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Ausgabe:

September/2016

Spalte:

995–998

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Kenngott, Eva-Maria, Englert, Rudolf, u. Thorsten Knauth [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Konfessionell – interreligiös – religionskundlich. Unterrichtsmodelle in der Diskussion.

Verlag:

Stuttgart: Verlag W. Kohlhammer 2015. 237 S. = Praktische Theologie heute, 136. Kart. EUR 34,99. ISBN 978-3-17-024421-4.

Rezensent:

Clauß Peter Sajak

Kontext und Anliegen des Sammelbandes fassen die drei Herausgeber in ihrer Anleitung bereits konzise zusammen:
»Der Religionsunterricht findet nicht im luftleeren Raum statt; sondern vor dem Hintergrund […] gesellschaftlicher Veränderung, Selbstbeschreibung und Diskurse. Auch die Erwartungen, die an den Religionsunterricht herangetragen werden, z. B. Orientierung Heranwachsender unter den Vorzeichen von Pluralismus zu unterstützen oder zum friedlichen Zu­sammenleben von Menschen mit unterschiedlichen Orientierung […] beizutragen, gehen mit dem Pluralisierungsprozessen einher. Ist die bundesdeutsche Organisation des Religionsunterrichts nach Art. 7 des Grundgesetzes den neuen Anforderungen gewachsen? […] Welche Einschränkungen gehen mit den konfessionellen Varianten der Organisation von Religionsunterricht einher?« (8).
Die Neuorganisation des Religionsunterrichts im Bundesland Bremen, die im Sommer 2014 mit einem neuen Rahmenlehrplan für das neue Fach »Religion« eine erste wichtige Station erreicht hat, ist für das Institut für Religionswissenschaft und Religionspädagogik an der Universität Bremen Anlass gewesen, Fachwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler aus der evangelischen sowie katholischen Religionspädagogik zu einer Ringvorlesung nach Bremen einzuladen, in der die unterschiedlichen Modelle des Religionsunterrichts in den verschiedenen Bundesländern der Bundesrepublik Deutschland diskutiert werden sollten.
Der Sammelband dokumentiert die Beiträge in zwei großen Abteilungen: Unter der Überschrift »Gegenwärtige Formen des Re­ligionsunterrichts« wird das Panorama der unterschiedlichen Or­ganisationformen von Religionsunterricht in der Bundesrepublik Deutschland präsentiert. Hier findet sich ein Beitrag von Rudolf Englert zum konfessionellen Religionsunterricht aus ka­tholischer Perspektive und eine entsprechende evangelische Perspektive von Bernhard Dressler. Amin Rochdi entfaltet Überlegungen zum jüngsten Fach im Kanon der Fächer konstitutiver Rationalität, nämlich dem Islamischen Religionsunterricht, in denen er die Spannung zwischen religionspädagogischen Anspruch und schulischer Wirklichkeit aufzeigt. In den folgenden Beiträgen werden alternative Modelle zum konfessionellen Religionsunterricht, die zum einen in Bremen, Hamburg und Brandenburg eine lange Tradition besitzen, zum anderen aber durch jüngere politische Entwicklungen gefördert worden sind, vorgestellt und diskutiert.
So widmet sich Lothar Kuld dem in vielen Bundesländern inzwischen praktizierten Modell der sogenannten »Konfessionellen Kooperation« der beiden großen christlichen Religionsgemeinschaften. Er tut dies am Beispiel seines Heimatbundeslandes Baden-Württemberg, das ja bekanntlich bereits seit 2005 den konfessionell-kooperativen Religionsunterricht als eine Option neben den beiden konfessionellen Fächern Evangelische und Katholische Religionslehre zugelassen hat. Dabei greift er vor allem auf die Ergebnisse der wissenschaftlichen Evaluation des Modellversuchs konfessionelle Kooperation (2005–2008) in Baden-Württemberg zurück, die seit 2009 in Buchform vorliegt. Thorsten Knauth stellt dagegen ein Modell vor, das nicht eine aktuelle Reaktion auf gesellschaftliche Veränderungen im Raum der Schule darstellt, sondern das vielmehr eine lange, stolze Tradition in Deutschland hat, nämlich den so­genannten »Religionsunterricht für alle« im Stadtstaat Hamburg, den er als dialogischen Religionsunterricht beschreibt. Eva-Maria Kenngott, Professorin am gastgebenden Institut für Religionswissenschaft und Religionspädagogik in Bremen, skizziert daran anschließend vor dem Hintergrund ihrer Erfahrungen in Potsdam und Bremen die Geschichte des sogenannten staatlichen Religionsunterrichts in Deutschland, also die Praxis jener Bundesländer, welche die Verantwortung für religiöse Bildung im Kanon der Schule in die Hände des Staates gegeben und sich damit für einen – zumindest theoretisch – weltanschaulich neutralen, nämlich religionskundlichen Modus religiöser Bildung entschieden haben. Hier wird entsprechend das Bremer Modell eines »Biblischen Geschichtsunterrichts« und das Brandenburger Modell »Lebensgestaltung – Ethik – Religionskunde (LER)« einer ausführlichen Darstellung und Prüfung unterzogen. Ein letzter Beitrag dieses Teils stammt von Dominik Helbing, der vor dem Hintergrund seiner Erfahrungen im Kanton Luzern einen kurzen Einblick in die föderale Vielfalt religiöser Bildung in Schweizer Schulen gibt und dabei, anschließend an Kenngott, vor allem den bekenntnisunabhängigen Religionsunterricht im Rahmen des Schweizer Sachkundeunterrichts vorstellt. Der große Block zu den verschiedenen Organisationsformen endet schließlich mit einem Beitrag des evangelischen Pädagogen Peter Schreiner, der einen Überblick über die jüngsten Entwicklungen zum Religionsunterricht in Europa gibt, in dessen Horizont die unterschiedlichen Organisationsformen und Modelle eingeordnet und bewertet werden können.
Die zweite große Abteilung des Bandes sammelt Grundsatzbeiträge, die sich unter der Überschrift »Religiöse Pluralität und unterschiedliche Stile des Umgangs mit Religion« mit Einzelaspekten der religiösen Bildung im Kontext von Schule beschäftigen.
Bernhard Dressler legt hier in der für ihn typischen hochtheoretischen wie konzisen religionspädagogischen Reflexionform ausführliche Überlegungen zu einem evangelischen Bildungsverständnis im öffentlichen Raum der Schule dar. Henning Schluß, Erziehungswissenschaftler mit einer Affinität zu Fragen religiöser Bildung, skizziert die Rolle von religiöser Bildung im Unterricht allgemein, Joachim Wilhelms nähert sich als evangelischer Religionspädagoge der Frage einer religionskundlichen Didaktik an, unabhängig und transversal zu den im ersten Teil vorgestellten Organisationsformen. Die Abteilung endet mit zwei Beiträgen aus der Perspektive empirischer Forschung, in denen sich zum einen Nicolette Wels den Anforderungen des Fachs LER an Lehrerinnen und Lehrer in Brandenburg widmet, während Katharina Frank mithilfe einer empirischen Studie den Versuch unternimmt, eine empirisch begründete Religionskundedidaktik für den Schweizer Kontext zu konturieren. Der Band schließt mit einem Bilanzkapitel von Rudolf Englert und Thorsten Knauth.
Angesichts der in allen deutschen Bundesländern diskutierten Frage, ob der konfessionelle Religionsunterricht gemäß Art. 7 Abs. 3 GG weiterhin ein taugliches Modell ist, um in einer inzwischen religiös ausdifferenzierten und prächtig pluralen Gesellschaft einen geeigneten Modus religiöser Bildung in der Schule anzubieten, ist dieser Sammelband eine äußerst hilfreiche Materialsammlung und eine wohltuende Versachlichung der oft emotional und subjektiv geführten Debatte über die Vorzüge und Vorteile der verschiedenen Modelle. So fällt auf, dass alle Autoren in der ersten Abteilung des Bandes nicht nur die Vorzüge des von ihnen präsentierten Modells herausstellen, sondern ohne Scheu und Zögern auch die Schwachstellen des jeweiligen Organisationsmodells be­nennen.
So lässt Rudolf Englert vor dem Hintergrund seiner jüngst veröffentlichten Videographiestudie zur Korrelationsdidaktik nicht unerwähnt, dass der konfessionelle Religionsunterricht zunehmend unter der Unfähigkeit von Lehrer-innen und Lehrern leidet, sich mit einer Glaubensperspektive ihrer Religions- gemeinschaft zu identifizieren und als Zeuginnen und Zeugen im Religionsunterricht zur Verfügung zu stehen. Bernhard Dressler setzt sich dagegen kritisch mit dem im politischen Diskurs oft verwendeten Argument auseinander, nur ein konfessioneller Religionsunterricht könne einen Beitrag zur Wertevermittlung leisten. Amin Rochdi markiert klar die Schwierigkeiten eines islamischen Religionsunterrichts, der sich im Spannungsfeld von Verbandspolitik, kultuspolitischer Indifferenz und schulischer Wirklichkeit nur langsam etablieren kann. Lothar Kuld zeigt an Datenmaterial der wissenschaftlichen Begleitstudie zu konfessionell-kooperativem Religionsunterricht in Baden-Württemberg die Erfolge, aber auch die Schwierigkeiten und Hemmnisse eines neuen Weges der offiziellen Kooperation beider großer christlichen Kirchen.
Besonders gewinnbringend ist der Beitrag von Eva-Maria Kenngott, die mit großem persönlichen Engagement und einer profunden Kenntnis der Situation in Bremen und Brandenburg die ge­schichtliche Entwicklung hin zu den beiden religionskundlichen Modellen in diesen Bundesländern beschreibt, aber eben auch kritisch sich mit deren Vor- und Nachteilen auseinandersetzt. Auch der Beitrag von Thorsten Knauth benennt bei allem Eifer und aller Begeisterung, die die Protagonisten des Hamburger Weges ja immer auszeichnet, durchaus die Schwachstellen und Schwierigkeiten eines solchen Religionsunterrichts für alle, besonders im Schlussabschnitt des Beitrages. Analoges gilt für den Beitrag von Dominik Helbing, der durchaus auch die Grenzen und Schwierigkeiten eines Religionsunterrichts im Rahmen von Sachunterricht benennt. Der Beitrag von Peter Schreiner schließlich findet seine Klimax in jenem zentralen strategischen Problem, das die religiöse Bildung nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa wird ins Auge fassen müssen: Je stärker sich Religionsgemeinschaften aus konfessionellen Modellen zurückziehen, um einer für alle Schülerinnen und Schüler gemeinsamen religiösen Bildung in der Schule Platz zu machen, desto stärker muss der Staat die Konzeptionierung, Durchführung und Weiterentwicklung eines solchen neuen Religionsunterrichts in Angriff nehmen. Die jüngsten Entwicklungen in England zeigen aber sehr deutlich, dass es gute Gründe gibt, dem Staat in puncto religiöser Bildung zu misstrauen: Denn in einem ökonomistischen Bildungssystem, wie es inzwischen fast überall in Europa im Kontext des Neoliberalismus eingezogen ist, wird zukünftig sicher immer weniger Platz für Schulfächer bleiben, die sich einem Weltzugang ultimativ-konstitutiver Rationalität und damit eben transfunktionaler Fragen widmen wollen.
Mit Blick auf die zweite große Abteilung des Sammelbandes stellen sich allerdings einige Fragen: Hier ist nicht wirklich einsichtig, nach welcher Struktur und Logik die Beiträge angefragt und auch veröffentlich worden sind. Dem Rezensenten stellt sich die Frage, ob der Beitrag von Bernhard Dressler zum evangelischen Bildungsverständnis aufgrund seines grundsätzlichen Charakters nicht besser neben den Beitrag von Rudolf Englert in die erste Abteilung des Buches gehört hätte. Die Auseinandersetzung mit der Frage der Werteerziehung hätte dagegen in der zweiten Abteilung mit den unterschiedlichen Einzelfragen einen besseren Ort gehabt. Der Aufsatz von Henning Schluß passt nicht wirklich in diesen Band. Und da sich die drei weiteren Beiträge alle mit den Fragen einer religionskundlichen Didaktik und der damit verbundenen Beobachterperspektive be­schäftigen, wäre es sinnvoller gewesen, auch Aspekte und Einzelfragen der anderen, also der konfessionellen, konfessionell-kooperativen und dialogischen Unterrichtsmodelle aufzugreifen. So entsteht ein deutliches Übergewicht von Detailfragen zu einem einzelnen Modell schulischer Bildung, das mit Verlaub gesagt, lediglich in drei Bundesländern Deutschlands praktiziert wird – und dessen strategische Brisanz Peter Schreiner in seinem Beitrag deutlich beschrieben hat.
Alles im allen liegt jedoch ein durchaus lesenswerter und für den aktuellen wissenschaftlichen Diskurs äußerst hilfreicher Sammelband vor, der im Zuge der Diskussion um die Weiterentwicklung des Religionsunterrichts in den Ländern der Bundesrepublik Deutschland sicherlich des Öfteren zu Rate gezogen werden wird.