so wie er, um es biblisch zu sagen, über die Richtergestalten des Alten Testaments gekommen ist, wenn sich das Volk in scheinbar aussichtsloser Lage befand. Hoffentlich wird es Leserinnen und Leser finden, die sich von dem schweren Stoff und der eigentümlich spröden Poesie von Scheebens Sprache nicht verschrecken lassen.