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Ausgabe:

April/2017

Spalte:

441-442

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Bethge, Clemens W.

Titel/Untertitel:

Kirchenraum. Eine raumtheoretische Konzeptualisierung der Wirkungsästhetik.

Verlag:

Stuttgart: Verlag W. Kohlhammer 2015. 350 S. m. 8 Abb. = Praktische Theologie heute, 140. Kart. EUR 49,99. ISBN 978-3-17-029232-1.

Rezensent:

Christian Grethlein

Clemens W. Bethges 2013 in Tübingen angenommene praktisch-theologische Dissertation, betreut von Volker Drehsen, will die seit einigen Jahren rege Arbeit am und zum Kirchenraum in der evangelischen Theologie durch eine rezeptions- bzw. wirkungsästhetische Perspektive weiterführen bzw. ergänzen (s. 39). Dazu greift sie grundlegend auf die Wirkungsästhetik Wolfgang Isers zurück. Der hier zugrunde liegende doppelte Zugang zum Text – über den Text und dessen Lektüre durch Leser – spiegelt sich auch in den beiden Hauptteilen der Arbeit: »Der Kirchenbau als Kirchenraumtext – Der künstlerisch-architektonische Pol des Kirchenraums« und »Phänomenologie der (Kirchen)Raumlektüre – Der ästhetische Pol des Kirchenraums«.
Eingangs stellt B. aber zuerst referierend wichtige Arbeiten zum Thema – in der Spannung zwischen Josuttis und Schwebel – sowie die Rezeptionsästhetik der Konstanzer Schule (vor allem Iser) vor. Hier finden sich instruktive Überblicke, auf die etwa Examenskandidaten gern zurückgreifen werden.
Der erste Hauptteil widmet sich dann in mannigfaltigen An-läufen und Perspektiven den Kirchenräumen als »Texte[n], die geschrieben und gelesen werden und an denen weitergeschrieben wird« (77). Entfaltet wird dies – neben referierenden Darstellungen verschiedener Beiträge evangelischer Praktischer Theologen (vor allem Volp, Raschzok) – anhand der vier Iserschen Theoriebegriffe Repertoire, Strategien, Selektion und Kombination. Dadurch tritt anschaulich – an einigen Beispielen konkret durchgeführt – die Komplexität des »Kirchenraumtextes« zu Tage.
Der zweite Hauptteil wendet sich den Rezipienten des Kirchenraumtextes zu. Zuerst wird ausführlich Isers Phänomenologie referiert. Damit diese auf das Lesen von Texten hin entworfene Theorie auf die Kirchenraumlektüre übertragen werden kann, reflektiert B. in einem zweiten Durchgang den Zusammenhang von Raum und Leib. So gerüstet entwirft er eine »Phänomenologie der Kirchenraumlektüre – Kirchenraumlektüre als Interaktion von Raumtext und Rezipient«. Anschaulich entfaltet dies u. a. das Beispiel »Die Kirchenraumlektüre als Begehung des Kirchenraums mit allen Sinnen« (247–249). Wichtig ist dabei die Unterscheidung zwischen dem – grundsätzlich jedem Menschen mit seinem Leib – zugäng-lichen ästhetischen und dem – eine »Alphabetisierung« erfordernden– »kommunikativen« Zugang zum Kirchenraum und -gebäude. Damit gelingt u. a. eine einleuchtende Grundlegung der Kirchraumpädagogik.
Insgesamt dokumentiert die Arbeit gut den gegenwärtigen Stand der Kirchenraum-Forschung. Der Rückgriff auf die Wirkungsästhetik Isers führt überzeugend in die Komplexität des Kirchenraums und seines Verständnisses ein. Er eröffnet einen Interpretationsrahmen, der »zwischen den beiden Polen einer Ontolo-gisierung des heiligen Raums und einer Hypertrophierung des religiösen Subjekts« (318) manövrieren lässt. Positiv formuliert nimmt er sowohl Einsichten auf, die mit dem Verständnis des Kirchenraums als eines »heiligen« (Josuttis) als auch als eines »religiösen« Raums (Mertin) verbunden sind.
So legt B. eine Rahmentheorie zum Kirchraum vor, die die Grundlage für konkrete empirische Feldforschung (etwa hinsichtlich Autobahn- oder Fahrradkirchen, City- oder Jugendkirchen, Friedhofs- oder Wallfahrtskapellen usw.) bilden könnte. Empirische – etwa lebensalters-, milieu- oder geschlechtsbezogene – Un­tersuchungen zur tatsächlichen Wahrnehmung von Kirchenräumen könnten weitere Horizonte eröffnen und die Spannung zwischen ästhetischem und kommunikativem Zugang von Menschen zu Kirchengebäuden bearbeiten helfen.