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Ausgabe:

Januar/2016

Spalte:

89-91

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Schröder, Bernd, u. Heiko Wojtkowiak [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Stiftsgeschichte(n). 250 Jahre Theologisches Stift der Universität Göttingen (1765–2015). Hrsg. unter Mitarbeit v. O. Großjohann u. L. Röser.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2015. 402 S. m. 4 Abb. Geb. EUR 60,00. ISBN 978-3-525-57037-1.

Rezensent:

Konrad Hammann

Man kann darüber streiten, ob das Göttinger Theologische Stift, wie der Untertitel dieses Bandes es anzeigt, wirklich 250 Jahre alt ist. Denn das 1765 an der Universität Göttingen eingerichtete Collegium theologicum repetentium diente hauptsächlich der praktischen Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses, der sich hier sukzessive mit den Erfordernissen des akademischen Lehramtes vertraut machen sollte. Erst 1859 wurde diesem Repetentenkollegium auf eine Anregung des Theologieprofessors August Isaak Dorner hin ein kleines Wohnheim für die Repetenten und (natürlich vorrangig) acht Studenten zugeordnet. 1876 schließlich lösten die Verantwortlichen das Repetentenkollegium auf und schufen alsbald, zwei Jahre später, mit dem Amt des Stiftsinspektors endgültig, und zwar auch nominell, das Stift. Dem Stiftsinspektor war ursprünglich untersagt, sich von diesem Amt aus durch die Habilitation für das akademische Lehramt zu qualifizieren. Er sollte vielmehr die vita communis und die wissenschaftliche Arbeit der Stipendiaten fördern, beaufsichtigen und begleiten. Wie nicht zuletzt der Name des Stifts nahelegt, kann frühestens ab 1859 die Rede davon sein, dass die von 1878 an so bezeichnete Einrichtung durch ein Stipendium das gemeinsame Leben, Lernen und Wohnen einer Reihe von Studierenden ermöglichte. In welcher Beziehung die Göttinger Einrichtung von 1859/78 zu vergleichbaren Vorgängerinstituten, zur Hessischen Stipendiatenanstalt Marburg von 1529, dem Evangelischen Stift Tübingen von 1536 und dem Evangelischen Konvikt Halle von 1717, stand, bedürfte noch der genaueren Untersuchung.
Zu begrüßen ist, dass die Herausgeber die Erinnerung an die Gründung des Göttinger Repetentenkollegiums 1765 im Jubiläumsjahr 2015 zum Anlass genommen haben, um die Geschichte und Gegenwart des Theologischen Stifts Göttingen als »Stiftsgeschichte(n)« zu erschließen. Der durch ein Vorwort des derzeitigen Ephorus Bernd Schröder und ein Grußwort der Universitätspräsidentin Ulrike Beisiegel eingeleitete Band ist in drei Teile von allerdings ungleichem Umfang gegliedert: eine Stiftsgeschichte 1765–2015, Stiftsbiographien sowie Stiftsthemen. Im ersten Teil bietet Heiko Wojtkowiak, seit 2013 der Inspektor der Göttinger Einrichtung, eine knappe Institutionengeschichte des Repetentenkollegiums und des Theologischen Stifts (19–27). Dietrich Korsch nimmt anschließend das Stift dezidiert als Institution der Bildung in den Blick und stellt Reflexionen über das christliche Leben als Bildungsgeschichte, sein Verhältnis zur theologischen Bildung und den Ort des Göttinger Theologischen Stifts in der Bildungsgeschichte des deutschen Protestantismus an (29–42).
Der zweite Teil, der umfänglichste des ganzen Buches, enthält 25 biographische Porträts namhafter Theologen, die dem Repetentenkollegium angehörten oder aber eine leitende Funktion im Stift innehatten. Von den 91 Repetenten, die zwischen 1765 und 1876 tätig waren, werden acht vorgestellt: Johann Philipp Gabler, Phi-lipp Konrad Marheineke, Heinrich Ewald, Gerhard Uhlhorn, Theodor Zahn, Julius Wellhausen, Bernhard Duhm und Ferdinand Kattenbusch. Von den 45 Inspektoren, die seit 1878 am Stift wirkten, haben in diesem Band elf eine Würdigung erfahren: William Wrede, Carl Mirbt, Alfred Rahlfs, Rudolf Otto, Emanuel Hirsch, Erik Peterson (nicht: Petersen [6.197]), Kurt Dietrich Schmidt, Hans Freiherr von Campenhausen, Carl Heinz Ratschow, Wolf-Dieter Marsch und Dietrich Rössler. Des Weiteren werden von den neun Göttinger Theologieprofessoren, die das nach 1945 am Theologischen Stift eingerichtete Ephorenamt ausübten, sechs in biographischen Skizzen porträtiert: Hans Joachim Iwand, Wolfgang Trillhaas, Carsten Colpe, Walther Zimmerli, Christoph Bizer und Hartmut Stegemann.
In der Liste dieser teilweise illustren Namen kann man wie immer den einen oder anderen vermissen, der ebenfalls eine Würdigung verdient gehabt hätte. Dessen wird man spätestens bei einem Blick in das Verzeichnis der Repetenten, Inspektorinnen und Inspektoren sowie Ephoren des Göttinger Theologischen Stifts (391–394) gewahr. (Entgegen den eigenen Angaben des Herausgebers [12] wird Kurt Galling, um nur dies eine Beispiel zu erwähnen, nicht porträtiert.) Im Übrigen haben die Autoren, deren Namen hier allein aus Platzgründen nicht aufgeführt werden, bei allen Konstanten, die durch die Gattung der knappen Werkbiographie vorgegeben waren bzw. sind, in ihren Beiträgen unterschiedliche Akzente gesetzt. Während in manchen dieser biographischen Abrisse die Tätigkeit der behandelten Theologen im Stift nur am Rande eine Rolle spielt, gelegentlich sogar keine, ist in anderen das Engagement für das Stift gebührend herausgestellt worden. Unterschiede werden auch in der sprachlichen Qualität der einzelnen Beiträge erkennbar. Gleichwohl wird der Leser aus diesen Stiftsbiographien reichen Gewinn ziehen.
Im dritten Teil des Sammelbandes gelangen in lockerer Reihung Themen zur Darstellung, die das Leben und Arbeiten im Göttinger Theologischen Stift betrafen und betreffen. Andrea Bieler wirft vor dem Hintergrund ihrer Erfahrungen als Inspektorin einen Blick auf das Stift als experimentellen Ort für die spirituelle Praxis im Theologiestudium (337–344). Hans-Martin Gutmann berichtet aus seiner Zeit als Inspektor unter besonderer Berücksichtigung der interreligiösen Aufgaben der Stiftsarbeit (345–352). Die traditionell große Bedeutung der Musikkultur, aber auch den Wandel dieses klassischen Bestandteils des gemeinsamen Lebens im Stift während der letzten Jahrzehnte ruft Lars Röser in Erinnerung (353–358). Yves Töllner und Michael Lapp gewähren einen Einblick in die Praxis der studentischen Selbstverwaltung des Stifts in der Zeit des politischen Umbruchs nach dem Mauerfall (1989–1991; 359–368). Emanuel Hübner gibt einen mit vier Abbildungen illustrierten Überblick über die Geschichte der Gebäude, in denen das Theologische Stift untergebracht war (und noch ist; 369–380). Ausgehend von dem gesellschaftlichen Umbruch zwischen 1965 und 1970 vergegenwärtigt Ole Großjohann schließlich noch die Beziehungen zwischen dem Göttinger Theologischen Stift und dem reformierten Konvikt in Halle/Saale, deren Bedeutung sowohl auf der persönlichen als auch auf der sachlichen Ebene nicht zu unterschätzen ist (381–389).
Neben dem bereits erwähnten Verzeichnis der Personen, die ein Amt, sei es im Repetentenkollegium, sei es im Stift, ausübten, beschließt eine alphabetische Liste der Autoren den Band. Register gibt es nicht. Dem Band insgesamt hätte eine sorgfältige(re) Redaktion gutgetan. Die Aufgabe, »250 Jahre ›Stiftsgeschichte(n)‹ ebenso unterhaltsam wie anregend Revue passieren zu lassen« (14), hat das Buch aber zweifellos erfüllt.