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Ausgabe:

März/2016

Spalte:

190-192

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Dangl, Oskar

Titel/Untertitel:

Das Buch Habakuk.

Verlag:

Stuttgart: Verlag Katholisches Bibelwerk 2014. 151 S. = Neuer Stuttgarter Kommentar – Altes Testament, 25/1. Kart. EUR 19,95. ISBN 978-3-460-07251-0.

Rezensent:

Heinz-Josef Fabry

Der Kommentar von Oskar Dangl wendet sich an den interessierten Bibelleser, weniger an den Wissenschaftler. Das Buch gliedert sich in eine Einleitung, der sich die Kommentierung in vier Hauptabschnitten (1,1; 1,2–2,5; 2,6–20 und 3,1–19) anschließt. Es folgt an­schließend eine Betrachtung zur Wirkungsgeschichte des Buches (131–148). Im Text eingebettet sind drei Exkurse: »Zwei human-wissenschaftliche Theorien zum Phänomen ›Gewalt‹« (33–35); »Das prophetische Glaubensverständnis – erschlossen im ›canonical ap­proach‹« (80–81) und »Dunkle Gottesbilder – Hilfe oder Gefahr?« (122–123).
In der Einleitung (9–25) diskutiert der Vf. die wichtigsten Vorschläge zur Gliederung des Habakuk-Buches und kommt zu dem Ergebnis: »Insgesamt gesehen spricht […] vieles dafür, von der groben Gliederung her das Buch Habakuk als Dialog zwischen dem Propheten einerseits (Kapitel 1 und 3) und Jahwe andererseits (Kapitel 2) zu deuten« (12). Der folgende Abschnitt über die Textkritik, mit der offensichtlich manche Exegeten der inkohärenten Gliederung des Buches durch die Frage nach einem älteren Textstadium auf die Spur kommen wollen, offenbart ein rudimentäres Ver ständnis des Vf.s von dieser Methode, wenn er von »diachron orientierter Textkritik« (15) spricht. Entsprechend ist seine Schelte, rezente Kommentatoren würden leichtfertig am Masoretischen Text herumbasteln, zurückzuweisen, zumal der Vf. sich dort, wo es ihm ratsam erscheint, auch selbst gegen MT entscheiden kann. Des Weiteren diskutiert der Vf. die historische Verortung des Propheten (Ende des 7. Jh.s oder nach 650 v. Chr.), die Gattung des Buches (Gebet, Psalm, Klage oder Diskurs, Orakel), die kontextuelle Vernetzung des Buches (Triptychon Nah-Hab-Zef oder Hab-Jes oder Hab-Weisheitsliteratur). Erst auf S. 24 f. offenbart der Vf. seinen eigenen Ansatz: Das Habakuk-Buch ist aufzuteilen in eine Klage (Hab 1), in eine Antwort Jahwes inklusive Weherufe gegen die Völker (Hab 2) und einen Lobpsalm (Hab 3). Das ist weitgehende opinio communis in der rezenten Habakuk-Forschung. Diese klare These hindert ihn jedoch nicht, je an Ort und Stelle wieder in extenso über Textabgrenzungen zu räsonieren (z. B. 63–68). Das Grundproblem des Vf.s besteht darin, dass die Einheitsübersetzung (EÜ) seine Hauptquelle und zugleich sein Hauptgegner ist. Einerseits weiß er sich ihr verpflichtet, andererseits schlägt er an manchen Stellen Verbesserungen vor, denen der Rezensent gelegentlich zustimmen kann, da er mit der Revision der Habakuk-Übersetzung betraut war.
Die Analysen der einzelnen Buchabschnitte beginnen mit der Auslegung der Überschrift Hab 1,1 (25–29). Die Analyse des 1. Hauptabschnittes Hab 1,2–2,5 »Dialog des Propheten mit Gott« (30–87) zeigt eine intensive Durchdringung des biblischen Textes, wobei der Vf. sich durchaus der antiken Versionen Septuaginta, Peshitta und Vulgata kundig zu bedienen weiß, obwohl er immer wieder deren Kompetenz in Frage stellt. Die benutzten gängigen Kommentare nennt er nur in ganz seltenen Fällen mit Namen, vielmehr stellt er sie als »die einen« und »andere« gegenüber, wodurch diese in einer unangenehmen Weise nivelliert werden. Problematisch ist ebenfalls, dass nicht immer klar zu erkennen ist, wo die Kommentarmeinungen aufhören und die Meinung des Vf.s beginnt. Hier hätten Zwischenüberschriften gute Dienste geleistet.
Geht man die Kommentierung durch, kann man weitestgehend zustimmen, wenn auch einige Ausschläge zu beobachten sind, die nachgefragt werden müssen. Dem Rezensenten entzieht sich, wie in Hab 1,4 der »Sündenbock-Mechanismus« angesprochen sein soll. Der daraus resultierende Satz »Gott und Sündenbockmechanismus sind miteinander unverträglich« (36) missachtet die alttestamentliche Wirklichkeit. Gewiss ist das Habakuk-Buch ein Buch, das in extensiver Weise »Gewalt« thematisiert und problematisiert, aber manchmal tut der Vf. – Leiter des Kompetenzzentrums für Menschenrechtspädagogik an der KPH Wien-Krems – des »Bösen« zu viel. Deshalb sind z. B. die kontextuellen Verknüpfungen mit Amos, Jesaja und Jeremia problematisch, weil es dort je und dann um völlig un­terschiedliche Arten von Gewalt geht. Der Habakuk-Text ist sicher redaktionell überarbeitet, wobei ein alter Habakuk gegen soziale Gewalt in Jerusalem, ein jüngerer Habakuk gegen militärische und imperialistische Gewalt der Babylonier angeht. Einen Schlüsselvers sieht der Vf. in Hab 1,12 »Wir wollen nicht sterben, Herr!« (EÜ) und in Hab 2,4 »Nur der Gerechte wird leben …«. Hier hat der Vf. doch zu sehr der EÜ vertraut, wenn er in Ersterem eine Klage sieht, die das ganze Buch durchzieht. Hier ist die EÜ zu korrigieren in ein Vertrauensbekenntnis »Gewiss werden wir nicht sterben, Herr«, das dann dem ganzen Buch einen anderen Duktus gibt und in gewisser Weise schon auf den Psalm in Hab 3 vorverweist.
Die Auslegung (88–108) der Weherufe (Hab 2,6–20) zeigt die enormen textlichen Probleme. Die Weherufe gegen den Habsüchtigen (Hab 2,6–8), gegen die Ausbeuter (2,9–14), gegen die Gewalttätigen (2,15–17) und gegen die Götzendiener (2,18–20) sind für den Vf. allenthalben von der Gewalt-Thematik beherrscht und zielen auf Imperialismus-Kritik. Das ist sicher zu undifferenziert.
Die Auslegung (109–130) des Gebetes des Habakuk (Hab 3,1–19) beginnt wieder mit einer ausgiebigen Kritik an den Exegeten, die es wagen, den korrupten hebräischen Text zu verbessern. Extensiv be­spricht der Vf. die Hauptprobleme dieses Kapitels, das offensichtlich in Qumran unbekannt war, das aber zugleich in einer freien Neufassung im Kodex Barberini vorliegt: Textbestand, Einheitlichkeit und Zugehörigkeit zum Buch sind schwierig zu beurteilen. Der Vf. begibt sich in eine unnötige und verwirrende Debatte um die Frage, ob die Theophanie-Elemente des Kapitels auf einen Ge­wittergott oder auf einen Sonnengott schließen lassen, ob JHWH gegen die Chaosmächte kämpft oder sich ihrer im Kampf gegen den Feind bedient (127 f.). Der Leser würde das Ende des Buches herbeisehnen, wenn nicht ein Exkurs über die »Dunklen Gottesbilder« (122 f.) seine volle Aufmerksamkeit gewonnen hätte. Darin zeigt der Vf., dass Angst, Ohnmacht und daraus resultierende Aggressivität den Dichter des Psalms ein solches gewaltbetontes Gottesbild entwerfen lassen. »Den Luxus, solche Gebetsformulare abzulehnen, können sich nur jene leisten, die ihre eigene Existenz nicht gegen Gewalt verteidigen müssen. Die dunklen Gottesbilder dienen dazu, das Gewaltmonopol auf Gott zu verlegen und selbst der Gewalt zu entsagen. Es ist von daher unzulässig, solche dunklen Gottesbilder als Legitimation von Gewalt zu missbrauchen«. Dem wird man gerne zustimmen!
Nach der Lektüre dieses Buches ist man sehr verunsichert, denn der Vf. hat eindringlich herausgestellt, dass nichts im Habakuk-Buch sicher ist. Die dargestellte Meinungsvielfalt ist ehrlich, aber nicht dienlich. Dem wissenschaftlich orientierten Leser ist sie zu unpräzise, für den biblisch interessierten Laien ist sie verwirrend. Das Interesse des Vf.s, in der Gewaltkritik des Habakuk allenthalben eine Systemkritik zu erkennen (61), die heute auf imperialistische Marktgebaren zu übertragen ist (62.146 f.), erschwert manchmal die Einzelauslegung, die sich eben nur vom Text bestimmen lassen sollte. Positiv zu vermerken sind die längeren Ausführungen zu Hab 2,3.4, die ohne Zweifel die wichtigsten Elemente der Wirkungsgeschichte im Judentum, bei Paulus, im Hebräerbrief und in der Reformationsgeschichte darstellen (68–73.79–83.8 4 f.131–141). Hier ist auf das Buch selbst zu verweisen. Dass aber die »Treue des Gerechten« in dem Verzicht auf militärische Gewalt bestehe, wie der Vf. mit Blick auf Jes 30 und Jer 30 herausfinden will, will sich dem Rezensenten nicht erschließen. Entsprechend muss dann auch der durchaus respektable Satz »Nur im Glauben kann Gewalt überwunden werden« (81) zu kurz greifen.