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Ausgabe:

Dezember/2014

Spalte:

1442–1443

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Waltke, Bruce K., and James M. Houston

Titel/Untertitel:

The Psalms as Chris­tian Worship. A Historical Commentary.

Verlag:

Grand Rapids u. a.: Wm. B. Eerdmans 2010. XII, 626 S. Kart. US$ 35,00. ISBN 978-0-8028-6374-4.

Rezensent:

Harald Buchinger

Die unvergleichliche Bedeutung des Psalters erweist sich in der Vielfalt der Zugänge nicht nur innerhalb der Exegese, sondern auch im frommen Gebrauch. In den letzten Jahrzehnten haben interdisziplinäre Brückenschläge historische und gegenwärtige Hermeneutiken in Dialog gebracht und gemeinsame Horizonte der verschiedenen Perspektiven erschlossen. Das Werk von Bruce K. Waltke und James M. Houston versucht eine derartige Synthese, näherhin von »two voices of the Holy Spirit, infallibly in Scripture and edifyingly in the church’s response« (2). In der konkreten Durchführung wird zuerst jeweils als »Voice of the Church« ein Kaleidoskop verschiedenster Elemente der Wirkungsgeschichte je­des kommentierten Psalms geboten, dann als »Voice of the Psalm­ist« eine Übersetzung, drittens ein »Commentary« und viertens »Theology« oder »Conclusion«.
Vorangestellt ist den 13 Einzelauslegungen (»Section II«, 115–572) ein »Prologue« (1–16), der über Intention, Hintergrund und Aufbau des »Kommentars« Auskunft gibt (mit einer problematischen Gegenüberstellung von Typologie und Allegorie, wobei Letztere zurückgewiesen wird; 14), und als »Section I« (19–112) ein »Survey of History of Interpretation of the Book of Psalms« in drei Abschnitten: »Survey of Second Temple Period Interpretation of the Psalms«, »Historical Introduction to the Interpretation of the Psalms in Church Orthodoxy« und »History of Interpretation Since the Reformation: ›Accredited Exegesis‹« (mit klarer Option gegen die historisch-kritische Methode: »Let us consider, then, some reasons why orthodoxy’s confession, a hermeneutica sacra, is more reasonable than that of HBC« [Historical Biblical Criticism; 82]); als »Contemporary Trends« (77 f.) werden nur James L. Mays, Samuel Terrien und John Eaton genannt.
Der Charakter des Werks ist ambivalent: Das umfangreiche Buch bezeichnet sich selbst als »Kommentar«, zitiert – gleichwohl in Transkription – hebräische Termini, weist zahlreiche Fußnoten auf und ist durch umfangreiche Indizes (historische und moderne Autoren, Sachen, Bibelstellen) erschlossen; nicht zuletzt das Glossar (573–582), das Begriffe wie »Arianism«, »breviary«, »Deism« oder »Vulgate« erklären zu müssen glaubt, erweist aber Nicht-Spezia- listen als intendiertes Publikum, wie auch der Prolog deutlich macht: »Overall, our desire is for thoughtful lay readers, as well as preachers and teachers, to reach into the pure gold of the Biblical text and into the hinterland of Christian history, to draw fresh renewal of spirit and thought from both, from what has become neglected in our secular society today.« (11) Entsprechend ist das ganze Werk geprägt: durch metaphernreiche Sprache, ein dezidiert geistliches Anliegen und nicht zuletzt prononcierte Opposition zur gegenwärtigen, als säkular wahrgenommenen Gesellschaft (und weiten Teilen moderner Bibelwissenschaft; s. o.).
Das Buch ist in jeder Hinsicht eklektisch: Erstens begründen die Autoren ihre Auswahl zwar mit einer komplexen Kriteriologie (15 f.: »First […] a basic and pivotal role in the life of the worshiping church. Second […] a solid foundation for Christian apologetics by studying psalms that Christ and his apostles used to validate the Christian faith […] Third various genres and perspectives […] Fourth […] to highlight historical perspectives in the interpretation of the Psalter«); dass zehn von 13 ausgelegten Psalmen der Gruppe 1–23 entnommen sind, genauer gesagt, von den ersten vier Psalmen 100 %, von den ersten 8 Psalmen 62,5 %, von den ersten 23 Psalmen immerhin insgesamt 43 %, vom Rest des Psalters dagegen mit drei Psalmen knapp 2,4 % behandelt werden, weckt freilich auch den Verdacht, dass aus anderen Gründen ein ursprünglich vielleicht größer angelegtes Projekt Torso geblieben sein mag.
Zweitens kann man nur darüber spekulieren, wie die Quellen des historischen Kommentars ausgewählt wurden (wobei der Re­zensent nicht über die detektivischen Ambitionen verfügt, um eine mögliche Vermittlungsfunktion der einleitend [11–13] zitierten Werke gegenüber dem Ausmaß eigenständigen direkten Quellenstudiums zu erheben).
Drittens liegt es selbstverständlich in der Natur eines derart breit angelegten Werkes, dass Fachdiskurse nur in sehr subjektiver Auswahl wiedergegeben werden können; auffällig sind allerdings die Sprachgrenzen bei der Verarbeitung internationaler Forschung: Ins Englische übersetzte Klassiker moderner deutschsprachiger Psalmenexegese werden zwar gelegentlich zur Kenntnis genommen, Namen wie Norbert Lohfink oder Erich Zenger sucht man dagegen vergeblich. Analoges ließe sich für die patristische Forschung oder für den französischen Sprachraum sagen (die wenigen Stellen, an denen französische Literatur zitiert wird, sind nicht frei von Fehlern: S. 118 Fn. 15 liest z. B. »psalmier« statt »psautier«).
Aus alledem ergibt sich, dass in jedem Bereich den einschlägig Spezialisierten sofort und allenthalben Defizienzen ins Auge springen werden.
Um die Rezension nicht mit einer Liste zu befrachten, deren Auswahl letztlich willkürlich bliebe, sei ein Beispiel für viele angesprochen: In der die Auslegung von Ps 51 einleitenden Beteuerung der liturgischen Bedeutung dieses Psalms bleibt zwar die fundamentale Bedeutung von Ps 51 in der morgendlichen Tagzeitenliturgie seit der Spätantike unerwähnt; dafür heißt es in nur geringfügig verschlimmbesserter Übernahme aus Neale/Littledale (Erstausgabe 1868, Bd. 2, 159) : »In the medieval Roman Breviary, Psalm 51 was recited every hour at the conclusion of each monastic service […] For some thirteen centuries, it was repeated seven times daily« (446): Das Römische Brevier ist freilich keine monastische Quelle (was auch Neale/Littledase so nicht sagen), der zu den se­kundären Zusätzen gehörende Brauch, Ps 51 im Anschluss an Horen der Tagzeitenliturgie zu beten, kommt erst im Hochmittelalter vereinzelt auf, wurde also keineswegs seit der Spätantike universal geübt, betraf zunächst nur einzelne und auch später nur da und dort alle Horen, drang nur ausnahmsweise in die liturgischen Bücher selbst ein und wurde gerade in Rom nur zögerlich rezipiert […] Derartige Halbwahrheiten und Fehlinformationen prägen nicht nur die liturgiegeschichtlichen Ausführungen des Werkes auf Schritt und Tritt.
Auch abgesehen von unverifiziert kolportierten Fehlern älterer Sekundärliteratur bleibt vieles so pauschal, dass die Grenze zwischen mangelnder Präzision und echtem Missverständnis gerade dem primär intendierten nichtspezialisierten Publikum oft nicht auffallen wird; umso mehr irritiert den kritischen Leser der häufig sehr apodiktische Ton der Verfasser. Für die erbauliche Lektüre mag das Buch selbst denjenigen, welche der Hermeneutik und den Auffassungen der Autoren nicht folgen wollen, Anregungen bieten; ob tatsächlich historische Hermeneutiken einfacher zugänglich sind als exegetische (11: »the history of interpretation requires less propaedeutic than exegesis«), bleibe freilich dahingestellt. Ein wissenschaftlicher Ertrag für eine der angesprochenen Disziplinen (Bibelwissenschaft, historische Theologie, entsprechend dem Titel »Christian Worship« womöglich auch Liturgiewissenschaft) ist schwer zu erkennen.