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Ausgabe: | Dezember/2018 |
Spalte: | 1287–1290 |
Kategorie: | Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie |
Autor/Hrsg.: | Kinzig, Wolfram |
Titel/Untertitel: | Neue Texte und Studien zu den antiken und frühmittelalterlichen Glaubensbekenntnissen. |
Verlag: | Berlin u. a.: De Gruyter 2017. XIV, 424 S. = Arbeiten zur Kirchengeschichte, 132. Geb. EUR 99,95. ISBN 978-3-11-043951-9. |
Rezensent: | Markus Vinzent |
Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:
Kinzig, Wolfram [Ed.]: Faith in Formulae. A Collection of Early Christian Creeds and Creed-related Texts. Four-Volume Set. Ed. and Annotated by W. Kinzig. Oxford u. a.: Oxford University Press 2017. 2016 S. = Oxford Early Christian Texts. Geb. US$ 675,00. ISBN 978-0-19-826941-0.
Es ist in großer Bewunderung für die hier zu besprechende herausragende Forschungsleistung und zugleich in Freude, das kritische über zwanzig Jahre währende Gespräch mit einem Kollegen fortzuführen, auf das schönste Geschenk der Wissenschaft zu verweisen, nämlich gemeinsam nach der größeren Plausibilität von Argumenten zu suchen.
Das vierbändige Hauptwerk umfasst eine Einleitung in Wesen und Geschichte der Bekenntnisse (I 1–32) und versammelt Bekenntnisformeln vom Alten und Neuen Testament – angefangen bei Tauffragen, Glaubensregeln des 2. u. 3. Jh.s und östliche (I 33–552; II 1–220) und westlichen Bekenntnistexten des 4. bis 8. Jh.s (II 221–420, Apostolikum; III 1–314, Symbolum Quicumque; 315–464, Gesetze und Synodalerlasse) bis hin zu Bekenntnissen in der Liturgie (4.–8. Jh.) (IV 1–124) und der karolingischen Reform (IV 125–336, Appendizes, Synopsis Hahn/Kinzig, Addenda, Indizes, Bibliographie). Die Texte sind durchgehend mit einer Paragraphen- und Subnummerierung versehen. Diese Bände lösen dankenswerterweise auf die nächsten Jahrzehnte die dritte Auflage der »Bibliothek der Sym-bole und Glaubensregeln der Alten Kirche« von August und Ernst Ludwig Hahn aus dem 19. Jh. ab.
Der weitere Band von Wolfram Kinzig ist ein Nebenprodukt, »um jene Sammlung zu entlasten« mit zusätzlichen kritisch edierten, übersetzten und kommentierten Texten (Kapitel 1–5), zwei unveröffentlichten (Kapitel 6; 8) und bereits publizierten Beiträgen, die die Bekenntnisse aus historischen und vor allem liturgischen Perspektiven betrachten.
Aufgrund der intensiven Beschäftigung mit dieser faszinierenden Gattung von Texten über Jahrzehnte ist der Vf. zweifellos weltweit einer ihrer besten Kenner. Die herausragende Bedeutung der Einzelleistungen des Vf.s liegt in der Herausgabe von vielfach bislang gar nicht, oder nicht kritisch, oft nur entlegen, zum Teil auf der Basis nicht aller bekannten Handschriften edierten und oft nicht übersetzten Bekenntnisse oder bekenntnisähnlichen Texte. Auf dieser neuen und gründlichen Basis entwickelt der Vf. auch seine Neukonzeption der Entstehungsgeschichte von Bekenntnissen überhaupt im Christentum und der Geschichte ihrer liturgischen und katechetischen Benutzung. Derzufolge beginnt das Christentum ohne Bekenntnisse und, nach kurzen Tauffragen seit dem 2./3. Jh., beginnen erst im 4. Jh. deklaratorische Bekenntnisse im Zusammenhang des arianischen Streits mit Elementen, die wie Versatzsteine immer wieder neu zusammengestellt, ergänzt und geändert werden. Zum Romanum unten mehr. Auch wenn in dieser Rezension nicht auf Details der Edition und Übersetzung eingegangen werden kann (einige Details unten zu den Neuen Texten) – gewiss wird man trotz der Umfänglichkeit manche Texte vermissen (warum fehlt Trad. Apost. 4?) und man mag auf Fehlzuschreibungen stoßen:
§ 165 [Ps.-Liberius, Ep. ad Ath.] ist fälschlicherweise dem Markell von Ankyra zugeschrieben mit Hinweis auf Ps.-Ath., Ad Lib., der Markell wohl gehört. Doch schon M. Tetz, 1972, 193, schrieb, es sei »ganz unwahrscheinlich«, dass auch dieser Text dem Markell gehöre und in Athanasius Werke III/1, 590 wird er Eustathianern um Paulinus zugeschrieben; mir scheint er jedoch in den römischen Zusammenhang zu passen und deshalb Liberius zu gehören, er wäre dann dem § 436 zuzuordnen.
Die Sammlung insgesamt bietet, was Lehrende und Forschende brauchen.
Der weitere Band, auf den ich etwas näher eingehe, weil Erkenntnisse auch für die Bewertung der Vier-Bände-Sammlung von Wert sind, versammelt »Neue Texte zum Apostolikum« (3–145), weitere lateinische und griechische Bekenntnistexte (CPL 1757, Johannes von Jerusalem, CPG 6481, CPL 1610/CPG 9160) (147–213). Wenn auch unbewusst, folgt der Vf. in der Voranstellung der Texte zum Apostolikum der strukturellen Vorgabe der Hahnschen Samm-lung, was, wie gezeigt werden wird, letztlich auch in der jüngsten Studie (Kapitel 8, siehe weiter unten) seinen inhaltlichen Niederschlag gefunden hat.
Bei den Texten zum Apostolikum handelt es sich um fünf »Expositiones symboli« und eine »Fides catholica mit angehängter Interrogatio symboli«. Die verlässlichen Editionen und Übersetzungen sind jeweils kurz eingeleitet unter Auflistung der Handschriften und ggf. mit Hinweisen auf frühere Ausgaben.
Eine Durchsicht der kritischen Apparate zeigt, dass der Editor behutsam emendiert (z. B. S. 8, Exp. symb. 1, II.3 »qui« für sicher falsches »quia« gg. codd. et edd.), die Übersetzung ist verlässlich, doch S. 9, Exp. symb. 1, I.2 »jeder behält seine Geldsumme bei sich [?]« (»et unusquisque pecuniam suam quasi se seruat«, wohl besser: »und jeder sichert sein Geld wie sich selbst« – eine Verkürzung dessen, was S. 24/25, Exp. symb. 2 heißt »unusquisque de parte sua custodire pecuniam uult, quasi sua sit tantummodo« (»wacht ein jeder für sich so über das Geld [besser als Kinzig: »passt ein jeder für sich so auf das Geld auf«], als wäre es allein sein eignes«). S. 8/9, Exp. symb. 1, II.4 würde ich »congregauerunt« nicht »eingebracht«, sondern »zusammengebracht« übersetzen. A. a. O., II.3 würde ich »ex Maria virgine« nicht mit »von der Jungfrau Maria«, sondern mit »aus der Jungfrau Maria« wiedergeben, wie der Vf. auch in dem zugehörigen Kommentarteil III.19, 12/13, das »Maria, ut ex ea filius dei …« übersetzt. Ebd. ist »Weil sie sich vorgenommen hatte, ihre Jungfräulichkeit zu bewahren« für »quia uirginitatem proposuerat seruare« unglücklich, denn es geht in der Antwort an den Engel wohl nicht um einen willentlichen Entschluss Marias, ihre Jungfräulichkeit zu bewahren, sondern, wie der weitere Text zeigt, will sie sich dem Wunsch des Engels nicht entziehen und »schlägt vor«, oder »legt dar«, dass sie »keinen Mann erkannt habe«. Inkorrekt ist der ebd., deshalb auch unnötigerweise als crux markierte, Satz übertragen »ex fide habuit perfecta«, der nicht meint: »Sie besaß [ihn? sie?] aufgrund ihres vollkommenen Glaubens [?]«, sondern: »Es geschah aus vollkommenem Glauben«. In S. 10/11, Exp. symb. 1, III.4 ist das »et … et … et« nicht mit »Gott ist immer auch Vater [oder: Er ist immer Gott und ist Vater] und ist immer Vater gewesen« zu übersetzen, sondern mit »Gott ist immer Vater und ist auch immer Vater gewesen«. Auf S. 16/17, III.39 ist das »peccatorum« unübersetzt, es muss also heißen »so werden die der Sünder auch ohne Zweifel Strafen der Seele und des Leibes …«. Auf S. 72/73 ist m. E. in III.2 die erste Auslassung zu streichen, da die Aufzählung an »tres res« anschließt (»drei Dinge«), entsprechend ist in der Übersetzung das »eine« usw. anzugleichen. In III.6 ist auch die drittletzte Auslassung zu streichen und der Satz lautet korrekt übersetzt: »Es kann nicht als Vater bezeichnet werden, was keinen Sohn hat, noch als Sohn, was keinen Vater hat«.
Hier – wie überhaupt auch bei vielen der Bekenntnistexte der Vier-Bände-Sammlung – haben wir es »mit einem Fundus aus Text- und Gedankenbausteinen zu tun, die je nach Zusammenhang un-terschiedlich zusammengesetzt werden können« und damit »Gebrauchstexte« darstellen (145). Folglich kann man »nicht sinnvollerweise von Autorschaft sprechen« und »auch die Suche nach End-gestalten oder Rezensionen (ist) müßig«. Gleichwohl lassen sich die Texte auf das 8./9. Jh. im »gallisch-süddeutsch-norditalienischen Raum« datieren (Westras Regionalisierung gilt »nur eingeschränkt«) (63).
Zu den Bekenntnisstudien: Unter den bislang unveröffentlichten Texten (Kapitel 6, 217–235 und Kapitel 8, 269–291) ragt der Beitrag zu »Christus im Credo« heraus und will die eigene Position auch der Vier-Bände-Sammlung korrigieren. Hierbei geht es um die Auseinandersetzung mit der vom Rezensenten entworfenen Position, wonach »nichts für die Notwendigkeit eines hypothetisch anzunehmenden Romanum (R) vor Markell« spricht, »auch wenn unzweifelhaft ist, daß sich Markell […] Bekenntnismaterialien […] wie […] auch Tauffragen […] bedient hat« (Vinzent, 1999) (274). Auch wenn der Vf. in einem gemeinsamen Artikel (JTS 1999) diese Position zum Teil mittrug, stellt er nun fest, dass »die großen Ähnlichkeiten zwischen den Christussummarien Tertullians und dem Summarium von R« sich »nur so erklären (lassen), dass Tertullian ein Summarium wie in R gekannt hat« (287). Hiermit steht im selben Artikel in Spannung, Tertullian habe »in Abwehr« von Praxeas den »zweiten Artikel aus(gebaut)« (286) aufgrund »nordafrikanische(r)«, und nicht römischer »Einflüsse« (288–290), wobei ein vergleichbares Christussummarium »in dieser Zeit in Rom« beleglos sei. Es gibt also keinen Beleg für ein vormarkellisches Romanum. Auch Tertullian ist kein Zeuge hierfür. Die zwei Summarien aus Tert., Virg. vel. 1,4 und Adv. Prax. 2,1 (280–281) differieren erheblich. Im ersten ist von einer »Geburt aus der Jungfrau Maria« die Rede, und dass »Jesus Christus […] gekreuzigt wurde unter Pontius Pilatus«, im zweiten von einer »Sendung vom Vater in die Jungfrau«, wobei Pilatus unerwähnt bleibt, statt dessen heißt es: »hunc passum, hunc mortuum, et sepultum secundum scripturas«. Der Verweis auf die Schrift scheint hier der korrekte Verweis auf die Quelle zu sein (so auch Tert., De carne 20). Schon diese Unterschiede bei ein und demselben Autor (vgl. auch Apol. 17; 18; De praesc. 13; 20; 21; 23; 36; 37; De carne 5; 20; Adv. Prax. 2; 4; 30; vgl. Kinzig, Faith I, 222–233), machen eine bestehende Formel unwahrscheinlich (so auch Kaufmann, 1999, 168; vgl. Kapitel 9, 293–310, 304–305; vgl. alle anderen Autoren der ersten drei Jahrhunderte, Kinzig, Faith, I 165–268).
Das stärkste Argument allerdings gegen ein vormarkellisches Romanum ist die ausschließliche Verbreitung dieser Formel im Westen bis ins hohe Mittelalter, was für eine Entstehung um die kirchlich-reichstrennenden Synoden von Rom, Antiochia und Serdica (341–343) spricht. Tert., Virg. vel. 1,4 und die Parallelen zum Christussummarium in Markells Brief an Julius, liefern vielleicht einen Hinweis darauf, dass sich Markell an Tertullian angelehnt hat, nicht aber dafür, dass beide auf eine Vorlage oder (wegen des Nichtvorhandenseins römischer Traditionen) noch unwahrscheinlicher auf eine solche römischen Ursprungs zurückgegriffen hätten. Euseb von Cäsarea, Markells theologischer Kontrahent, kannte Tertullian und hat ihn auf Griechisch gelesen, auch Hieronymus schrieb über ihn? Autorschaft – darauf verweist der Vf., wie angeführt, selbst (so auch der Rezensent, 1997) – hat bei Bekenntnistexten eine andere Bedeutung als in der Moderne. Und auch die trinitarische Entfaltung des christlichen Glaubens ist eher eine Erscheinung des 4. als des 2. Jh.s, auch wenn es Gelehrte wie Tertullian zu Beginn und Origenes um die Mitte des 3. Jh.s gab. Doch, darauf verweist der Beitrag, Kapitel 6, des Vf.s, es waren die einfachen Gläubigen, die Simpliciores, die trotz der Gelehrten an einem monarchianischen Glauben festhielten, in Rom (219), in Nord-afrika (224), im Nahen Osten (226–230) und auch in Kleinasien (231).
Es sei hier nur noch kurz auf die übrigen, hier sicher nicht adäquat darzustellenden Studien verwiesen. »›… natum et passum etc.‹ Zur Geschichte der Tauffragen in der lateinischen Kirche bis zu Luther« (Kapitel 7, 237–267) erarbeitet, dass vermutlich die ältesten Tauffragen in Rom bezüglich Christus ganz knapp waren und zu seinem Leben nicht mehr umfassten als »natum et passum«, und auch die Auferstehung Christi bis ins 4. Jh. sowohl in den Tauffragen wie in der Liturgie keine bzw. wenig Beachtung fand, ein Befund, der »erst seit der Mitte des 4. Jahrhunderts allmählich anders« wird (255). Kapitel 10 »Das Glaubensbekenntnis im Gottesdienst – Gebet oder Hymnus?« (311–327) behandelt die Einführung des Bekenntnisses in Taufe und Eucharistie, wobei unterstrichen wird, dass die Kirche »bis weit in das 4. Jahrhundert hinein« mit den »relativ knappen Tauffragen ausgekommen« ist (314), erneut beleuchtet in Kapitel 11 »The Creed and the Development of the Liturgical Year in the Early Church« (329–364, 332). Der Appendix zu den »earliest evidence for the major dominical feasts« (353–362) belegt eindrücklich, dass die Festentwicklung mit Ausnahme von Epiphanias ein Phänomen des 4. (nach)konstantinischen Jh.s und später ist.