Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Juni/2017

Spalte:

637–638

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Henning, Meghan

Titel/Untertitel:

Educating Early Christians through the Rhetoric of Hell. »Weeping and Gnashing of Teeth« as Paideia in Matthew and the Early Church.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2014. XIII, 294 S. = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament. 2. Reihe, 382. Kart. EUR 79,00. ISBN 978-3-16-152963-4.

Rezensent:

Boris Repschinski

Wer die Hölle gerne kennenlernen möchte, ohne gleich persönliche Erfahrungen zu sammeln, ist mit Meghan Hennings Buch schon einmal einen guten Schritt weiter. Das Interesse H.s ist es, den Gründen für die frühchristliche Faszination mit Beschreibungen einer ewigen Bestrafung für Sünder auf die Spur zu kommen. Dabei geht sie methodisch den motivgeschichtlichen Weg und versucht über die Beschreibungen einer Form von Existenz nach dem Tod in der hebräischen Bibel (Kapitel 2), in griechischer und römischer Literatur (Kapitel 3), in jüdischen Apokalypsen (Kapitel 4) und im Neuen Testament (Kapitel 5) den spezifisch matthäischen Beitrag zu diesem Motiv (Kapitel 6) zu zeigen, bevor sie auf die pädagogische Funktion der Rede von der Hölle in frühchristlichen Apokalypsen und ausgewählten Kirchenvätern (Kapitel 7) zu sprechen kommt. Ein Schlusskapitel trägt die Ergebnisse zusammen und versucht aufzuzeigen, aus welchen Gründen und mit welchen Mo-tiven die Landschaft der Hölle im frühen Christentum kultiviert wurde. Appendizes, Indizes und ein Literaturverzeichnis runden das Buch ab. Die Grundthese H.s ist, dass christliche Beschreibungen der Hölle eine rhetorische Funktion hatten, die der Kommunika-tion und Bildung einer spezifisch christlichen Ethik dienten. Diese Funktion wird laut H. durch verschiedene Stilmittel besonders hervorgehoben. H. betont besonders die ekphrasis, eine lebendige Be­schreibung, die den Hörern Situationen vor Augen stellt, und enargeia, eine Darstellung, die emotionale Reaktionen provozieren soll.
Diese These lebt von der Einsicht, dass solche Materialien in der Schulbildung der Antike besonders über die Werke von Homer und Virgil einen Platz in antiker paideia bekamen. Dieser Teil des Bu­ches ist gut ausgearbeitet und kann überzeugen. Doch wird es dann problematisch, versucht H. ihre These auf andere Textcorpora zu erweitern. So versucht sie, die Höllenrede in der hebräischen Bibel mit solch pädagogischen Zielen zu verbinden. Dies gelingt durchaus in den von ihr zitierten Teilen der Weisheitsliteratur. Doch fragt man sich, warum 1Sam 28 nicht aufgenommen wird und warum sie Ijob 33 für ihre Zwecke verbiegt, stellt doch die Rede Elihus in der Sicht des Buches Ijob nicht die ideale Perspektive dar. Zudem sind zwar homerische Texte Teil der Schulbildung, aber man fragt sich doch, wie solche Schultexte für Kinder und Jugendliche schließlich Eingang in die Philosophie oder Religion des hellenistischen Zeitalters fanden, und ob es da vielleicht Variationen und Differenzierungen gab. Eindrucksvoll hingegen ist ihr Um­ gang mit den Texten von Chrysostomus und Augustinus. Hier wird die Grundthese gewandt belegt.
Überraschend ist auch, dass die Auseinandersetzung mit dem Matthäusevangelium einige Gelegenheiten verpasst. Nachdem schon im Untertitel dem »Heulen und Zähneknirschen« besondere Bedeutung gegeben wird, wäre es für H.s These sicher interessant gewesen, die Sprache von Hölle und Feuer noch einmal besonders im Kontext der Gleichnisforschung zu erörtern, schließlich be­nutzt das Evangelium die Höllenrede vornehmlich in Gleichnissen. Genau hier kommen auch ekphrasis und enargeia zum Tragen. Wahrscheinlich hätte die These gestützt werden können.
Die Konzentration auf die Funktion der Höllenrede im Kontext der paideia lässt gleichzeitig andere mögliche Zusammenhänge offen. So kommt die Frage der Theodizee lediglich am Rande vor. Auch andere theologische Themen werden nur gestreift. Interessant wäre es beispielsweise gewesen, den Zusammenhang zwischen einer Erziehung zu moralischem Handeln und einer möglichen Gnadentheologie zu erörtern. Dass dies, vermutlich aus Platzgründen, nicht geschieht, ist kein Manko, sondern zeigt mögliche Weiterführungen von H.s These auf.
Damit bleibt das Buch als ein Versuch bedeutsam, die frühchristliche Rede von der Hölle und ihren Symbolen in die kulturelle und religiöse Umwelt zu stellen. Doch bleibt die zentrale These des Buches zwar verführerisch, aber eher oberflächlich belegt. So gibt H. selbst zu, dass die Evidenz der hebräischen Bibel nicht eindeutig in die Richtung eines Instruments für die moralische Erziehung deutet (42). Ihre These ruht also zum großen Teil auf der Funktion der Rede über die Unterwelt in den Texten von Homer und Virgil und deren Gebrauch in der Schulbildung der hellenistischen Antike, die wohl auch Chrysostomus und Augustinus beeinflusst haben, deren Auswirkungen auf neutestamentliche Texte allerdings weniger klar sind. H. greift allerdings ein Thema auf, dass in dieser Breite bisher nicht behandelt wurde. So ist dies Buch ein guter und notwendiger Ausgangspunkt für weitere Ausdifferenzierungen in zukünftigen Forschungen.