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Ausgabe:

Dezember/2014

Spalte:

1445–1446

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Mtata, Kenneth [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

»Du hast Worte des ewigen Lebens«. Transformative Auslegungen des Johannesevangeliums aus lutherischer Sicht.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2013. 200 S. = LWB-Dokumentation, 57. Kart. EUR 19,80. ISBN 978-3-374-03606-6.

Rezensent:

Karl-Hermann Kandler

2011 initiierte der Lutherische Weltbund ein Programm zur Hermeneutik, das das Ziel verfolgt, »die gemeinsamen heiligen Texte und Kontexte zu ›lesen‹. […] und dabei die Glaubensgemeinschaften der Gegenwart einzubinden in die große Wolke von ZeugInnen der Vergangenheit und das Wort Gottes mit neuer Aufmerksamkeit zu hören« (7). Mtata fordert, die biblischen Texte ernst zu nehmen und dabei zu fragen, »wie die räumlich und zeitlich voneinander getrennten Kirchen sich diese Texte aneignen können«. »Die Auslegung der Bibel wird transformativ, wenn Gesetz und Evangelium in Beziehung zueinander gesetzt werden, da sie zusammen als das Wort Gottes wirken.« Die transformative Hermeneutik will die »Erfahrungen von Gemeinden und die Fachkenntnisse von akademischen Theologen und Theologinnen« miteinander verbinden, weil »die Bibel mit unterschiedlicher Zielsetzung gelesen wird« (9.19.21). So wird das neue Stichwort »transformative Hermeneutik« bestimmt. Wie sieht das nun praktisch aus?
Zunächst gibt Hans-Peter Großhans einen informativen Überblick über lutherische Hermeneutik. Doch ist die Behauptung sehr zu hinterfragen, ob die Bibel »ein Buch (wie andere religiöse Bücher) ist, das durch seine Verwendung in der Kirche zur Heiligen Schrift wird und Wort Gottes werden kann, wenn Menschen von ihm in heilswirksamer Weise angesprochen werden« (30). Das ist eher eine römisch-katholische Bestimmung, da hier der Kirche eine Mittlereigenschaft zugewiesen wird. Vielmehr war für Luther entscheidend, ob der Text den gekreuzigten und auferstandenen Chris­tus bezeugt. Eben darum akzeptierte er die Unterordnung der Schrift unter die Kirche nicht (31 f.). Ergänzend legt Anni Hentschel Luthers Bedeutung für die moderne Hermeneutik dar: Luthers An­liegen »war nicht ein hermeneutisches, sondern ein theologisches und existentielles«. Bezugnehmend auf Gadamer verdeutlicht sie, dass die historisch-kritische Interpretation »keine objektive oder eindeutige Auslegung biblischer Texte erzielen kann« (59.64).
Craig R. Koester gibt »Eine Einführung in das Johannesevangelium und Fragen der lutherischen Hermeneutik«. Bezugnehmend auf Joh 1,1 stellt er fest, »dass am Anfang Gottes Akt der Kommunikation steht«. Der Heilige Geist erinnert stetig Jesu Jünger daran, »welche Bedeutung jene Botschaft für die zukünftigen Generationen haben wird« (84.96). Sarah H. Wilson untersucht »Gesetz und Evangelium (mit ein wenig Unterstützung von St. Johannes)« und sieht die Gefahr, »Gesetz als Evangelium falsch zu etikettieren« (100).
Bernd Wannenwetsch meint »Politische Liebe: Warum das Johannesevangelium für die zeitgenössische Ethik nicht so unergiebig ist, wie es scheint«, weil es »von der Sprache der Liebe durchdrungen ist«. Das neue Gebot zielt auf ein Ethos, in dem die Christen eingeübt werden in die Notwendigkeit, »friedlich mit allen möglichen miteinander zu leben« (117.125). Vitor Westhelle stellt unter dem Titel »Rezeption und Kontext – Luthers kontextuelle Hermeneutik« vor. Es sei nötig zu berücksichtigen, »inwiefern ein Text auf ein be­stimmtes Volk zugeschnitten ist, welche Resonanz er hat auf die Erfahrung dieses Volkes«, wie er es verändern und wie er im jewei-ligen Kontext bezeugt werden kann (136.139.142). Eve-Marie Becker vergleicht »Lutherische Hermeneutik und neutestamentliche Exe­gese – politische und kulturelle Kontextualisierungen« und tut das auf der Ebene eines globalisierten Christentums, das mit anderen Religionen und Weltanschauungen im Wettbewerb steht (145–161). Monica Iyotsna Melanchthon stellt »Bibel, Tradition und der asia-tische Kontext« in Beziehung zueinander. Während die Wissenschaft misstrauisch sei, ob die kontextuelle Bibelinterpretation nicht eine Verwässerung des Bibelstudiums darstelle, sieht sie darin eine »starke ethische Komponente« und fordert eine emotionale Interpretation. Der Kontext »verlangt eine dynamische Bibelinterpretation, die sich auf den jeweiligen Kontext zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort bezieht« (168 ff.180). Dennis T. Olson stimmt der Forderung zu, es sei nicht genug, Afrika zu chris­tianisieren. Wir müssen das Christentum afrikanisieren« (190).
Stets wird zu fragen sein, ob nicht eine Schriftauslegung, die in den jeweiligen temporären, mentalen und lokalen Kontext transformiert, die biblische Botschaft verändert. Sicher, die Botschaft ist in den jeweiligen Kontext, in die Situation hinein zu sagen, aber sie darf dadurch nicht verändert werden, sie darf sich dabei dem jeweiligen Zeitgeist nicht so anpassen, dass dieser über sie bestimmt. Zweifellos ist das oft, gerade auch in der Gegenwart, geschehen. Sind sich die Autoren, sind wir uns dieser Gefahr immer bewusst?
Es fehlt eine Autorenliste, die nicht nur die konfessionelle und akademische, sondern auch die ethnische Herkunft angibt. Luthers Werke sollten in einer deutschen Veröffentlichung nicht nach Luthers Works, St. Louis (14) angegeben werden.