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Ausgabe: | Januar/2017 |
Spalte: | 86–88 |
Kategorie: | Kirchengeschichte: Reformationszeit |
Autor/Hrsg.: | Wolgast, Eike |
Titel/Untertitel: | Die Einführung der Reformation und das Schicksal der Klöster im Reich und in Europa. |
Verlag: | Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2014. 371 S. = Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte, 89. Lw. EUR 68,00. ?ISBN 978-3-579-05842-9. |
Rezensent: | Christoph T. Nooke |
Einmal mehr bereichert Eike Wolgast mit dem vorgelegten Werk die Forschung zur Reformationszeit. Obgleich der Titel etwas umständlich daherkommt, bietet sich dem Leser hier ein gut strukturierter Überblick, dessen Ansatz und Konzept hier vorgestellt werden soll. Glücklicherweise geht es in dem Werk nicht um »die Reformation« insgesamt und als solche, sondern um deren Einführung. Als Einführung der Reformation versteht W. »das Handeln einer landesherrlichen Obrigkeit […], das auf eine administrativ vorgenommene und das ganze Land erfassende inhaltliche und organisatorische Umgestaltung des kirchlich-religiösen Lebensbereichs nach den Vorstellungen der Zentrale abzielt« (12). Die Studie geht konsequent fokussiert vor: »Die vorliegende Untersuchung soll alle reichsfürstlichen weltlichen und geistlichen Territorien erfassen, die sich der Reformation anschlossen« (11), ausgespart werden Grafen, Reichsritter und Reichsstädte; Mediatstädte werden einbezogen, »soweit sie als Vorläufer oder als Bestandteil der landesfürstlichen Reformationsmaßnahmen eine besondere Rolle spielten« (ebd.). Als Leitfragen der Erschließung wird nach den Motiven für die Reformationseinführung gefragt, nach den Entscheidungsträgern, der Art der Einführung und dem »Schicksal der Klöster« (Vorwort, 9) bzw. danach, »unter welchen Vorgegebenheiten und Umständen jeweils die Beseitigung des tradierten Kirchenwesens erfolgte, in welchen Formen die reformatorischen Veränderungen vor sich gingen, wie weit sie sich konkret erstreckten, von wem die Entscheidungen ausgingen und wer gegebenenfalls auf sie einwirkte« (22). Das »Schicksal der Klöster« stellt, auch wenn es Eingang in den Titel gefunden hat, lediglich ein Beispiel für den Umgang mit dem Kirchengut dar, der als das »schwierigste rechtliche und organisatorische Problem bei der obrigkeitlichen Einführung der Reformation« (16) zu verstehen ist.
Zwar möchte W. den mentalen Wandel nicht in die Untersuchung miteinbeziehen, sondern explizit die administrative Seite der Reformation behandeln, doch kommt man gar nicht umhin, einige bewusstseinsprägende theologische Leitideen der Reformation zu erwähnen. Zu fragen wäre, ob die Abfolge von administrativer Einführung und dann folgendem mentalen Reformationsprozess, der mindestens eine Generation gedauert habe (vgl. 12), wirklich so anzulegen ist, zumal ja bereits im Feld der Gemeindereformation mehr als nur »Inseln des kirchlich-religiösen Neuen« (13) gebildet werden und somit mentaler Wandel einsetzt.
So unpolemisch und nüchtern die Darstellung daherkommt, so positioniert ist W. in grundlegenden Fragen: Gegenüber einer Einebnung der Differenzen von Spätmittelalter und Reformation stellt er bezogen auf das landesherrliche Kirchenregiment deutlich den »Hiatus, der das historische Gesamtereignis Reformation von spätmittelalterlichen Reformationsansätzen trennt« (14) heraus. Von »Konfessionalisierung« mag er vor 1530 nicht sprechen (12) – sicherlich lässt sich das diskutieren. Insgesamt zu begrüßen ist das Ansinnen des Historikers, nicht Theoriebildungen und theolo-gische Überlegungen, sondern das »konkrete Handeln der politischen Entscheidungsträger« zum Leitfaden der Untersuchung zu machen (12). Dadurch erreicht er wirklich sein Ziel, den »weithin zur Chiffre versteinerten Begriff Einführung der Reformation in den Aggregatzustand des realen Verlaufs zurückzuführen« (12). Dass damit ein Beitrag zur Konstellationsforschung geleistet wird, »indem die Modi der Reformationseinführung in ihre reichs- und regionalgeschichtlichen Kontexte gestellt werden«, und ein »Beitrag zur Prozessforschung, indem die Umgestaltungsphasen der getroffenen Entscheidungen nachvollzogen und in ihrer jeweiligen Bedeutung für die einzelstaatliche Reformation analysiert werden« (12), komplettiert das theoretische Gerüst dieses klar strukturierten, überaus quellenreichen Werkes.
Den Hauptteil (Teil A) bildet die Untersuchung der Einführung der Reformation im Reich. Warum allerdings dieses schlüssig abgeschlossene Panorama noch durch den Zusatz »und in Europa« um ein wenig Raum (80 Seiten) ausgedehnt wird, erscheint kaum zwingend. Zwar finden sich auch hier Beobachtungen zu »Formen und Modi« (269) der Einführung der Reformation, doch verbleibt das Ergebnis im Allgemeinen bzw. Vereinzelten. Festhalten lässt sich, dass viel von den strukturellen Vorgaben (monarchisch, föderativ oder republikanisch) abhängig war. Zur Illustration werden die skandinavischen Staaten, die Eidgenossenschaft, die Niederlande, England und Schottland geboten. Insgesamt erscheinen die beiden Teile (A: 11–268; B: 269–334) unverbunden: Wie W. im Vorwort an?merkt, hatte sich die ursprüngliche Konzeption lediglich auf Teil A bezogen, erst danach erschien ihm ein Vergleich mit den Staaten Europas als »vielversprechend« (9), was dann aber eher »kursorisch angelegt« (ebd.) wurde.
Die Gliederung des Teiles A geht chronologisch vor, behandelt – weitgehend gleichberechtigt – die einzelnen Territorien, zum Schluss die Hochstifte, gefolgt von einigen Ausblicken reichsrechtlicher Regelungen bis 1648. Maßgeblich für die Chronologie ist die erfolgreiche Einführung der Reformation, was auch zu Überraschungen führen kann, da dieses Prinzip konsequent durchgehalten wird, auch wenn die administrative Umsetzung nur noch längst überfälliger Nachvollzug der schon geschehenen kirchlich-religiösen Neuorientierung war. Als Gliederungsrahmen dienen sinnvollerweise die Reichstage, die jeweils den reichsrechtlichen Rahmen (neu) absteckten, unter dem sich die Einführung der Reformation recht disparat in den Einzelterritorien vollzog. So entstehen fünf Gruppen von sehr unterschiedlichen Territorien (Einführung der Reformation im Zeichen reichsrechtlicher Ungesichertheit; … nach dem ersten Religionsfrieden 1532; … in der Phase der temporären Friedstände; … in der Zeit des Interims; … nach dem Augsburger Religionsfrieden). Zu Beginn der einzelnen Abschnitte werden die Reichstage in ihren maßgeblichen Entscheidungen und ihrem Zustandekommen behandelt; hervorzuheben ist die genaue Arbeit am Wortlaut der Abschiede. So lassen sich dann die Abläufe in den einzelnen Territorien besser verstehen und beurteilen. Deutlich wird vor allem die große Spannbreite der Territorien im Reich hinsichtlich des politischen Kräftespiels sowie des sehr unterschiedlichen Einsatzes der Landesherren in der Religionsfrage, an der letztlich fast alles hing. Ohne Ansehen der Größe und des politischen Gewichts (Pfalz-Neuburg wird so ausführlich behandelt wie Kursachsen) werden dabei die angelegten Fragen durchgehalten. Angesichts solcher Spannbreite wird nachvollziehbar, warum W. eingangs um Nachsicht bittet, dass nicht immer Gleichförmigkeit in der Berücksichtigung der wichtigen Aspekte erreicht worden sei, und auch die Synthese dann in zwei »schmale Kapitel Schlussfolgerungen geschrumpft ist« (9). Dies ist verständlich, aber wirklich zu bedauern, da schon die profunde Quellenkenntnis und die jahrzehntelange Auseinandersetzung mit der Reformationsgeschichte durch W. hier sicherlich wertvolle Einschätzungen er?möglicht hätten.
Flankierend, teils korrigierend, oft präzisierend zur theologischen Reformationsgeschichtsschreibung vermag W. hier durch seine Konzentration auf die administrative Ebene neue Perspektiven aufzuzeigen und für die Komplexität dieses historischen Phänomens zu sensibilisieren. Dass zudem Desiderate, wie die Erforschung der lokalen Reformationseinführung innerhalb der Ter-ritorien, benannt werden, lässt nach der Lektüre auch fröhlich weiterarbeiten. So können wir uns dem Dank W.s nur anschlie-ßen, der zum Abschluss der Studie schreibt, er sei »dankbar, sie zu einem– jedenfalls hoffentlich einigermaßen akzeptablen und die Forschung weiterführenden – Abschluss gebracht zu haben« (9).