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Ausgabe:

Dezember/2014

Spalte:

1436–1437

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Glanz, Oliver

Titel/Untertitel:

Understanding Participant-Reference Shifts in the Book of Jeremiah. A Study of Exegetical Method and its Consequences for the Interpretation of Referential Incoherence.

Verlag:

Leiden u. a.: Brill 2013. XVI, 380 S. = Studia Semitica Neerlandica, 60. Geb. EUR 136,00. ISBN 978-90-04-24188-6.

Rezensent:

Karin Finsterbusch

Die hier zu besprechende Monographie ist die Buchform eines von E. Talstra betreuten Dissertationsprojektes. Im Mittelpunkt der Studie von Oliver Glanz stehen die 585 Wechsel im (masoretischen) Jeremiabuch »in which the reference of a participant changes or in which a specific PNG [d. h. Person-Number-Gender] quality is used to refer to at least two different participants« (133). Die Ausführungen in der Monographie basieren wesentlich auf einer syntaktischen Analyse des Jeremiatextes (nach Codex L); die entsprechende Datenbank ist auf einem Server öffentlich zugänglich (vgl. 32 f.). Die PNG-Wechsel sind über den ganzen Jeremiatext verteilt. Ob­wohl in keinem anderen Buch der Hebräischen Bibel eine vergleichbare Häufigkeit von Wechseln zu beobachten ist, wurden sie, wie G. anhand einer Analyse ausgewählter Kommentare bzw. kommentarartiger Werke zeigt (Duhm, Thiel, Lundbom, Holladay, Carroll), bislang wenig beachtet (Duhm z. B. vermerkte nach G. lediglich 39 Wechsel).
Im Widerspruch zu diachronen Überlegungen insbesondere von Duhm und Thiel schließt G. zunächst mit Blick auf die Jeremia-Handschriften von Qumran und die LXX-Jer aus, dass das Phänomen der PNG-Wechsel im Zuge von Textübermittlung oder Übersetzung zu erklären ist: »Although both the Qumran fragments and the LXX contain some deviations with regard to the position of the PNG shifts, the very existence of PNG shifts in CL, Qumran, and the LXX – while there are substantial textual differences between the text traditions – shows that PNG shifts belong to the realm of language-pragmatics and the craftsmanship of writing.« (241)
Im Zentrum der Arbeit steht der Versuch der Deutung der PNG-Wechsel (243–342). Methodisch wählt G. einen phänomenologischen (synchronen) Zugang. Exemplarisch werden Fälle vorgestellt und schließlich drei Bereichen zugeordnet: »1. Language (syntax, pragmatics); 2. Discourse (text, grammar); 3. Teleology (rhetoric)« (337–339), wobei die Mehrheit der PNG-Wechsel laut G. einen Diskurs-Wechsel bzw. einen Wechsel der Redesituation innerhalb eines Diskurses anzeigt. Aus der Fülle und Komplexität des Materials kann in diesem Rahmen nur je ein Beispiel angeführt werden:
1. In mehreren Zusammenhängen wird einem Sg. Adressaten wie z. B. »Haus Israel« ein Prädikat im Pl. zugeordnet, vgl. Jer 10,1 (256). Die meisten dieser Singular-Plural Inkongruenzen sind im Rahmen der hebräischen Grammatik als »normales« Sprachphänomen zu beurteilen.
2. JHWH kann sich innerhalb eines Diskurses (Ich-Rede) hintereinander an mehrere Teilnehmer wenden. Dies wird zumeist angezeigt durch gezielte PNG-Wechsel, beispielsweise in 5,7–10: In V. 7 redet JHWH sein Volk in der 2. Pers. Sg. fem. an; in V. 10 wendet er sich an gegnerische Krieger in der 2. Pers. Pl. mask. (vgl. 293 f. und 320–322).
3. Ein und derselbe Teilnehmer kann innerhalb eines Diskurses in maskulinen und femininen Formen angesprochen werden, so etwa in Jer 3: »The rationale for the G shift can be found in the relational role that Israel takes when addressed. In v12 Israel is clearly described not as a nation as such but as a marriage partner. Thus with the F referring to Israel the relational function has changed from being a nation to being the wife of God as appearing in dif-ferent passages like 3:20.« (296)
Die von G. präsentierten Beispiele sind plausibel ausgewählt, die Gründe für die PNG-Wechsel in den Texten in der Regel überzeugend beschrieben. Über Details kann man sicher streiten (z. B. ist MT-Jer 50,23 noch Teil einer Rede Gottes an einen Gegner Babels, V. 24 enthält eine Rede an Babel, es folgt ein Kommentar Jeremias; V. 23 ist also sicher nicht »interrupted by the directive part with 2sgF references for the purpose of explanation«, 286). Doch insgesamt dürfte G. der Nachweis gelungen sein, dass die PNG-Wechsel von Ausnahmen abgesehen nicht als Störung von Textkohärenz bzw. Texteinheit zu beurteilen sind (345).
Schließlich unternimmt G. noch einen beachtenswerten Versuch, den Befund in einem Bild zu beschreiben:
In vielen Textpassagen wird der Eindruck erzeugt, »that when YHWH or the prophet is speaking a whole parliament of dialogue partners with many dif-ferent parties is present. In a sense the book of Jeremiah opens a complex turbu­lent parliamentary session. YHWH or the prophet refers to the parliament as a whole or just certain parties – if not single individuals who relate to one or the other party. Since the reference changes vividly […] no party and no individual can lean back and listen ›objectively‹ as an observer to the speech of YHWH or the prophet. The change or ›danger‹ of being drawn into the conversation by a direct address is always present. No participant can rest, for at any time and fully unexpected one can become the discourse partner of the divine voice.« (346)
Die Dynamik der PNG-Wechsel erfasst nach G. auch den Leser:
»Since he is often not informed explicitly about the identity of the present speaker, he can easily imagine being a potential dialogue partner within the parliamentary session as well […] By the discussion about right and wrong, responsibility and guilt, compassion and anger at the heart of the dynamic discourses the reader is challenged to take a firm stand.« (347)
Freilich, und hier kommt das gewählte Bild wohl doch an eine Grenze, darf der narrative Charakter des Jeremiabuches (insbesondere des MT-Jer) nicht übersehen werden. Die Leserschaft weiß von Anfang an genau um die erzählte Zeit des Buches.
G. hat eine inhaltlich interessante und methodisch innovative Arbeit vorgelegt. Die künftige Forschung zu Jeremia wird an die Ergebnisse mit Gewinn anknüpfen können.