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Ausgabe:

März/2017

Spalte:

256–258

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Müller, Wolfgang W. [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Theologie in Noten. Werkerschließungen und Reflexionen.

Verlag:

Ostfildern: Matthias-Grünewald-Verlag 2015. 218 S. Kart. EUR 25,00. ISBN 978-3-7867-3035-4.

Rezensent:

Konrad Klek

Ein Titel »Theologie in Buchstaben« würde Befremden auslösen, nicht weniger seltsam ist dieses »Theologie in Noten«. Gemeint ist die Verbindung von »Theologie und Musik« in vielen Facetten, aber da gibt es wohl schon zu viele ähnliche Titel, auch wenn der katholische Herausgeber, Dogmatikprofessor in Luzern, im Vorwort Originalität reklamiert für die hier zu findende »theologische Relektüre musikalischer Werke« (9).
In der Abteilung »Werkerschließungen« bringt der Band zu­nächst einen nur bescheiden modifizierten Wiederabdruck der an anderer Stelle publizierten, tatsächlich theologisch wie musikalisch umsichtigen Werkerschließung von BWV 60 O Ewigkeit du Donnerwort durch den Freiburger Theologen und Musikwissenschaftler Meinrad Walter. Das ist ein Paradebeispiel von Bach-Exegese, die das vielschichtige Zusammenspiel von geistlichem Text und Musik zu benennen weiß und darin Bachs geistlichem Horizont im künstlerischen Schaffen gerecht wird.
Andreas Marti als reformierter Schweizer erschließt kein Werk, sondern räsoniert allgemein über das Problem, wie man Bach trotz seiner Texte heute hören kann. Die »integrale Rezeption von Text und Musik« (33), von M. Walter zuvor mustergültig vorgeführt, schließt er als Regelfall aus. Mit »Fragmentierung« (des Textes beim Hören), »theologischer Transformation« (der abständigen Textgestalten in heutiges Fassungsvermögen), »Transzendierung des Textes« (in die Musik hinein) und schließlich »dialektischer Rezeption« bietet er vier mögliche Wege des Zugangs zu Bach heute an. Dies gehört eigentlich in die zweite Buch-Abteilung »Reflexionen« und ist als hermeneutischer Ansatz interessant. Wer aber den Beitrag Walters goutieren konnte, mag den Ausgangspunkt nicht teilen.
In einem »katholischen Buch« muss Bach mit Mozart aufgewogen werden. Der Salzburger Musikwissenschaftler Thomas Hochradner präsentiert einen »Versuch, über den Glauben W. A. Mozarts zu schreiben« (41). Auch das ist keine Werkerschließung, tatsächlich erhellende Briefzitate spielen die Hauptrolle, und es gibt einen guten Überblick über die Geschichte der Mozart-Deutungen. Das Resümee lautet: »Mensch und Christ W. A. Mozart gehen auf in seinem musikalischen Werk, enthoben jeder Diskussion seines Glaubens« (62).
»Bruckner und ›der liebe Gott‹« (63, Raphael Staubli) dürfen na­türlich auch nicht fehlen. Hier nun finden sich plausible, konkrete Bezugnahmen auf Schlüsselstellen in einzelnen Werken (Te Deum, 7. Sinfonie) und eine stringente Erarbeitung der These, dass Bruckners Glaube in den Sinfonien sozusagen Form geworden sei.
Unter der Kategorie »romantische Glaubenssehnsucht« (79) bringt Wolfgang W. Müller Beethoven, Wagner und Mahler in eine Linie. Exemplifiziert an Beethovens 9. Sinfonie, an Wagners Parsifal und an Mahlers Auferstehungssinfonie sieht er bei allen dreien das Grundthema der »Erlösung« »im Medium der Musik selbständig behandelt und bearbeitet« (90). Das ist nichts wirklich Neues. Verwunderlich ist, dass der Dogmatiker keinerlei Kritik der da vorgestellten, in verschiedener Hinsicht ziemlich banalen Erlösungskonzepte anbringt.
Pendant zu M. Walters Beitrag als präzise Werkerschließung ist dann die detailgenaue Analyse des Sanctus aus der a cappella-Messe des (katholischen) Parisers Francis Poulenc als Repräsentant des 20. Jh.s durch den Tübinger Musikwissenschaftler Thomas Schipperges, der auch theologische wie musikologische Traditionslinien aufzeigt. Das ist wieder mustergültig gemacht. Spannend für die Fragestellung geistliche Musik bei »weltlichen« Komponisten im 20. Jh. würde es aber erst, wenn man ein Vergleichsobjekt hätte, etwa die analoge Messe des Schweizers Frank Martin. Es ist überhaupt bedenklich, wie die Schweizer Katholiken aus Luzern diesen reformierten Landsmann aus Genf konsequent ignorieren.
Die »Reflexionen« im zweiten Buchteil sind chronologisch hinsichtlich des Themenfeldes angeordnet. Zuerst referiert wieder Thomas Schipperges über Darstellungen des Musikers David in Be­zug zum biblischen Befund. Die fälligen Illustrationen sind (notgedrungen) schwarz-weiß und in bescheidener Auflösung. Unter der Überschrift »Musik als Kontemplation« referiert die Musikwissenschaftlerin Therese Bruggisser-Lanker sehr konzise über musikphilosophische bzw. musiktheologische Konzepte im Mittelalter, gezwängt allerdings in eine neuzeitliche Rahmung mit Beethoven und Brahms, welche diese vereinnahmt für Welten, die ihnen nun wirklich fremd waren. Auf das Mittelalter folgt Dr. Martinus Luther, zu dessen Musikanschauungen und Liedschöpfungen der katholische Kirchenmusikprofessor Martin Hobi eine schöne Übersicht beisteuert, jedoch ohne eigenen Forschungsakzent.
Einführungsvorträge sind eine Spezies, deren Buch-Wertigkeit im Einzelfall zu prüfen wäre. Mehr als gute Unterhaltung bieten die drei Beiträge für das Lucerne festival hier nicht, von Alois Koch– »Revolutionen in der Kirchenmusik«, »Die Suche nach Gott im 20. Jahrhundert« – und von Hans Küng »Komponisten und ihr Glaube«, fokussiert namentlich nochmals auf Mozart und sein Re­quiem. Eine Tour d’horizon kann Vortragshörer ungemein befriedigen – Erklärung der ganzen Welt in einer dreiviertel Stunde. Aber die Linien werden da doch zu stringent gezeichnet und zu vieles, was etwas daneben liegt, aber doch auch zu sagen wäre, bleibt unerwähnt. Am Ende des Bandes steht eine Skurrilität der Bach-Deutung (Klaviermusik) in Bezug zur Monadologie von Leibniz von Joëlle Khoury.