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Ausgabe:

Januar/2016

Spalte:

56-58

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Reynolds, Benjamin E., Lugioyo, Brian, and Kevin J. Vanhoozer[Eds.]

Titel/Untertitel:

Reconsidering the Relationship between Biblical and Systematic Theology in the New Testament. Essays by Theologians and New Testament Scholars.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2014. XIV, 308 S. = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament. 2. Reihe, 369. Kart. EUR 84,00. ISBN 978-3-16-152719-7.

Rezensent:

Anne Käfer

»[C]an biblical scholars and systematic theologians be partners or must they go their separate ways? How should they deal with the unity and diversity of New Testament teaching? Should we be selective […] or should we try to do justice to the whole range of canonical testimony?« (178/179) Kevin J. Vanhoozer, einer der Herausgeber dieses Aufsatzbandes, formuliert die zitierten Fragen als Fragen Robert H. Gundrys, zu dessen Ehren zwölf Essays zum Verhältnis zwischen biblischer und systematischer Theologie erschienen sind. Robert Gundry ist emeritierter Professor für Neues Testament und Griechisch am Westmont College und Lehrer der Theologinnen und Theologen, die in ihren Essays Antworten auf seine Fragen suchen.
Auch Gundrys Tochter Judith M. Gundry trägt eine exegetische Arbeit bei. Unter dem Titel: »Anxiety or Care for People?« legt sie eine Interpretation von 1Kor 7,32–34 vor, bei der sie Robert Gundrys Anliegen aufnimmt, die Gegenwartsrelevanz der biblischen Texte herauszustreichen. In ihrer Interpretation stellt sie fest, dass die paulinischen Zeilen für das christliche Denken und Leben heutzutage von entscheidender Bedeutung seien und unter anderem verstanden werden sollten als Hinweis auf »the obligation of married Christians […] to have the dual ambitions of striving for the earthly good of their spouses and children, and striving for the eschatological good of others.« (130)
Nicht nur an der Gegenwartsbedeutung, auch an der kirchlichen Relevanz biblischer Texte sei Robert Gundry gelegen. Dies bemerkt Brian Lugioyo in seinem Aufsatz »Ministering to Bodies« und kommt bei der Interpretation der neutestamentlichen Verwendung des Begriffs soma zu dem Ergebnis, dass theologische Arbeit stets die Gestaltung des kirchlichen Dienstes an den broken bodies vor Augen haben sollte (233.237).
Der Aufsatzband enthält fünf Essays, die aus neutestamentlicher Sicht verfasst sind und unter anderem die Christologie der Synoptiker, die Auferstehung Jesu und eschatologische Texte der Bibel behandeln. Fünf weitere Essays befassen sich aus systematisch-theologischer Perspektive mit Themen wie der reformatorischen Hermeneutik oder der Erwählungslehre nach Calvin und in calvinistischer Tradition (u. a. bei K. Barth). Lohnend wäre sicher auch eine Bearbeitung derselben Fragestellungen aus jeweils zwei Perspektiven gewesen. Doch nahezu sämtliche Aufsätze sind durch ausdrückliche Bezugnahme auf die theologischen Vorarbeiten Robert Gundrys eng miteinander verbunden, so dass der Band ein einheitliches Ganzes darstellt und sich zur fortlaufenden Lektüre gut eignet.
Im Verlauf des Buches werden vor allem die eingangs zitierten Überlegungen, die letztlich nach der Hermeneutik biblischer Texte fragen, fortwährend vertieft. Weitgehend besteht Einigkeit darüber, dass biblische und systematische Theologie in einem gewissen »partnerschaftlichen« Verhältnis zueinander stehen sollten. Benjamin E. Reynolds hält hierzu in seinem Beitrag »Eucharistic Language in John 6« abwägend fest: »[B]iblical theology should function as the first among equals in its partnership with syste-matic theology. […] We must listen to the divine voice of God’s Word and be sensitive to it. Systematic theology may guide and set bound­aries for exegesis and biblical theology, but it should not dictate biblical theology.« (82)
Die Annahme, dass Gott in der Bibel zum neutestamentlichen Wissenschaftler spreche, bestätigt J. Webb Mealy in seinem Beitrag »Revelation is One«. Entsprechend hält er die Widersprüchlichkeiten biblischer Texte für eine Glaubensherausforderung. »We resist contradictions in Scripture because it would be nightmarish if God’s words to us were contradictory.« Es gebe vernünftige Gründe für die Annahme »that God is true and that God has spoken to us in the scriptures« (152). Jedoch rät Mealy ab von einer systematischen Vereinheitlichung christlicher Glaubensaussagen.
Welchen Umgang Martin Luther mit der Unterschiedlichkeit biblischer Texte empfahl, darüber schreibt Jennifer Powell McNutt in ihrem Beitrag »James, ›The Book of Straw,‹ in Reformation Biblical Exegesis«. Sie erinnert daran, dass Luther den Jakobusbrief nicht in Übereinstimmung mit der bei Paulus gefundenen Einsicht in das Rechtfertigungsgeschehen fand und ihn deshalb als »an epistle of straw« bezeichnet habe (169). Luther habe zwar eigentlich die Autorität der Bibel hervorgehoben, mit seinem hermeneutischen Zugang, bei dem das Rechtfertigungshandeln Gottes als Kriterium im Zentrum stehe, die Kanonfrage jedoch neu gestellt.
Was für eine Autorität der Schrift tatsächlich zukomme, ist das Thema, das Gary W. Deddo in seinem Referat theologischer Texte aus dem Werk von T. F. Torrance ausführlich behandelt. Es gelte, deutlich zu unterscheiden zwischen dem Mensch gewordenen Wort Gottes einerseits und dem Schrift gewordenen Wort Gottes andererseits; allein der in Jesus Christus geoffenbarte Gott sei der wahre Glaubensgegenstand der Kirche. »The church does not worship the Bible. If it did, it would be guilty of idolatry.« (262) Doch sei der in Christus geoffenbarte Gott allein den Aposteln begegnet, die in den biblischen Texten davon zeugten. »[W]e certainly cannot think we can have access to the realities to which scripture refers since, for all practical purposes, the reality at hand is simply the Bible itself. At best we might have ideas about God that are comparable to those of the biblical writers.« (267) Wenn die apostolischen Worte richtig ( accurate) gehört würden, könne mit den Aposteln der Glaube an den Gott geteilt werden, »they met and knew in Jesus Christ« (270).
Die Essays des Bandes haben sich mit der Verhältnisbestimmung von neutestamentlicher und systematischer Theologie auch eine Verständigung über die Hermeneutik biblischer Schriften zur Aufgabe gemacht. So aufschlussreich die Texte im Blick auf die Theologie Robert Gundrys, ihres Adressaten ehrenhalber, und so bedeutsam die diskutierten Probleme auch sind, die hermeneutischen Thesen scheinen nicht zu Ende gedacht zu sein. Dass die Lektüre eines jeden Textes und so auch der biblischen Schriften nicht unabhängig ist vom Vorverständnis der jeweiligen Rezipientin oder des jeweiligen Rezipienten, darauf wird hingewiesen (z. B. 79.134). Doch nicht einmal das im Aufsatzband verbreitete und maßgebliche Vorverständnis von der Bibel, die mit göttlicher Stimme zu den Hörenden spricht, wird näher expliziert oder gar hinterfragt.
Die Einsicht, die auch bei Martin Luther zu finden ist, nämlich dass christlicher Glaube nicht an der Hörleistung des Menschen hängt, sondern Gott selbst es ist, der den Rezeptionsvorgang biblischer Texte entscheidet, indem er durch das offenbarende Wirken des Heiligen Geistes Glauben konstituiert (oder nicht), wird ebenfalls nicht thematisiert. Und ebenso wenig wird bedacht, dass eine Glaubensgemeinschaft von der systematisch-theologischen Reflexion verbindender Glaubensinhalte profitiert – beispielsweise dann, wenn diese christlichen Glauben deutlich vom Fürwahrhalten von Apostelworten zu unterscheiden vermag.
Dass der Aufsatzband das Verhältnis von biblischer und systematischer Theologie neu bedenkt, ist unbedingt zu begrüßen. Dies Unternehmen sollte aufgegriffen und fortgesetzt werden.