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Ausgabe:

Juni/2017

Spalte:

639–643

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Prietz, Frank Ulrich

Titel/Untertitel:

Das Mittelalter im Dienst der Reformation: Die Chronica Carions und Melanchthons von 1532. Zur Vermittlung mittelalterlicher Geschichtskonzeptionen in die protestantische Historiographie.

Verlag:

Stuttgart: Verlag W. Kohlhammer 2014. LXXXVIII, 707 S. m. Abb. u. 1 CD-ROM = Veröffentlichungen der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg. Reihe B: Forschungen, 192. Geb. EUR 64,00. ISBN 978-3-17-024940-0.

Rezensent:

Malte von Spankeren

Allein diese Autorenkonstellation! Johannes Carion, Hofastrologe des streng altgläubigen Kurfürsten Joachim von Brandenburg, schreibt ein dickleibiges Geschichtswerk und übergibt es ausgerechnet Philipp Melanchthon mit der Bitte um Überarbeitung. Die Erstauflage wird in Wittenberg gedruckt und pikanterweise dem Sohn des Kurfürsten, dem späteren Joachim II. zugeeignet, der nach dem Ableben seines Vaters die Reformation in seinem Territorium einführen sollte. Dieses »Chronicon Carionis« entfaltete in der Folge eine bemerkenswerte Wirkungsgeschichte und wird in seinen zahlreichen Auflagen als eines der großen »protestantischen« Ge­schichtswerke weithin rezipiert. Sein historiographischer Wert als »Grundbuch der reformatorischen Geschichtsschreibung« (5) ist kaum zu bestreiten. Noch A. H. Francke sollte es künftigen Prinzen zur Lektüre empfehlen. Über diese Information verfügte der Autor der über 700 Seiten umfassenden Dissertation, Frank Ulrich Prietz, die 2008 an der Fakultät für Philosophie und Geschichte in Tübingen angenommen und sechs Jahre später gedruckt wurde, freilich noch nicht (siehe dazu die Rezension zu Christoph Schmitt-Maaß in dieser Ausgabe). Die auf Deutsch publizierte Chronik stellt von der Schöpfung bis in die unmittelbare Gegenwart des Jahres 1532 in drei Einzelbüchern zu je hunderten von Seiten den Ablauf der Geschichte dar. Die Gliederung folgt einerseits der im Buch Daniel beschriebenen Abfolge der vier Monarchien sowie andererseits dem aus dem Vaticinium Eliae entlehnten Aufbau in drei Epochen zu jeweils 2.000 Jahren. Internes Gliederungsprinzip bilden die Herrschaftszeiten weltlicher Potentaten. Ihren wichtigsten zeitgenössischen Bezugspunkt bildet laut P. freilich ein anderes Thema: »Unter zeitgenössischem Aspekt betrachtet prägte nichts die Carionschronik so sehr wie die Türkenproblematik.« (534)
Einige inhaltliche Kritikpunkte an der Dissertation seien eingangs angemerkt. Bei der inhaltlichen Kontextualisierung vermisst man des Öfteren neuere (kirchen-)historische Forschungsliteratur. P. problematisiert selbst, dass er die Literatur zwischen Einreichung und Drucklegung seiner Arbeit nicht berücksichtigen konnte, aber in diesen sechs Jahren sind ponderable Studien (z. B. zur Konzilsthematik) erschienen, so dass einige der von P. analysier­ten Aspekte nicht mehr auf dem aktuellen Forschungsstand sind. Die Konzeption der Arbeit schwankt überdies zwischen einem Überblickswerk zu einem einflussreichen protestantischen Geschichtswerk und einer Spezialstudie zum Geschichtsbild Carions und Melanchthons. Infolgedessen gewährt die Studie zwar den ein oder anderen aufschlussreichen Ein-, aber insgesamt zu wenig Durchblick. Irritierend ist das falsche Geburtsdatum bei der Ersterwähnung Melanchthons (3), störend sind einige Redundanzen, wie z. B., dass die Autoren einem mittelalterlichen Geschichtsbild an­hängen (258.299) bzw. einer mittelalterlichen Geisteshaltung (227. 397.472[2x].485.490.492.509 u. ö.), und bei Lebensdaten reicht eigentlich die einmalige Angabe (zu Carion 3 & 13). Auch der Satzbau ist mitunter gewöhnungsbedürftig: »Auf dem Weg zum Reichstag hatte er Luther, offenbar keinen guten Eindruck gewinnend, persönlich kennengelernt« (22). Inhaltlich ist die Qualifikationsschrift deskriptiv durchaus stark, aber analytisch des Öfteren schwach. Dabei ist der Fleiß P.s vorbehaltlos zu würdigen. Über 50 v erschiedene Ausgaben der Chronik wurden von P. laut eigener Aussage berücksichtigt, so dass ein aktueller Überblick über die verschiedenen Ausgaben der Chronik vorliegt. Die Abbildungen sind sachgerecht ausgewählt und illustrieren die inhaltlichen Ausführungen (z. B. 460). Die beigelegte CD-ROM ist ein praktisches Gimmick, mit dessen Hilfe die Arbeit auch digital verfügbar ist. Allerdings deuten bereits die sechseinhalb Seiten Inhaltsverzeichnis an, dass dem Buch 200 Seiten weniger gutgetan hätten, wo­durch auch einige Redundanzen vermieden worden wären.
Die Dissertation besteht aus drei »Teilen«. Teil A (29–198) führt in das Werk ein und bietet ausführliche Informationen über die Chronik, ihre einzelnen Ausgaben, deren Verhältnis zueinander, die jeweiligen inhaltlichen Überarbeitungen, speziell zum wichtigen Thema der Chronologie, und verweist auf Mängel der Darstellung. Teil B (201–604) analysiert den Einfluss mittelalterlicher His­toriographie und nimmt in gelungener Weise zeitgenössische Problematiken und deren Verarbeitung innerhalb der Chronik in den Blick, wie z. B. das Kaiserbild und die Ketzergeschichte. Angesichts eines erwarteten Endes der Geschichte wird ausführlich auf den Stellenwert der »Türken« und ihre militärische Expansion nä­her eingegangen (534–585). Der kürzeste Teil C (607–655) nimmt die Rezeption der Chronik in den Blick und beleuchtet vor allem Caspar Peucers Bearbeitungen.
P.’ eröffnende Aussage, die Chronik habe »nur selten im Blickpunkt des wissenschaftlichen Interesses« (3) gestanden, ist in ihrer Allgemeinheit und angesichts der Einzelstudien, welche P. selbst anführt, so nicht haltbar. So macht P. an anderer Stelle selbst darauf aufmerksam, dass zu den mittelalterlichen Quellen einige Studien vorliegen (202, Anm. 1079). Neues bietet P., indem er umfangreiche Untersuchungen zur Entstehung der Chronik durchführt, welche auch die Abhängigkeiten der unterschiedlichen Ausgaben in den Blick nehmen. Auch Rezeptionsspuren, welche die Chronik in anderen Werken hinterlassen hat, werden berücksichtigt (s. u.). Überflüssig sind m. E. die Ausführungen zum »Wesen der Historiographie« und ihres Standpunktes zwischen »Wissenschaft und Literatur« (5–8). Dass »Geschichtsschreibung auch und vor allem als »Selbstinterpretation des Zeitalters«, in dem sie entstanden ist« (6), fungiert, ist nun wirklich Allgemeingut. Dabei an A. Assmanns Forschungen zum kulturellen Gedächtnis anknüpfen zu wollen, ist zwar sinnvoll, erfolgt dann aber im Laufe der Studie viel zu selten. Ausführlich und auf dem Stand der Forschung ist dagegen die detaillierte Biographie zu Carion, die speziell sein politisches Wirken und seine konfessionelle Haltung in den Blick nimmt (13–26).
Zu Abschnitt A ist ferner zu bemerken, dass der Überblick zur neueren Forschungsliteratur Mängel aufweist und beispielsweise einen Forschungsbeitrag zunächst nicht erwähnt (29, Anm. 127), obwohl dieser später zitiert und kritisiert wird (vgl. z. B. 67, Anm. 367). Inhaltlich geht P. auf den Entstehungsprozess der Chronik näher ein (36–38) und ordnet sie nachvollziehbar »in die Tradition der universalen Weltchronistik« (42) ein. Anschließend wird auf die verschiedenen Ausgaben der Chronik näher eingegangen, wobei die editio princeps plausibel auf den April 1532 datiert wird. Ausführlich wird die umfangreiche Bearbeitung der Chronik durch Melanchthon geschildert (73–194), wobei P. äußere Merkmale und inhaltliche Schwerpunktsetzungen als Kennzeichen einer Überarbeitung ausweist, so dass er nachvollziehbar urteilt, die Chronik habe eine »absichtsvolle Umgestaltung in Aufbau und Gliederung« (77) erfahren. Inhaltlich weist insbesondere das Herrscherbild auf einen grundlegenden Überarbeitungsprozess hin, wofür P. treffende Beispiele anführt (81–89). Deutlich verweisen die zeitgenössischen Bezugnahmen auf eine Überarbeitung der Chronik, in denen z. B. kurfürstlicher Ehebruch und Idolatriekritik thematisiert werden. Ausführlich untersucht P. das zugrundeliegende Geschichtsbild und Zeitverständnis der Autoren, die nachhaltig von mittelalterlichen Traditionen geprägt sind. Ob aber, wie P. behauptet, das Vier-Monarchien-Schema »durch die Carionschronik in das Denken des Protestantismus« (103) gelangte, erscheint zweifelhaft. So liegt dieses Schema bereits in Luthers Türkenschriften ebenso wie in der von Melanchthon zusammen mit Justus Jonas schon 1530 publizierten Schrift »Das sibende Capitel Danielis«, die P. an anderer Stelle auch mehrfach anführt (532 und 552) und dabei auf ihre »enge geistige Verwandtschaft« zur Carionschronik verweist, zugrunde. Hier verlässt sich P. auf Aussagen der Forschung, die schlicht irreführend sind.
Charakteristisch für die Darstellung einzelner historischer Ereignisse innerhalb der Chronik ist die Verknüpfung von Ereignis und Deutung, so dass »die Geschichte als Bedeutungsträger anerkannt wird.« (112) Indem P. das Datierungssystem der Autoren analysiert, erbringt er neue Forschungserkenntnisse, z. B. wenn er angesichts älterer Forschungsbeiträge in Frage stellt, dass der Erfolg der Chronik auf der Qualität ihrer Chronologie basiere (117). Auch die chronologischen Ungereimtheiten, welche den Autoren besonders im Hinblick auf einzelne Päpste und Kaiser unterlaufen, zeigt er luzide auf (123–131). Beispielsweise wird das Jahr der Gründung Roms viermal unterschiedlich datiert, wobei man nicht so weit gehen muss wie P., der dies als »katastrophal« bezeichnet (129). Infolgedessen weist er gegen die bisherige Forschung auf die chronologischen Widersprüche hin (195) und führt alternativ zwei andere Gründe für den publizistischen Erfolg der Chronik an: zum einen ihre Abfassung in deutscher Sprache und zum anderen ihre übersichtliche Stoffdarbietung (197 f.). Dass sie Melanchthon überdies als Vorlesungsgrundlage gedient hat, dürfte hinzugekommen sein.
Im ausführlichen Teil B geht P. näher auf die Endzeiterwartung ein, die er als ein Hauptthema der Chronik charakterisiert (201–299). Zunächst allerdings werden die prinzipiellen Problematiken analysiert, die sich ergeben, wenn man zu gesicherten Erkenntnissen bezüglich der Quellen der Chronik gelangen möchte (267–269). Anhand von fünf exemplarischen Einzelanalysen gelingt es P., den interessengeleiteten Umgang der Autoren mit ihren Quellen in­struktiv darzustellen. Er veranschaulicht z. B., wie die Darstellung des Investiturstreites als Mittel der Papstkritik funktionalisiert worden ist. Somit kann P. luzide zeigen, wie Melanchthon und Carion Informationen, die ihren antiklerikalen Intentionen zweck dienlich erschienen, aus älteren Vorlagen aufgriffen und in das Zentrum ihrer Darstellung rückten.
Wichtig ist P.’ Nachweis, dass die Revelationes Methodii Eingang in die Chronik gefunden haben, da auf ihrer Basis ein apokalyptisches Endzeitszenario unter Einbeziehung des Islams entworfen wurde. Nicht sinnvoll ist dagegen der Abschnitt »Die Verfügbarkeit der Quellen 1531/32« (242–249), weil er nur Allgemeinplätze bietet, wie beispielsweise: »Die Quellenlage zur Zeit der Entstehung der Carionschronik war entscheidend durch den Buchdruck mitbestimmt.« (242) Beachtung verdient dagegen der Abschnitt über die »zeitgenössischen Themen und Fragestellungen« (301–424), in dem P. veranschaulicht, wie gegenwartsrelevante Fragestellungen Eingang in die Chronik fanden. Dies exemplifiziert er u. a. hinsichtlich der Kaiser und Kurfürsten. Diese werden in der Chronik angesichts der heranrückenden Osmanen als »Protagonis­ten des angenommenen apokalyptischen Endkampfs« (301) charakterisiert. In diesem Kontext zeigt P., dass die Chronik als protestantischer Fürstenspiegel gelten kann. Denn Tugenden und Las­ter weltlicher Herrscher werden hier ebenso verhandelt wie die Frage nach einem adäquaten Amtsverständnis und – am Beispiel von Kyros – die Legitima-tion des Herrschers (314 f.). In diesem Zu­sammenhang stellt P. die Darstellung der Kurfürsten als einen wesentlichen Aspekt für ein sachgerechtes Verständnis der Chronik als Ganzer heraus. Die Einheit der Kurfürsten wird besonders betont, da sie, zumal in Abwesenheit des Herrschers, als Garanten der Ordnung gelten und dadurch die Zukunft des Reiches sichern.
Interessant ist ein Exkurs, in dem dargestellt wird, wie den Autoren mittelalterliche Kaiser als Präfigurationen für Karl V. dienten, wobei – durchaus bemerkenswert – Karl dem Großen eine wichtige Funktion zukam. Die Autoren stellten neben der Bedeutung der translatio imperii besonders Karls Verdienst in religiösen Angelegenheiten – so habe er Konzile abgehalten –, heraus. Auf einige irrlichternde Aussagen der Autoren, laut denen Karl als Lektor tätig gewesen sei, wird hingewiesen. Anhand der Darstellung Ottos des Großen werden die Beziehungen zwischen kaiserlicher und päpstlicher Macht thematisiert, wobei der Kaiser als einzig rechtmäßiger »Führer der christlichen Reiche dargestellt« (385) wird. Auch die Schilderung Barbarossas ist vielmehr durch die Papstkritik der Autoren intentional motiviert, als dass sie einer historischen Darstellung des Staufers verpflichtet wäre. Nicht zuletzt hier zeigt sich die identitätspolitische Intention der Chronik, die weniger auf eine Darstellung mittelalterlicher Kaiser, sondern auf die dadurch ermöglichte Papstkritik abzielt. Die Darstellung endet mit Karl V., der als Stifter der religiösen Einheit der Christen figuriert wird. Die Bedeutung dieser Darstellung für »die Konzilserwartung der zeitgenössischen protestantischen Seite« (391) wird hier nur angeschnitten und leider nicht ausgeführt. Karl V. wird auf Basis seiner Vorgänger als »perfekter Fürst« (393) – ein diskutabler Begriff – dargestellt und dabei insbesondere seine führende Rolle im Kampf mit den »Türken« betont. Sodann wird in einem größeren Unterabschnitt auf das »Recht als Herrschaftsmittel« näher eingegangen (397–424), wobei ein Exkurs zur Entwicklung der Rechtsauffassung Melanchthons sinnvollerweise integriert ist. Der Stellenwert des römischen Rechts innerhalb der Chronik wird herausgearbeitet und dabei veranschaulicht, wie die Autoren Tendenzen ihrer Gegenwart, welche den Stellenwert des römischen Rechts kritisch befragten, abzuwehren suchten.
Der Abschnitt »Der Kampf um den Glauben als Ausdruck der zeitgenössischen Endzeiterwartung« (425–448) konzentriert sich vor allem auf die Ketzergeschichte. Die vorausgehenden Ausführungen zur Konzilsgeschichte (426–429) sind nur sehr eingeschränkt verwendbar, weil hier die grundlegende neuere Forschungsliteratur nicht berücksichtigt wurde. Bei der Analyse der Darstellung der Arianer wurde ebenfalls einiges verschenkt, verweist P. doch auf die aus Sicht der Autoren wichtige Wegbereiterfunktion, welche die Arianer für die Entstehung und Durchsetzung des Islams gehabt hätten, ohne darauf aber näher einzugehen. Hier wäre ein vergleichender Blick in »Das sibende Capitel Danielis« wichtig gewesen, in dem dieses gedankliche Konstrukt erläutert wird – zumal die Arianer nach Darstellung der Autoren mitverantwortlich dafür waren, dass mit den »Türken« ein mächtiger Gegenspieler am Ende der Zeiten zur Verfügung steht (436). Bei der Darstellung Th. Müntzers werden solche Querverweise von P. hingegen sinnvollerweise hergestellt (441).
Im Abschnitt »Prophetie und Weltende: Der heraufziehende Kampf mit dem Antichrist als Endpunkt der Geschichte« (449–600) wird die endzeitliche Perspektive der Chronik konkret anhand der Astrologie und Prophetie sowie der »Türkenthematik« thematisiert. P. zieht das Fazit: »Das Geschichtswerk ist Ausdruck einer traumatisierenden Furcht und in einem Zug auch Antwort auf diese.« Seine direkt anschließende Schlussfolgerung ist dagegen fragwürdig: »Aus dieser Tatsache ergibt sich nebenbei eine Relevanz des Themas für den heutigen, in einer sich mehr und mehr deindustrialisierenden Gesellschaft lebenden Leser.« (451) Auch eine Aussage wie »Melanchthon hatte einen ganzheitlichen Ansatz« (458), um seine Auffassung eines Kausalzusammenhangs in der Natur zu charakterisieren, ruft mehr Fragen hervor als sie beantwortet. Angesichts der Begeisterung Melanchthons für die Astrologie und Carions beruflicher Betätigung lag es nahe, auch den Stellenwert der Astrologie eigens zu untersuchen (470–483). Dass Kometenerscheinungen, die sich während der Abfassungszeit der Chronik ereigneten (Halleyscher Komet 1531), Eingang gefunden haben, ist eine interessante Beobachtung. P. diskutiert ferner den direkten und indirekten Einfluss des Pseudo-Methodius und dabei insbesondere die Vorstellung einer eschatologischen Endkaisergestalt (511–527). Hier hätte man durchaus auf Melanchthons Briefe verweisen können, in denen ebenfalls militärische Expeditionen des Reichsoberhaupts thematisiert werden. Diesem Endkaiser soll die Aufgabe zukommen, einen Endkampf gegen die »Türken« zu führen, auf die P. anschließend ausführlich eingeht. Diese werden in nicht weniger als 43 Kapiteln der Chronik thematisiert, beispielsweise hinsichtlich ihrer historischen Herkunft (538–543) und ihrer Religion, die den Autoren als »›Ketzerei‹ Mohammeds« gilt (545). Ausführlicher wird der Zusammenhang zwischen Türkenproblematik und Endzeitbewusstsein analysiert, aber auch hier gilt wieder das eingangs benannte Manko bezüglich des Forschungsstandes. Eine Berücksichtigung von Kaufmanns »Türckenbüchlein« hätte hier präzisere Schlussfolgerungen ermöglicht (siehe z. B. 551 f.). Auf die zahlreichen Überarbeitungen gegen Ende der Chronik geht P. im Folgenden ein und zeigt, inwiefern diese die zeitgenössischen politischen Geschehnisse widerspiegeln. So wird angesichts der umstrittenen Wahl Ferdinands das Thema des Mitkaisertums verhandelt und die Einheit der Fürsten wird postuliert, um sich gegen Tendenzen zu wehren, welche den erwarteten Kampf Karls V. gegen die Osmanen erschweren könnten (besonders 587).
Eine bündige Zusammenfassung rundet diesen Abschnitt ab (601–604), bevor in Teil C die Rezeption der deutschsprachigen Erstauflage anhand historischer Schlaglichter untersucht wird (607–615). Ihr Verhältnis zum lateinisch publizierten »Chronicon«, welches von Melanchthon und Caspar Peucer überarbeitet wurde (1558/65) wird abschließend analysiert, wobei die veränderten zeitgenössischen Kontexte ihre Spuren hinterlassen haben. Abschließend werden die Ergebnisse auf knapp 15 Seiten zusammengefasst (659–673).
P.’ Studie könnte durchaus den Anstoß geben für eine kritische Edition der Chronik oder zumindest eine moderne Druckausgabe, deren Fehlen P. zu Recht angemahnt hat (29).