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Ausgabe:

Mai/2017

Spalte:

453–471

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Stefan Alkier/Thomas Paulsen

Titel/Untertitel:

Der kommende Gott

Philologische, literaturwissenschaftliche und theologische Beobachtungen

zur Komposition der Johannesapokalypse




I Einleitung


Zu den meistbehandelten Problemen, mit denen sich die Forschung zur Johannesapokalypse (Apk) konfrontiert sieht, gehört der auf den ersten Blick chaotisch erscheinende, zahlreiche Redundanzen enthaltende Aufbau des Werkes, welcher die Frage herausfordert, ob wir es denn hier tatsächlich mit einem sinnvoll strukturierten, zusammenhängenden und vollständigen Text zu tun haben. Die Mehrzahl der Gelehrten scheint immer noch davon auszugehen, dass der Text über einen längeren Zeitraum von möglicherweise mehreren Jahrzehnten nicht organisch gewachsen ist, sondern in mehreren Redaktionsphasen seine heutige Gestalt er­halten hat. In der radikaleren Spielart dieser Analyserichtung werden sogar mehrere Autoren angenommen,1 die gemäßigtere Deutungsrichtung geht zwar von einem einzigen Verfasser aus, in dessen Werk sich aber mehrere chronologische Schichten nachweisen lassen.2 Die interessanteste und gründlichste moderne Analyse dieser Art bietet Franz Tóth, der in dem eigentlichen apokalyptischen Geschehen, das sich ab Kapitel 4 entfaltet, die älteste Schicht ausmacht, welcher der Autor in einer ersten redaktionellen Bearbeitung die Kultszenen im Himmel als Strukturierungshilfen hinzugefügt habe, bis schließlich in einer zweiten Redaktionsphase mehrere Jahrzehnte nach der Genese des corpus apocalypticum in den letzten Jahren der Regierungszeit Trajans [98–117] die Sendschreiben hinzugefügt worden seien.3 So scharfsinnig diese Analysen von Tóth und anderen auch sind, kranken sie unseres Erachtens an dem methodischen Grundproblem, dass nicht ernsthaft untersucht wird, ob die Annahme redaktioneller Bearbeitungen zwingend nötig ist oder ob sich selbst ein prima vista so uneinheitlich wirkender Text wie die Apk nicht als eine zusammengehörige, als solche vom Autor4 konzipierte Einheit erklären lässt. Die Beweislast liegt doch grundsätzlich bei denen, die postulieren, dass ein überlieferter Text kein bewusst komponiertes Ganzes sei.5 Vor al­lem können Interpreten wie Tóth mit der Annahme einer doppelten Redaktion nicht plausibel machen, warum Johannes die Niederschrift des gewaltigen Gebäudes seiner Visionen jahrzehntelang in der Schublade schlummern ließ, bevor er es, angepasst an eine neue historische Situation, um die Sendschreiben angereichert, publizierte.6 Wir können in unserem folgenden Beitrag diese Diskussion nicht weiter verfolgen, sondern hier nur konstatieren, dass wir die Apk als Werk eines Autors betrachten, das von einem einheitlichen Gestaltungswillen getragen in einem chronologischen Kontinuum entstanden ist, dessen Dauer zwar nicht bestimmt werden kann, das aber keine erkennbaren Unterbrechungen aufweist.7 Unter dieser Prämisse werden wir uns nunmehr der Frage zuwenden, wie mit Hilfe der Untersuchung des sprachlichen und theologischen Gestaltungswillens des Johannes die so kompliziert erscheinende Struktur der Apk erklärt werden kann. Dabei wollen wir uns in erster Linie mit den Schwierigkeiten beschäftigen, eine kohärente Zeitstruktur8 des Geschehens in den Kapiteln 4–20, welche die dramatische Handlung der Apk enthalten, auszumachen. Erwähnt sei hier nur das Verhältnis der jeweils sieben Siegel-, Posaunen- und Schalenvisionen (6,1–8,5; 8,6–11,19; 16,1–21) zueinander, bei dem selbst mit dem Text gut vertraute Leserinnen und Leser Schwierigkeiten haben werden, den logischen und chronologischen Zusammenhang der sich zum Teil wiederholenden Ereignisse zu verstehen: Wann findet denn nun eigentlich das Jüngste Gericht genau statt und in welchem Verhältnis stehen mögliche Ankündigungen dazu? Hier soll als Grundlage der strukturellen Untersuchung der Gliederungsvorschlag von Stefan Alkier dienen.9

Es ist eine altbekannte Tatsache, dass es in der Apk von inter- und intratextuellen Bezügen wie in keinem anderen Text der Bibel wimmelt.10 Während der Autor bei der Verwendung von Ersteren direkte Zitate peinlich vermeidet, unterstützt er sein Lese- und Hörpublikum dabei durch wörtliche und annähernd wörtliche Selbstzitate, welche das Werk mit einem dichten Geflecht kataphorischer und anaphorischer Verweise durchziehen, die Struktur dieses hochkomplexen Textes zu verstehen. Auf dieser Beobachtung aufbauend soll hier der Versuch unternommen werden, den sprachlichen Gestaltungswillen des Johannes für das Verständnis der Komposition der Apk nutzbar zu machen. Dies bietet sich um so mehr an, als sich in der Forschung zunehmend die Erkenntnis durchsetzt, dass der Autor nicht nur kein anspruchsloses Griechisch schrieb,11 das wo­möglich auf unzureichender Sprachbeherrschung beruhen würde, sondern vielmehr die griechische Sprache virtuos beherrschte,12 so virtuos wie vielleicht kein anderer Autor des Neuen Testaments, so dass von vornherein damit zu rechnen ist, dass er diese Sprachbeherrschung in den Dienst der Leserlenkung und seiner Theologie stellt. Wir gehen dabei von der Beobachtung aus, dass Johannes gleichermaßen ein Lese- wie Hörpublikum im Sinne hat (vgl. Apk 1,3). In ihrer ganzen Komplexität lässt sich die Struktur des Werkes natürlich nur durch wiederholte Lektüre begreifen, wie uns selbst, seit wir uns näher mit diesem faszinierenden Text zu beschäftigen begannen, kontinuierlich immer deutlicher bewusst wurde, aber das primäre Zielpublikum waren ja die sieben in den Sendschreiben (Kapitel 2–3) angesprochenen kleinasiatischen Gemeinden in ihrer Gesamtheit, deren Mitgliedern der Text auch mündlich vorgetragen werden sollte, damit auch des Lesens unkundige Christusanhänger in den Genuss der Offenbarungen kommen konnten. Dies unterstützte der Autor durch eine auf der Ebene der Syntax und des Sprachklangs möglichst ansprechende Gestaltung, in deren Dienst auch die zahlreichen Wiederholungen markanter Formulierungen stehen. Man kann unseres Erachtens diesen Text durchaus im Vollsinn des Wortes auch als ein Hörspiel klassifizieren, das in einer Versammlung von Christusanhängerinnen und -anhängern vorgetragen werden soll und durch den gemeinsam erlebten Hörgenuss der vor die Augen gemalten Visionen eine kollektive Identität der leiblich anwesend hörend Sehenden und so in andere Sphären Mitentrückten erzeugen soll. Es verhält sich mit den sprachlich erklingenden ja so wie mit musikalischen Motiven: Je öfter ein Motiv ertönt, desto besser prägt es sich dem Hörer ein und desto eher lässt es sich erfassen, wenn der Komponist es beim erneuten Erklingen variiert.13 Dies lässt sich am anschaulichsten an einem besonders markanten, insgesamt fünfmal erklingenden »Leitmotiv« vorführen, mit dem wir die Analyse daher beginnen wollen.

II Die Transformation der Gottesbezeichnung von Apk 1,4


Die sicher markanteste Gottesbezeichnung der Apk erscheint gleich zu Beginn: Johannes wünscht den sieben Gemeinden in der Provinz Asia Segen und Frieden (Apk 1,4):

χάρις ὑμῖν καὶ εἰρήνη ἀπὸ ὁ ὢν καὶ ὁ ἦν καὶ ὁ ἐρχόμενος.

Intertextuell liegt dieser Prädikation natürlich die berühmte Gottes-Selbstvorstellung aus Ex 3,14 Ἐγώ εἰμι ὁ ὤν zugrunde,14 deren unveränderliche Gegenwart Johannes um die Zeitstufen der Vergangenheit und Zukunft erweitert.15 Für das Publikum, unabhängig davon, ob es diesen Vers las oder hörte, musste sie besonders einprägsam sein, da in nur neun Wörtern zunächst durch zwei schwerwiegende Grammatikverstöße die Erwartungshaltung er­schüttert wird und dann inhaltlich das dritte Glied der dreiteiligen Gottesprädikation mit einer überraschenden Formulierung aufwartet.16 Zunächst erscheint anstelle des nach der Präposition ἀπό grammatisch erforderlichen Genitivs τοῦ ὄντος der Nominativ, ein in der gesamten antiken griechischen Literatur wohl singulärer Solözismus, der noch prägnanter dadurch wirkt, dass der Autor die Präposition unmittelbar danach anlässlich der Erwähnung von Christus korrekt konstruiert (ἀπὸ Ἰησοῦ Χριστοῦ, 1,5). Dann wird, unter grammatischen Gesichtspunkten nicht weniger scho-ckierend, der Gegenwart von ὁ ὤν die Vergangenheit mit ὁ ἦν beigefügt. Das klingt elegant, ist aber nach den Regeln der Schulgrammatik natürlich ebenfalls ein schwerwiegender Verstoß, da eine finite Verbform nicht durch einen Artikel substantiviert werden kann.17 In Anlehnung an die Deutung von Holtz wurde an anderer Stelle bereits ausgeführt,18 dass Johannes’ primäre Darstellungsabsicht hier darin liegt, Gott als das Subjekt schlechthin, das den Regeln menschlicher Grammatik nicht unterworfen ist, einzuführen; im hiesigen Zusammenhang soll es in erster Linie darum gehen, die mutmaßliche Wirkung dieser gewichtigen Worte auf Leser und Hörer herauszuarbeiten. Die beiden genannten Solözismen bieten auf dieser Wirkungsebene gleichermaßen zwei Ausrufezeichen, die dazu beitragen, sich die Formulierung sofort einzuprägen, was durch die schon erwähnte Assonanz und lapidare Kürze von ὁ ὤν und ὁ ἦν unterstrichen wird, eine Prägnanz, die durch eine grammatisch korrekte Konstruktion im Genitiv oder durch einen Relativsatz nicht hätte erzielt werden können. Für unseren Kontext am wichtigsten ist aber das dritte, grammatisch unanstößige, Durchbrechen der Erwartungshaltung: Nachdem Gegenwart und Vergangenheit der Gottesprädikation genannt wurden, rechnet man nun mit der Bezeichnung der Zukunft durch das im Gegensatz zum nicht existierenden Partizip Imperfekt zur Charakterisierung einer dauerhaften Vergangenheit problemlos zu bildende Partizip Futur ὁ ἐσόμενος. Stattdessen erscheint jedoch ὁ ἐρχόμενος, womit der inhaltliche Akzent verschoben wird: Es wird nicht die selbstverständliche Existenz Gottes auch in der Zukunft in den Blick genommen, sondern stattdessen die Tatsache, dass er kommt – nicht in einer ferneren Zukunft kommen wird, dies hätte der Autor durch das zumal klanglich sehr gut zu ὁ ὤν und ὁ ἦν passende Futur-Partizip ὁ ἰών zum Ausdruck ge­bracht, sondern durch das Partizip Präsens, dessen durativer Aspekt hier bezeichnet, dass Gott schon dabei ist zu kommen, so dass man in der deutschen Übersetzung am besten das Partizip beibehält und die markante Junktur unter weitgehender Beibehaltung der grammatischen Schockeffekte folgendermaßen wiedergeben könnte:

Gnade euch und Frieden von: der Seiende und der Immer-War und der Kommende.19

Johannes legt also besonderen Wert darauf zu betonen, dass Gott gewissermaßen schon unterwegs zu den Menschen ist, und dieser Aspekt wird sich als höchst bedeutsam für das Verständnis der Struktur der Apokalypse erweisen. Dass Leser und Hörer die schon beim ersten Erscheinen so markante Formulierung im Kopf behalten, dafür sorgt ihre Wiederkehr nur vier Verse später, wo sie als Selbstaussage Gottes, der hier zum ersten Mal in der Apokalypse spricht, in mächtig erweiterter Form erscheint:

Ἐγώ εἰμι τὸ ἄλφα καὶ τὸ ὦ, λέγει Κύριος ὁ Θεός, ὁ ὢν καὶ ὁ ἦν καὶ ὁ ἐρχόμενος, ὁ Παντοκράτωρ.

Ich bin das Alpha und das Omega, spricht Gott, der Herr, der Seiende und der Immer-War und der Kommende – der Allmächtige!

War an der ersten Stelle die direkte Gottesbezeichnung noch nicht genannt worden, obwohl die Identität des ewig Seienden natürlich jedem Rezipienten klar sein musste, wird Gott hier durch zwei weitere Prädikate, Κύριος und Θεός, direkt bezeichnet, denen eine Variation der Ewigkeitsvorstellung aus 1,4 vorangestellt wird: Während die hier erneut erscheinende Formulierung von 1,4 die Ewigkeit Gottes in den verschiedenen Zeitstufen betont, wird mit der hier erstmals verwendeten Formulierung τὸ ἄλφα καὶ τὸ ὦ Anfang und Ende des kosmischen Geschehens in den Blick genommen,20 die Allgegenwart Gottes also um einen neuen Aspekt bereichert.21 Die abschließende Gottesbezeichnung ὁ Παντοκράτωρ zieht gewissermaßen die Summe aus den vorangehenden: Gott hat unumschränkte Macht in Raum und Zeit.22

Sprachlich sind die insgesamt acht Gottesbezeichnungen von 1,8 in monumentaler Schlichtheit wie gemeißelt, was im mündlichen Vortrag besonders gut zum Ausdruck gebracht werden kann: Es gibt zwei kurze parataktische Sätze, deren erster als direkte Rede Gottes das vom Autor genannte verbum dicendi umschließt. Die in der direkten Rede enthaltenen sechs Prädikationen werden als sechs Prädikatsnomina zum Subjekt Ἐγώ geboten, die beiden anderen sind Subjekt und Apposition in dem knappen Satz, der die direkte Rede Gottes als solche kenntlich macht und als weiteren Satzbestandteil nur noch das Prädikat enthält. Als einziger Kasus in diesem parataktischen Satzgefüge erscheint also neunmal der Nominativ, verteilt auf zwei Subjekte, sechs Prädikatsnomina und eine Apposition, wobei mit den Nominativen neunmal dieselbe »Person« bezeichnet wird. Rechnet man die sieben Artikel dazu, die sieben dieser neun Nominative vorangestellt sind, und berücksichtigt, dass Gott das Subjekt beider Prädikate ist, so ist in 18 der 21 Wörter dieser beiden Sätze Gott unmittelbar gegenwärtig, und bei den drei anderen handelt es sich jeweils um die Konjunktion καί, welche einige der Prädikationen miteinander verbindet.

Man kann also sagen, dass beide Sätze vollständig von Gottesbezeichnungen durchdrungen sind und kein anderes Thema haben. Dass die Markierung der direkten Rede in diese eingebettet ist, dient dem offenkundigen Zweck, das Ἐγώ Gottes an den Anfang der Aussage setzen zu können, während das resümierende Παντοκράτωρ den gewichtigen Schluss markiert.

Werfen wir nun einen kurzen Blick auf die inhaltliche Struktur der eng zusammengehörigen Verse 1,4–8 im Zusammenhang, so lassen sich, um die musikalische Metaphorik wiederaufzunehmen, zwei Motive erkennen, mit denen die beiden Protagonisten der Apk in einer Exposition vorgestellt werden, das »Gottesmotiv«, das mit seiner Grundform in 1,4 und seiner Erweiterung in 1,8 die Partie rahmt, und das vielfältiger gestaltete »Christusmotiv«, das mit einer ganzen Reihe unterschiedlicher Prädikationen die Verse 1,5–7 beherrscht, so dass sich eine ABA-Komposition ergibt, in welcher der A-Teil bei seinem zweiten Erscheinen ausgebaut wird.

Das Christusmotiv kann im hier gestellten Rahmen nicht eingehend untersucht werden, wir verweisen hier aber noch einmal auf die sich im Gesamtkontext als bedeutsam erweisende Differenzierung, dass Christus bei seinem ersten Erscheinen in 1,5 grammatisch korrekt im von ἀπό abhängigen Genitiv erscheint: Er ist natürlich eine ganz herausragende Gestalt, die hier in ihrem Erlösungswerk die entscheidende Vermittlerposition zwischen Gott und den Menschen einnimmt, doch gewinnt man hier erstmals auch auf sprachlicher Ebene den Eindruck einer angedeuteten Hierarchie, in der Gott den alleinigen ersten Platz einnimmt.

Mit dieser Exposition prägt Johannes seinem Publikum also die Allgewalt Gottes mit wiederholten Formulierungen von lapidarer Monumentalität ein und konnte gewiss auf das Erinnerungsvermögen seiner Rezipienten hoffen, wenn er dieses »Gottesmotiv« an drei weiteren Stellen erklingen lässt. Ab 1,13 tritt zunächst Christus in den Fokus der johanneischen Vision und beherrscht sie durch seine Anweisungen für die sieben Sendschreiben bis zum Ende von Kapitel 3. Mit Kapitel 4 beginnt dann der lange, 17 Kapitel umfassende Hauptteil, der das eigentliche apokalyptische Geschehen präsentiert. Johannes sieht in einer zweiten Vision, die wie die erste (1,10) durch die Formulierung ἐγενόμην ἐν πνεύματι, ich kam in den Geist, eingeleitet wird (4,2), im geöffneten Himmel den Thron Gottes und Ihn selbst, der allerdings nicht beim Namen genannt, sondern wie es in der Apk insgesamt zwölfmal geschieht, mit der Periphrase »der auf dem Thron Sitzende« bedacht wird (4,2). Mit den Augen des Erzählers sehen und hören wir in einer Art von Pause, in der die erzählte Zeit stehenbleibt, Naturphänomene wie Blitze und Donner und die Wesen, die um den Thron herum gruppiert sind, die 24 »Älteren« (πρεσβύτεροι) und die vier »Lebewesen« (ζῷα), bei denen es sich trotz ihrer schlichten Bezeichnung um die ranghöchsten Engel handelt. Sie stimmen einen unaufhörlichen Gesang an (4,8):

ἅγιος, ἅγιος, ἅγιος Κύριος ὁ Θεὸς ὁ Παντοκράτωρ, ὁ ἦν καὶ ὁ ὢν καὶ ὁ ἐρχόμενος.

Heilig, heilig, heilig, Gott, der Herr, der Allmächtige, der Immer-War und der Seiende und der Kommende.

Ungefähr 70 Zeilen nach seinem zweiten Erscheinen, gegen Ende des ersten Fünftels der Apk erscheint das »Gottesmotiv« also zum dritten Mal, an einer inhaltlich vergleichbaren und wiederum höchst bedeutsamen Stelle: War Gott bei seinem ersten Erscheinen vom Autor verbunden mit Leseanweisungen für die expliziten Le­ser als Quelle der Offenbarung genannt worden, die unmittelbar im Anschluss daran beginnt, erscheint er hier als Quelle der Macht, die das gesamte apokalyptische Geschehen anstoßen wird, beginnend mit der unmittelbar folgenden Präsentation des Buches mit den sieben Siegeln (5,1).

Auch an dieser Stelle geht es in den 16 Wörtern, die das »Gottesmotiv« diesmal umfasst, ausschließlich um den Allmächtigen selbst und das in einer gegenüber dem zweiten Erscheinen syntaktisch weiter reduzierten Form: Es erscheint hier keine echte finite Verbform (die einzige, die von der Form her eigentlich eine solche ist, nämlich ἦν, ist ja substantiviert), sondern (wiederum bis auf das hier zweimalige καί) eine einzige Abfolge von Nominativen, die Gott, den Herrn charakterisieren.23 Insgesamt neun Nomina sorgen für eine symmetrische Komposition, bei der diesmal die drei Substantive Gott, der Herr, der Allmächtige in der Mitte stehen und von jeweils drei adjektivischen beziehungsweise partizipialen Prädikationen umrahmt werden. Dadurch wird die feierliche, lapidare Statik der beiden ersten Stellen, an denen das »Gottesmotiv« erklang, womöglich noch überboten, unterstützt durch die doppelte Anapher von ἅγιος. Die Umstellung der Bezeichnung Gottes als Παντοκράτωρ lässt sich wohl dadurch erklären, dass die in 1,8 erstmals genannte Allmacht als Resümee am Ende der Prädikationenreihe erscheinen sollte, während sie hier, wo wir diese Bezeichnung bereits kennen, mit den beiden wesensmäßig eng verwandten anderen Substantiven Κύριος und Θεός einen Dreiklang der Substantive bilden sollte.

Warum aber wird hier ein einziges Mal gegenüber 1,4 und 1,8 die Reihenfolge verändert, so dass Gegenwart und Vergangenheit vertauscht werden, da nach einhelliger handschriftlicher Überlie-ferung in sozusagen chronologisch richtiger Reihenfolge der »Im­mer-War« dem »Seienden« vorangeht? Dass Johannes an den beiden vorangehenden Stellen anders vorging, ist unseres Erachtens leicht zu erklären: Zum einen ist ὁ ὤν wohl die wichtigste der drei Prädikationen, da sie das unveränderliche Sein Gottes zum Ausdruck bringt, zum anderen wollte er bei der ersten Charakterisierung der göttlichen Ewigkeit sicher nicht mit der grammatisch unkorrekten Form ὁ ἦν beginnen, die sich zudem noch unmittelbar als Nominativ an die Präposition ἀπό angeschlossen hätte, was Leser und Hörer durch die Doppelung des grammatischen Schockeffekts vom Inhalt hätte ablenken können. Dass Johannes dann an der in kurzem Abstand folgenden zweiten Stelle das Motiv unverändert erklingen lassen wollte, dürfte leicht nachvollziehbar sein. Denkbar wäre für unsere dritte Stelle in 4,8, dass die vier Lebewesen, aus deren Mündern wir diese Charakterisierung von Gottes Ewigkeit vernehmen, das Weltgeschehen von der Schöpfung her in den Blick nehmen wollten, da im Gegensatz zu 1,8 diesmal die Prädikation Gottes als Alpha, als Anbeginn von allem, fehlt: Durch die stärkere Betonung von ὁ ἦν, die sich durch die Vertauschung ergibt, wird stärker hervorgehoben, dass Er schon immer da war.

Zum vierten Mal erscheint fast genau in der Mitte des Textes das »Gottesmotiv« wiederum im Kontext eines Preises, diesmal im Munde der 24 Älteren, und wiederum an einer zentralen Stelle, aber diesmal nicht zu Beginn, sondern am Ende einer längeren Handlungseinheit: Das dritte Erklingen ging der Präsentation des Bu­ches mit den sieben Siegeln voraus, das vierte folgt unmittelbar auf das Erschallen der siebten Posaune, so dass die Eröffnung der Siegel und das Blasen der Posaunen durch das »Gottesmotiv« umrahmt werden, das so einen Beginn und einen Abschluss markiert. Und die Formulierung dieses Abschlusses in 11,17 ist von zentraler Bedeutung für das Verständnis der Komposition der ganzen Apk. Die 24 Älteren sagen: »Wir preisen Dich,

Κύριε ὁ Θεὸς ὁ Παντοκράτωρ ὁ ὢν καὶ ὁ ἦν.

Gott, der Herr, der Allmächtige, der Seiende und der Immer-War«.

Wie in 4,8 erscheinen die drei Substantive, mit denen Gott bezeichnet wird, hintereinander und ὁ ὤν und ὁ ἦν haben wieder ihre ursprünglichen Plätze eingenommen. Aber es fehlt der Verweis auf die Zukunft, es fehlt ὁ ἐρχόμενος. Das kann nur bedeuten, dass sich, ohne dass der Autor dies explizit angekündigt hätte, etwas ganz Grundsätzliches geändert hat: Das Öffnen der Siegel und das Blasen der Posaunen war trotz aller furchtbaren Ereignisse, die dadurch hervorgerufen wurden, »nur« die Ankündigung des kommenden Gerichts, nicht das Gericht selbst, denn Gott war zu diesem Zeitpunkt aus der irdischen Perspektive noch ὁ ἐρχόμενος, gewissermaßen noch unterwegs. Mit dem Erschallen der siebten Posaune ist Gott da, und das Jüngste Gericht kann beginnen.24 Es handelt sich hier wohl um eine der wirkungsvollsten Stellen des ganzen Textes: Das Erscheinen Gottes zum Gericht wird nicht pompös inszeniert, sondern auf der Ebene der Sprache durch eine schlichte Ellipse von zwei Wörtern ausgedrückt, deren sprachliche Gestaltung sich reziprok zu ihrem Inhalt verhält: Solange Gott als »der Kommende« explizit bezeichnet wird, ist er noch nicht da; das Verschwinden der Bezeichnung hingegen markiert den Vollzug seiner Ankunft. Hier wird nun auch vollends deutlich, was die johanneische Leitmotivtechnik zu leisten vermag: Dadurch, dass die dreifache Prädikation schon dreimal erfolgt war, hatten und haben sie mit Sicherheit alle antiken und modernen Leser und Hörer im Ohr, so dass der Wegfall des dritten Gliedes beim vierten Erscheinen unmittelbar auffallen musste und die Rezipienten so zur Interpretation auffordert, durch die sich die für das Verstehen der Textkomposition ganz wesent-liche Erkenntnis gewinnen lässt, dass die Siegel und Posaunen auf der einen und die Schalen auf der anderen Seite im Verhältnis von Ankündigung zu Durchführung zueinander stehen.25 Wir werden auf dieses Thema im nächsten Unterkapitel zurückkommen.

Das fünfte Erklingen des »Gottesmotivs« in 16,5 bestätigt die bisher gewonnenen Ergebnisse; diesmal hören wir es aus dem Munde des dritten Schalen-Engels, der sagt:

δίκαιος εἶ, ὁ ὢν καὶ ὁ ἦν, ὁ ὅσιος, ὅτι ταῦτα ἔκρινας.

Gerecht bist Du, der Seiende und der Immer-War, der Heilige, weil Du dieses Gericht begonnen hast.

Die Übersetzung, die wir hier für ἔκρινας gewählt haben, versteht den Aorist als ingressiv, was gut zu der Deutung passt, dass mit dem Ausgießen der sieben Schalen das Gericht vollzogen wird. Denkbar wäre allerdings auch eine effektive Auffassung »weil Du dieses Urteil gesprochen hast«. Eindeutig fügt sich die Form, in der das »Gottesmotiv« erklingt, aber in jedem Fall zu der vierten Stelle: Das Fehlen der Bezeichnung »der Kommende« markiert die Gegenwart Gottes bei Seinem Gericht. Nach den bisherigen Beobachtungen, an welchen Stellen dieses Motiv angestimmt wurde, könnte man vermuten, dass es erst am Ende des Gerichts wieder erscheinen sollte. Dort ertönt es nun allerdings nicht noch einmal, wir werden allerdings sehen, dass an passender Stelle ein Ersatz präsentiert wird. Hier, mitten in der Durchführung des Gerichts, lässt es Johannes unseres Erachtens erklingen, um die in 11,17 gewonnene Interpretation zu unterstützen: Das Gericht kann stattfinden, weil Gott selbst zugegen ist, und so wird mit analoger Formulierung seine Gegenwart mitten unter dem Wirken der Schalen-Engel eigens hervorgehoben.

Wir haben in 16,5 das »Gottesmotiv« in seiner knappsten Form vorliegen: Anstelle des dreimaligen ἅγιος, welches es in 11,17 eröffnete, haben wir hier ein einziges damit korrespondierendes ὅσιος am Ende.26 Dies passt zu der erhöhten Dramatik des Geschehens: Das Ausgießen der sieben Schalen nimmt erheblich weniger Er­zählzeit in Anspruch als die Siegel- und Posaunenvisionen, womit Johannes sicher zum Ausdruck bringen will, dass bei der Durchführung des Gerichts sich alles Schlag auf Schlag vollzieht, während die Ankündigung des Gerichts sich in die Länge zieht – und in dieser Zeit der Entsiegelung und des Erklingens der Posaunen erkennen die Leser und Hörer die bedrückenden Schrecknisse und Gefahren der eigenen Zeit. Freilich ist hier bei seinem letzten Er­scheinen das Motiv aufgespalten, indem der feierliche Dreiklang der Macht Gottes

Κύριε ὁ Θεὸς ὁ Παντοκράτωρ

in 16,7 nachgereicht wird, im Zusammenhang mit der Betonung, dass Seine Richtersprüche (κρίσεις) wahrhaftig und gerecht sind.

Das »Gottesmotiv« selbst hat damit für Johannes seine Aufgabe erfüllt, doch lassen sich einige weitere Beobachtungen zu den Prädikationen Gottes anschließen, die zur Abrundung unserer Interpretation beitragen. Am Ende des Gerichts erklingt es selbst nicht mehr, doch werden wir an einer sehr markanten Stelle auf sein zweites Erscheinen in 1,8 zurückverwiesen: Nachdem das Gericht beendet und das Neue Jerusalem vom Himmel herabgestiegen ist, ergreift Gott erst zum zweiten Mal in der Apk in 21,6 selbst das Wort und er beginnt seine kurze Rede mit denselben Worten wie in 1,8, so dass wir es mit einem klaren anaphorischen Verweis zu tun haben:27 Ἐγώ εἰμι τὸ ἄλφα καὶ τὸ ὦ.

In kosmischer Hinsicht ist Gott natürlich ohnehin in jedem Fall Anfang und Ende, in gewisser Weise markiert er aber mit dieser identischen Formulierung auch Anfang und Ende der Handlung der Apk: Auf 1,8 folgt der Beginn der Johannes-Vision, mit der das Geschehen eingeleitet wird, mit dem Herabsteigen des Neuen Jerusalem ist das Handlungsziel erreicht, wenn auch seine Segnungen nach 21,6 noch näher beschrieben werden. In 1,8 war das »Gottesmotiv« in einer erweiterten Form präsentiert worden, in der es in dieser Pracht nur an dieser einen Stelle vollständig erklingt. Doch dadurch, dass die Erweiterung der Grundform von 1,4 hier am Ende noch einmal erscheint, wird auch das gesamte Motiv, das auf verschiedene Weise die ewige Macht Gottes zum Ausdruck bringt, noch einmal in Erinnerung gerufen. Werfen wir nun einen Blick auf die Verteilung der behandelten Stellen auf den gesamten Text, so ergibt sich eine relativ symmetrische Anordnung: Es erscheint zu Beginn kurz hintereinander in Grundform (1,4) und Erweiterung (1,8), erklingt erneut kurz vor Beginn des eigentlichen apokalyptischen Geschehens am Ende des ersten Text-Fünftels (4,8), markiert ziemlich genau in der Mitte erstmals in reduzierter Form (11,17) das Ende der Vorbereitungen des Gerichts, betont, wiederum in reduzierter Form, gegen Ende des dritten Fünftels (16,5) die Durchführung des Gerichts, während die Erweiterung aus (1,8) gegen Ende (21,6) nach Vollendung des Gerichts den Beginn der Neuen Zeit kennzeichnet.

Damit sind wir aber noch nicht am Ende der Beobachtungen im Umkreis des »Gottesmotives« angelangt, denn neben der bereits be­sprochenen Transformation ist eine zweite, andersartige Um­wand­lung oder vielleicht eher Verschmelzung von Vorstellungen zu beobachten: Bei ihrem zweiten Erscheinen in 21,6 erklingt die Er­weiterung des Kernmotivs zwar ohne dieses, wird aber ihrerseits um einen Baustein erweitert:

Ἐγώ εἰμι τὸ ἄλφα καὶ τὸ ὦ, ἡ ἀρχὴ καὶ τὸ τέλος.

Ich bin das Alpha und das Omega, der Anfang und das Ende.

Dies sind zunächst einmal zwei Aussagen, die einmal mit einer Metapher aus dem griechischen Alphabet und einmal direkt denselben Sachverhalt zum Ausdruck bringen, dass Gott in seiner Ewigkeit überzeitlicher Ursprung und Ziel allen Daseins ist; insofern ist diese doppelte Ausdrucksweise auch nicht redundant, sondern dient dazu, den Inhalt der Aussage den Rezipienten besonders einzuprägen. Für griechisch-sprachige Menschen war diese Aussage noch prägnanter, als wir dies in der schriftlichen Übersetzung nachempfinden können, denn nach den Regeln der Grammatik ist eigentlich der bestimmte Artikel beim Prädikatsnomen untersagt und darf nur gesetzt werden, wenn dieses Prädikatsnomen besonders betont werden soll. Gott sagt hier also: Ich bin das Alpha und das Omega, der Anfang und das Ende, mithin Anfang und Ende, Ursprung und Ziel schlechthin, unter allen möglichen Anfängen und Enden herausragend.

In welchem gedanklichen Verhältnis stehen diese Selbstaussagen Gottes zu einer ähnlichen Formulierung, die Christus ziemlich zu Beginn des Werkes zweimal tätigt und die durch ihre Nähe zu 1,8 das Publikum sicher dazu anregen sollte, darüber nachzudenken, ob die entsprechenden Aussagen von Gott und Christus austauschbar sind oder doch eine andere Sinnnuance haben. Jesus sagt in 1,17:

Ἐγώ εἰμι ὁ πρῶτος καὶ ὁ ἔσχατος.

Ich bin der Erste und der Letzte.

und kurz darauf in ähnlicher Form als Selbstzitat im Sendschreiben an die Versammlung in Smyrna (2,8):

τάδε λέγει ὁ πρῶτος καὶ ὁ ἔσχατος.

Dies sagt der Erste und der Letzte.

Im Gegensatz zu der klar zeitlichen Dimension, die Gottes Selbstprädikationen in 1,8 und 21,6 aufweisen, sind »der Erste« und »der Letzte« zeitlich oder hierarchisch deutbar, und unter Berücksichtigung des Kontextes spielen beide Interpretationsmöglichkeiten in die Aussage hinein. Das Erste, was wir von Jesus Christus in der Apk erfahren, ist, dass er der Zeuge Gottes (1,2), und zwar der treue Zeuge schlechthin (1,5) ist. Diese Zeugenschaft, die unmittelbar nach der ersten Prädikation Gottes als ὁ ὢν καὶ ὁ ἦν καὶ ὁ ἐρχόμενος (1,4) betont wird, kombiniert der Autor mit zwei weiteren Kennzeichen Christi, so dass auch er durch eine dreigliedrige Aussage charakterisiert wird (1,5):

ὁ μάρτυς, ὁ πιστός, ὁ πρωτότοκος τῶν νεκρῶν καὶ ὁ ἄρχων τῶν βασιλέων τῆς γῆς.

Der treue Zeuge, der Erstgeborene der Toten und der Herrscher der Könige der Erde.

Diese drei Prädikationen schließen sich, wiederum grammatisch unmöglich, im Nominativ an das genitivische Bezugswort ἀπὸ Ἰησοῦ Χριστοῦ an, das noch von dem Segenswunsch χάρις ὑμῖν καὶ εἰρήνη zu Beginn von 1,4 abhängt. Auch bei der Nennung von Christus geschieht also etwas, was die Grammatikregeln transzendiert, aber dies ist in weniger radikaler Weise zum Ausdruck ge­bracht als bei der unmittelbar vorausgehenden Nennung Gottes, was um so mehr auffällt, als die Präposition ἀπό im Abstand von weniger als zwei Zeilen einmal mit dem unmöglichen Nominativ und einmal mit dem korrekten Genitiv konstruiert wird. Wenn die eingangs erwähnte Deutung zutrifft, dass Johannes mit seinen radikalen Solözismen Gottes Stellung oberhalb aller von Menschen gemachten Regeln zum Ausdruck bringen wollte, so trifft das auch für Christus zu, jedoch, wie die sprachliche Fügung zeigt, in abgeschwächter Form:

Johannes deutet mit seiner Formulierung einen gewissen hierarchischen Unterschied zwischen Gott und Christus an, der in der jeweils dreifachen Prädikation der beiden verdeutlicht wird: Gott ist der Ewig-Seiende, der außer- und oberhalb des Weltgeschehens steht, während Jesus in das Weltgeschehen hineingestellt wird: Er ist der treue Zeuge Gottes, Er ist durch seine Auferstehung der Erstgeborene der Toten, also der Erste, der den Tod überwindet: Hier bringt das in dem substantivierten Adjektiv πρωτότοκος steckende πρῶτος eine klare zeitliche Dimension zum Ausdruck, und zwar nicht im Sinne der Ewigkeit, sondern der Integration in zeitliche Abläufe auf der Erde. Die dritte Aussage hingegen, dass Christus der Herrscher der Könige der Erde sei, fasst Sein πρῶτος-Sein in einem klar hierarchischen Sinne auf: Er ist der Erste, das heißt der Oberste auf Erden.

An den beiden Stellen, an denen Christus sich selbst als der Erste und der Letzte bezeichnet, ist ein unmittelbarer anaphorischer Bezug zu der zweiten der drei Aussagen von 1,5 gegeben, denn er sagt jeweils im Anschluss (1,17):

καὶ ὁ ζῶν, καὶ ἐγενόμην νεκρός καὶ ἰδοὺ ζῶν εἰμι εἰς τοὺς αἰῶνας τῶν αἰώνων.

und der Lebendige, und Ich war tot und siehe, lebendig bin Ich für die Äonen der Äonen.

beziehungsweise (2,8):

ὃς ἐγένετο νεκρὸς καὶ ἔζησεν.

der tot war und wieder auflebte.

Diese Zusätze machen deutlich, dass Christus primär in dem Sinne der Erste ist, dass er als Erster den Tod überwunden hat, und insofern ist er auch der Letzte, da er für alle Zeiten leben wird, er wird aber nicht in dem Sinne überzeitlich gesehen, wie dies bei Gott der Fall ist.

Mit der Übergabe des versiegelten Buches und der damit einhergehenden Inthronisation Christi im 5. Kapitel wird diese an­fängliche Wesensungleichheit freilich deutlich verringert, und Christus erscheint während des eigentlichen apokalyptischen Ge­schehens und beim Vollzug des Gerichts als mit Gott gleichberechtigter Protagonist. Dass mit Jesus Christus im Verlauf der Apokalypse etwas geschieht, dass sich seine hierarchische Position verändert, zeigt dann seine letzte Selbstäußerung, die wir geradezu als »anaphorischen Cluster« ansprechen können (22,13):

Ἐγὼ τὸ ἄλφα καὶ τὸ ὦ, ὁ πρῶτος καὶ ὁ ἔσχατος, ἡ ἀρχὴ καὶ τὸ τέλος.

Christus greift also die Selbstprädikation Gottes aus 21,6 auf, welche alle Rezipienten, da sie nur ein Kapitel zurücklag, noch im Ohr gehabt haben dürften, und fügt als Mittelglied die aus 1,17 und 2,8 bekannte Eigenbezeichnung ein.28 Der Vorgang ist einem Musikstück vergleichbar, in dem zwei Themen, die bisher immer getrennt erklangen, schlussendlich in einer großen musikalischen Phrase zu­sammengeführt werden.29 Jesus Christus bleibt der Erste und der Letzte in seinem soteriologischen Kontext, diese alte Funktion wird aber nun auch in der Wortstellung umrahmt durch die neue alle Zeiten transzendierende Rolle und vollständige Macht, die Er nunmehr von Gott übertragen bekommen hat: Gott und Christus verschmelzen am Ende der Apk gleichsam zu einer Einheit.30 Dies wird, wie Hays beobachtet,31 auch durch ein auffälliges grammatisches Phänomen deutlich: Johannes spricht (22,3) vom Thron Gottes und des Ἀρνίον, das Christus verkörpert, und fügt an:

Καὶ οἱ δοῦλοι αὐτοῦ λατρεύσουσιν αὐτῷ

Und Seine Knechte werden Ihn verehren.
Der anstelle des eigentlich zu erwartenden Plurals gesetzte scheinbar grammatisch unkorrekte Singular deutet die Einheit von Gott und Christus an.32

III Weitere kataphorische und anaphorische Deixis in der Textur der Apk


Die ungeheure Vielfalt intratextueller kataphorischer und anaphorischer Deixis in der Textur der Apokalypse kann im Rahmen eines Aufsatzes nur andeutungsweise behandelt werden.33 Wir haben hierfür überwiegend Beispiele ausgewählt, die dem unmittelbaren Umkreis von Gottes Wirken angehören und sich somit mit den im vorigen Unterkapitel untersuchten Passagen gut in Einklang bringen lassen. Den Anfang soll eine weitere Präsentation göttlicher Macht bilden, die in ihrer Kernformulierung viermal nahezu un­verändert in der Apokalypse erscheint,34 das erste Mal in 4,5:

καὶ ἐκ τοῦ θρόνου ἐκπορεύονται ἀστραπαὶ καὶ φωναὶ καὶ βρονταί (…).

Und aus dem Thron gehen heraus Blitze und Stimmen und Donner (…).

Kontext ist die erstmalige Schau von Gottes Thron und seiner Umgebung durch den Erzähler, auf den eine überwältigende Flut optischer und akustischer Eindrücke einströmt (4,2–8), die alle da­zu bestimmt sind, Gottes unvergleichliche Herrlichkeit darzustellen. Blitz und Donner als Attribute göttlicher Macht bedürfen keiner näheren Erläuterung. Um wessen Stimmen es sich handelt, wird nicht gesagt und ist auch von sekundärer Bedeutung. Ihre Mittelstellung zwischen Blitzen und Donner zeigt, dass damit ge­waltige, majestätische Stimmen gemeint sein müssen.35 Alle drei Phänomene erscheinen an markanter Stelle zu Beginn der apokalyptischen Haupthandlung, wo Gott als Quelle der Macht, die diese Handlung in Gang setzen und kontrollieren wird, vorgestellt und gepriesen wird. Diese Macht ist gewaltig und zugleich Schre-cken erregend, wie die drei anderen Stellen, an denen die Blitze zucken, und die Stimmen und Donner erschallen, erweisen: Sie markieren nämlich drei Höhepunkte der Katastrophe, die über die Welt hereinbricht: In 8,5 eröffnen sie die Posaunenvisionen, in 11,19 schließen sie sie ab, in 16,18 beenden sie die Schalenvisionen, stehen also an den beiden letztgenannten Stellen am Ende der Anzeichen des Gerichts und am Ende des Gerichtes selbst, wodurch der Zu­sammenhang der Siegel und Posaunen einerseits mit den Schalen andererseits verdeutlicht wird.

Zugleich wird dieses »Gewittermotiv«, wie wir es vereinfachend nennen wollen, bei jedem Erscheinen erweitert und gesteigert: in 8,5 wird zunächst eine Naturgewalt hinzugefügt.

καὶ ἐγένοντο βρονταὶ καὶ φωναὶ καὶ ἀστραπαὶ καὶ σεισμὸς

Und es entstanden Donner und Stimmen und Blitze und ein Erdbeben.

In 11,19 gesellt sich dann eine weitere Naturkatastrophe hinzu:

καὶ ἐγένοντο ἀστραπαὶ καὶ φωναὶ καὶ βρονταὶ καὶ σεισμός καὶ χάλαζα μεγάλη.

Und es entstanden Blitze und Stimmen und Donner und ein Erdbeben und Hagel, gewaltiger.

Noch vernichtender ist die Wirkung dieser Naturereignisse nach dem Ausgießen der siebten Schale, was einmal mehr zeigt, dass sich erst hier das Gericht vollzieht (16,18):

καὶ ἐγένοντο ἀστραπαὶ καὶ φωναὶ καὶ βρονταὶ καὶ σεισμὸς ἐγένετο μέγας, οἷος οὐκ ἐγένετο, ἀφʼ οὗ ἄνθρωπος ἐγένετο ἐπὶ τῆς γῆς, τηλικοῦτος σεισμὸς οὕτω μέγας.

Und es entstanden Blitze und Stimmen und Donner und ein Erdbeben entstand, ein gewaltiges, wie es nicht entstand, seit ein Mensch auf der Erde entstand, ein so großes Erdbeben, ein so gewaltiges.

Während das »Gewittermotiv« selbst unverändert bleibt und damit den klaren anaphorischen Bezug auf die Thronszene und vor allem das Ende der Posaunenvisionen herstellt, wird das »Erdbebenmotiv« gegenüber seinem vorherigen Erscheinen erweitert.36 Dies geschieht natürlich schon rein quantitativ durch die drei adjektivischen Attribute und den Relativsatz mit davon abhängigem Temporalsatz, die das Erdbeben näher charakterisieren, in erster Linie aber qualitativ durch eine sprachliche Formung, an der sich idealtypisch das vielleicht wichtigste Gestaltungsmittel, das Jo­hannes immer wie-der anwendet, demonstrieren lässt, in welchem sich wirkungsvolle Wahl der Wortreihenfolge und gezielter Einsatz von Wiederholungen bei großer syntaktischer Schlichtheit miteinander verbinden:37 Das schlichte Prädikat ἐγένετο wird, was syntaktisch nicht notwendig gewesen wäre, noch einmal gesetzt, wodurch das »Erdbebenmotiv« gegenüber dem »Gewittermotiv« eine größere Eigenständigkeit gewinnt; seine Größe wird dann dadurch betont, dass das charak-terisierende Adjektiv »gewaltig« durch das Prädikat von seinem Be­zugswort getrennt ist und dadurch, dass es nachgereicht wird, eine pointiertere Stellung gewinnt: »ein Erdbeben ereignete sich, ein gewaltiges« unterstreicht die Macht dieses Naturereignisses deutlich stärker, als wenn es einfach »ein gewaltiges Erdbeben ereignete sich« hieße. Diese Gewalt wird nun durch zwei Nebensätze be­sonders hervorgehoben, einen Relativsatz und einen davon abhängigen Temporalsatz, die umso wirkungsvoller sind, als Johannes einen ausgesprochen parataktischen Stil pflegt, in dem Nebensätze zweiter Ordnung nur sehr selten vorkommen. Der Relativsatz allein würde ausreichen, um das Erdbeben als in seiner Größe noch nicht dagewesen zu charakterisieren, aber diese Einmaligkeit wird durch die Einführung der zeitlichen Dimension, die bis zur Erschaffung des Menschen aufgespannt wird, noch weiter verstärkt. Das Verb ἐγένετο erscheint hier ungewöhnlicher Weise in allen drei Sätzen, dem Hauptsatz und beiden Nebensätzen, als Prädikat (wobei zweimal das Erdbeben und einmal der Mensch das Subjekt ist), was natürlich gerade nicht durch mangelndes sprachliches Ausdrucksvermögen des Autors zu erklären ist, sondern ganz gezielt durch sein dreimaliges Erscheinen mit jeweils drei dazwischenstehenden Wörtern eine geradezu einhämmernde Wirkung erzielt, vergleichbar et­wa mit einer Reihe von Paukenschlägen.39 Damit aber noch nicht genug: die singuläre Macht des Erdbebens wird dadurch weiter ge­steigert, dass der Begriff σεισμός, hier in der für Johannes typischen parataktischen Fügung, mit der Begriffe additiv aneinandergereiht erscheinen, wiederholt wird, umrahmt von zwei weiteren quantitierenden Ad­jektiven.

Die Parataxe in der Apk ist eben kein Anzeichen eines minderwertigen oder »hebraisierenden« Stils. Sie steht vielmehr im Zeichen eines poetisch-theologischen Gestaltungswillens, der mittels einer erhöhten syntagmatischen Frequenz die Amplitude der ge­wählten Semantik verstärkt. Wer sich auf das Sehenhören dieses Stils einlässt, sieht das Beben und hört den Hagel: Nachdem die Wirkung des Erdbebens auf größere Gebilde wie Städte, Inseln und Berge geschildert wurde, prasselt der Hagel in 11,19 gezielt auf die Menschen hernieder, und wie das Erdbeben ist auch er von singulär katastrophaler Gewalt (16,21):40

καὶ χάλαζα μεγάλη ὡς ταλαντιαῖα καταβαίνει ἐκ τοῦ οὐρανοῦ ἐπὶ τοὺς ἀνθρώπους (…).

Und Hagel, gewaltiger, wie ein Talent schwer steigt herab aus dem Himmel auf die Menschen (…).

Ein Talent wiegt 26,2 Kilogramm; dies muss natürlich nicht ganz wörtlich genommen werden, zeigt aber eindrücklich seine niederschmetternde Gewalt. Auffällig ist hier aber das Prädikat, das Jo­hannes wählt: Mit Hagel verbindet man Begriffe wie »niederprasseln« oder wenigstens »fallen«, aber nicht ein gravitätisch langsames Herabsteigen. Dass es sich auch hier nicht um einen Lapsus oder semantischen Fehlgriff des Autors handelt, wird sich bald erweisen: Die Ungewöhnlichkeit der Formulierung sorgt dafür, dass sie im Gedächtnis haften bleibt und kataphorisch auf weitere, ganz unterschiedliche Wesenheiten vorausweist, die vom Him-mel in relativ gleichmäßigen Abständen herabsteigen werden, den machtvollen Engel, der den Fall Babylons verkündet (18,1), den noch machtvolleren, der den Satan besiegen wird (20,1), und schließlich das Neue Jerusalem (21,2), den Wohnort der Erlösten, die das Jüngste Gericht überstehen. Erstes und drittes Subjekt des Herabsteigens einerseits und zweites und viertes andererseits sind inhaltlich aufeinander bezogen: Der Hagel (Nr. 1) peinigt die menschlichen Feinde Gottes, der zweite Engel (Nr. 3) Seinen teuflischen Widersacher; der erste Engel (Nr. 2) verkündet den Fall der irdischen Stadt, für die als Ersatz schließlich die himmlische Stadt (Nr. 4) vom Himmel herabsteigt.

Kehren wir aber zu den Naturgewalten zurück: Das erste Er­scheinen der Blitze, Stimmen und Donner war als Ausdruck der Herrlichkeit Gottes, die noch keine Katastrophe heraufbeschwört, naturgemäß nicht mit einem Erdbeben verbunden. Trotzdem kommt es aber auch relativ früh im Hauptteil schon zu einem solchen, nämlich bei der Öffnung des sechsten Siegels (6,12):41

σεισμὸς μέγας ἐγένετο καὶ ὁ ἥλιος ἐγένετο μέλας (…).

Ein Erdbeben, ein gewaltiges entstand und die Sonne wurde schwarz (…).

Dieses Erdbeben steht an analoger Stelle zu zwei der drei anderen, denn bei der Eröffnung der Siegel enden die katastrophalen Wirkungen bereits mit dem sechsten. So markieren die drei Erdbeben, nach dem sechsten Siegel, der siebten Posaune und der siebten Schale, jeweils das Ende einer Etappe des katastrophalen Geschehens und werden so zu sogar etwa gleich weit, nämlich ziemlich genau jeweils fünf Kapitel voneinander entfernten Eckpfeilern der zentralen Handlungen des Hauptteils der Apk und dienen damit in besonderem Maße der Gliederung des kunstvollen Ge­samtbaus.

Kehren wir aber noch einmal zu Blitzen, Stimmen und Donner zurück, so stellen wir fest, dass diese drei Attribute göttlicher Macht mit Ausnahme von 8,5 jedes Mal in der Nähe des oben be­trachteten »Gottesmotivs« erscheinen, also eng mit ihm verbunden sind: In 4,5 gehen sie ihm (4,8) um wenige Verse voraus, in 11,19 folgen sie ihm (11,16) in etwa gleichem Abstand, lediglich an der dritten Stelle liegt ein etwas größerer Raum da-zwischen, da das »Gottesmotiv« bereits nach der dritten Schale (16,5) erklingt, während die Auswirkungen Seines Zorns naturgemäß ihre gesamte Gewalt erst nach der siebten Schale entfalten (16,18).

IV Theologische Effekte der Makrosyntax der Apk

1. Eine methodische Bemerkung


Martin Karrer stellt fest: »Wenden wir uns zuletzt der bedeutends­ten Gottesbezeichnung der Offb zu, dem Prädikat ›der ist und der war und der kommt‹ […]. Unser Autor […] stellt es an den Anfang des Werkes […] Danach wiederholt er es mehrfach in Varianten […] Er ist sich des Rangs der Aussage bewusst und hebt sie hervor.«42 Wir begreifen hingegen die verschiedenen Gestaltungen dieser auffälligen Gottesbezeichnung nicht wie Karrer als »Variationen«, sondern als Transformationen, deren theologische Tragweite erst vollends auf der Ebene der Makrosyntax der Gesamtkomposition der Apk zur Geltung kommt.

Bevor wir nun abschließend diese Transformationen mit unserer Makrogliederung der Apk interpretieren, sei eine methodische Bemerkung vorangeschickt. Ein immer wieder gegen die These eines kompositorischen Gesamtaufbaus der Apk polemisch hingeworfener Einwand besteht darin, dass es eine Vielzahl von Gliederungsvorschlägen gibt und diese Vielzahl selbst anzeige, dass die Apk kein zusammenhängendes Ganzes sei. Dieser Einwand beruht aber auf einem unterkomplexen Textbegriff, denn er setzt voraus, dass Textualität eine inhärente Texteigenschaft ist, die ihm der reale Autor eingestiftet hat. Die Logik dieses Argumentes lautet dann mehr oder weniger ausgesprochen: ein Autor – eine Intention – eine Gliederung – ein Sinn des Textes. Wir gehen dagegen mit der Texttheorie von Janos Petöfi davon aus, dass es schon deswegen nicht nur eine adäquate Gliederung eines Textes geben kann, weil die Rezeption nicht erst ein nachträgliches Phänomen von Textualität ist, sondern in den Textbegriff selbst hineingehört. Petöfi definiert: »Für uns ist Textualität keine inhärente Eigenschaft verbaler Objekte. Ein Produzent oder ein Rezipient betrachtet ein verbales Objekt als Text, wenn er glaubt, dass dieses verbale Objekt ein zu­sammenhängendes und vollständiges Ganzes ist, das einer tatsächlichen oder angenommenen kommunikativen Intention in einer tatsächlichen oder angenommenen Kommunikationssituation entspricht. Ein Text ist – gemäß der semiotischen Terminologie – ein komplexes verbales Zeichen (oder ein verbaler Zeichenkomplex), das/der einer gegebenen Erwartung der Textualität entspricht.«43 Die Einbeziehung der Rezeption in diesen semiotisch reflektierten Textbegriff bedeutet kein Plädoyer für Beliebigkeit.

Die Alternative zu einer autorintentionalen Hermeneutik, die nur mit einem einzigen adäquaten Textsinn rechnet und einer Überbewertung der Rezeption, die jede Lektüre eines Textes gelten lassen möchte, besteht in der semiotischen Position, den Sinn eines Textes als Interaktion vorgegebener Zeichen und ihrer jeweiligen Aufführung im Akt des Lesens zu begreifen. Das Kriterium einer angemessenen Interpretation und damit auch einer adäquaten Gliederung besteht dann in der philologisch korrekten Verknüpfung der vorgegebenen Zeichenmenge. Was mit einer philologisch nachvollziehbaren Verknüpfung der gegebenen Zeichen nicht be­gründet werden kann, kann auch literaturwissenschaftlich und theologisch nicht gelten. Literaturwissenschaftliche wie auch theologische In­terpretationen ohne hinreichende philologische Begründungen sind auf Sand gebaut und können keine Geltung beanspruchen. Dieses philologische Kriterium lässt so viele Spielräume offen, wie es die Zeichen und ihre Sinn generierenden Verknüpfungen erlauben.44

2. Die Dynamik des Textverlaufs und die dadurch erzeugte Zeitlichkeit Gottes


Unsere Gliederung im Zeichen einer generativen Poetik geht davon aus, dass die Apk mittels einer narratologischen Beobachtung ge­gliedert werden kann.45 Sie eröffnet ihr Diskursuniversum, also die Welt des Textes, mittels der Etablierung einer doppelten Kommunikationssituation. Die erste wird in den Versen 1,1–3 zwischen Gott und allen Rezipienten unabhängig von ihren jeweiligen räumlichen oder zeitlichen Bestimmungen hergestellt. Die zweite, in 1,4 einsetzende Kommunikationssituation ist die eines Briefes des Johannes an Versammlungen (ἐκκλησίαι) von Christusanhängerinnen und Christusanhängern in sieben Städten der römischen Provinz Asia. Der Abschnitt 1,4–8 formuliert die grundlegenden Realitätsannahmen, die zu akzeptieren sind, wenn man die Argumentation des Gesamttextes verstehen möchte.

Der Begriff der θλῖψις in 1,9 führt aber nun ein Problem ein, das in dem Mangel an umfassendem Heil der Christusanhängerinnen und -anhänger besteht. Sie erfahren Bedrückung. Die Sendschreiben in Kapitel 2 und 3 differenzieren die Vielfältigkeit von Bedrückungskonstellationen aus und ermahnen die Bedrückten, ihre je­weiligen Kämpfe zu führen und sie zu gewinnen, indem sie trotz der unleugbaren Konfliktlagen und Bedrohungen von innen und außen nicht nachlassen, als Zeugen des Zeugen Jesu Christi und damit als Gottes Zeugen zu leben. Da der explizite Autor dieser Briefe aber der kosmische Christus ist, wie er sich Johannes in 1,9–18 gezeigt hat und wie er dann auch in der Gestalt eines verletzten und deswegen umso gefährlicheren Böckleins in 4–20 agiert, verschränkt diese kosmische Christologie die Kommunikationssituation der irdischen Christusversammlungen in der Asia mit den Him­mel, Erde und Meer umgreifenden Visionen ab Kapitel 4. Diese dienen dazu, die Lösung des Mangels der θλῖψις aufzuzeigen und sie dadurch schon jetzt, im Akt des Sehenhörens der Johannesapokalypse, antizipierend zu erleben, um mit der Gewissheit ihrer zukünftigen vollständigen Lösung in den Konflikten der Gegenwart zu bestehen. Wie schwer diese Konflikte wiegen und wie ernst der Verfasser der Apokalypse sie nimmt, wird an der benötigten Erzählzeit der Visionen ablesbar. Zunächst müssen in den Kapiteln 4 und 5 die Protagonisten – Gott und der von ihm auferweckte Gekreuzigte, das verwundete Böcklein (ἀρνίον) – geschildert werden, die dazu befähigt sind, den guten Ausgang zu gewährleisten. Das Böcklein wird befähigt, die Macht Gottes zu ergreifen, und damit gewappnet, den Kampf gegen die Widermächte anzutreten.

Das Lösen der sieben Siegel entbirgt das siebenfache Blasen der Posaunen zum Gericht Gottes. Die Kapitel 12 und 13 bilden die Peripetie der Handlung, indem der Himmel zum satansfreien Raum wird und dem Satan von Gott ein begrenzter Augenblick zugebilligt wird, sein Unwesen auf der Erde zu treiben. Die Situation der Sendschreiben und die des kosmischen Kampfes werden hier verschränkt, denn mittels der Kapitel 12 und 13 wird die Situation der Sendschreiben als Satans Zeit, als sein καιρός »interpretiert«, in der aber der Himmel bereits vollkommen und ohne jede Störung von Gott beherrscht wird. Das Ausgießen der Zornesschalen bereitet nun allen irdischen Widermächten – seien sie politisch, wirtschaftlich oder kultisch angelegt – das Ende (vgl. 14–20). Aber erst nachdem auch Satan vollends und für alle Zeiten vernichtet wurde, kom-men mit dem unermesslich schönen und alle Sinne verwöhnenden himmlischen Jerusalem auch Gott selbst und sein Böcklein vom Himmel auf die Erde. Dieser unermesslich strahlend schöne lichtdurchflutete Lebensraum kennt nichts Düsteres mehr, und erst hier ist alle θλῖψις überwunden (vgl. 21,1–22,5): Die generative Grundstruktur der Apk lautet also: θλῖψις (1–3) – Vorbereitung des Kampfes gegen θλῖψις durch die Darstellung der Befähigung der Protagonisten (4 und 5) – Beseitigung der θλῖψις durch Ankündigung und Durchführung des Gerichts (6–20) – Darstellung des Lebensraumes der überwundenen θλῖψις (21,1–22,5). Gerahmt wird diese generative Grundstruktur von Leseinstruktionen in 1,1–3 und 22,6–20.

In dieser Transformationsgeschichte vom Mangel der θλῖψις hin zu ihrer Überwindung, die alle Kapitel der Apk miteinander verknüpft, spielt die Transformation des Gottesmotivs eine tragende Rolle. In 1,4 und 1,8 hat das Syntagma die Funktion einer Präsupposition. Gott ist als ὁ ὤν und ὁ ἦν und als solcher der Pantokrator, der alle Zeiten und Räume umspannt. Als Kommender aber ist er derjenige, der seine ihm zustehende und allein von ihm auszufüllende Herrschaft noch nicht vollständig ergriffen hat. Das dritte Glied des Syntagmas in 1,4 und 1,8, ὁ ἐρχόμενος, ist also der erzähllogische und theologische Sachgrund, der verstehen lässt, warum es überhaupt noch θλῖψις geben kann. Mit diesem ὁ ἐρχόμενος wird also das Theodizee-Problem46 damit gelöst, dass es eine doppelte Funktion erhält: Gott ist jetzt der Kommende, er ist in Bewegung auf seine Zeugen zu. In diesem gegenwärtigen Kommen ist das Ziel des Kommens, nämlich das ungestörte Zusammensein von Gott, Jesus Christus und ihren Zeugen schon jetzt wirksam. Es verhindert aber nicht die θλῖψις der Zeugen, weil die Bewegung des Kommens das gänzliche Zusammensein noch ausspart, oder anders gesagt: Auch der jetzt kommende Gott ist der Pantokrator, er hat aber seine ihm zustehende Herrschaft noch nicht vollständig ergriffen, sondern lässt seinen Widersachern im­mer noch Raum und zwar den irdischen Raum mitsamt den Meeren.

Weil das Kommen Gottes aber jetzt schon im Gange ist, ist seine vollständige Ankunft gewiss. Weil Gottes vollständige Machtergreifung im Himmel nach dem Satanssturz bereits vollzogen ist, und dieser deswegen nur noch einen kurzen καιρός von Gott erhält (vgl. 12,12), ist Gott mit dem Anbrechen des Gerichts schon nicht mehr der Kommende, auch wenn das Gericht noch nicht vollständig durchgeführt wurde und der Umzug Gottes vom Himmel auf die Erde noch nicht vollzogen wurde.

Gott ist der Kommende, solange sein Gericht als vollständige Verwirklichung seiner Macht mittels Entsiegelung und Posaunen noch im Modus der Ankündigung vorgestellt wird. Mit dem Be­ginn seiner allumgreifenden Machtverwirklichung durch sein Gericht beginnt auch sein endgültiges Da-Sein. Er bleibt der Seiende, der Immer-War, aber mit der Darstellung der Verwirklichung seiner Macht ist er nicht länger als Kommender vorzustellen. Im Licht durchfluteten Lebensraum des auf die Erde herabgekommenen himmlischen Jerusalem bleibt Gott der Seiende, der Immer-War, er wird aber nicht mehr der Kommende sein, weil sein Kommen sein Ziel erreicht hat. Die Makrosyntax der Johannesapokalypse löst das Problem der Theodizee mittels der Transformation der Gottesvorstellung von einem dreigliedrigen zu einem zweigliedrigen Syntagma der Zeitlichkeit Gottes. Die Kraft der Gestaltung wirkt im Text der Apk eben nicht nur auf der Wort- und Satzebene, sondern nicht zuletzt – und vielleicht sogar vor allem – auf der makrosyntaktischen Ebene ihrer Komposition.

Abstract


This article attempts to make use of John’s linguistic creativity for the purpose of understanding the composition of the book of Rev-elation. It investigates the effects that the text’s multiple inter- and intratextual references would have on its primary audiences. The Apocalypse guides readers and auditors through verbatim and near verbatim self-citations, which run through the work via a dense network of cataphoric and anaphoric references, making it easier for auditors to follow the structure of this highly complex text.

This study thereby contributes to an already growing sense among scholars that the author not only did not write in lowbrow Greek, which could be attributed to an inadequate grasp of the language, but, in fact, that he had an excellent command of the Greek language. He employs this linguistic dexterity to guide his readers and to express his theology. This study consistently interprets the differing ways of designating God within the text’s macrostructure as an expression of the theological conception of the God who presently comes.

Fussnoten:

1) Siehe hierzu etwa Bousset, W.: Die Offenbarung Johannis, KEK 6, Göttingen 1906, 116 f.122–129; Charles, R. H.: A Critical and Exegetical Commentary on the Revelation of St. John, Bd. I, ICC, Edinburgh 1975, LXII–LXV.LXXXIX–XCI; Moyise, S.: Word Frequencies in the Book Revelation, AUSS 43,2 (2005), 285–299.
2) Siehe hierzu etwa Kraft, H.: Die Offenbarung des Johannes, HNT 16a, Tübingen 1974, 10.93.221 f.; Aune, D. E.: Revelation 1–5, WBC 52, Dallas 1997, CXX–CXXXIV; Satake, A.: Die Offenbarung des Johannes, KEK 16, Göttingen 2008, 59–73; Tóth, F.: Von der Vision zur Redaktion. Untersuchungen zur Komposition, Redaktion und Intention der Johannesapokalypse, in: Frey, J./Kelhoffer, J. A./Tóth, F. [Hrsg.]: Die Johannesapokalypse. Kontexte – Konzepte – Rezeption, Tübingen 2012, 319–411.
3) Tóth, F. (2012, s. Anm. 2), pass., vor allem 328.339–356.384–405.411. Für ihn enthalten Apk 1,1–3.10–20 und 4,1–22,10 das ursprüngliche, schon etwa um das Jahr 70 anzusetzende apokalyptische Corpus, das in einer ersten Redaktionsstufe durch die Kultszenen 1,10–20; 4/5; 8,1–6; 11,15–19; 14,14–20; 15,1–8; 16,17–21; 19,1–10 und 21,1–8 zu einer »oktaedrischen Ordnung« in acht Visionsabschnitten (a. a. O., 328) zusammengefügt wurde, während in einer zweiten Redaktionsstufe ab etwa 112 die Sendschreiben mit ihrer Einleitung (Apk 1,4–9; 2/3) hinzukamen.
4) Da wir mit den Termini »Autor« und »Verfasser« operieren und auch unbefangen von »Johannes« sprechen, sei hier methodisch klargestellt, dass wir rezeptionsästhetisch damit zunächst den impliziten Autor meinen, dessen »Intention« sich auf der Basis philologischer, literaturwissenschaftlicher und theologischer Analysen und Interpretationen ermitteln lässt. Wir sind zugleich davon überzeugt, dass sich auf dieser Basis ein Kompetenzprofil auch des realen Autors aus Fleisch und Blut erstellen lässt und damit eine Brücke zwischen einer semiotisch und rezeptionsästhetisch reflektierten texttheoretischen Autorkonzeption und dem Begehren, auch etwas über den Verfasser aus Fleisch und Blut zu erschließen, schlagen lässt. Vgl. Link, H., Rezeptionsforschung. Eine Einführung in Methoden und Probleme, Stuttgart u. a. 21980.
5) Ein vergleichbares Phänomen fand sich in der Klassischen Philologie in der Homerinterpretation des 19. und der ersten Hälfte des 20. Jh.s. Mit großem Scharfsinn legten die sogenannten Analytiker in der Nachfolge von F. A. Wolf Schicht um Schicht frei, um nachzuweisen, dass nicht nur Ilias und Odyssee von verschiedenen Dichtern stammten, sondern dass die beiden Epen auch in sich Konglomerate seien, die verschiedene Autoren im Laufe von Jahrzehnten zusammengetragen hätten. Mittlerweile haben sich aber sogenannte Unitarier wie Latacz durchgesetzt, die für Ilias und Odyssee im Wesentlichen je einen Dichter annehmen und so mit Ausnahme weniger späterer Interpolationen mit zwei »Homeren« auskommen. Wenige radikale Unitarier in der Nachfolge von Reinhardt, zu denen auch der altphilologische Co-Autor dieses Beitrags gehört, halten es sogar nach wie vor für denkbar, dass ein- und derselbe Dichter beide Epen verfasst hat.
6) Diese ganz unwahrscheinliche Auffassung vertritt explizit Moberly, R.: When was Revelation Conceived? Bib 73, 1992, 376–393, hier: 392. – Ein ernsthafteres Argument zugunsten einer »Zweischichtenthese« könnte man in den vor allem von Aune (1997, s. Anm. 2), CXXXII–CXXXIV, festgestellten sprachlichen und stilistischen Differenzen zwischen den Sendschreiben und dem eigentlich apokalyptischen Text sehen. Diese scheinbare Divergenz ist aber leicht durch die Unterschiede zwischen Briefform des einen und Erzählform des anderen Teils zu erklären.
7) Vgl. hierzu auch Karrer, M.: Die Johannesoffenbarung als Brief. Studien zu ihrem literarischen, historischen und theologischen Ort, FRLANT 140, Göttingen 1986, 137; Bauckham, R.: Structure and Composition, in: Ders.: The Climax of Prophecy. Studies on the Book of Revelation, Edinburgh 1993, 1–37; Giesen, H.: Die Offenbarung des Johannes, RNT, Regensburg 1997, 93; Huber, K.: Einer gleich einem Menschensohn. Die Christusvisionen in Offb 1,9–20 und Offb 14,14–20 und die Christologie der Johannesoffenbarung, NTA 51, Münster 2007, 76 (Anm. 9).
8) Vgl. zu Zeit und Raum in der Apk Alkier, S./Nicklas, T.: Wenn sich Welten berühren. Beobachtungen zu zeitlichen und räumlichen Strukturen in der Apokalypse des Johannes, in: Alkier, S./Hieke, Th./Nicklas, T. [Hrsg.] in Zusammenarbeit m. M. Sommer: Poetik und Intertextualität der Johannesapokalypse, WUNT 346, Tübingen 2015, 205–226, vgl. auch Zeller, D.: Zum Tempusgebrauch in der Offenbarung des Johannes, a. a. O., 27–44.
9) Alkier, S.: Die Johannesapokalypse als »ein zusammenhängendes und vollständiges Ganzes«, in: Labahn, M./Karrer, M. [Hrsg.]: Die Johannesoffenbarung. Ihr Text und ihre Auslegung, Leipzig 2012, 147–171, mit schematischem Überblick 151 f. – Interessante Alternativvorschläge bieten etwa Tavo, F.: The Structure of the Apocalypse. Re-Examining a Perennial Problem, NT 47 (2005), 47–68, mit besonderer Betonung der »narrative joints« zwischen den einzelnen Visionsblöcken, und Tóth (2012, s. Anm. 2), pass., mit schematischer Darstellung, 408.
10) Besonders fruchtbar und erhellend sind hierzu die Ausführungen von Hays, R. B.: Faithful Witness, Alpha and Omega. The Identity of Jesus in the Apocalypse of John, in: Hays, R. B./Alkier, S.: Revelation and the Politics of Apocalyptic Interpretation, Waco (TX) 2012, 69–83; Tóth (2012, s. Anm. 2) mit zahlreicher weiterführender Literatur, und Barr, D. L.: Tales of the End. A Narrative Commentary on the Book of Revelation, Salem (OR) 2012.
11) Siehe hierzu exemplarisch Selwyn, E. C.: The Christian Prophets and the Prophetic Apocalypse, New York 1900, 258.
12) Siehe hierzu vor allem Holtz, T: Sprache als Metapher. Erwägungen zur Sprache der Johannesapokalypse, in: Horn, F. W./Wolter, M. [Hrsg.]: Studien zur Johannesoffenbarung und ihrer Auslegung. Festschrift Otto Böcher, Neukirchen-Vluyn 2005, 10–19.
13) Einen sehr gelungenen musikalischen Vergleich für dieses Phänomen wählt auch Barr (2012, s. Anm. 10), 173 f.: »The repetitious (…) is everywhere. On one level, there is a repetitiveness to the first four seals, as each proceeds in verbal synchrony with the previous. This is the repetitiveness of the drum, hammering home the message. (…) But there is a deeper level of the repetitious. Seal six, for example, symbolizes the final judgment (…) as does the earthquake fol-lowing the ascent of the two witnesses (11:13). This is not drumming, but more like the musical variations on a theme in a symphony. Each repetition states, refines, and enhances the theme so that we understand it in new ways.«
14) Vgl. Aune (1997, s. Anm. 2), Bd. I, 30.
15) Hier liegt die griechische Dreizeitenformel zugrunde; vgl. Karrer, M.: Das Gottesbild der Offenbarung vor hellenistisch-frühkaiserzeitlichem Hintergrund, in: Stowasser, M.: Das Gottesbild in der Offenbarung des Johannes, WUNT 397, Tübingen 2015, 53–81, hier: 68; zu verwandten Gedanken in der Ontologie insbesondere Platons s. a. a. O., 75–79.
16) Vgl. hierzu ausführlicher Paulsen, Th.: Zu Sprache und Stil der Johannes-Apokalypse, in: Alkier, S./Hieke, Th./Nicklas, T. [Hrsg.]: Poetik und Intertextualität der Johannesapokalypse, Tübingen 2015, 3–25, hier: 21–24; vgl. weiterhin: Charles (1920, s. Anm. 1), 10; Giesen (1997, s. Anm. 7), 74; Beale, G. K.: The Book of Revelation. A Commentary on the Greek Text, Grand Rapids (MI) 1999, 188 f.
17) Karrer (2015, s. Anm. 15), 78, verweist auf die von Platon im Timaios geführte Diskussion über die Unmöglichkeit, dem Seienden Zeitformen der Vergangenheit zuzuweisen. In diesem Zusammenhang fällt zweimal die Formulierung τὸ ἦν (37e4, 38a1). Dieser Fall ist jedoch grammatisch anders zu erklären als ὁ ἦν in Apk 1,4, da der sächliche Artikel die Verbform ἦν hier nicht substantiviert, sondern als bestimmten Ausdruck bezeichnet; man könnte τὸ ἦν etwa mit »die Formulierung ›war‹« wiedergeben.
18) Vgl. Holtz (2005, s. Anm. 12), 14, und Paulsen (2015, s. Anm. 16), 23 f.
19) Alle Übersetzungen stammen, soweit nicht anders angegeben, von uns. Sie sind Teil eines gemeinsamen Lehr- und Forschungsprojektes zur Apk.
20) Vgl. Aune (1997, s. Anm. 2), Bd. I, 57, Giesen (1997, s. Anm. 7), 80 f.
21) Die ausgeschriebene Version des Buchstaben Omega existiert zu dieser Zeit noch nicht; s. Karrer (2015, s. Anm. 15), 70.
22) Zur Verwendung der Junktur Κύριος ὁ Θεός ὁ Παντοκράτωρ im Gesamtplan der Apokalypse siehe auch Tóth (2012, s. Anm. 2), 328 mit Anm. 34; zum Παντοκράτωρ-Begriff s. Aune (1997, s. Anm. 2), Bd. I, 58.
23) Es ist ein in der Apk häufig zu beobachtendes Phänomen, dass Johannes, wenn von Gott die Rede ist, finite Verbformen meidet, wodurch ein statischer Effekt hervorgerufen wird, der das unveränderliche Sein des Allmächtigen unterstreicht; vgl. hierzu Paulsen (2015, s. Anm. 16), 13.
24) Es beginnt dann freilich nicht sofort, sondern vor dem Ausgießen der sieben Schalen ereignet sich in den Kapiteln 12 und 13 die Peripetie, welche die Vertreibung des durch den Drachen symbolisierten Teufels aus dem Himmel und sein unheilvolles Wirken auf der Erde schildert.
25) Erstaunlicherweise wird auf die zentrale Bedeutung dieser Ellipse in den gängigen Kommentaren meist nur knapp eingegangen, s. z. B. Bousset (1906, s. Anm. 1), 331; Charles (1920, s. Anm. 1), 295; Mangina, J. L.: Revelation, Grand Rapids (MI) 2010, 142; Lichtenberger, H.: Die Apokalypse, Stuttgart 2014, 174.
26) ἅγιος und ὅσιος werden von Johannes als Synonyme verwendet, man darf hier also nicht etwa an die moderne Differenzierung in der griechisch-orthodoxen Kirche denken, die ἅγιος als Begriff für heilig, ὅσιος für selig verwendet.
27) Vgl. Aune (1997, s. Anm. 2), Bd. III, 1126 f., Beale (1999, s. Anm. 16), 1055.
28) Eine brillante Interpretation, warum an dieser Stelle Jesus anders als Gott in 1,8 nicht das finite Verb εἰμι verwendet, bietet Karrer (2015, s. Anm. 15), 70 f.
29) Man könnte hier etwa zur Veranschaulichung an die Doppelfuge in der Coda des 4. Satzes von Beethovens 9. Symphonie denken, in der die beiden Themen zu den Texten Freude, schöner Götterfunken und Seid umschlungen, Millionen zusammengeführt werden.
30) Hierin liegt der wesentliche Unterschied unserer Deutung gegenüber derjenigen von Hays (2012, s. Anm. 10), 74–76.81, der die »mysterious coinherence of the identity of God and the identity of Jesus« bereits von Anfang an als gegeben ansieht, während wir einen dynamischen Prozess annehmen. Entscheidend für diese Auffassung ist für uns neben der schon erwähnten Beobachtung, dass in 1,4 f. grammatisch zwischen Gott und Jesus unterschieden wird, die Tatsache, dass diejenige Prädikation, in der sich die göttliche Macht am augenfälligsten manifestiert, nämlich Παντοκράτωρ, Gott vorbehalten bleibt; vgl. auch Aune (1997, s. Anm. 2), CXXV f., und Tóth (2012, s. Anm. 2), 354 f., Anm. 128, der als Ausdruck der »Aktionseinheit zwischen Jesus Christus und Gott« darauf verweist, »dass in 22,16 – in pointierter Gegenüberstellung zu Apk 22,6 und 1,1 – nun Chris-tus selbst den angelus interpres sendet«. So werde es »erst von Apk 22,16 her (…) möglich, die ansonsten theozentrische Offenbarungsstruktur von Apk 1,1–3 (…) christologisch neu zu lesen«.
31) A. a. O., 76.
32) Dasselbe Phänomen findet sich auch bereits in 11,15, worauf Hays (2012, s. Anm. 10), 193, Anm. 29, verweist; hier ist von der Herrschaft des Herrn und seines Christus die Rede, woran sich wiederum die singularische Formulierung βασιλεύσει εἰς τοὺς αἰῶνας τῶν αἰώνων (und Er wird herrschen für die Äonen der Äonen) anschließt. Dieser Fall ist jedoch etwas anders gelagert als der in 22,3, da das Futur des Prädikats darauf verweist, dass diese Identität der Königsherrschaft Gottes und Christi in der Zukunft liegt. Sie beginnt faktisch in der Zeit, in der das Neue Jerusalem vom Himmel herabsteigt.
33) Eine Vielzahl weiterer treffender Beobachtungen findet sich etwa bei Tóth (2012, s. Anm. 2), wir nennen nur einige der besonders aussagekräftigen: 327.347 zu 17,1–3 und 21,9 f. sowie zu 19,9 f. und 22,6–9; 340 zur wiederholten Formulierung ἐν πνεύματι; 353 zu 1,1–3 und 22,6–10; 384 zu den antithetischen Paaren Hure versus Braut und Babylon versus Jerusalem.
34) Vgl. hierzu und zum Folgenden auch Tóth (2012, s. Anm. 2), 330 f.349, der diese Elemente geradezu als »Theophaniemotive« bezeichnet.
35) φωναὶ καὶ ἀστραπαί als Ausdruck göttlicher Macht finden sich auch bereits im Alten Testament, z. B. Ex 19,16.
36) Vgl. Bauckham, R.: The Eschatological Earthquake, in: Ders. (1993, s. Anm. 7), 199–209.
37) Dieser Effekt kann ins Deutsche nur dann einigermaßen hinübergerettet werden, wenn man, so gut es geht, die Wortstellung des griechischen Originals beibehält. Dafür nehmen wir auch bewusst in Kauf, dass die Wortfügung der Übersetzung manchmal ungewöhnlich oder gar manieriert wirken mag.
38) Der Übersetzung kommt hier, wie generell in der Apk, zugute, dass das Deutsche und das Griechische sich in der Art und Weise, wie Hervorhebungen durch die Wortstellung erzielt werden können, recht ähnlich sind.
39) Auch der nächste Satz (16,19) beginnt zur Verstärkung dieser Wirkung noch einmal mit καὶ ἐγένετο, hier allerdings mit einer Bedeutungsverschiebung, indem es hier das Zerfallen der gewaltigen Stadt Babylon in drei Teile markiert.
40) Hier dient sicher Ex 9,24 als Vorbild, wo im Rahmen der ägyptischen Plagen ein gewaltiger Hagel niedergeht. Es heißt dort: ἡ δὲ χάλαζα πολλὴ σφόδρα σφόδρα, ἥτις τοιαύτη οὐ γέγονεν ἐν Αἰγύπτῳ, ἀφʼ οὗ γεγένηται ἐπʼ αὐτῆς ἔθνος (Der Hagel aber viel, heftig, heftig, der als solcher nicht entstanden ist in Ägypten, seit entstanden ist in ihm [= Ägypten] ein Volk.). Wie bei intertextuellen Bezügen bei ihm üblich geht Johannes mit diesem Hypotext kreativ um: Er übernimmt den Hagel als solchen, überträgt aber seine Charakterisierung, wie gewaltig er war und wie es ihn seit Menschengedenken nicht gab, auf das Erdbeben; vgl. auch Aune (1997, s. Anm. 2), 901 f.; Giesen (1997, s. Anm. 7), 366; Beale (1999, s. Anm. 16), 844 f.
41) Ein weiteres Erdbeben ohne andere Katastrophenelemente findet sich noch in 11,13.
42) Karrer, a. a. O., 75.
43) Petöfi, J.: Explikative Interpretation. Explikatives Wissen, in: Ders./ Olivi, T. [Hrsg.]: Von der verbalen Konstitution zur symbolischen Bedeutung – From verbal constitution to symbolic meaning, Papiere zur Textlinguistik 62, Hamburg 1988, 184–195, hier 184.
44) Vgl. zur semiotisch-kritischen Begründung der Exegese Alkier, S.: New Testament Studies on the Basis of Categorical Semiotics, in: Ders., Hays, R. B./ Huizenga, L. [Hrsg.]: Reading the Bible Intertextually, BUP, Waco, Texas 2009, 223–248; elementarisierend dazu Alkier, S.: NT Basics, Tübingen und Basel 2010, 104–112.139–183.
45) Zur ausführlicheren Begründung der im Folgenden skizzierten Makrostruktur der Johannesapokalypse vgl. Alkier (2012, s. Anm. 9).
46) Vgl. Alkier, S.: Die Realität der Auferweckung in, nach und mit den Schriften des Neuen Testaments, NET 12, Tübingen und Basel 2009, 170–188, insbesondere 186 ff.