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Ausgabe:

Dezember/2014

Spalte:

1522–1524

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Oxen, Kathrin, und Dietrich Sagert[Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Übergänge. Predigt zwischen Kultur und Glauben. Hrsg. im Auftrag d. Zentrums f. evangelische Predigtkultur.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2013. 314 S. = Kirche im Aufbruch, 9. Kart. EUR 14,80. ISBN 978-3-374-03329-4.

Rezensent:

Frank Thomas Brinkmann

Es gehört zu den tragischen Momenten jüngerer theologischer Diskurskultur, dass man ihr nicht nur gelegentliche Phasen intellektueller Schwäche einschreiben, sondern auch konkret vorwerfen konnte, geliehene Begriffe und entlehnte Denkfiguren zentriert und in ein nahezu fundamentales Theoriedesign überführt zu haben, ohne selbst mit einem überragend eigenständigen Beitrag aufgefallen zu sein. Obwohl sich nämlich der Zeitgeist in den letzten Jahrzehnten nicht gerade zwingend nach theologischen Im­pulsen und Reflexionen, geschweige denn nach Modellen und Konzepten kirchlich autorisierter Metaphysik oder christlich motivierter Moral gestreckt hat, bleibt weitestgehend unbeantwortet, was es wirklich mit der rückläufigen Eigenständigkeit theologischen Denkens zu tun hat, mit dem Mangel an resistenten Basistopoi, mit dem Verlust starker Meistererzählungen im Dickicht spätmoderner Fiktionen – und der nur begrenzten Flexibilität gegenüber allerlei Paradigmensprüngen und turns.
Wie auch immer, eine Anleihe bei überzeugenden und ambitionierten Theoriearchitekturbüros der Postmoderne verheißt sicherlich mehr Sinngewinn als ein Konkursverfahren. Insofern darf es der (Praktischen) Theologie nicht wirklich nachgesehen werden, wenn sie kulturwissenschaftlich kokett auftritt und eben mit Kulturbegriffen zu operieren versucht, um ihre Landschaften zu verschönern und (wieder) begehbarer zu machen: Immerhin suggerieren gerade die den kulturtheoretischen Debatten abgerungenen I mpulse und Inspirationen interdisziplinäre Leistungs- und An­schlussfähigkeit – obwohl einige der als bewährt eingeschätzten Theoriemodule bereits arg zwischen Konjunktur und Inflation strapaziert sind: Spätestens wenn sich die Anzeichen verdichten, dass eine bestimmte Semantik die Sprachen des Alltags ebenso wie die Fachjargons und akademischen Debatten eher belastet als bereichert, sollte man sich mit einer gewissen Distanzierungs- und Differenzierungskompetenz aufstellen, anstatt das Wagnis einzugehen, sich über eine Teilnahme an Populärdialogen bemerkbar zu machen bzw. über die Performance inszenierter Diskurse die eigene Nützlichkeit abzusichern.
Die Publikation »Übergänge« ist als ein Dokument vieler kleinerer Wagnisse beschriebener Art zu taxieren, und es könnte bereits an dem Untertitel abzulesen sein, wie unausgereift noch der Versuch bleibt, sich einer kulturpraktisch beflissenen und kulturtheoretisch interessierten Öffentlichkeit anzubieten: Wieso wird die Predigt »zwischen Kultur und Glauben« platziert, und was soll diese eigenartige Gegenüberstellung leisten?
An Ausläufer pseudobarthianischer Theologie zweiter Generation mag gedacht werden, als man Kulturbegriff und Religionsbegriff noch dämonisieren musste, um dem »Glauben« als Geschenk, Wagnis und Ereignis eine offenbarungstheologische Spitzenqualität bescheinigen zu können. Doch da es um eine Reanimation solcher (un!-)dialektischen Gedankenspiele wirklich nicht mehr ge­hen kann, ist es womöglich das Beste, sich den gesamten Titel als künstlich offen gestaltete Lektüreaufforderung an ein größeres Klientel vorzustellen – womit zumindest die eigensinnige Abmischung eines vulgärchristlich und volkskirchlich erfolgreichen Begriffs (Glauben), einer alltagsgängigen Vokabel (Kultur), einer phrase très chic (Übergänge) mit dem weitreichend etablierten Terminus für eine nicht nur pastoralpraktisch fokussierte Redegattung (Predigt) erklärt wäre. Alles Weitere erschließt sich erst über die Lektüre eines Buches, dessen Veröffentlichung mit einer be­stimmten (Vor-) Geschichte zu tun hat: 2006 war von der Evangelischen Kirche in Deutschland mit dem Impulspapier: Kirche der Freiheit ein Reformprozess angeregt worden, der 2007 bei einem Zu­kunftskongress in Wittenberg aufgenommen, 2008 einer ersten Steuerungsgruppe zur Koordination übertragen und 2009 in Kassel auf einer Zu­kunftswerkstatt präzisiert werden sollte. Dieser schnell als Initiative: Kirche im Aufbruch ausgerufene Prozess wurde sukzessiv institutionalisiert über die Einrichtung von Reform- und Kompetenzzentren mit vier groben Zielsetzungen: An den Standorten Stuttgart, Dortmund und Greifswald ist gegenwärtig das Zentrum Mission in der Region angesiedelt, in Hildesheim das Zentrum für Qualitätssicherung im Gottesdienst, in Berlin das Zentrum für Führen und Leiten, in Wittenberg das Zentrum für Evangelische Predigtkultur. Dass es dort seither gilt, an der Erneuerung der Kanzelrede zu arbeiten, plakatiert das 2011 dort als Band 1 herausgegebene Lesebuch nicht nur in seinem programmatischen Titel, sondern auch über die abgedruckten Beiträge einer illustren Vorzeigeprominenz von Katrin Göring-Eckardt bis hin zu Margot Käßmann.
»Übergänge« nun ist der dritte Band einer homiletisch-praktischen Nabelschau, die die Herausgebenden in ihrem Geleitwort als Zusammenstellung von »Einsichten und Erfahrungen aus unserer Arbeit im Zentrum für evangelische Predigtkultur« (5), als »Bemühen um unterschiedliche Zugänge zur Predigt« und als »Suche nach Inspiration außerhalb des kirchlich-theologischen Diskurses« (6) verstehen wollen. Mit dieser Zielsetzung erklärt sich die gefächerte Palette der »vielfältigen Beiträge« (6), die unter mehreren Kapiteln rubriziert sind. Dabei verraten sowohl die Kapitelüberschriften als auch die den Rubriken unterlegten Kurzinformationen allerhand über die Kontexte der Entstehung bzw. der Erstpräsentation aller summierten Beiträge, gleichzeitig erfährt man viel über die bunten Aktivitäten der herausgebenden Einrichtung:
Homiletische Fachgespräche etwa hat es gegeben, in deren Verlauf z. B. Christoph Fleischmann über »Kapitalismus und Religion« referieren und auf die »Wandlung religiöser Begriffe in der frühen Neuzeit« (29 f.) aufmerksam machen konnte oder Daniel Weidner »Bibel als Literatur. Zugänge zum Buch der Bücher« (235 f.) vorstellen durfte. Zudem hatte man lebens- und praxisnahen Experimenten und Konzepten das Wort erteilt, Thomas Hirsch-Hüffel einprägsam-sensibel das Modell »Gottesdienst mit Lebensexperten« (51 f.) veranschaulichen und Frère Richard aus Taizé berichten lassen (271 f.). Auch die Veranstaltungsreihe »Passagen – Gedankengänge des Glaubens« darf für sich werben: Lesenswert zeigt Dirk Pilz in zwei Beiträgen, wie sich »Glaube unter den Bedingungen der Moderne« (87 f.) mit dem Gesamtwerk von Charles Tylor verträgt und was das »Echo des Vergessens« in »Aleida Assmanns Konzept der Erinnerungsräume« besagt (211 f.), während Martin Treml unsystematische Bemerkungen »Zur Entzauberung und Wiederverzauberung der Welt« (109 f.) vorlegt. Informationen ganz anderer Art erhält man aus Sektionen, die Cura homiletica heißen oder ExperimentierKanzel; zu den u. a. dort verzeichneten praktisch-homiletischen Skizzen gehört, was Jasmin El-Manhy aus einer homiletischen Werkstatt über Elfchen erzählt (121 f.), Kathrin Oxen von Wortkunststücken auf einer Bühne vermeldet (169 f.), Anne Gidion über Improvisationen notiert hat (195 f.) oder Kerstin Wimmer einer Poetik des Dialoges entnimmt (153 f.).
In wahrhaftig vielen Facetten schillert dieser Band. Indes, was wäre wirklich damit zu tun (und gewonnen)? In der Einführung steht es geschrieben: »Die Lesenden […] sind eingeladen, selbst Übergänge zu riskieren, neue Straßen durch ihre gewohnten Denk- und Praxishäuser zu ziehen, Gänge, die keine Außenseite haben, wie Träume.« (25) Der Sinn dieser Aufforderung erschließt sich nicht zwingend. Doch wenn man bedenkt, dass diese Veröffentlichung – die wohl zwischen Selbstdarstellung und Rechenschaftsbericht abwägen muss, weil die Zukunft einer Reformwerkstatt nicht zuletzt von ihrem Erfolg und ihrer Publicity abhängt – von Veranstaltungen erzählt, die gut besucht waren, dann wird auch klar, dass diese Printformatierung Abnehmerinnen und Abnehmer finden wird, die mit der nötigen Empfindsamkeit auf diese »unverhoffte Zufuhr an Inspiration« (7) reagieren und »zwischen Kultur und Glauben« predigen wollen. Was auch immer das heißt.