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Ausgabe: | Juli/August/2017 |
Spalte: | 725–727 |
Kategorie: | Religionswissenschaft |
Autor/Hrsg.: | Frankemölle, Hubert |
Titel/Untertitel: | Vater im Glauben? Abraham/Ibrahim in Tora, Neuem Testament und Koran. |
Verlag: | Freiburg i. Br. u. a.: Verlag Herder 2016. 520 S. Geb. EUR 34,99. ISBN 978-3-451-34911-9. |
Rezensent: | Christfried Böttrich |
Seit Langem schon steht die Verständigung zwischen Juden, Christen und Muslimen (wo sie denn ernsthaft betrieben wird) unter der Schirmherrschaft Abrahams – und das aus guten Gründen. Denn ihm schreiben Tora, Neues Testament und Koran gleichermaßen die Rolle einer Integrationsfigur zu. Die Rede von der »abrahamischen Ökumene« kommt daher nicht von ungefähr. Wie weit sie trägt, bleibt allerdings noch zu klären, wozu die Erfahrungen des christlich-jüdischen Dialoges wie auch des christlich-jüdisch-islamischen Trialoges der vergangenen Jahrzehnte einen wichtigen Beitrag leisten können. Hubert Frankemölle hat sich auf diesem Feld seit vielen Jahren bewegt – literarisch in zahlreichen Veröffentlichungen, praktisch in der Organisation vieler Dialog- und Trialog-Begegnungen. Das vorliegende Buch ist somit eine Art Bestandsaufnahme und Bilanz eines Lebensthemas.
Der Titel signalisiert durch sein Fragezeichen bereits das leitende Problem: Vereint Abraham tatsächlich diejenigen, die sich auf ihn berufen? Um die Antwort gleich vorwegzunehmen: »Die Frage nach einer ›abrahamischen Ökumene‹ auf der Basis der vorgegebenen Schriften stellen, heißt sie verneinen oder sie so zu verallgemeinern, dass die mit Abraham verbundenen Glaubenselemente wie Monotheismus, Schöpfung und Endgericht durch einen virtuellen ›Abraham‹ zusammengehalten werden, der mit dem biblischen Abraham nicht identisch ist.« (463) Im Laufe seiner Darstellung arbeitet F. deshalb vor allem die jeweiligen Eigenheiten und Unterschiede heraus. Das Gespräch der drei abrahamischen Religionen ist dennoch dringlicher als je zuvor und verdient jede Anstrengung. Nur spielt der Patriarch dabei weniger die Rolle einer »Urgestalt« als die einer Symbolfigur für den gemeinsamen Weg, den erst noch zu suchen Juden, Christen und Muslimen unausweichlich aufgegeben ist.
Der Aufbau des Buches spiegelt den Anspruch wider, sowohl die Quellen als auch die Rezeptionswege der Figur Abrahams möglichst umfassend darzustellen. Nach einer kurzen Einführung, die den aktuellen politischen Kontext einer Verständigung zwischen den drei abrahamischen Religionen umreißt, werden zunächst »I. Literarische und archäologische Gedächtnisorte an Abraham« vorgestellt. Dabei geht es vor allem um hermeneutische Überlegungen zu verschiedenen Lesarten der Abrahamfigur, um die Herkunft des Patriarchen und seinen Tod, die Lokaltradition in Hebron sowie das Phänomen von Gründer-Erzählungen überhaupt. Die folgenden sechs Kapitel unternehmen sodann eine kursorische Lektüre aller Abrahamtexte in den relevanten Schriftenkorpora, wobei der Text jeweils noch einmal vollständig abgedruckt wird. »II. Abraham in der hebräisch-jüdischen Bibel« präsentiert den Basistext aus Gen 12–25 und kommentiert ihn, der Erzählchronologie folgend, in sieben thematisch orientierten Abschnitten; weitere verstreute Belege außerhalb der Tora schließen sich an. Was unter »III. Abraham in der griechisch-jüdischen Bibel« zusammengefasst ist, fügt die kurzen Erwähnungen aus Sir 44, 1Makk 2 und den Zusätzen zu Esther hinzu. »IV. Abraham in der christlich-jüdischen Bibel (Neues Testament)« deutet allein schon im Titel den engen Zusammenhang an; Gal, 2Kor und Röm, die Logienquelle und alle vier Evangelien (samt Apg) sowie Hebr und Jak passieren dabei Revue. Sehr knapp verfährt »V. Die Rezeption des biblischen Abraham-Bildes im Christentum außerhalb der Bibel bis Mohammed«, worunter sich die Auslegung der frühen Kirchenväter verbirgt. »VI. Die Rezeption des biblischen Abraham-Bildes im Judentum außerhalb der Bibel bis Mohammed« behandelt Philo von Alexandrien, Flavius Josephus sowie einige der »Pseudepigraphen« (hier etwas irreführend: Schriften des aramäischen Judentums) wie Jub, ApkAbr und TestAbr, gefolgt von einem Blick auf die rabbinische Tradition. Größtes Gewicht liegt dann auf »VII. Die Rezeption Abrahams im Koran«, dem mit 136 Seiten umfangreichsten Teil, denn hier dürfte auch der Informationswert für das anvisierte Lesepublikum am höchsten sein. Nach einigen hermeneutischen Vorbemerkungen kommen alle 25 Suren, in denen Abraham erwähnt wird, ausführlich zur Darstellung. Anders als bei den vorigen Korpora wird nun auch die Zusammenfassung noch einmal thematisch untergliedert, um die verschiedenen Facetten des koranischen Ibrahim deutlicher herauszuarbeiten. Denn während die »jüdische« und die »christliche Bibel« einen einzigen großen Zusammenhang darstellen, bestehen zwischen Bibel und Koran markante Unterschiede in mehrfacher Hinsicht. Diesem Thema ist das letzte Kapitel gewidmet: »VIII. Bibel und Koran lesen«. F. vertritt darin die Forderung, dass auch der Koran nicht anders zu lesen sei als die Bibel – nämlich unter Wahrnehmung der jeweiligen gesellschaftlichen Kontexte, des Situationsbezuges, der Pragmatik und des religiösen Selbstverständnisses seiner Trägerkreise. Interessanterweise verschiebt sich in diesem Schlusskapitel das Interesse – weg von Abraham und hin zu der aktuellen Thematik des Gewaltpotentials, von dem die heiligen Texte der abrahamischen Religionen geprägt sind.
Das letzte Kapitel »Ausblick: ›Abrahamische Ökumene?!‹« behält das Fragezeichen bei, fügt ihm aber noch ein Ausrufezeichen hinzu. Erneut werden die größere Nähe zwischen Christen und Juden sowie der größere Abstand zum Islam vermerkt, die Differenz der Bezugnahme auf Abraham in den Texten festgestellt und die Besonderheiten der Rezeptionswege beschrieben. Umso stärker werden nun aber auch die Chancen und Potentiale betont, die in der vielfältigen Rezeption der Abrahamfigur begründet liegen. Damit lassen sich zum Wohl der Menschen und der Welt neue Möglichkeiten erschließen, auch auf getrennten Glaubenswegen gemeinsame »Schritte auf dem Weg des Friedens« zu gehen. »›Abraham‹ mit seinem Glauben an den einen, einzigen Gott als Schöpfer der Welt könnte in der Tat Bindeglied zwischen den monotheistischen Religionen werden – nicht als Identifikationsfigur, wohl jedoch als Vision eines gemeinsamen Ethos der drei monotheistischen Weltreligionen …« (497). »Es sind noch viele Schritte auf dem Weg zu einer wirklichen ›abrahamischen Ökumene‹ seitens der Christen, aber auch der Juden, noch mehr seitens der Muslime zu tun.« (502)
Es ist der Vorzug dieses Buches, alle relevanten Abraham-Texte noch einmal zwischen zwei Deckeln versammelt und besprochen zu haben. Dabei lassen sich freilich auch die zahlreichen Redundanzen nicht übersehen. Die stark assoziativen Erläuterungen sind mit vielen fachwissenschaftlichen Informationen überfrachtet, die den Sachverhalt aber meist nur anreißen und dann wieder suspendieren; die Argumente springen immer wieder zwischen antiken Quellen, Enzykliken und Denkschriften, Archäologie und Legende, alten Dogmen und neuen Forschungsansätzen, Koran und Charlie Hebdo hin und her. Weniger wäre hier sicher mehr gewesen.
Sehr gediegen ist die Ausstattung des Bandes. Insgesamt 51 qualitätvolle Abbildungen aus der ikonographischen Tradition sowie von aktuellen Dialogbegegnungen lockern die Lektüre auf. Weiterführende Literatur, am Schluss eines jeden Abschnittes zusammengestellt, lädt zur eigenständigen Auseinandersetzung mit der Abrahamgestalt ein.
In der gegenwärtigen politischen Situation kommt dem Buch eine wichtige Funktion zu. Die Irritationen zwischen Juden, Christen und Muslimen haben wieder zugenommen. Platte Parolen ohne jede Sachkenntnis werden im Netz als Wahrheiten verbreitet. Solides Wissen ist immer noch Mangelware. Aufklärung und gegenseitige Wahrnehmung sind dringend erforderlich. Christliche Leserinnen und Leser erhalten durch das vorliegende Buch vor allem eine verlässliche Einführung in koranische Lektüre, zugespitzt auf die Thematik der »anderen« und des Umganges mit Gewalt. Zugleich schärft das Buch den kritischen Blick auf die eigene Tradition. Ohne die Unterschiede zu verwischen, ermutigt es, im Namen »Abrahams« das Gespräch zu suchen und selbst auf Entdeckung zu gehen – literarisch wie praktisch. Für dieses Anliegen kann man dem Buch gar nicht genug an Leserschaft wünschen!