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Ausgabe:

Oktober/2018

Spalte:

1075–1076

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Arnold, Maik, Bonchino-Demmler, Dorothy, Evers, Ralf, Hußmann, Marcus, u. Ulf Liedke

Titel/Untertitel:

Perspektiven diakonischer Profilbildung. Ein Arbeitsbuch am Beispiel von Einrichtungen der Diakonie in Sachsen.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2017. 312 S. Kart. EUR 35,00. ISBN 978-3-374-05223-3.

Rezensent:

Alexander Dietz

Ein interdisziplinäres Forschungsteam der Evangelischen Hochschule Dresden hat in den Jahren 2015 bis 2017 ein Forschungsprojekt durchgeführt mit dem Titel »150 Jahre Diakonie in Sachsen: Perspektiven diakonischer Profilbildung am Beispiel von Einrichtungen der Diakonie in Sachsen«. Dieses Projekt bildet den Ausgangspunkt und die Grundlage für das vorliegende Arbeitsbuch. Das Buch soll verantwortliche Akteure in der Diakonie dabei unterstützen, eigene Profilentwicklungsprozesse vorzubereiten, durchzuführen und dauerhaft zu implementieren.
Das Arbeitsbuch gliedert sich in drei übergreifende Abschnitte. Im ersten Abschnitt werden »Grundlagen diakonischer Profilbildung« diskutiert: gegenwärtige Herausforderungen, organisationale Fragen sowie Möglichkeiten einer inhaltlichen Bestimmung des diakonischen Profils. Im zweiten Abschnitt, der knapp zwei Drittel des Buchs ausmacht, werden unter der Überschrift »Diakonische Profildialoge« in neun Modulen relevante Aspekte und mögliche Instrumente eines Profildialogs als Bestandteil diakonischer Organis ationsentwicklung beschrieben: Strategieentwicklung, Strukturentwicklung, Prozessmanagement, Unternehmenskultur, Gestaltung der Beziehung zu Adressaten, Mitarbeiterbeteiligung, Zu-sammenarbeit mit Kirchengemeinden, Beteiligung an politischen Prozessen und Unternehmenskommunikation. Im dritten Ab­schnitt werden »Blicke in die diakonische Praxis« geworfen anhand der Vorstellung der wichtigsten Ergebnisse der genannten empi-rischen Untersuchung. Während der Grundlegungsteil und der Anwendungsteil sehr umfassend ausfallen, hätte man sich den abschließenden Teil, in dem Beobachtungen und Handlungsempfehlungen aus der empirischen Untersuchung dargestellt sowie weitere wesentliche und häufig unterbelichtete Themen kurz be­handelt werden (Ambivalenz des Helfens, sozialräumliches Denken, Diversity Management), etwas ausführlicher gewünscht.
Der Gesamteindruck ist durchweg positiv. Die Darstellungen entsprechen dem aktuellen Forschungsstand und beziehen umfassend relevante Gesichtspunkte ein. Kritisch ließe sich allenfalls anmerken, dass die Darstellungen von manchen Praktikern als etwas zu ausführlich und umfangreich wahrgenommen werden könnten, wenn es beispielsweise um das systemtheoretische Organisationsverständnis oder integrierte Unternehmenskommunikation geht. Liest man das Buch von Anfang bis Ende durch, hat es etwas »Erschlagendes«. Wählt man jedoch, der Intention der Verfasser gemäß, gezielt einzelne Abschnitte aus, um sich Anregungen und Orientierung im Blick auf die Prozesse, die man mit seinem diakonischen Unternehmen gerade verfolgt, zu verschaffen, wird man mit Sicherheit nicht enttäuscht. In diesem Sinne ist die Gesamtgestal tung des Textes, der durch Grafiken, gekennzeichnete Beispiele, Interviewausschnitte, Anregungen zur Weiterarbeit sowie sorgfältig ausgewählte und begrenzte Literaturhinweise unterbrochen und strukturiert wird, sehr leserfreundlich.
Der Grundansatz der Autoren, dass Profilentwicklung eine nicht abschließbare, dauerhafte Aufgabe diakonischer Unternehmen darstellt (im Sinne des St. Galler Management-Modells), die sinnvoll in Form von Profildialogen als Bestandteil der Organisationsentwicklung unter Einbeziehung aller Arbeits- und Handlungsfelder sowie Mitarbeitenden und aller anderen Stakeholder erfolgen sollte, ist überzeugend. Auch die schon in der Einleitung transparent be­nannten und in den Darstellungen immer wieder durchscheinenden Grundannahmen sind plausibel: Diakonisches Profil ist das vielfältige Ergebnis eines deutenden Kommunikationsprozesses. Es sollte nicht in Abgrenzung zu anderen entfaltet werden. Vor dem Hintergrund theologischer Anthropologie lassen sich fünf Profildimensionen diakonischer Praxis entwickeln, die im Laufe des Buches immer wieder aufgegriffen und inhaltlich gefüllt werden: individuell-stärkend, sozial-inkludierend, spirituell-sensibel, anwaltlich-solidarisch und ethisch-reflektierend.
Wo in den Beispielen aus der Praxis problematische Sichtweisen auftreten (beispielsweise Gleichsetzung von christlichem und humanistischem Menschenbild oder diakonisches Plus durch unentgeltliche Mehrarbeit), werden diese durch eine differenzierende Reflexion der Autoren relativiert. In diesem Sinne ist das Arbeitsbuch insgesamt erfreulich unideologisch und realistisch. Auch das theologische Reflexionsniveau ist an einigen Stellen im Vergleich zu ähnlicher Literatur ungewöhnlich hoch (beispielsweise in der Auseinandersetzung mit der Empowerment-Philosophie). Lediglich die Verwendung des Menschenrechte-Begriffs anstelle des Menschenwürde-Begriffs sowie die etymologische Bestimmung von Diakonie als Dienen (anstatt als Auftragshandeln) könnten hinterfragt werden.
Die empirische Studie macht deutlich, dass die Herausforderungen der Diakonie in Sachsen die gleichen sind wie überall: die Ge-staltung einer notwendigen Transformation unter ständig wech-selnden ökonomischen und rechtlichen Rahmenbedingungen (die insbesondere anwaltschaftliches Handeln erschweren) und eine Be­arbeitung der Spannung zwischen sozialem Unternehmertum und Wertbewahrung (hier wird an Arthur Richs alte Unterscheidung von sachgemäß und menschengerecht erinnert). Eine Besonderheit stellt in Sachsen der extrem hohe Anteil konfessionsloser Mitarbeiter dar. Wenig überraschend ist das Ergebnis, dass eine Vielzahl verschiedener Vorstellungen eines diakonischen Profils nebeneinander e xistiert. Interessant ist die Beobachtung lokaler Kulturen. Es hat sich gezeigt, dass diakonische Profilbildung nicht auf einzelne Aspekte der Organisationskultur oder auf bestimmte Personen beschränkt werden kann, sondern als ganzheitlicher Prozess verstanden werden muss (wobei einzelne Einrichtungen auf die Unterstützung des Dachverbands angewiesen sind). Das Buch schließt mit der Forderung, dass die Frage nach dem diakonischen Profil als ein kritisches Moment und als Triebfeder der Reflexion diakonischen Handelns wachgehalten werden müsse.
Es handelt sich bei diesem Buch um mehr als ein Arbeitsbuch zum Thema Profilbildung, da nahezu alle Themen, die derzeit in der Diakoniewissenschaft diskutiert werden (von der Dienstgemeinschaft bis zur Geschlechtergerechtigkeit), zumindest gestreift werden. Dabei gelangen die Autoren stets zu differenzierten Urteilen. Die Verbindung von Theoriegrundlagen mit Impulsen aus der diakonischen Praxis ist außerordentlich anregend. Wer sich künftig mit dem Thema des diakonischen Profils beschäftigt, kommt an diesem Arbeitsbuch nicht vorbei.