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Ausgabe:

November/2018

Spalte:

1176–1177

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Brauer-Noss, Stefanie

Titel/Untertitel:

Unter Druck: Kirchenreform aus der Leitungsperspektive. Eine empirische Studie zu drei evangelischen Landeskirchen.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2017. 326 S. Geb. EUR 25,00. ISBN 978-3-374-05382-7.

Rezensent:

Christian Grethlein

Die im Rahmen des Bochumer und Münsteraner, von der DFG geförderten Projektes »Zwischen Öffnung und Schließung – Kirchenreformprozesse im Vergleich« erstellte Dissertation von Stefanie Brauer-Noss (Betreuerin: Isolde Karle) präsentiert ein seit Längerem aktuelles Thema in neuer Perspektive. Sie befragt nämlich in kirchenleitender Funktion tätige Akteure zu konkreten Reformmaßnahmen in ihren Landeskirchen (zu den genauen Forschungsfragen s. 19). Konkret wurden die Evangelische Kirche von Mitteldeutschland, die Nordelbische Evangelisch-Lutherische Kirche sowie die Evangelisch-Lutherische Kirche in Württemberg ausgewählt. Dabei durchliefen die beiden zuerst Genannten in den letzten Jahren tiefgreifende Fusionsprozesse. Methodisch bildeten drei explorative Experteninterviews mit je einem Oberkirchenrat/einer Oberkirchenrätin aus jeder Kirche die Grundlage. Es folgten 21 zwischen November 2011 und September 2012 geführte Interviews mit von den Oberkirchenräten benannten, in kirchenleitender Verantwortung Stehenden. Von ihnen wurden 20 ausgewertet.
Bei der Präsentation der Landeskirchen treten in vielfacher Weise Differenzen zutage. Umso erstaunlicher bzw. eindrücklicher ist, dass der Auslöser für die jeweiligen Reformprozesse allen gemeinsam war: eine Finanzkrise. Diese gestaltete sich im Osten Deutschlands nach dem Fall der Mauer anders als der Einbruch von Kirchensteuereinnahmen in Nordelbien in den 90er Jahren des 20. Jh.s oder der drohende Verlust von Einnahmen in Folge der Wirtschaftskrise 2008 in Württemberg. Im Nachhinein ist dann jeweils zu konstatieren, dass die dadurch ausgelösten Strukturreformen wohl nicht zu den erhofften Einsparungen, sondern teilweise sogar zu umfangreicheren Verwaltungsstrukturen führten. Zugleich wurden die Reformen nach Auskunft der Befragten – bei allen Unterschieden im Einzelnen – durch die »Angst vor Bedeutungslosigkeit« von Kirche (277) angetrieben. Kirchenaustritte, demographische Entwicklung sowie zurückgehende Selbstverständlichkeit im Zugang zur Öffentlichkeit werden als wichtige Gründe hierfür genannt. Schließlich sind die recht unterschiedlichen Reformbemühungen dadurch gekennzeichnet, dass Theologie bei ihnen keine Rolle spielt. Dies wird von einigen der Befragten durchaus kritisch gesehen, die die Dominanz juristischer Vorstellungen bei der Durchführung von Reformen beklagen.
Zur Beurteilung dieser und anderer Beobachtungen stützt sich die Vfn. auf Grundeinsichten der Systemtheorie, wie sie Niklas Luhmann entwarf, Armin Nassehi weiterführte und Isolde Karle in ihrer Praktischen Theologie rezipierte. Demnach zeichnen sich Organisationen – wie die Landeskirchen – durch Nichtorganisierbarkeit aus. Dabei kann es aber – wie die Vfn. unter Zitat von Luhmann abschließend formuliert – »nicht darum gehen, auf Reformen gänzlich zu verzichten. Jedoch müssen die Kirchenleitenden ›in Kauf nehmen, dass unbekannt ist und bleibt, was künftige Entscheidungen aus ihnen machen‹.« (307)
Insgesamt gibt die Studie einen facettenreichen, manchmal fast verwirrenden Einblick in die Vielgestaltigkeit – und dabei in gewissem Sinn doch auch Uniformität – von Reformbemühungen in drei deutschen Landeskirchen. Zweifellos erfasst sie dabei – wie exemplarisch skizziert – Interessantes. Eine eingehende theologische Beurteilung – etwa durch Einbeziehung biblischer Perspektiven zu Kirche, also dem zum kyrios gehörenden Bereich – würde wohl noch einen weiteren Raum theologischer Reflexion eröffnen. Dann wäre es z. B. kirchentheoretisch bemerkenswert, dass finanzielle Engpässe so weitreichende Bemühungen zur Kirchenreform hervorrufen, die Tatsache aber, dass die Mehrheit der Getauften (und Konfirmierten) offenkundig kein Interesse am Herrenmahl hat, keinerlei Nachdenken über sachgemäßere Kirchenstrukturen auslöst.