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Ausgabe:

Mai/2018

Spalte:

508–511

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Kirby, Torrance

Titel/Untertitel:

Persuasion and Conversion. Essays on Religion, Politics, and the Public Sphere in Early Modern England.

Verlag:

Leiden u. a.: Brill 2013. 230 S. = Studies in the History of Christian Traditions, 166. Geb. EUR 113,00. ISBN 978-90-04-25364-3.

Rezensent:

Markus Wriedt

Der kanadische Kirchenhistoriker Torrance Kirby genießt international hohes Ansehen und hat sich in seiner Forschungsarbeit immer wieder auf Spezimen der englischen Reformationsgeschichte konzentriert. Seit seiner Dissertation über Richard Hooker, die in Oxford UK promoviert wurde, hat er sich mit zahlreichen Studien immer wieder zu Wort gemeldet. Diese waren oft durch Forschungsaufenthalte an den renommiertesten Institutionen zur Theologie- und Kirchengeschichtsschreibung entwickelt und ge­fördert worden. In den letzten Jahren fokussierte er das Phänomen der Konversion innerhalb christlicher Traditionen bzw. Konfessionen und fragte nach den Überzeugungsstrategien, die dabei im England der Tudor-Zeit vor allem im Blick auf ihre öffentliche Wahrnehmung und Reflexion eine Rolle spielten. Der vorliegende Band präsentiert in übersichtlicher Zusammenstellung neun Aufsätze zu diesem Themenbereich.
Unter Aufnahme eines von Andrew Pettegree geprägten Ausdrucks, der in einer Veröffentlichung von 2005 von einer »public culture of persuasion« geschrieben hatte, sucht auch K. nach ebenjener durch spezifische – protestantische? – Kommunikationsformen der Öffentlichkeit geprägten Kultur. Während jener Begriff in der deutschen Forschung seit den Arbeiten von Jürgen Habermas problematisiert wurde, ist die englische Variante weit weniger von aktuellen Forschungsdiskursen kontaminiert. Im Unterschied zu der nach K. als sakramental charakterisierten öffentlichen Kultur des Spätmittelalters ist die mit der Reformation anbrechende Frühe Neuzeit geprägt durch eine klare Alternative: »the sixteenth-century reformers insisted on a sharply hypostatic demarcation between the inner, subjective space of the individual believer and the external, public space of institutional life, whether ecclesial and political« (1). Unter Zuhilfenahme wichtiger Instrumente der Textauslegung, der Ermahnung, einer vernunftbegründeten Positionierung im innerchristlichen Streit und der daraus resultierenden sittlichen Orientierung wurde eine »Öffentlichkeit« gleichermaßen im Medium der Predigt wie auch des Buchdrucks gebildet. Sie spielt innerhalb der Differenzierungsprozesse des frühmodernen Christentums auf den britischen Inseln eine erhebliche, in der Forschung nach Meinung K.s bisher vernachlässigte Rolle.
Der französische protestantische Theologe Antoine de Marcourt (1490–1561) veröffentlichte nach seiner Vertreibung aus Paris 1533 in Neuchâtel seinen Livre des marchans, der eine spezifische Nähe zur humanistischen Kirchenkritik etwa von François Rabelais zeigt. Er war auch in die weiteren humanistisch-frühevangelischen Entwicklungen wie die Affaire des Placards involviert. Wiewohl in seiner Frühzeit durchaus kämpferisch veranlagt, sagt man ihm heute eine pazifizierende Rolle innerhalb der englischen Reformation nach. Sein Traktat wurde zweimal ins Englische übersetzt. K. nimmt die Rezeption dieses Werks zum Anlass, die öffentlichen Reaktionen darauf in England und Frankreich miteinander zu vergleichen. Der Beitrag gipfelt in der These, mit der auch bestimmte vorherrschende rezeptionsgeschichtliche Überzeugungen der älteren Forschung korrigiert werden, dass Marcourt zwei Formen einer politischen Theologie einander konfrontiert und dadurch ein »proto-Erastian flavor« der öffentlichen Debatte beifügt.
Der zweite Aufsatz behandelt die öffentliche Wahrnehmung von Calvins Institutio Christianae religionis mit seiner subtilen Unterscheidung einer inneren, privaten und persönlichen, sowie einer öffentlichen, gleichsam politischen Sphäre. K. sucht in seiner Analyse zu zeigen, wie »the public religious discourse of the Reformation – persuasion through preaching and teaching – thus establishes an exemplar of a uniquely early-modern approach to negotiating the interaction between the private individual and the wider political community, namely through the instrumentality of an emerging ›public sphere‹ of discourse« (2). Der Beitrag rekonstruiert somit eine reformierte Alternative zur augustinisch-lutherischen »Zwei-Regimente-« bzw. »Zwei-Reiche-Lehre«. In der Folge gelingt es Calvin, ein christliches Verständnis von Freiheit zu artikulieren, das zu einer Neu-Konstitution von öffentlich performierter Ethik ( moral ontology) führt.
Der dritte Beitrag fragt nach dem mehrfachen Scheitern einer gründlichen Revision des kirchlichen Rechts seit der förmlichen Lösung Englands von Rom unter Heinrich VIII. Es bedurfte etlicher Anläufe zwischen 1529, 1551 und 1571, bis ein Reformentwurf, u. a. redigiert von John Foxe, durch die königliche Kommission dem Parlament vorgelegt werden konnte. Dort stießen die Vorschläge auf eine insgesamt kirchenfeindliche Stimmung. Auch wenn durch Erzbischof Parker autorisiert, wurden die Entwürfe weder von der Krone noch dem Parlament oder den Synoden approbiert. K. fragt nach den Auswirkungen dieses Scheiterns auf die Ausbildung einer englischen »protestantischen« Identität sowie deren so­zialdisziplinierender Umsetzung.
Bereits lange vor der Reformation, etwa seit dem 13. Jh., war eine unter freiem Himmel veranstaltete Predigt bei St. Pauls Cathedral unter dem Begriff »Paul’s Cross« institutionalisiert. Hier wurde weniger von der Nobilität als vielmehr durch die Gläubigen selbst der Predigt ausgewiesener Theologen zugehört, in denen diese gleichermaßen die öffentliche Moral skizzierten als auch theologische Überzeugungen zu vermitteln suchten. In den Jahren der turbulenten Entwicklung der englischen Reformation erhält diese Einrichtung eine wichtige Rolle. K. rekonstruiert die Wirkung dieser »Freiluft-Verkündigung« im Blick auf deren handelnde Personen: Prediger, Zuhörer, Elemente der Predigt und vieles andere mehr. Damit bestätigt er den schon länger formulierten Eindruck, dass »the English Reformation was accomplished from Paul’s Cross.« (3)
Der berühmte regius professor von Oxford Richard Smyth sah sich unter dem Eindruck der Thronbesteigung von Edward VI. gezwungen, seine altgläubigen Überzeugungen insbesondere im Blick auf das Verständnis der Messe und des Altarsakraments zu widerrufen. Er tat dies mehrfach, konnte aber nicht verhindern, seine Position zugunsten des Florentiner Vertreters einer reformierten Theologie Peter Martyr Vermigli räumen zu müssen, den Thomas Cranmer nach Ox­ford eingeladen hatte. K. rekonstruiert diese dramatische Entwicklung, die in der Oxforder Disputation 1549 sowie den von Thomas Cranmer verantworteten Liturgiereformen (1549, 1552) gipfelte. K. fasst zusammen: »By tracing the aftermath of Smyth’s 1547 sermon it becomes evident how events at Paul’s Cross played a key role in the unfolding of the English Reformation, and also how the hermeneutics of the sacraments came to be intertwined with the growing influence of an open arena of public discourse.« (4)
Auch der nächste Aufsatz – der sechste in der Reihe – thematisiert die Wirkung einer in »Paul’s cross« gehaltenen und inszenierten Kontroverse um das rechte Abendmahlsverständnis. Diese sollte die Tudor-Zeit in besonderer Weise prägen und führte zu der sogenannten »Great Controversy« über das Verhältnis von Zeichen und Sache, mithin eine Auseinandersetzung über das real-ontologische Verständnis der augustinischen Signifikationshermeneutik. Der später unter Elisabeth I. zum Bischof von Salisbury elevierte reformatorische Theologe avancierte nach dem Exil unter Mary I. Tudor zum Sprecher der englischen Reformation. K. konzentriert sich allerdings auf dessen »Challenge Sermon« von 1547 und die öffentlich inszenierte Debatte um das Sakramentsverständnis. Trotz einer intensiven semiotischen Positionsbestimmung erweist sich die Predigt als ein Paradebeispiel für den öffentlichen Austrag solcher Debatten und ihre Wirkung auf die öffentliche Ordnung sowie deren moralisch-ethische Begründung. Die komplizierte theologische Debatte avanciert in ihrer Repräsentation zu einem Beispiel der »culture of persuasion«.
Im siebten Beitrag analysiert K. die bereits 1992 von Richard Helgerson erhobene Behauptung, wonach abgesehen von der Bibel und dem Book of Common Prayer kein anderes Buch die englische Reformation mehr beeinflusst hat als John Foxes »Acts and Monuments« (Martyriologie; erstmals veröffentlicht 1563) und Richard Hookers »Of the Lawes of Ecclesiastical Polity« (1594). Während Foxe in apokalyptischen Bildern die Zeugen des wahren Evangeliums beschreibt, erläutert Hooker die Notwendigkeit einer Gesetzgebung zum Schutz und zur Bewahrung der erreichten evangelischen Durchgestaltung der englischen Gesellschaft. Die Spannung von Apologetik (Hooker) und Apokalyptik (Foxe) prägt nach K. in besonderer Weise das Klima religiös-politischer Überzeugung in der zweiten Hälfte des 16. Jh.s.
Einen großen Teil seines Lebens verwandte der Theologe Ri­chard Hooker (1554–1600) auf die Begründung der Vormundschaft der Krone für die Kirche. Diese Behauptung steht allerdings in Spannung zu der sorgsamen Scheidung der zwei Sphären von religiöser und politischer Verantwortung. K. vertritt die These, dass die »Laisierung« der kirchlichen Autorität einhergeht mit einem öffentlich wahrgenommenen Bewusstsein für die Religions- und Kirchenfürsorge. Er trägt hier in besonderer Weise zur Debatte um die säkularisierende Wirkung der Reformation bei, die nicht zu­letzt durch seinen Universitätskollegen Richard Taylor in den be­rühmten McGill-Lectures (veröffentlicht unter dem Titel: A Secular Age, 2007) intensiv vorangetrieben wurde. Insbesondere die dafür tragende Vorstellung von Hooker, der zwischen einem inneren und einem äußeren Bereich der Gottesbeziehung (worship) in Analogie zu Calvin und Jewel unterscheidet und darin gleichsam Semlers Unterscheidung von privater und öffentlicher Religion vorwegnimmt, trägt wesentlich zur Modernitätstauglichkeit dieses Ansatzes bei. Zugleich wird damit ein weiterer entscheidender Beitrag zu einer öffentlichen Kultur der Auseinandersetzung über religiöse Fragen geleistet.
Zugleich bietet diese säkulare Begründung eines öffentlichen Diskursraums bei Hooker auch eine sakralisierende Dimension (etwa im Sinne von Hans Joas). Die öffentliche Welt, die Hierarchie von Staat und Kirche, die Strukturen der Gesellschaft bis hin zu deren familiaren Abbild sind nach Hooker Abbilder der englischen (angelic) Hierarchie der Himmelswesen. Das führt faktisch zu einer Divinisation der von Hooker in seinen Laws gelieferten Politik insbesondere Elisabeths I.
Wer den Band als detaillierten Beitrag zur englischen Reformationsgeschichte liest, bringt sich um wesentliche Dimensionen der vorgestellten Aufsätze. Im Gegensatz zu mancher insularen, detailversessenen Quellenanalyse deutet K. eine neue Tendenz der englischsprachigen Reformationshistoriographie an. Wenn auch nur angedeutet, zeigt K. immer wieder die Nähe zu interdisziplinären Debatten und Theoriezusammenhängen, welche der anglo-amerikanischen Forschung und ihrer Theorieabstinenz lange Zeit widerrieten. Vor diesem Hintergrund ist der Band eben nicht nur für Historikerinnen und Historiker der frühen Neuzeit von Gewinn, s ondern auch für alle anderen, historisch interessierten und in ihrer Theoriebildung nach gut gegründeten Fakten suchenden Wissenschaften von Bedeutung. Am Beispiel der englischen Re­formation wird der Zusammenhang von Säkularisationstheorien, dem Begriff und dem Verständnis von Öffentlichkeit erörtert und ein prozessualer Zugang zur historiographischen Rekonstruktion dieser Entwicklungen aufgezeigt. So ist dem Buch eine breite Re­zeption zu wünschen, die auch in der deutschsprachigen Forschung Anlass zur Weiterentwicklung festgefahrener Diskurse ge­ben könnte.