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Ausgabe:

April/2016

Spalte:

348-351

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Byrskog, Samuel, and Tobias Hägerland [Eds.]

Titel/Untertitel:

The Mission of Jesus. Second Nordic Symposium on the Historical Jesus, Lund, 7–10 October 2012.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2015. VIII, 239 S. = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament. 2. Reihe, 391. Kart. EUR 74,00. ISBN 978-3-16-153335-8.

Rezensent:

Eckart David Schmidt

Nur sieben Monate nach dem Tagungsband zum First Nordic Symposium on the Historical Jesus zur Identity of Jesus legen die schwedischen Exegeten Samuel Byrskog und Tobias Hägerland den Ta­gungsband zum Second Nordic Symposium on the Historical Jesus vor, das 2012 in Lund abgehalten wurde, diesmal zu unterschied-lichen Aspekten der Mission of Jesus. (Das Stichwort »Mission« ist besser nicht als Lehnübersetzung zu verdeutschen; gemeint sind allgemein Jesu Wirken und Motivationen.) Elf gesammelte Beiträge von Autorinnen und Autoren aus Norwegen, Schweden, Finnland und Dänemark sind in drei Sektionen unterteilt: eine forschungsgeschichtliche (mit Aufsätzen zu ausschließlich deutschen Theologen, nämlich Reimarus, Schleiermacher, Bultmann und Hengel), eine zu eher übergreifenden Themen und eine zu »vari-ous aspects« der »Mission of Jesus«.
Im ersten Aufsatz untersucht Per Bilde († 2014), ob man von einem wissenschaftlichen Fortschritt in der historischen Jesusforschung seit H. S. Reimarus überhaupt sprechen könne (5–24). Er bestätigt Reimarus’ Arbeit als »most important contribution to modern Jesus research« (23) und pflichtet ihm auch inhaltlich in der Charakterisierung Jesu als eschatologischem Reich-Gottes-Verkündiger bei. Weiterer Fortschritt in der Jesusforschung sei seither nur im Sinne einer Vertiefung dieser Einsicht erzielt worden, etwa bei – wenig überraschend – Weiß und Schweitzer (sowie einigen anderen). Bilde ist überzeugt, dass das von ihm favorisierte eschatologische Jesusbild auf ein »›objective‹ picture able to convince all non-prejudiced Jesus scholars« ziele (24, eigene Kursivsetzung; zu Bildes Verwendung des Attributs »objective« s. Anm. 78). – Bildes Ausführungen zu seiner (ohnehin etwas suggestiven) Themenstellung sind von unübersehbaren Fragwürdigkeiten durchsetzt wie z. B. seinem auffällig schmalen Fortschrittsbegriff, Hyperbolen (z. B. zu Kähler [17]) oder Pauschalurteilen über eine Schar gegenwärtiger Jesusforscher, die dem Rezensenten teils alles andere als nachvollziehbar sind, z. B. dass J. Dunn – neben anderen – die Position vertrete, die Evangelien präsentierten »a historically reliable pic-ture of the historical Jesus« (18), oder die distanzierend gemeinte Etikettierung von – neben anderen – J. Schröter, A. Strotmann und J. Dunn als »evangelical« (Anm. 70 mit zugehörigem Haupttext – Strotmann ist überdies nicht nur nicht »evangelical«, sondern katholisch!). Auch die übergenaue Datierung der »Third Quest« mit »1973–2012« (5) muss im Jahr 2014 zu Stirnrunzeln führen (gemeint sind vermutlich G. Vermes, Jesus, the Jew, London 1973, und das Jahr der Tagung zur Mission of Jesus).
Halvor Moxnes wiederbelebt Fr. Schleiermachers Leben-Jesu-Vorlesung als Ergänzung zur Christologie der Glaubenslehre (25–39). Er legt zunächst dar, dass Schleiermacher keine bloße »Chronik« des Lebens Jesu, sondern eine im Kontext eines umfassenden geschichtsphilosophischen Gesamtsystems gedeutete »Geschichte« schreiben will. Er entdeckt Parallelen zwischen Schleiermachers Jesusporträt und dem deutschen Nationalismus des frühen 19. Jh.s (s. auch seine Monographie Jesus and the Rise of Nationalism, 2012), dennoch sei auch für Schleiermacher die »Reich-Gottes«-Verkündigung Jesu unpolitisch als Durchdringung des Menschen mit Gottesbewusstsein gedacht, dessen Vermittlung nur auf der Basis eines »historischen« Jesus zu erkennen sei (im Gegensatz zur Hermeneutik D. Fr. Strauß’).
Samuel Byrskog erinnert zunächst daran, dass das Jesus-Verständnis R. Bultmanns nicht einfach auf einer »flight from history« beruhe, sondern auf einer Ausdeutung von Geschichte in dialektischem Bezug zur Gegenwart (41–58). Byrskogs eigentliches Anliegen liegt aber in einem Vergleich von Bultmanns Hermeneutik mit Ansätzen aus der sozialwissenschaftlichen Gedächtnisforschung. Denn obschon Bultmann die Forschungen seines Zeitgenossen M. Halbwachs’ nicht rezipiert habe, gewönne in seinem hermeneutischen Konzept das Kerygma durch einen ganz ähnlichen erzählerisch-mythogenen Überlieferungsprozess von erlebter Geschichte seine Kraft wie im Konzept mnemonischer Referentialität. Diesen Vergleich hält der Rezensent für einen überaus spannenden und weiterführenden Ansatz für die Bultmann-Forschung!
Jostein Ådna legt eine Hommage an M. Hengel vor und fokussiert dabei auf dessen gegen Wrede u. a. vorgetragene affirmative Sicht von Jesu messianischem Selbstverständnis (59–74). Hengel baute seine These auf einem weitreichenden Zutrauen in die Historizität einschlägiger Bibelstellen (etwa der Menschensohn-Sprüche), aber auch auf einer umfassenden Kenntnis der außerbiblischen frühjüdischen Literatur. Dass aus Hengels mit Zustimmung referierter These allerdings folgen würde, »that Jesus is the Christ« (74, eigene Kursivsetzung) – so Ådnas etwas apologetische Schlussbemerkung –, ist ein non sequitur.
Die zweite Sektion des Buches besteht aus nur zwei Beiträgen. Kari Syreeni zeichnet in fünf »Akten« das Wirken Johannes des Täufers als besonders formativ für Jesu eigenes Sendungsbewusstsein nach. Dieses könne als missionarisches Ersatzmodell nach Gefangennahme und Tod des Mentors verstanden werden (77–91). Mogens Müller (93–109) versucht, von der Kontinuität paränetischer, torahtheologischer Abschnitte in den paulinischen Briefen sowie evangeliarer Abschnitte, die von einer Neudeutung der Torah durch Jesus sprechen, auf den »historischen Jesus« rückzuschließen.
Im ersten Beitrag in der letzten Sektion zu »various aspects« des Wirkens Jesu beschäftigt sich Eve-Marie Becker vor allem mit dem Ort Kapernaum (113–139). Ihre Studie ist die einzige des Bandes mit (auch) archäologischem Schwerpunkt. Die Autorin identifiziert die Gegend um den See Genezareth zur Zeit Jesu als rege Wirtschaftszone und differenziert für die apostolische Zeit ein eher affirmatives Kapernaumbild in Mk, aber ein eher distanziertes in Q. Es sei daher schwer, die Rolle Kapernaums in dieser frühchristlichen Zeit klar zu bestimmen.
Renate Banschbach Eggen überlegt, wie die ursprüngliche Bedeutung von Gleichnissen Jesu möglichst unabhängig von Vorentscheidungen der Ausleger erhoben werden könne (141–160). Sie untersucht hierfür eine Reihe unterschiedlicher Interpretationen zu vier ausgewählten Gleichnissen und interpretiert deren Schnittmenge als Kern der Bedeutung des jeweiligen Gleichnisses. Dieses empirisch-rezeptionsanalytische Verfahren ist originell; zu dessen Validitätssicherung müsste aber die Vielfalt der berücksichtigten Ausleger auch über die christliche Rezeption hinaus ausgeweitet werden. Weiter geklärt werden müsste auch, wessen »authentic message« mit dieser Methode ermittelt werden soll: diejenige eines »historischen Jesus« (so die Im­plikation von 148 u. ö.) oder die eines Evangelienredaktors?
Mit einem Aufsatz zu Joh 4,1–42 setzt Matti Kankaanniemi seinen Ansatz, die psycho-emotionale Dimension im Leben Jesu stärker zu berücksichtigen, fort (161–176). Kankaanniemi legt nahe, dass Jesus durch sein Wirken die Erkenntnis aus Jes 61,1 f. umsetzen wollte. Nach diesem Modell habe er kraft seiner hohen Empathiefähigkeit in einem offenbar spontan initiierten Gespräch ge­sellschaftlich existierende »outgroup antagonisms« durchbrochen und so ein neues Verhaltensschema begründet.
Tobias Hägerland baut auf A. Le Donnes historiographischem Konzept von »mnemonic refractions« und »mnemonic triangula-tions« (The Historiographical Jesus, 2009) auf und wendet es zur Analyse der Rollen der Jünger in Jesu prophetischem Wirken an (177–201). Auf der Basis unterschiedlicher »memory refractions« zu unterschiedlichen Jüngerfunktionen in alttestamentlichen und frühjüdischen Texten versucht Hägerland, plausible Rückschlüsse über die »historischen« Jünger Jesu zu ziehen (konkret z. B. in Bezug auf Joh 3,22 und 4,1 [195–197]).
Ville Auvinen schließlich geht nochmals der Frage nach, ob Jesu Sterbewort Mk 15,34 als Verlassenheitsschrei oder Ruf des Vertrauens zu deuten sei (203–219). Die (spärliche) Rezeption von Ps 22 im palästinischen Judentum (Hodayot, 4QPsf) ) zeige, dass dieser Psalm eher in Kontexten von Dankbarkeit und der Erwartung eschatologischen Heils genutzt wurde. Für Mk 15,34 sei daher eine analoge Verwendung wahrscheinlich. Auch Lk und Joh hätten dieses – mit gewisser Wahrscheinlichkeit authentische – Zitat als Bekenntnis der Zuversicht verstanden und zur Vermeidung von Missverständnissen in ihren jeweiligen Gemeinden durch andere vertrauensvolle »letzte Worte Jesu« angemessen interpretiert.
Zusammenfassung: Wie die beiden Herausgeber in ihrer Einleitung schreiben (1 f.), fällt es trotz des nach geographischem Kriterium ausgerichteten Tagungs- und Bandkonzeptes nicht leicht, eine definierte »Nordische Schule« zu erkennen. Pluralität kennzeichnet auch den »nordischen« Diskurs selbst. (Den Vorgängerband zur Identity of Jesus fasste man noch titular als »Nordic Voices« zusammen; darauf hat man jetzt verzichtet.) Qualität und Novitätsgrad der Beiträge fallen sehr unterschiedlich aus. Mehrheitlich sind sie auf ihren jeweiligen Gebieten informativ sowie ziel- und weiterführend, manche sind im Ansatz kühn und können methodisch noch vertieft werden. Nihil nisi bene, aber eine Kategorie für sich bleibt der Aufsatz von Bilde.