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Ausgabe: | Januar/2016 |
Spalte: | 101-103 |
Kategorie: | Philosophie, Religionsphilosophie |
Autor/Hrsg.: | Inwagen, Peter van |
Titel/Untertitel: | Existence. Essays in Ontology. |
Verlag: | Cambridge: Cambridge University Press 2014. 267 S. m. 1 Tab. Kart. £ 19,99. ISBN 978-0-107-62526-6. |
Rezensent: | Hartmut von Sass |
Bereits in seinem Buch Material Beings (von 1990) tritt Peter van Inwagen für eine ontologische Position ein, die zumeist als »partial nihilism« bezeichnet wird. Demnach gilt, dass alle Gegenstände entweder elementare Partikel oder Organismen seien. D. h. jeder Gegenstand bestehe aus einer Komposition von Partikeln, wobei die einzig wahrhaft existierenden Objekte lebendige Organismen seien. Alltägliche Objekte wie Stühle, Fahrräder oder Wolken hingegen existieren genau genommen nicht, sodass der Schein ihres Vorkommens darauf zurückzuführen sei, dass bestimmte Elemente in spezifischer Weise arrangiert seien. Wird etwa behauptet, dass dort drüben ein Regal stehe, wäre strikt verstanden davon zu sprechen, dass dort lediglich bestimmte Partikel »regal-mäßig« verteilt seien. Diese Position bildet einen »teilweisen« ontologischen Nihilismus (und keinen »puren«), weil der Vf. jene Auflösungsstrategie, wie erwähnt, nicht auf Organismen anwendet, sondern von diesen meint, sie existierten tatsächlich.
Nach der Aufsatzsammlung Ontology, Identity, and Modality (2001) legt der Vf., John Cardinal O’Hara Professor of Philosophy an der University of Notre Dame, nun einen weiteren Band zur Seinslehre vor. Auch hier geht er einigen der Fragen nach, die sich aus dem »partial nihilism« und weiteren Problemen einer revisionären Ontologie ergeben. Dazu zählen Sein und Existenz, die Klärung dessen, was Quantifikation bedeutet, die kritische Interpretation dessen, was seit Quine als »ontological commitment« im Umlauf ist, die Kritik des Nominalismus, die Frage, was eine Eigenschaft ist, sowie mereologische und also mengentheoretische Probleme. Die versammelten zwölf Aufsätze sind bis auf einen in den letzten 14 Jahren bereits veröffentlicht worden und kreisen um das ontologische Thema der Existenz und das meta-ontologische Problem, was wir meinen, wenn wir etwas »Existenz« zuschreiben.
Mit der (zur Differenz zwischen Ethik und Meta-Ethik analogen) Differenz zwischen Seinslehre und der Rede vom Sein ist bereits ein roter Faden benannt, der den hier zu besprechenden Band durchzieht. Dabei geht der Vf. in seiner Einleitung besonders auf das Problem ein, wie sich unsere Umgangssprache zum »ontological room« verhält, wie sich also unsere gewöhnlichen Intuitionen zu den ontologischen Vorgaben beziehen, gerade wenn sie diesen widersprechen. Das scheint im »partial nihilism« des Vf.s ja selbst der Fall zu sein, obgleich er bestreitet, dass er ein Vertreter einer »revisionären Metaphysik« (Peter Strawson) sei (11). Damit sind wir bereits beim zweiten Element, das für den vorliegenden Band charakteristisch ist: die Selbstverortung als Metaphysiker. Im ersten Text, der auf ein Interview zurückgeht, verdeutlicht der Vf. noch einmal (vor allem am Beispiel seiner inkompatibilistischen Thesen im Blick auf den freien Willen), was ihn an der metaphysischen Tradition interessiert und wie er sie als eine Methode versteht (was allerdings recht vage bleibt).
Von hier aus kritisiert der Vf. dezidiert antimetaphysische Positionen, die ihrerseits zum analytischen Lager gehören. In diesem Kontext widmet sich der Vf. dem ontologischen Relativismus, wie er von Hilary Putnam in Ethics without Ontology entwickelt worden ist. Darin findet sich das oft zitierte Beispiel, nach dem es in einer Welt bestehend aus drei Objekten nicht klar sei, ob es wirklich drei (x1, x2, x3) seien oder ob nicht ganz anders zu zählen wäre, nämlich n-fakultät, n=3, so dass die Welt aus sieben Elementen bestünde (x1, x2, x3, x1+x2, x1+x3 x2+x3, x1+x2+x3) (38–49). Selbst im Rahmen eines »partial nihilism« sei klar, dass die Aussage, die Welt besitze drei Elemente, wahr sei. Allerdings würde Putnam das gar nicht bestreiten, sondern entgegenhalten, dass die Behauptung, die Welt bestehe aus sieben Elementen, auch und zugleich wahr sein kann. Ontologischen Relativisten geht es demnach nicht so sehr darum, aus wie vielen Elementen die Welt besteht, sondern darum, dass die Welt die »richtige« dieser Zählungen nicht terminieren kann.
Anschließend und in gleich mehreren Aufsätzen wendet sich der Vf. dem im Titel angekündigten Thema der Existenz zu. Dabei schließt er zunächst einige Verständnisse von »Sein« aus, so etwa jenes von Heidegger, »Sein« bezeichne eine Tätigkeit (52); zudem tritt er dafür ein, Sein und Existenz gleichzusetzen (58), Existenz auch von fiktionalen Objekten auszusagen (87–115.153.158) und die Nicht-Existenz von etwas an das Problem der Zahlen zu koppeln, so dass, Frege folgend, Nicht-Existenz der Zahl 0 entspricht (63). Drei Momente des Existenzbegriffs seien hervorgehoben: Zum einen wendet sich der Vf. wiederholt der Kritik des Nominalismus zu, wobei er darunter offenbar die These versteht, es gebe keine Allgemeinbegriffe. Ein Nominalist ist aber nicht auf diese These festgelegt, und es bleibt offen, wie sich des Vf.s Anti-Nominalismus zum eingangs angesprochenen »partial nihilism« verhält (84.143). Zum anderen legt er nahe, »ontologische Verpflichtungen« reduktionistisch zu verstehen, d. h. als zugrundeliegende Annahmen, die sich nicht weiter auflösen oder annullieren lassen (138 f.164). Und schließlich versucht der Vf. zumindest in Andeutungen, Existenz als Eigenschaft (und nicht, mit Kant, als Bedingung, Eigenschaften besitzen zu können) zu verstehen (53.180 – gerade dieser letzte Punkt hätte weitreichende religionsphilosophische Auswirkungen, vor allem für das ontologische Argument).
In den letzten Aufsätzen setzt sich der Vf. vermehrt mit der Frage auseinander, was genau eine Ontologie sei, wie die Seinslehren eingeteilt werden könnten und welche dieser Strukturierungen der Debatte weiterführend seien (183 f.). Eine der Unterscheidungen, der er sich dann vor allem widmet, ist diejenige zwischen »relational« und »constituent ontologies«, wobei er diese Differenz mit einer anderen verbindet, jener nämlich zwischen mono- bzw. poly-kategorialen Seinslehren (203). Daraus ergibt sich ein Viererschema, dem er traditionelle Positionen wie den Nominalismus (als relational, aber mono-kategorial) zuordnen kann. Dabei geht er auch der Frage nach, wie relationale (oder mereologische) Eigenschaften nicht nur die Beziehung zwischen A und B ändern können, sondern zugleich Auswirkungen auf das Sein von A und B haben (217 f.226).
Der Band versammelt wichtige Arbeiten zu ontologischen Teilgebieten und erwägt Antworten, die ganz in den Kontext komplexer analytischer Vorentscheidungen gehören und dabei interpretative Lesarten anbieten, die oft unkonventionell sind. Mancher Leser mag kritisieren, dass einige der dabei verwendeten Sätze nicht nur falsch sind, sondern bedeutungslos bleiben. Der Vf. meint aber, dass auf dem Gebiet der Metaphysik der Einwand der Bedeutungslosigkeit nicht schwerer wiege als der der Falschheit (212); denn Metaphysik gehe das Risiko ein, die Grenze der Bedeutung zu überschreiten – und dies ist ja selbst ein metaphysischer Satz, der sogar wahr ist.