Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Juli/August/2016

Spalte:

756–758

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Berges, Ulrich

Titel/Untertitel:

Jesaja 49–54.

Verlag:

Freiburg i. Br. u. a.: Verlag Herder 2015. 400 S. = Herders Theologischer Kommentar zum Alten Testament. Geb. EUR 75,00. ISBN 978-3-451-26837-3.

Rezensent:

Uta Schmidt

Mit dem vorliegenden Band setzt Ulrich Berges nicht nur die Kommentierung von Jes 40 ff. fort, die in einem weiteren Band auch noch die Kapitel 55–66 umfassen soll, sondern insgesamt seine langjährige Arbeit am Jesajabuch. Im kurzen Vorwort nennt B. folglich nur noch in Stichworten die Prämissen seiner Kommentierung und verweist ansonsten auf die Einleitung zum ersten Band (Jes 40–48; 25–73), der 2009 in der Reihe erschien, zu deren Herausgebern B. inzwischen selbst zählt.
Der Schwerpunkt der Kommentierung liegt auf dem Ansatz einer »diachron reflektierten Synchronie« (11), für die B. sich auf Erich Zenger beruft. Entsprechend steht der Blick auf die Gesamtkomposition des Endtexts allen weiteren Überlegungen voran. In jedem Abschnitt beginnt nach der Übersetzung und Kommentaren zur Textkritik die Analyse mit Betrachtungen zur Synchronie des Texts, gefolgt von einer Diskussion diachroner Aspekte. Die Auslegung folgt dem Endtext, Überlegungen zu Textwachstum und -redaktion fließen in die Kommentierung an entsprechender Stelle selbstverständlich ein. Insgesamt baut B. hierin auf seine bisherigen Ausführungen zur Redaktion des Jesajabuches auf (Das Buch Jesaja, HBS 16, Freiburg 1998, und Bd. 1 des Kommentars). Die Abschnitte, die die Analyse einleiten, sind ebenso wie die abschließenden Zusammenfassungen (»Bedeutung«) kurz gehalten, den allergrößten Teil macht die fortlaufende Kommentierung des Texts aus, so dass die Lektüre des Kommentars eine erklärende Relektüre des »Dramas« von Jes 49–54, eingeschrieben in die Ge­schichte der frühen Perserzeit, bietet, die sich flüssig lesen lässt. Einzig zu den Kapiteln 53 und 54 – jedoch am Schluss, »um die Ge­schehensabfolge im Bibeltext selbst nicht über Gebühr zu unterbrechen« (11) – gibt B. einen Einblick in deren (frühe) Wirkungsgeschichte.
Bemerkenswert ist der Respekt, mit dem B. den Texten begegnet. Sein Stil ist betrachtend und erläuternd, kaum wertend, eng am Wortlaut orientiert. Die Texte werden in ihrer Vernetzung innerhalb des Jesajabuches und des Alten Testaments sprachlich und inhaltlich erschlossen, religionsgeschichtliche Vergleichstexte und ikonographische Zeugnisse aus der Umwelt zum Verständnis herangezogen.
Wie bereits in Bd. 1 des Kommentars ausgeführt, beschreibt B. Jes 40–66 als »literarisches Drama« (9), womit kein Drama zur Aufführung gemeint ist, sondern ein »Text, in dem die vermittelnde Instanz des Erzählers fast völlig fehlt, die Dialoge der Figuren den Plot vorantreiben und die visuelle Imagination häufig herausgefordert wird.« (Bd. 1: Jes 40–48; 71) Dementsprechend führt B. die Einteilung in einzelne Akte aus Jes 40–48 fort (28 f.); (V. Akt: 49,1–26; VI.: 50,1–51,8; VII.: 51,9–52,12; VIII.: 52,13–54,17), durch welche auch die Kommentierung gegliedert ist.
Da es in der Natur eines Kommentars liegt, dass seine Stärke in Detailbeobachtungen besteht, welche hier nicht wiederholt werden können, sollen ausgewählte Schlaglichter einen Eindruck vermitteln: Mit der synchronen Herangehensweise geht die Überzeugung B.s einher: »[… K]eine Textpassage steht an einem falschen Ort oder könnte gar unabhängig vom jetzigen literarischen Zusammenhang interpretiert werden.« (9) Vielmehr ist die Teilkompo-sition dadurch entscheidend geprägt, dass die beiden Hauptak- tanten, Zion und der Knecht, abwechselnd vorkommen. Die Gottesknechtslieder werden damit als integraler Bestandteil des Textzusammenhangs gesehen. Beide Aktanten bieten je eine wichtige Perspektive auf das nachexilische Gottesvolk: »Der Knecht steht für das heimkehrwillige und heimkehrende, Zion für das allein übriggebliebene und die Rückkehr erhoffende Israel.« (80) Dieser Knecht ist nach B. nicht identisch mit dem Knecht Jakob/Israel aus den Kapiteln 40–48, aber aus diesem erwachsen und mit ihm in Wechselbeziehung. Als ein weiterer Faktor, der immer wichtiger, jedoch nicht selbst zum Aktanten wird, kommen die Völker hinzu.
Durch die Kommentierung zieht sich die These B.s, dass im ganzen Textzusammenhang schon ab Jes 40 keine wirkliche Einheit im Gottesvolk bestanden habe, spätestens ab Jes 50 jedoch eine immer stärker werdende Spaltung zu erkennen sei, die sich an der Haltung zum Gottesknecht und seinem Wort entscheide (136) und deren Zuspitzung sich in den Gottesknechtsliedern niederschlage, bis hin zu »tödliche[r] Feindschaft (Jes 53,1 ff.).« (134) Den beiden letzten Kapiteln, Jes 53 (= 52,13–53,12) und 54 widmet B. große Aufmerksamkeit, was nicht nur an der auslegungsgeschichtlichen Bedeutung von Jes 53 liegt, sondern vor allem an der Bedeutung, die B. den Textpassagen in ihrem Zusammenhang für die gesamte Teilkomposition 49–54 beimisst. »Die Erniedrigung und Erhöhung des Knechts und Zions sind zwei Seiten einer Medaille.« »Ohne die Restauration Zions kann der Knecht keinen Erfolg haben, aber ohne den Erfolg des Knechts kann Zion nicht aufstehen.« (332) Die Perspektiven derer, die zurückkehren (sollen), und derer, die sich auf die Wiederherstellung Zions einlassen sollen, kommen hier zusammen. Mit Jes 54,17b, in dem Zion und die Knechte (pl.) nun zusammengeführt werden, schließt die Teilkomposition, der Wechsel von Knecht und Zion endet hier.
In dem nun anschließenden Abschnitt stellt B. Aspekte der Wirkungsgeschichte von Jes 53 im Alten Testament, in der LXX, in den apokryphen/deuterokanonischen Schriften, in den Qumranschriften, im Targum (inklusive Abdruck der dt. Übersetzung des Texts) und im Neuen Testament vor, ebenso in der Patristik und der rabbinischen Auslegung der Antike und des Mittelalters. In dieser informativen und übersichtlichen Darstellung präsentiert B. die unterschiedlichen Aufnahmen des alttestamentlichen Texts wertschätzend, nicht wertend, als wichtige Zeugnisse ihrer Zeit und Situation. Wesentlich kürzer, aber ebenfalls lohnend, fällt der Abschnitt zur Wirkungsgeschichte von Jes 54 aus.
Abgesehen von inhaltlichen Einzelaspekten, die zu diskutieren sich lohnen würde, bleibt ein Kritikpunkt: Aus mehreren Gründen wäre m. E. eine eigene, wenn auch kürzere Einleitung für diesen Band wünschenswert. Grundlegende Ausführungen, die die ganze Teilkomposition betreffen, wie die Gliederung des Buchabschnitts in die einzelnen Akte, hätten hier einen angemessenen Ort. Das gilt ebenso für eine Darstellung der Merkmale, die Jes 49–54 zu einer »Teilkomposition« (10) machen, gerade auch im Gegenüber zu Jes 40–48. Dazu kommt, dass die Einleitung zu Bd. 1 teilweise ausdrücklich in die Kommentierung der Kapitel 40–48 einführt (z. B. 3. Der geschichtliche Horizont von Jes 40–48 [Bd. 1, 43–45]). Entsprechende Ausführungen zu Jes 49–54 finden sich selbstverständlich auch im vorliegenden Kommentarband, doch stehen diese in der fortlaufenden Kommentierung und sind damit nicht zusammenhängend verfügbar. Die Entscheidung, Jes 55 zur nächsten Teilkomposition zu ziehen, hätte mehr Aufmerksamkeit verdient, als sie in der Kommentierung zu Jes 54 erhält (291 f.). Die Begründung, dass mit Jes 54,17b ein deutlicher Einschnitt markiert werde und in Jes 55 bereits Themen aus Jes 56 ff. anklängen, wiegt die Bezüge von Jes 55 zu den vorausgehenden Kapiteln m. E. nicht auf. Trotz des Verweises auf die Kommentierung von Jes 55 trüge eine Diskussion der Argumente pro und contra bereits hier zum Verständnis bei.
Doch tut all dies der Tatsache keinen Abbruch, dass B. eine Auslegung der Jesajakapitel bietet, die die theologische Tiefe der Texte in deren sprachlicher und poetischer Besonderheit außerordentlich gut sichtbar macht und sie als ein »Drama« der frühen nachexilischen Zeit plausibel erschließt.